Grundlegende Reform oder Schnellschuss?
Zur Änderung des Grundgesetzes vor der konstituierenden Sitzung des 21. Deutschen Bundestages
Im März 2025 haben der Deutsche Bundestag und der Bundesrat einer Änderung des Grundgesetzes zugestimmt. Das am 24. März 2025 im Bundesgesetzblatt verkündete Gesetz sieht unter anderem vor, dass für Bund und Länder in den nächsten Jahren erhebliche neue Gestaltungs- und Verschuldungsspielräume entstehen sollen. Die Änderungen betreffen dabei erstens eine Bereichsausnahme für Ausgaben für die Gesamtverteidigung und für die Erfüllung sicherheitspolitischer Aufgaben. Zweitens wird für die Länder – ähnlich wie bereits für den Bund – eine strukturelle Verschuldungsmöglichkeit geschaffen. Drittens kann auf Bundesebene ein Sondervermögen errichtet werden, durch das zusätzliche Investitionen in die Infrastruktur sowie Investitionen zur Erreichung der Klimaneutralität finanziert werden dürfen.
Bundestag und Bundesrat folgten den nach der Bundestagswahl zunehmenden Stimmen für eine Reform der Schuldenbremse noch vor der konstituierenden Sitzung des 21. Deutschen Bundestags am 25. März 2025. Neben inhaltlicher Kritik stieß auch das Verfahren der Grundgesetzänderung nicht nur auf Zustimmung. So hatte das Bundesverfassungsgericht über mehrere Eilverfahren zu entscheiden, die es jedoch mit Beschlüssen vom 13. März 2025 / 13. März 2025 sowie vom 17. März 2025 verwarf.
Dieser Text gibt einen Überblick über die beschlossenen Änderungen des Grundgesetzes. Die Änderungen, die nach dem Entwurf des Koalitionsvertrages (ab Zeile 1612) wohl noch nicht das Ende der Reformbemühungen darstellen, weisen einige offene Fragen und sprachliche Ungenauigkeiten auf, die Bund und Länder einfachgesetzlich weiter bearbeiten müssen.
Verteidigungsausgaben
Art. 109 Abs. 3 Satz 5 GG n.F. und Art. 115 Abs. 2 Satz 4 GG n.F. sehen vor, dass von den zu berücksichtigenden Einnahmen aus Krediten der Betrag abzuziehen ist, um den die Verteidigungsausgaben, die Ausgaben des Bundes für den Zivil- und Bevölkerungsschutz sowie für die Nachrichtendienste, für den Schutz der informationstechnischen Systeme und für die Hilfe für völkerrechtswidrig angegriffene Staaten 1 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt übersteigen. Die Beschlussempfehlung (BT-Drs. 20/15117, S. 23) enthält insofern eine Aufzählung derjenigen Ressorteinzelpläne, aus denen Maßnahmen durch Kredit finanziert werden können.
Vor dem Hintergrund der im Entwurf (BT-Drs. 20/15096) und in der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses (BT-Drs. 20/15117) beschriebenen Herausforderungen im Zusammenhang mit der sicherheitspolitischen Situation sind insbesondere die Kreditfinanzierbarkeit der Verteidigungsausgaben – auch und insbesondere zur Erreichung des 2-Prozent-Ziels der NATO – nachvollziehbar. Im Zusammenhang mit dem Zivil- und Bevölkerungsschutz wird man sich die Aufgabenteilung von Bund und Ländern ansehen müssen. Die nach oben hin nicht begrenzte Möglichkeit, die genannten Aufgaben durch Kredit zu finanzieren, wird im Hinblick auf die Tragfähigkeit der öffentlichen Haushalte in der Praxis zu beobachten sein.
Strukturkomponente für die Länder
Die Länder erhalten, wie der Bund bisher schon, eine strukturelle Verschuldungsmöglichkeit. Art. 109 Abs. 3 Satz 6 GG n.F. sieht vor, dass die Gesamtheit der Länder dem in Satz 1 geregelten Nettoneuverschuldungsverbot entspricht, wenn die durch sie erzielten Einnahmen aus Krediten 0,35 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt nicht überschreiten. Die Aufteilung der für die Gesamtheit der Länder zulässigen Kreditaufnahme nach Satz 6 auf die einzelnen Länder regelt gem. Satz 7 ein Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates. Vorstellbar ist insofern eine Aufteilung auf die einzelnen Länder im Bundesgesetz, zum Beispiel nach Einwohner:innenzahl, nach dem Bruttoinlandsprodukt oder nach dem Königsteiner Schlüssel. Die Auswahl der Verfahren dürfte dabei im Detail Unterschiede der Höhe der Kreditaufnahme des jeweiligen Landes mit sich bringen.
Nach dem Wortlaut des Art. 109 Abs. 3 Satz 7 GG ist in dem Bundesgesetz zu regeln, wie die für die Gesamtheit der Länder zulässige Kreditaufnahme nach Satz 6 auf die einzelnen Länder aufgeteilt wird. Ob und wie die Länder dies für ihre Haushalte im Rahmen ihrer verfassungsrechtlichen Kompetenzen weiter ausgestalten, ist nach Satz 8 durch sie zu regeln. Von Bedeutung und nicht unumstritten ist insofern der neue Satz 9. Danach gilt, dass bestehende landesrechtliche Regelungen, die hinter der gemäß Satz 7 festgelegten Kreditobergrenze zurückbleiben, außer Kraft treten.
Die Strukturkomponente für die Länder ist einer derjenigen Reformvorschläge, der seit längerem in der Diskussion war. Die neue Regelungssystematik in Art. 109 Abs. 3 GG, insbesondere im Zusammenhang mit der konkreten Ausgestaltung durch Bund und Länder, wird im Detail einige rechtliche Fragen mit sich bringen, die in den nächsten Jahren sicherlich wissenschaftlich – insbesondere im Hinblick auf die unterschiedlichen Verfassungsräume – bearbeitet werden dürften. Hierzu zählt das Verhältnis der Normen zueinander, aber auch die in Satz 9 vorgesehene Regelung zum Außerkrafttreten restriktiverer Regelungen im Zusammenhang mit der strukturellen Verschuldungsmöglichkeit für die Länder.
Die Strukturkomponente hat ursprünglich den Sinn, die bestehenden Investitionsbedarfe zu berücksichtigen, ohne jedoch für diese gebunden zu sein (vgl. Siekmann, in Sachs (Hrsg.), GG, 10. Aufl. 2024, Art. 109 Rn. 71). Dass die Länder eine solche strukturelle Verschuldungsmöglichkeit nicht hatten, ist eher auf die damaligen Beratungen zurückzuführen, als dass es sachlich begründet ist. Insofern kann eine Strukturkomponente für die Länder eine sinnvolle Ergänzung des bisherigen Systems der Schuldenbremse sein – über die Höhe ließe sich streiten. In den Ländern führt die Regelung dazu, dass diese ihre bisherigen landesrechtlichen Ausgestaltungen der Schuldenbremse überprüfen und erforderlichenfalls anpassen müssen.
Auf die strukturelle Verschuldungsmöglichkeit der Länder sind die Kredite im Zusammenhang mit finanziellen Transaktionen (also z.B. der kreditfinanzierbare Erwerb von Beteiligungen) nicht anzurechnen. Auch wenn Art. 109 Abs. 3 GG die Bereinigung um finanzielle Transaktionen nicht ausdrücklich vorsieht, handelt es sich hierbei um eine zulässige Ausgestaltungsmöglichkeit der Schuldenbremse für die Länder (vgl. BT-Drs. 16/12410, S. 12). Während der Bund eine solche Bereinigung in Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG regelt, müssen die Länder dies gem. Art. 109 Abs. 3 Satz 8 GG n.F. weiterhin im jeweiligen Landesrecht ausgestalten.
Auch im Zusammenhang mit dem in Art. 109 Abs. 3 Satz 9 GG vorgesehenen Außerkrafttreten strengeren Verfassungsrechts ist zu beachten, dass nicht jedwede strengere Regelung außer Kraft tritt, sondern sich diese – durchaus streitbare Regelung – auf das Nettoneuverschuldungsverbot bezieht. Soweit in einzelnen Länder beispielsweise keine konjunkturbedingte Kreditaufnahme vorgesehen ist, kann hierdurch keine – nicht vorhandene – Regelung außer Kraft treten. Das Außerkrafttreten bezieht sich insofern nur auf das Nettoneuverschuldungsverbot, bei dem die Länder bisher keine strukturelle Verschuldungsmöglichkeit hatten. Auch Art. 87 Abs. 2 Satz 1 Verfassung von Berlin, der vorsieht, dass Kredite nur aufgenommen werden dürfen, wenn andere Mittel zur Deckung nicht vorhanden sind, ist von der Regelung grundsätzlich nicht betroffen. Das Grundgesetz kennt in Art. 31 und 142 GG Vorschriften (vgl. Meickmann: hier), die einen Durchgriff auf das Landesrecht bedeuten können. Letztlich ließe sich diskutieren, ob nicht durch Satz 9 der Spielraum der Länder erweitert wird. Auch dies hätte Aufgabe der Länder sein können, den Spielraum selbst zu umgrenzen (siehe Tappe).
Spannend ist die neue strukturelle Verschuldungsmöglichkeit auch vor dem Hintergrund aktueller oder geplanter Feststellungen außergewöhnlicher Notsituationen. Unabhängig von der Frage, wie sich die strukturelle Kreditaufnahme und die notsituationsbedingten Kredite zueinander verhalten, sollen die strukturellen Kredite nach der Gesetzesbegründung gerade den Herausforderungen in den Ländern dienen (zum Beispiel die Anpassung an den Klimawandel und der Integration geflüchteter Menschen) und werden diesen danach sogar „gerecht“ (vgl. BT-Drs. 20/15117, S. 2f., 5). Diese Wertung ist in den Ländern zu beachten. Die strukturelle Kreditaufnahme ist im Übrigen eine allgemeine Ausnahme (vgl. Schmidt, Öffentliches Finanzrecht, Tübingen 2023, Rn. 589 f.; Disselbeck, Staatsverschuldung, Berlin 2017, S. 149 ff. und 174; Hintzen, Fiskalresilienz im Budgetparlamentarismus, Tübingen 2025, S. 102 ff.) vom ansonsten geltenden Nettoneuverschuldungsverbot. Denkbar wäre daher, dass sie den notsituationsbedingten Krediten vorgehen.
Sondervermögen Infrastruktur
Die dritte Neuerung betrifft die geschaffene Möglichkeit, ein Sondervermögen mit eigener Kreditermächtigung für zusätzliche Investitionen in die Infrastruktur und für zusätzliche Investitionen zur Erreichung der Klimaneutralität bis zum Jahr 2045 mit einem Volumen von bis zu 500 Mrd. € zu errichten, vgl. Art. 143h Abs. 1 Satz 1 GG. Davon sollen 100 Mrd. € an den Klima- und Transformationsfonds (Satz 5) zugeführt werden und 100 Mrd. € stehen den Ländern für Investitionen in deren Infrastruktur (Abs. 2 Satz 1) zur Verfügung. Sprachlich ist Abs. 2 Satz 1 etwas missglückt. Danach stehen den Ländern 100 Mrd. € auch für Investitionen der Länder in deren Infrastruktur zur Verfügung. Gemeint ist aber nichts anderes, als dass aus dem Sondervermögen – neben dem Bund – auch den Ländern Mittel für Investitionen in deren Infrastruktur zustehen. Wichtig für die Flächenländer dürfte sein, dass die Kommunen hierbei mitgedacht werden, insbesondere da durch das Sondervermögen die Klimaneutralität bis zum Jahr 2045 erreicht werden soll (vgl. auch Kühl/Scheller).
Bemerkenswert ist die in Satz 2 vorgesehene Legaldefinition der Zusätzlichkeit. Diese liegt nämlich dann vor, wenn im jeweiligen Haushaltsjahr eine angemessene Investitionsquote im Bundeshaushalt erreicht wird. In der Begründung der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses heißt es hierzu, dass dies dann der Fall ist, „wenn der im jeweiligen Haushaltsjahr insgesamt veranschlagte Anteil an Investitionen 10 vom Hundert der Ausgaben im Bundeshaushalt ohne Sondervermögen und finanzielle Transaktionen übersteigt“ (BT-Drs. 20/15117, S. 23). Der Bund ist insofern gehalten, seine Investitionsquote jedenfalls in der Planung hoch zu halten. Für eine spürbare Verbesserung der Infrastruktur wäre indes eine Durchführung der Maßnahmen und damit ein Mittelabfluss entscheidend.
Das Ausgliedern von Aufgaben und Ausgaben in Sondervermögen (vgl. Meickmann, Schattenhaushalte und parlamentarisches Budgetrecht, NVwZ 2022, 106 ff.), noch zumal solchen, die in den Kernbereich von Bund und Ländern fallen, kann keine Dauerlösung sein. Sie erschweren die Übersichtlichkeit der staatlichen Ausgaben. Die Haushaltsgrundsätze der Einheit und Vollständigkeit (§ 8 HGrG) sollen dies grundsätzlich ermöglichen. Auch das Gesamtdeckungsprinzip (§ 7 HGrG) sollte bei der Errichtung von Sondervermögen nicht aus dem Blick geraten (siehe Tappe; Matuschka, Das Nonaffektationsprinzip, S. 64 ff.).
Ausblick
Insgesamt stellt die Grundgesetzänderung die Verschuldungsmöglichkeit in Bund und Ländern in den nächsten Jahren auf veränderte Grundlagen und schafft sowohl für Bund und Länder erhebliche finanzielle Spielräume. Es ist Aufgabe der künftigen Haushaltsgesetzgebung, die rechtlichen Möglichkeiten mit den Handlungsbedarfen einerseits und den Fragen der Tragfähigkeit des Haushalts sowie der finanziellen Generationengerechtigkeit andererseits in Ausgleich zu bringen.
Der erhebliche Zeitdruck bei der Beratung der Änderungen dürfte noch einige rechtliche Fragen nach sich ziehen. Die nur eingeschränkte Justiziabilität einer nur einfachgesetzlichen Schuldenbremse in den Ländern könnte bei einer späteren Reform einbezogen werden. Eines ist aber festzuhalten: Das Grundgesetz schafft neue Gestaltungs- und Verschuldungsspielräume. Diese werden im weiteren Verlauf sowohl im Bund als auch in den Ländern näher ausgestaltet werden müssen.