24 May 2024

Schutz vor einer Politik durch Köpfe

Das BVerfG bleibt seiner restriktiven Rechtsprechung zum politischen Beamten treu. Die Kritik an dem Beschluss schießt aus allen Rohren – aber mit Platzpatronen. Die Entscheidung geht den überfälligen Schritt, einer Politik durch Köpfe im gesetzesvollziehenden Teil der Exekutive die Grenzen aufzuzeigen. Die Kritik verkennt die hinter dem politischen Beamten wirkende Ministerverantwortlichkeit. Dafür ventiliert sie mit Verve, dass ehemalige Ministeriale und Verfassungsrichter bei diesem neutralitätsfetischistischen Beschluss am Werk sind, dabei ist die Realität viel banaler: Amtscourage, nicht politische Konformität, ist das Leitbild des Personals der Republik. Mit einem rechtsstaatsvernarrten Rationalismus im Gewand demokratiefeindlicher Neutralität hat das wenig zu tun. Was ein durchdemokratisiertes Behördenpersonal bedeutet, lässt sich am Beispiel der USA illustrieren, wo der demokratische Furor bei einem Regierungswechsel auf einen Streich tausende Stellen auf parteipolitische Konformität umpolen könnte.

Dabei liegt wenig Überraschendes in dem Beschluss. Er verlängert und konkretisiert eine Entscheidungslinie, die das Institut des politischen Beamten stets als rechtfertigungsbedürftige Kategorie, als Ausnahme von der meritokratischen Beamten-DNA – Unabhängigkeit, Neutralität, Leistungsprinzip – ausgeflaggt hat. Der politische Beamte ist die Enklave auf dem Territorium des Rechtsstaats, das sonst nur von Beamten der Gattung Art. 33 Abs. 5 GG besiedelt ist. Er ist aber nur der äußerste Punkt auf einem Handlungsspektrum der Durchgriffsmöglichkeiten einer politischen Spitze auf den administrativen Unterbau – neben der Weisung, der Umsetzung, der Versetzung oder dem Disziplinarrecht. Die Beseitigung des politischen Beamten aus den unpolitischen Gefilden des Verwaltungsvollzugs, zu denen nach dem Beschluss zumindest auch der nordrhein-westfälische Polizeipräsident gehört, hinterlässt keine bedenklichen ministerialfreien Räume.

Duale Exekutive

Der politische Beamte findet seinen Platz, wenn man zwei Arme der Exekutive unterscheidet: der politisch-demokratische, in Regierung und Ministerien angesiedelte, prospektive, politisch-strategische, verfassungsrechtlich in Watte gepackte und allgemein ausgerichtete Arm; und der bürokratisch-rechtsstaatliche, gesetzesvollziehende, ermessensgebundene, subsumierende und konkret einzelfallbezogene Arm. Die Botschaft des Beschlusses ist schlicht: für das Handeln des ersten Arms haben politische Beamte eine wichtige Funktion. Der Minister braucht sie als Scharniere im Ministerialapparat, um politische Impulse in die Zahnräder ministerialer Maschinenräume zu überführen, in denen Gesetze geschrieben oder andere prospektive Gestaltungsmaßnahmen ausgeheckt werden. Politische Amtsträger, die ihre subjektiven Steuerungswünsche durch politische Beamte verlängern, unterliegen keinem fremden Rationalitätsmaßstab. Deshalb ist nicht nur akzeptabel, dass die Regierung für staatsleitendes Handeln politisch konformes Personal einsetzt, weil das Geschäft an der Ministeriumsspitze zuvorderst politisch-strategisch agiert, nicht administrativ-bürokratisch. Der politische Beamte wird sogar zum erforderlichen Korrelat zur Ministerverantwortlichkeit gegenüber dem Parlament. Verantwortlichkeit setzt voraus, dass die Regierung ihren politischen Gestaltungsanspruch auch tatsächlich einlösen kann. Dafür bedarf es der Transformationsleistung des politischen Beamten.

Der zweite Arm der Exekutive agiert mit Personal, dessen Expertise- und Anforderungsprofil für gesetzesvollziehendes Handeln parteienagnostisch ist und nicht die Übereinstimmung mit den politischen Ansichten der Regierung voraussetzt. Der Minister braucht in Behörden, die wie das nordrhein-westfälische Polizeipräsidium Gefahrenabwehr betreiben oderder Erforschung und Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten dienen, keine politischen Gesinnungsgefährten. Dieses Personal erledigt seinen Job am Maßstab der Legalität, nicht der parteipolitischen Loyalität. Für diesen Personenkreis den politischen Beamten nicht zuzulassen, hat nichts mit Neutralitätsfetischismus zu tun, sondern ist schlichte Gewaltenteilungsmetrik. Anders als der politisch-strategische Arm der Exekutive sind die ermessensgebundenen Amtsträger einer gesetzlich fixierten Fremdrationalität unterworfen. Jenseits von Zweckmäßigkeitserwägungen ist da kein Spielraum für politisches Handeln, mithin auch kein primärer Bedarf an parlamentarischer, sondern an rechtlicher Kontrolle.

Akzentuiert wird damit zugleich ein Delta zwischen parlamentarischer und politischer Verantwortung. Nur erstere rechtfertigt das für den politischen Beamten typische Heuern und Feuern nach politischer Übereinstimmung. Die duale Exekutivstruktur bringt es aber mit sich, dass die politische Spitze nicht vor jedem politischem Reputationsverlust gefeit ist, der durch (vermeintliches) Fehlverhalten des Behördenpersonals droht. Wer einen Machtapparat mit unabhängigen Beamten steuert, muss mit Kratzern im Lack der politischen (Selbst-)inszenierung rechnen. Die politisierte Personalpolitik zu entgrenzen, um dem Amtsträger ihm zugeneigte Gefolgsleute an Spitzen nachgeordneter Behörden installieren zu lassen, würde die strikte Legalitätsorientierung dieser Posten auf dem Altar eines optimierten öffentlichen Erscheinungsbildes des Amtsträgers opfern. Es besteht dafür auch schon deshalb kein Bedürfnis, weil ausreichend andere Einwirkungsmöglichkeiten auf das Personal bereitstehen. Versetzung, Weisung und Disziplinarrecht fächern ein Instrumentarium des Dienstherrn auf, das sowohl reaktiv wie präskriptiv zum Einsatz kommen kann, ohne dabei die Unabhängigkeit des betroffenen Ministerialen auszuhöhlen. Weit ist das organisationsrechtliche Ermessen des Dienstherrn; weit, aber nicht unbeschränkt und -überprüfbar das Weisungsrecht; eng das Disziplinarrecht.

Amtscourage erwünscht

Das grundgesetzliche Leitbild des Beamten ist nicht das des vorauseilenden Gehorsams gegenüber parteipolitischem Kalkül, schon gar nicht eines Beamten, der sein Verhalten von der Farbe des Hauses abhängig macht. Konstruktiver Widerspruch, gegründet auf Sachwissen, fachlicher Leistung und loyaler Pflichterfüllung sind die verfassungsrechtliche Erwartungshaltung. Amtscourage ist erwünscht. Polizeipräsidenten, Präsidenten von Kriminalämtern oder Verfassungsschutzpräsidenten einen politischen Schleudersitz zuzuweisen, kann Amtscourage nicht befördern. Wer auf einen Fingerzeig hin in den Ruhestand versetzt werden kann, wird sich gut überlegen, ob er das Rückgrat hat, der Weisung zu widersprechen, wenn er nicht ohnehin schon politisch eingenordet ist.

Die Einzäunung des politischen Beamten auf das unmittelbare Ministerumfeld unterläuft mitnichten die gesetzgeberische Einschätzungsprärogative über diesen Personenkreis. Jede Parlamentsmehrheit hat – pro domo – ein Interesse daran, den Kreis der politischen Beamten weitzuziehen, um mit der Politik durch Köpfe möglichst tief in die Exekutivbau vorzudringen. Wer das Demokratieprinzip als Monstranz für politisierte Behördenspitzen vor sich herträgt, muss sich klar machen, dass sich dahinter eine zwielichtige Gefolgschaft tummelt, wie die Ankündigungen zum Personalaustausch an der Spitze der Sicherheitsbehörden im Falle einer AfD-geführten Regierung zeigen. Welche Blüten es treibt, wenn man es der Prärogative der Parlamentsmehrheit überlässt, die Exekutive mal so richtig durchzudemokratisieren, zeigt die Diskussion um die Wiederbelebung des amerikanischen Spoilssytem, das die Exekutive all ihrer Widerstandskräfte gegenüber politischer Willkür berauben würde – Project 2025 nennt sich das Vorhaben einiger Republikaner, das mit der Entlassung Tausender Beamter nach einem Regierungswechsel in den USA eine Parteipolitisierung der Beamtenschaft auf die Spitze treiben will. Hierzulande ist diesem Drang eine an Art. 33 Abs. 5 GG gestählte Engführung des politischen Beamten als Ausnahme von der Regel entgegenzusetzen.

Und wer die Diskussion um Ämterpatronage als abgeschmackt abhandelt, würde mit einer empirischen Erhebung zu den parteipolitischen Hintergründen des Personals auf den komfortablen, weil sicheren, B6-Stellen in Bundesministerien wahrscheinlich eines Besseren belehrt. Sie sind bevorzugter Parkplatz für politisch ausgediente Spitzenbeamte, die gerade unterhalb der politischen Beamten wie Korken im Flaschenhals sitzen und Aufstieg durch Leistung blockieren.

Bund und Länder müssen sich jetzt über ihre Regelungen beugen und den Kreis der politischen Beamten enger ziehen. Gesetzesvollziehende und ermessensgebundene Behördenspitzen sind vor dem Zugriff politischer Personalpolitik zu schützen. Zwar kommt es auf das spezifische Aufgabenprofil dieser Posten im Einzelfall an, aber die Spitzen von Landespolizeidirektionen, Kriminalämtern und Verfassungsschutzbehörden sind prima facie mit Gefahrenabwehr und der Verhütung und Verfolgung von Straftaten befasst. Ihre Funktion liegt nicht in der Transformation politischer Programmatik in ihre Behörden. Weder sind sie an zentraler Stelle an der Vorbereitung von Gesetzen beteiligt, noch bestehen für die Regierung im Aufgabenprofil dieser Behörden politische Gestaltungsräume, die über Zweckmäßigkeiten hinausgehen. Eine politische Abhängigkeit steht ihren Aufgaben diametral entgegen, weil ihre rechtsstaatliche Funktion durch den Zwang zur politischen Übereinstimmung gefährdet wird.

Der Beschluss darf insbesondere dort nicht ignoriert werden, wo Spitz auf Knopf steht, dass es eine demokratiefeindliche Partei in Regierungsämter schaffen könnte. Wäre dies das Ergebnis demokratischer Wahlen, ist das rechtsstaatliche Gegengewicht umso bedeutsamer. Der thüringische Gesetzgeber sollte sich sputen, die restriktive Lesart des politischen Beamten umzusetzen, zumindest für die Ebene des Polizeipräsidenten und des Präsidenten des Verfassungsschutzes.


SUGGESTED CITATION  Steinbach, Armin: Schutz vor einer Politik durch Köpfe, VerfBlog, 2024/5/24, https://verfassungsblog.de/schutz-vor-einer-politik-durch-kopfe/, DOI: 10.59704/95584255e5a7606a.

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