Kein Grundrecht auf Zuwendungen für antisemitische und rassistische Kunstwerke
Eine Erwiderung
Eingangs des Beitrags „Antidiskriminierungsklauseln im Zuwendungs- und Förderungsrecht” wird zu Kritik und Gegenrede eingeladen. Ich kenne die meisten Autorinnen und Autoren gut und schätze sie sehr. Deshalb erlaube ich mir, sie an der Stelle beim Wort zu nehmen und meine Lektüreeindrücke öffentlich zu teilen:
1. Ich lese zentrale Passagen des Textes so, dass hier insinuiert wird, man könne Israel nicht kritisieren, ohne des Antisemitismus bezichtigt zu werden. Der Unterschied zwischen israelbezogenem Antisemitismus und anderen Formen der Israelkritik wird verwischt, ihre Unterscheidbarkeit grundlegend in Frage gestellt. Das halte ich schon im Ansatz für falsch. Das Recht ist in der Lage, als rechtlich relevant markierten Antisemitismus systemautonom zu identifizieren – auch wenn Details und Nuancierungen in den sozialwissenschaftlichen und politischen Definitionsversuchen umstritten sind. Letzteres gilt für sehr viele Rechtsfragen, die nicht schon darum als unentscheidbar gelten. Für die erforderlichen Wertungsleistungen hat das Recht Routinen ausgebildet, die auch im Falle antisemitischer Äußerungen zur Anwendung kommen können. Wenn man juristisch Rassismus definieren und subsumieren kann, kann man das prinzipiell auch im Falle des Antisemitismus.
2. Der Beitrag ebnet die Unterscheidung zwischen Freiheitsausübung und staatlicher Förderung zur Freiheitsausübung vollständig oder doch weitestgehend ein. Die legitimen Schranken der Grundrechtsausübung werden gleichgesetzt mit den Gestaltungsgrenzen des Staates bei der Grundrechtsförderung. Diese rechtliche Ineinssetzung künstlerischer Werk- und Wirkfreiheit mit staatlicher Kunstförderung überzeugt aber nicht: Das Grundgesetz erlaubt, wie das Bundesverfassungsgericht stets betont, auch verfassungsfeindliche Gesinnungen zum Ausdruck zu bringen. Die Grenzen für expressive Freiheiten sind bewusst weit gesetzt: Schrankenziehungen dienen nicht der Pönalisierung von Gesinnungen, sondern sie setzen bei Handlungen an, die Rechte Dritter oder sonstige wesentliche Verfassungsrechtsgüter gefährden. Dies gilt insbesondere für die Kunstfreiheit, einem Grundrecht ohne explizitem Gesetzesvorbehalt. Es erscheint mir unplausibel, diese weite Grenzziehung als verfassungsrechtliche Verpflichtung für die Ausgestaltung staatlicher Förderung schlicht zu spiegeln. Schon die grundrechtlichen Schranken des Art. 5 Abs. 3 GG passen hier gar nicht: Der häufigste Grund für die Versagung einer Kunstförderung dürfte sein, dass die vorhandenen Mittel ausgeschöpft sind. Ressourcenerschöpfung bildet aber keinen mit der Kunstfreiheit gleichrangigen Verfassungsbelang, der den wegen einer Nichtförderung angesonnenen Grundrechtseingriff rechtfertigt. Es gibt schon gute Gründe, warum die gängige Grundrechtsdogmatik kategorial unterscheidet zwischen der grundrechtlichen Abschirmung freier gesellschaftlicher Entfaltung vor staatlicher Interferenz, der staatlichen Förderung grundrechtlich umfasster Aktivitäten zur Verfolgung von Gemeinwohlzwecken sowie staatlicher Repression zwecks Abwehr von Gefahren für grundrechtlich geschützte, im Einzelfall vorrangige Interessen Dritter.
3. Ich möchte zuspitzen: Es zeugt doch von einem sehr speziellen Freiheitsverständnis, wenn jede Hürde auf dem Weg zu einer staatlichen Subventionierung als Grundrechtseingriff verstanden wird, der funktional mit einem Verbot äquivalent sein soll. Grundrechtliche Freiheit tritt in Konsequenz als kollektiviert, reglementiert, zugeteilt, alimentiert, rationiert, also als wohlfahrtsstaatlich mediatisiert in Erscheinung. Zugleich wird der postulierte prima facie Anspruch auf Grundrechtssubventionierung (jede Förderablehnung soll ja einen Freiheitseingriff darstellen) hier eigentümlich entpolitisiert, weil die Frage nach dem (nach vorherrschender Dogmatik fehlenden) parlamentarischen Gesetzesvorbehalt in der Leistungsverwaltung in dem Beitrag gänzlich ausgespart bleibt. Kultursubventionen werden so im Kern als Grundrechtsvollzug und nicht als Gegenstand politischer Gestaltung präsentiert.
4. Der Text scheint mir an entscheidenden Stellen inkonsistent in der Argumentation zu sein, was möglicherweise auch Produktionsbedingungen eines Autorenkollektivs geschuldet ist. Teils wird betont, der Staat müsse im Gefolge der Grundentscheidung zur Kulturförderung jedes Kunstwerk jenseits von solchen im Stile einer antisemitischen Karikatur aus dem „Stürmer” fördern, teils wird eine Abwägung zwischen dem legitimen Engagement des Staates gegen Antisemitismus und Rassismus einerseits und dem Interesse von Grundrechtsträgern auf Verwirklichung ihrer antisemitischen oder rassistischen Kunst eingefordert – wohl mit einem strukturellen Abwägungsvorrang für die Grundrechtsträger, teils wird dann aber auch betont, dass die Kunstfreiheit gleichsam schon auf Schutzbereichsebene limitiert sei durch Art. 1 GG, also Menschenfeindlichkeit in Kunstform gar nicht grundrechtlich geschützt sei.
5. Eigene Aufmerksamkeit verdient der Umgang mit den Aktionsmustern der Trägergruppen von israelbezogenem Antisemitismus, vor die sich der Text in seiner Grundtendenz schützend stellt. Es gehört zu den Charakteristika der BDS-Bewegung, an deren Unterstützung sich die Frage der Zuwendungsbedingungen staatlicher Kunstförderung vor allem entzündet, dass sie sich eindeutigen Festlegungen zu entziehen versucht und je nach soziokultureller Umwelt zwischen Polen bewegt: Mal wird die Auslöschung Israels gefordert, dann doch nur das Ende der Besatzung der Westbank, mal dem modernen Zionismus jede Daseinsberechtigung abgesprochen, dann doch nur eine Zweistaatenlösung oder die Föderalisierung des bestehenden politischen Gemeinwesens gefordert, mal wird der extremistische Nationalchauvinismus in Teilen der israelischen Regierung kritisiert, dann doch wieder ganz Israel zur „Sperrspitze des rassistischen Kolonialismus“ oder gar zum „Wiedergänger des NS-Regimes“ erklärt. Diese Strategien des Irisierens und Schillerns fordern das Recht heraus, verlangen adäquate juristische Differenzierungen und Betrachtungen der näheren Umstände. Man kann den Text von Kai Ambos et al. mit der gebotenen hermeneutischen Höflichkeit so verstehen, dass er eine nach Phänomenen differenzierende Betrachtung einfordert. Dazu passt aber nicht die Stoßrichtung, antisemitismusfreie Israelkritik lasse sich nicht hinreichend rechtsförmig von israelbezogenem Antisemitismus unterscheiden. Wohlgemerkt: Es liegt mir fern, den Autorinnen und Autoren zu unterstellen, sie würden sich wie Teile der vom Verfassungsschutz des Bundes jüngst als extremistischen Verdachtsfall markierten BDS-Bewegung bewusst chamäleonartig verhalten und dabei einem israelbezogenen Antisemitismus das Wort reden. Doch in Verbindung mit der Nivellierung von Freiheitseingriff und Grundrechtssubventionierung ist das Ergebnis ihrer Überlegungen eben, dass kein rechter Zugriff auf die Frage zu bekommen ist, wie und wo in unterschiedlichen Konstellationen des Verbots, der Förderung oder der bloßen rechtlichen Nichtmissbilligung juristisch die Grenzen zu ziehen sind zwischen robuster Israelkritik und einer den Achtungsanspruch von Jüdinnen und Juden bedrohenden Menschenfeindlichkeit. In der Konsequenz wird Israelkritik, die sich künstlerisch der Bildsprache des Antisemitismus, im Fundus antisemitischer Stereotypen und Dämonisierungen bedient, juristisch immunisiert und vor einem zumindest förderrechtlich erheblichen Vorwurf des Antisemitismus abgeschirmt.
6. In gegenwärtigen Debatten um Antisemitismus im Lichte des Nahost-Konflikts gibt es gewiss überschießende Momente. Die von Kulturverwaltungen angedachten „Bekenntnisklauseln” sind in der Sache fragwürdig und grundrechtlich angreifbar. Weitere Beispiele, etwa aus dem Versammlungsrecht, ließen sich nennen, wo grundrechtliche Freiheiten unbotmäßig verkürzt wurden und Gerichte korrigierend eingreifen mussten. Punktuell lassen sich politische Reflexe beobachten, mittels der Staatsgewalt zivilreligiöse Bekenntnis- und Gesinnungspflichten zu statuieren statt einen effektiven Rechtsgüterschutz sicherzustellen. Soweit der Text solchen Reflexen entgegentritt, verdient er Zustimmung. Ich sehe an dem Punkt aber auch, anders als durch den Beitrag insinuiert, keine nennenswerte Kontroverse in der Rechtswissenschaft. Auch die Rechtsprechung erweist sich im liberalen Grundrechtsschutz als „stabil”. Eine „Palestine exception“ (Mohammad Fadel) ist in der gegenwärtigen Gerichtspraxis zum Versammlungsrecht und zum Recht der Meinungsfreiheit nicht erkennbar. Propalästinensischer Protest wird in Deutschland seit dem 7. Oktober 2023 nahezu täglich, in teils einschüchternd-martialischen Inszenierungsformen, praktiziert, wohlbehütet durch Art. 8 und Art. 5 Abs. 1 GG.
7. Grundlegenden Dissens markieren will ich deshalb, soweit der Text in den Modus des verschwörerischen Raunens und der pauschalen Verdächtigung wechselt (als ob wir kurz davor stünden, dass Künstlerinnen und Künstler, die Israel kritisieren, nur deshalb auf einer Negativliste in der Kulturförderung landen). Durchgreifende Zweifel anmelden will ich insbesondere, soweit postuliert wird, eine liberale Demokratie müsse, wenn es den Kulturbetrieb subventioniert, von Verfassungs wegen Zuwendungen für Kunst ausschütten, die verständige Rezipientinnen und Rezipienten aus guten Gründen als antisemitisch oder rassistisch kodiert verstehen. Die freiheitliche Demokratie muss aus verfassungsrechtlicher Sicht im Bereich der Kultur keineswegs pauschal und undifferenziert alles, was nicht verboten ist, durch Zuwendungen fördern. Das scheint mir doch eine der Pointen einer resilienten Demokratie zu sein, die rechtsstaatlich Maß hält – so dass man, das sei nur am Rande notiert, im spezifisch juristischen Diskurs über Zuwendungsbedingungen der Kunstförderung weder die Lernerfahrungen aus der deutschen Tätergeschichte noch die bundesrepublikanische „Staatsräson“ bemühen muss.
Als jüdische Juristin bedanke ich mich ganz herzlich für diesen Beitrag. Es ist erschreckend, wie undifferenziert Teile der „linken“ juristischen Community einem beängstigenden Judenhass Vorschub leisten. Es tut gut zu wissen, dass es Professoren wie Herrn Heinig gibt, die sich dem entgegenstellen.