16 May 2024

Antidiskriminierungsklauseln im Zuwendungs- und Förderungsrecht

Rechtliche Überlegungen

Der Berliner Senat lässt sich nicht beirren vom Scheitern der Antisemitismusklausel des Berliner Kultursenators Chialo für die Förderung von Kunst. Nun erwägt er, sein Zuwendungsrecht insgesamt so zu ändern, dass die Vergabe von Zuwendungen an bestimmte Auflagen und Auswahlkriterien geknüpft wird. Insbesondere geht es ihm darum, sicherzustellen, dass keine antisemitischen Projekte oder Personen gefördert werden. Auf Bundesebene werden ähnliche Maßnahmen erwogen.

Das Ziel, mit staatlichen Geldern nicht Antisemitismus zu fördern, ist wichtig und begrüßenswert. Eine Regelung im Rahmen des Zuwendungsrechts stößt freilich auf verfassungsrechtliche Bedenken, die die uns bekannten bisherigen Stellungnahmen nur unzureichend berücksichtigen. Diese Bedenken lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  • Auch in der Ausgestaltung der Vergabe von Geldern im Rahmen von Kunst-, Wissenschafts- und ähnlicher Förderung ist der Staat an die Grundrechte gebunden und daher nicht völlig frei, Kriterien und Auflagen vorzuschreiben. Frei ist er nur in der Entscheidung, ob er fördert und ggf. was er fördert.
  • Personenbezogene Kriterien bei der Auswahl Geförderter unterliegen dem Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG, das auch politische Anschauungen schützt. Das bedeutet, dass der Staat Vertreter:innen bestimmter politischer Anschauungen nur dann von der Förderung ausschließen kann, wenn das für den Förderzweck unumgänglich ist.
  • Inhaltsbezogene Kriterien, die sich aus der Verfassung ergeben, wie etwa der Schutz vor Antisemitismus, sind bei der Auswahl geförderter Projekte möglich und gegebenenfalls nötig, müssen aber mit Grundrechten wie Kunst-, Wissenschafts- und Meinungsfreiheit im Einklang stehen.
  • Inhaltsbezogene Kriterien, die auf politischer Setzung beruhen, kann der Staat regelmäßig nicht vorschreiben, es sei denn, sie ergeben sich zwingend aus dem Förderzweck.

Diese Fragen bedürfen einer umfassenderen verfassungs-, europa- und menschenrechtlichen Beurteilung, als sie in diesem Rahmen möglich ist oder in uns bekannten jüngeren gutachterlichen Stellungnahmen erfolgt ist.1) Auf dem Gebiet des Förderungs- und Zuwendungsrechts verbleiben zahlreiche grundrechtsdogmatisch bislang ungeklärte Fragen. Die strengen Maßstäbe, die in der Kultur- und Bildungsverwaltung gelten, sind nicht identisch mit jenen in anderen Bereichen der Leistungsverwaltung (etwa in der Jugendhilfe). Die unterschiedlichen Bereiche staatlicher Leistungsverwaltung erfordern differenzierte Bewertung.

Diese Stellungnahme spart die wichtige Frage aus, wie der Grundrechtsschutz durch staatsfernes Verfahren zu operationalisieren ist. Sie behandelt auch nicht die die Reichweite des Vorbehalts des Gesetzes, eine im Lichte des Wesentlichkeitsgrundsatzes ebenfalls zentrale Frage.

Die Stellungnahme behandelt einen Bereich, in dem die Rechtsunsicherheit insgesamt als sehr groß einzuschätzen ist. Weitere gründliche Analyse, auch hinsichtlich anderer Bereiche als Kultur und Wissenschaft, wird erforderlich sein. Gleichwohl halten wir es für unerlässlich, in die Debatte einzugreifen, und hoffen explizit auf Kritik und Gegenrede, damit die Debatte auf grund- und menschenrechtlich solider Basis fortgeführt werden kann.

Verfassungsmäßige Schranken der Leistungsverwaltung

Das Recht trennt zwischen Eingriffs- und Leistungsverwaltung.

  1. Eingriffe des Staates in die Freiheit der Bürger:innen (zum Beispiel das Verbot einer Meinungsäußerung) bedürfen stets der Rechtfertigung: sie müssen formal auf einer gesetzlichen Rechtsgrundlage beruhen, und sie müssen materiell-rechtlich gerechtfertigt sein. Je nach betroffenem Grundrecht (etwa Meinungsfreiheit, Kunstfreiheit oder Wissenschaftsfreiheit) ist eine Rechtfertigung nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich. Jedenfalls muss der Eingriff verhältnismäßig sein.
  2. Leistungen des Staates – Subventionen etwa, oder Kulturförderung – sind normalerweise keine Eingriffe. Das bedeutet allerdings nicht, dass sie keinerlei (verfassungs-)rechtlichen Bindungen unterlägen: Da das Geld des Staates im Wesentlichen aus Steuern kommt, bedarf seine Verwendung auch einer rechtsstaatlichen Grundlage. Das betrifft nicht nur die formalen Voraussetzungen der gesetzlichen Ermächtigung für eine Zuwendung, sondern auch die hier in Frage stehenden materiellen (Grundrechts-)Fragen, etwa nach den rechtmäßigen Zielen einer Zuwendung und rechtlichen Mechanismen, um die Zielerreichung sicherzustellen. Die im hiesigen Diskurs und zuweilen auch in juristischen Stellungnahmen suggerierte Ansicht, der Staat sei völlig frei in seiner Entscheidung, was, wie und wen er fördere, ist mit der Bindung aller staatlichen Gewalt an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) nicht vereinbar. Das ergibt sich auch aus europa- und menschenrechtlichen Vorgaben. So betont Generalanwältin Kokott in ihrer Stellungnahme zum ungarischen Hochschulgesetz, dass die Wissenschaftsfreiheit auch einen institutionell-organisatorischen Rahmen als materielle Grundlage von freier Forschung garantiert (Rn. 144 ff.). Drittmittel davon auszunehmen, scheint fragwürdig.
  3. Zudem ist die Abgrenzung zwischen Eingriffs- und Leistungsverwaltung nicht immer ganz einfach, wie etwa der Fall Oyoun in Berlin zeigt: Die Zuwendungsmittel für das Kulturhaus Oyoun wurden auch angesichts der Notwendigkeit einer längerfristigen Ressourcenplanung informell über einen Mehrjahreszeitraum zugesagt, aber jeweils nur jährlich bewilligt. Nach Kritik an einer Veranstaltung bei Oyoun fiel die Entscheidung, die Förderung des Trägers einzustellen. Ob nun die Nichtbewilligung trotz (informeller) Mittelzusage eine Rücknahme und damit ein Eingriff oder bloße Nichtvergabe einer Leistung ist, hängt von der Beurteilung ab, wie bindend man die Mittelzusage einordnet. Auch wegen dieser Schwierigkeit der Abgrenzung wird eine kategorisch unterschiedliche Behandlung beider Verwaltungsformen mittlerweile weitgehend abgelehnt.
  4. Als Leitlinie kann man formulieren: je mehr das Vorenthalten einer Leistung einem Freiheitseingriff qualitativ ähnelt, desto strenger ist auch die (verfassungs-)rechtliche Überprüfung. Das hängt auch von den konkreten Umständen ab. Wenn beispielsweise bestimmte Kunstformen wie in Deutschland von staatlicher Förderung weithin abhängig sind, werden die grundrechtlichen Bindungen des Staates im Ergebnis deutlich stärker.

In welchem Maße die Freiheit des Staates in der Entscheidung über die Vergabe von Geldern, also in der Leistungsverwaltung, durch das Recht beschränkt ist, ist nicht ganz klar.

  1. Das Gutachten von Möllers geht hier (wie auch ein Großteil der gesellschaftlichen Diskussion) sehr weit: Weil niemand Anspruch auf Leistung vom Staat habe, könne der Staat auch recht frei entscheiden, wen und was er fördern möchte, und die Vergabe von Geldern an Bedingungen knüpfen. Er dürfe dabei nur nicht willkürlich handeln, müsse also etwa seine eigenen Kriterien gleichmäßig anwenden. Ansonsten gebe es rechtfertigungsbedürftige Grundrechtseingriffe im Wesentlichen nur bei der Eingriffsverwaltung. In der Rechtsprechung lässt sich ein so weitgehender Satz nicht nachweisen. Das Bundesverfassungsgericht etwa betont im Einklang mit dem modernen Eingriffsbegriff, dass die Meinungsfreiheit schon dann berührt ist, wenn nachteilige Rechtsfolgen an das grundrechtlich geschützte Verhalten geknüpft werden (zuletzt Beschluss vom 27. August 2019 – 1 BvR 811/17, Rn 18; ebenso BVerwG, Urteil vom 20.01.2022 – BVerwG 8 C 35.20, Rn 18-19). Das träfe zum Beispiel auch auf die Zurückweisung eines Förderantrags zu. Zudem lässt sich, wie oben dargestellt, keine kategorische Trennung zwischen Eingriffs- und Leistungsverwaltung vornehmen. Die Unterschiede von Eingriff und Leistung führen lediglich dazu, dass die grundrechtlichen Bindungen unterschiedlich angewandt werden und daraus ggf. unterschiedliche Maßstäbe für die Rechtfertigung folgen.
  2. Es spricht danach Vieles dafür, auf der sog. Zweistufentheorie aufbauend zwischen dem „Ob“ und dem „Wie“ einer staatlichen Zuwendung zu unterscheiden. Ob der Staat überhaupt Kunst oder Bildung fördert (oder stattdessen etwa Schwimmbäder), ist, von seltenen grundrechtlichen Leistungspflichten abgesehen, seine freie politische Entscheidung. Auch welche Gebiete er fördert – Malerei oder Bildhauerei etwa, eine Konferenz zum Demokratieprinzip oder stattdessen eine zum kretischen Tempelbau – kann er weitgehend frei von rechtlichen Vorgaben entscheiden. Hat er sich aber einmal für die Förderung eines Bereichs entschieden („Ob“), so unterliegt das „Wie“, also die Art und Weise der Förderung einer strengeren Bindung an das Grundgesetz, insbesondere an das Gleichheitsgebot und die Grundrechte. Diese Bedingung betrifft dann zum einen die Auswahl von Förderungsempfänger:innen, die nicht gegen die Diskriminierungsverbote des Art. 3 Abs. 3 GG verstoßen darf. Sie betrifft zum anderen die Auflagen und Einschränkungen der Freiheitsgrundrechte, die er den Empfänger:innen machen kann. Dabei ist die Abgrenzung von „Ob“ und „Wie“ nicht immer ganz leicht durchzuführen: Entscheidet sich der Staat etwa, ein Projekt zur Verbesserung des Verhältnisses zwischen Deutschland und Israel auszuschreiben, so dürfte diese Themenwahl dem „Ob“ zuzuordnen sein. Ebenso ist es bei einem Projekt zur Kunst türkischer Migrant:innen, bei dem selbstverständlich nach der Nationalität diskriminiert werden können muss. Der Inhalt des konkreten Projekts dagegen, sowie die Auswahl der Teilnehmenden, betreffen das „Wie“. Der Staat kann also das Projektthema vorgeben, aber nicht die Ergebnisse: die Geförderten können beispielsweise verpflichtet werden, zum Thema der Verbesserung des Verhältnisses von Deutschland und Israel vorzutragen (weil dies im Beispiel der Gegenstand der Förderung ist), nicht aber, in diesem Rahmen keinerlei Kritik an Israel zu äußern, also sonst unzulässige Beschränkungen der Meinungsfreiheit hinzunehmen. Für die Kunst gilt Ähnliches.

Ist daher anzunehmen, dass der Staat im Bereich der Vergabe staatlicher Gelder grundrechtlich gebunden ist, so muss man zweierlei unterscheiden.

  1. Erstens muss man unterscheiden hinsichtlich der Rechtsnatur von Auflagen und Auswahlkriterien. Einige solche Kriterien kommen aus dem Grundgesetz, so etwa die Nichtdiskriminierung. Hier ist der Staat selbst gebunden; es stellt sich die Frage, ob er diese inhaltliche Bindung auch auf Geförderte übertragen kann oder sogar muss. Andere Kriterien dagegen entstammen der politischen Festlegung des Staates, etwa die Förderung der deutsch-französischen Freundschaft oder auch die Unterstützung Israels. Eine solche Verpflichtung kann sich der Staat selbst auferlegen, etwa als „Staatsräson“; sie bindet so aber zunächst nur den Staat und seine Institutionen. (Zudem handelt es sich hierbei um eine politische Selbstbindung, nicht um eine Rechtspflicht – jedenfalls sofern es nicht beispielsweise um staatsvertragliche Freundschaftsabkommen geht.) Die Abgrenzung ist teilweise nicht leicht.
  2. Zweitens muss man hinsichtlich der geförderten Bereiche nach Maßgabe der verfassungsrechtlichen Verbürgungen differenzieren, weil teilweise unterschiedliche Einschränkungsmöglichkeiten bestehen. Kunstfreiheit, Wissenschaftsfreiheit und Religionsfreiheit sind zum Beispiel ohne ausdrücklichen Schrankenvorbehalt gewährt. Ihre Einschränkbarkeit ergibt sich nur aus kollidierendem Verfassungsrecht (Grundrechte anderer und Güter von Verfassungsrang), unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit. Im Unterschied dazu sind etwa die Berufsfreiheit oder die Meinungsfreiheit, die eigene, weitergehende Schrankenregelungen enthalten, nach Maßgabe des jeweiligen Gesetzesvorbehalts und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit leichter einschränkbar. Deshalb sind Erkenntnisse aus dem Bereich der Wirtschaftsförderung – wo im Wesentlichen die leicht einschränkbare Berufsfreiheit betroffen ist – im Grunde kaum auf die Bereiche der Kunst- und Wissenschaftsförderung übertragbar.
  3. Drittens muss man bei Auflagen unterscheiden zwischen solchen, die den Inhalt der Förderung selbst betreffen – also etwa Vorgaben über den Inhalt von Kunstwerken in einem Museum oder die Ergebnisse von Vorträgen bei einer wissenschaftlichen Konferenz – und Auflagen, die die Ausführung betreffen – also etwa Fragen der Anstellungsverhältnisse, der Unterlassung von Diskriminierung bei der Auswahl von Teilnehmenden, der nachhaltigen Energieversorgung, usw. Dabei relevant sind insbesondere Voraussetzungen, die die Person des oder der Geförderten selbst betreffen – ob etwa Angehörige bestimmter Nationalitäten ausgeschlossen werden können (z.B. russische Staatsangehörige) oder andere bevorzugt werden, oder auch ob Vertreter:innen bestimmter politischer Ansichten (z.B. AfD-Mitglieder oder BDS-Unterstützer:innen) aufgrund ihrer Ansichten ausgeschlossen werden können.

Personenbezogene Einschränkungen

In der Diskussion sind Forderungen, bestimmte Menschen wegen ihrer Identität oder ihrer Ideologie von der Förderung auszuschließen oder umgekehrt sie bevorzugt zu fördern. So finden sich Forderungen, verstärkt israelische Künstler:innen zu fördern – eine Bevorzugung aufgrund der Nationalität – oder einzelne Künstler:innen wegen ihrer Unterstützung des BDS auszuschließen – eine Benachteiligung aufgrund der politischen Überzeugung. Beides soll dem wichtigen Kampf gegen den Antisemitismus dienen.

  1. Vor der Verfassung können solche Kriterien nur eingeschränkt Bestand haben. Was die Person des Geförderten betrifft, kann der Staat nämlich weder nach Identität noch nach politischer Einstellung differenzieren, und zwar aus Gründen, die Horst Dreier, Rechtswissenschaft  2010, 11, 29  so beschreibt: „es zeichnet diesen Staat gerade aus, dass er die Vielfalt der Meinungen, ethischen Überzeugungen, divergenten Weltanschauungen und Lebensvollzüge in umfassender Weise schützt. Er würde sich im Grunde zu sich selbst in Widerspruch setzen, wenn er diese Freiheit inhaltlich von vornherein so modellieren wollte, dass sie passgenau den Verfassungsgehalten des Grundgesetzes entspräche.“ Eine Grenze dürfte dann erreicht sein, wenn eine Einstellung als verfassungsfeindlich festgestellt wurde. Daher kann der Staat die Förderung regelmäßig nicht an die politischen Einstellungen der Empfänger knüpfen. Dass jemand AfD-Wähler:in oder BDS-Unterstützer:in ist, spielt für die meisten Zuwendungsprojekte im Kunst- und Kulturbereich keine unmittelbare Rolle und darf daher dann auch keinen Ausschlussgrund darstellen, weil auch das eine Grundrechtsverletzung wäre. Der verfassungsrechtliche Gleichheitssatz wirkt mittelbar insofern, dass Förderungsbedingungen ein Mindestmaß an Verbindung mit dem Förderungszweck haben müssen. (BVerwG, Urteil vom 06.04.2022 – 8 C 9.21: Keine Förderungsverweigerung in der Elektromobilität wegen Scientology-Unterstützung). Der Staat kann also etwa schlechte Künstler:innen von der Kunstförderung ausschließen oder Nichtexpert:innen von einer wissenschaftlichen Konferenz zum Gazakrieg (wobei er die relevanten Entscheidungen in der Regel nicht selber treffen darf sonder