18 December 2024

In ruhige Gewässer

Das spanische Verfassungsgericht billigt Rechte für das Mar Menor

Rechte der Natur erregen die Gemüter. In Deutschland riefen jüngst zwei Urteile des LG Erfurt (hier und hier), in denen es als erstes deutsches Gericht solche Rechte anerkannte und sie aus der EU-Grundrechtecharta ableitete, heftige Reaktionen hervor. Auch in Spanien, wo bereits 2022 mit der Salzwasserlagune Mar Menor das erste europäische Ökosystem mit Rechten ausgestattet wurde, um die fortschreitende Zerstörung durch Pestizideintrag zu stoppen, wurden hitzige Debatten geführt. In den Augen seiner Gegner*innen handelte es sich dabei um ein „kommunistisches Gesetz“, das „dem Privateigentum eine Ende setzt“ (Übersetzungen aus dem Spanischen AG). Am 20.11.2024 hat das spanische Verfassungsgericht die Verfassungskonformität dieses Rechtsakts bestätigt und damit die Debatte in verfassungsrechtlich ruhigere Gewässer gelenkt. Nüchtern räumt es die Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit von Rechten für Ökosysteme aus und bietet damit auch für den deutschen Diskurs interessante Impulse, von denen einige hier schlaglichtartig beleuchtet werden sollen.

Hintergrund

Die Erklärung der Rechte des Mar Menors gehen auf eine seit 2020 bestehende Bürger*inneninitiative zurück und wurde schließlich 2022 vom spanischen Parlament verabschiedet (zum Hintergrund Fuchs; Soro Mateo/Álvarez; Zenetti; Putzer/Zenetti, S. 55 ff.; Vicente Giménez/Salazar Ortuño). Das Gesetz zum Mar Menor regelt detailliert die geografische Ausdehnung des erfassten Ökosystems (Art. 1) und spricht ihm einzelne, konkret gefasste Rechte zu (Art. 2). Diese weisen mit ihrem Fokus auf das Recht des Ökosystems auf Existenz und auf natürliche Entwicklung (evolucionar naturalmente) deutliche Ähnlichkeiten zu Art. 71 der ecuadorianischen Verfassung, der ersten verfassungsrechtlichen Garantie von Rechten der Natur auf (so auch Zenetti). Auch die Ermächtigung sämtlicher Personen, die Rechte des Mar Menor gerichtlich und außergerichtlich geltend zu machen (Art. 6) findet eine Entsprechung im ecuadorianischen Verfassungsrecht.

Gegen das Gesetz hatten die Parlamentarier*innen der rechtspopulistischen Vox-Partei eine abstrakte Normenkontrolle zum spanischen Verfassungsgericht erhoben. Diese wies das Gericht mit den Stimmen von sieben Richter*innen nun umfassend zurück. Begleitet wurde das Urteil von einem ablehnenden Sondervotum von fünf Richter*innen.

Verfassungsrechtliches Umfeld

Das Verfassungsgericht fühlt sich bemüßigt, zunächst „einige allgemeine Überlegungen zum verfassungsrechtlichen Bezugsrahmen“ (S. 11) anzustellen. So verpflichte Art. 45 der spanischen Verfassung zwar den Staat auf einen Schutz der natürlichen Umwelt, lege aber nicht fest, auf welche Weise dieser Schutz juristisch bewerkstelligt werden kann.

Rechtsvergleichend sieht das spanische Verfassungsgericht in jüngerer Zeit eine verstärkte Anerkennung, dass das menschliche Wohlergehen auf eine intakte Umwelt angewiesen ist und bezieht sich hierfür auf das Klimaseniorinnen-Urteil des EGMR (S. 12). Ausgerechnet in „Art. 21 des Bonner Grundgesetz“ (gemeint ist offensichtlich Art. 20a GG) sieht es eine paradigmatische Ausprägung des „zeitgenössischen Umweltkonstitutionalismus“ (S. 12), der auch zukünftige Generationen einschließe, wie der Klimabeschluss des BVerfG anerkannt habe. Auch wenn das Verfassungsgericht im Folgenden zahlreiche Anerkennungen von Rechten der Natur aus dem Globalen Süden zitiert (S. 13), ist doch auffällig, dass der zeitgenössische Umweltkonstitutionalismus ausschließlich an europäischen Rechtsordnungen entfaltet wird, obwohl diese global hier keine Vorreiterrolle einnehmen (vgl. Gelinsky/Fuchs). Wie auch das Sondervotum herausarbeitet (S. 7 ff.), erfolgt der Rechtsvergleich recht eklektisch und ergebnisorientiert.

Ausdrücklich betont das Gericht die Wandlungsfähigkeit des Rechts (S. 12). So biete die spanische Verfassung der Gesetzgebung die Offenheit, zahlreichen internationalen Beispielen folgend, über Rechte der Natur einen verbesserten Umweltschutz anzustreben. Es sieht hier eine Bewegung in Richtung eines „gemäßigten Ökozentrismus“, der nicht im Widerspruch zur Verfassung stehe. Einen solchen Widerspruch sieht hingegen das Sondervotum, eine Gleichstellung von Mensch und Natur sei unter der anthropozentrischen spanischen Verfassung nicht zulässig (S. 4). Auch in Deutschland wird teilweise vorgebracht, Rechte der Natur widersprächen dem anthropozentrischen Leitbild des GG. In Bezug auf die spanische Verfassung sieht das Verfassungsgericht dies offensichtlich als politisches, nicht jedoch juristisches Argument und die verfassungsrechtliche Ausrichtung außerdem als wandlungsfähig. So schließt eine anthropozentrische Verfassung nicht jegliche non-anthropozentrische Rechtssetzung aus (so bereits Mührel).

Würde der Natur?

In Deutschland wird teilweise vertreten, Rechte der Natur verletzten die Menschenwürde, da diese die Rechtspersonalität exklusiv den Menschen zustehe (etwa Gärditz, Art. 20a Rn. 23 ff.). Ähnlich hatten auch die die Beschwerdeführenden vor dem spanischen Verfassungsgericht argumentiert. Der Rechtsakt stelle das Mar Menor auf eine Stufe mit den Menschen und spreche ihm eine Würde zu, welche die Verfassung rein menschlich fasse.

Das Verfassungsgericht führt nun aus, die Rechtspersonalität des Mar Menors widerspreche nicht der Menschenwürde, vielmehr stärke es diese, da ein würdiges menschliches Leben nur in einer intakten Umwelt möglich sei (S. 18). Die Wahrung der Menschenwürde verbiete gerade eine Zerstörung der Umwelt (S. 18).

Die zugrundeliegende Frage, ob die Anerkennung von Rechten der Natur überhaupt impliziert, dass dieser eine Würde zukommt, behandelt das Verfassungsgericht nicht ausdrücklich. Bessere Gründe sprechen dabei gegen diese Ansicht. Auch die Erklärung der Rechtssubjektivität juristischer Personen erfolgt nicht, um deren Würde zu sichern, sondern weil es sich für den Wirtschaftsverkehr als praktikabel erweist. Wie auch die spanische Regierung in dem Verfahren vorgebracht hatte (S. 4), handelt es sich bei der Rechtspersonalität um eine „Fiktion“ (so auch Vicente Giménez/Salazar Ortuño, S. 93). Die Rechtsordnung ist relativ frei in der Vergabe von Rechtspersonalität (Kersten, S. 11) und kann hiermit verschiedene Ziele verfolgen. Die Menschenwürde verbietet es zwar, Menschen die Rechtspersonalität zu verweigern. Es handelt sich bei der Vergabe von Rechtspersonalität allerdings um kein Nullsummenspiel, in dem Sinne, dass eine Erweiterung des Kreises der Rechtspersonen die durch die Menschenwürde gebotene menschliche Rechtspersonalität verkürzen würde.

Nach dem spanischen Verfassungsgericht verlangt die Menschenwürde zwar nicht zwingend nach Rechten der Natur (so aber Eichholz), diese können aber zu deren Schutz beitragen. In dieser Lesart bieten Rechte der Natur also ein Mehr und kein Weniger an Würdeschutz.

Offenheit der Rechte

Gerügt wurde außerdem, die in Art. 2 formulierten Rechte seien nicht bestimmt genug gefasst und führten somit zu Rechtsunsicherheit. Das Verfassungsgericht weist diesen Vorwurf in wenigen Zeilen zurück (S. 11). Eine Konkretisierung der aus den Rechten des Mar Menor abzuleitenden Verpflichtungen sei anhand anderer Vorschriften möglich, unter anderem solchen aus dem Mar Menor Rechtsakt. Die Rüge sei lediglich hypothetischer oder präventiver Natur, da eine Situation der Rechtsunsicherheit nicht absehbar sei.

In der Tat weisen die in Art. 2 formulierten Rechte eine gewisse Offenheit auf. Gerade in dieser Offenheit wird allerdings ein Potential von Rechten der Natur gesehen. „Subjektive Rechte bieten wegen ihres überschießenden Gehalts, insbesondere der Unbestimmtheit der aus ihnen fließenden Pflichten, einen stärkeren Schutz als die im geltenden Recht verankerten konkreten und punktuellen objektivrechtlichen Pflichten“, wie Anne Peters in Bezug auf Tierrechte ausführt (S. 71). Wie bei den denkbar offen formulierten menschlichen Grundrechten, wird auch der Gehalt der Rechte des Mar Menor sukzessive von Rechtsprechung und Rechtswissenschaft in Einklang mit den menschlichen Rechten zu entfalten sein (Putzer/Zenetti, S. 58).

Schluss

Die Ausführungen des spanischen Verfassungsgerichts, insbesondere zum umweltverfassungsrechtlichen Gesamtkonzept und zur Menschenwürde sind betont nüchtern und sachlich. Während das Sondervotum durch eine Exotisierung von Rechten der Natur aus dem Globalen Süden, die angeblich (zu den pluralen Hintergründen siehe etwa hier oder hier) auf „animistischen“ (S. 5) oder „göttlichen“ (S. 6) Positionen beruhten, beindruckende Pappkameraden aufbaut, die eine Übertragbarkeit in europäische Rechtsordnungen ausschließen sollen, führt das Urteil die Rechte der Natur auf das zurück, was sie juristisch im Kern sind: Die Nutzung einer bekannten und bewährten juristischen Figur mit dem Ziel, einen verbesserten rechtlichen Umweltschutz zu gewährleisten. Inwieweit Rechte der Natur dieses Versprechen einlösen können, wie sie auszugestalten und in ein bestehendes Rechtssystem eingepasst werden können (für Deutschland grundlegend Kersten), sind Fragen, die zu diskutieren sind. Obwohl die Entscheidung mit sieben zu fünf Richter*innenstimmen denkbar knapp ergangen ist, kann das Urteil des spanischen Verfassungsgerichts durch seine Sachlichkeit einen Beitrag leisten, diese Diskussionen in ruhige Gewässer zu lenken, in denen sie fruchtbar geführt werden können.


SUGGESTED CITATION  Gutmann, Andreas: In ruhige Gewässer: Das spanische Verfassungsgericht billigt Rechte für das Mar Menor, VerfBlog, 2024/12/18, https://verfassungsblog.de/in-ruhige-gewasser/, DOI: 10.59704/a9575a21d11c0659.

One Comment

  1. cornelia gliem Fri 20 Dec 2024 at 14:12 - Reply

    danke für die sachliche Erläuterung.

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