Nur gelbes Licht?
Was die Pressemitteilung zur Compact-Entscheidung über faktische Medienverbote durch das Vereinsrecht verrät
Es sei ein „großer Tag für die Demokratie und die Freiheit und das Volk“ – so bejubelte Jürgen Elsässer, Chefredakteur des in Teilen rechtsextremen Compact-Magazins, die gestrige Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zum Compact-Verbot. Das Bundesinnenministerium hatte unter der damaligen Ministerin Nancy Faeser im Juni 2024 die Compact-Magazin GmbH und ihre Teilorganisation, die Conspect Film GmbH, verboten, weil diese gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet seien. Die klagende Compact-Magazin GmbH betrieb unter anderem das gedruckte Monatsmagazin Compact, eine Website mit Nachrichten und einem Onlineshop sowie einen YouTube-Kanal. Nachdem das Gericht im August 2024 das Verbot in seiner Eilentscheidung vorläufig bereits überwiegend ausgesetzt hatte, hob es dieses nun im Hauptsacheverfahren auf (Urteil v. 24.6.2025, BVerwG 6 A 4.24). Das Vereinsrecht sei zwar anwendbar und die Compact GmbH identifiziere sich mit dem sogenannten „Remigrationskonzept“, das gegen die Menschenwürde und das Demokratieprinzip verstoße. Die Vereinigung sei aber nicht ausreichend von verfassungswidrigen Äußerungen und Aktivitäten geprägt, um ein Verbot zu rechtfertigen.
Zwei wesentliche Dinge gehen dabei aus der bislang allein vorliegenden Pressemitteilung – die schriftlichen Urteilsgründe stehen noch aus – hervor: Das BVerwG bleibt zwar im Grundsatz bei seiner Position, dass das Vereinsrecht auch auf faktische Medienverbote anwendbar ist. Doch es deutet eine bedeutsame Grenze dieses Grundsatzes an. Zudem setzt das Gericht die sich bereits in seinem Eilbeschluss abzeichnende Linie fort, dass der Meinungs- und Pressefreiheit bei faktischen Medienverboten auf Grundlage des Vereinsrechts entscheidende Bedeutung beizumessen und das Vereinsrecht damit gewissermaßen „medienverbotstauglich“ zu machen sei.
Vereinsrecht trägt auch faktische Medienverbote
Die erste Erkenntnis des Urteils lautet: Das Bundesinnenministerium durfte das von ihm jedenfalls mitbezweckte (wenn nicht sogar hauptsächlich angestrebte) Verbot der Medienerzeugnisse von Compact, insbesondere des Compact-Magazins, auf ein vereinsrechtliches Verbot der diese Medienerzeugnisse herausgebenden Compact-Magazin GmbH und Conspect Film GmbH stützen. Diese Feststellung kam wenig überraschend, hatte sich das Gericht doch schon in seiner Eilentscheidung entsprechend festgelegt.
Die Argumente des Gerichts, mit denen es die Einwände gegen die Anwendbarkeit des Vereinsrechts entkräftigt, sind aus seiner linksunten.indymedia-Entscheidung und seinem einstweiligen Compact-Beschluss bereits im Wesentlichen bekannt: So besitze der Bund durchaus die Gesetzeskompetenz. Die Differenzierung zwischen der verbotenen Organisation und den von ihr herausgegebenen Medienerzeugnissen entspreche gerade der Abgrenzung zwischen der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Vereinsrecht (Art. 74 Abs. 1 Nr. 3 GG) und der Landesgesetzgebungskompetenz für das Presse- und Medienrecht (Art. 70 Abs. 1 GG).
Entscheidend soll danach also im Ausgangspunkt bleiben, was genau formal verboten wird: Organisation oder Medienerzeugnis. Den Senat scheint erst einmal nicht zu stören, dass sich das Verbot der Organisation damit gezielt einsetzen lässt, um über Umwege zu erreichen, wofür jedenfalls das Presserecht keine Rechtsgrundlage bietet – nämlich das faktische Verbot des Presseerzeugnisses, das aus dem für den verbotenen Verein geltenden Tätigkeitsverbot folgt. Zwar liegt hier kein – an sich naheliegender – Ermessensfehlgebrauch vor, weil ein Vereinsverbot nicht im Ermessen der Behörde steht. Doch steht ein völliges Ausblenden des wirklichen Zwecks des Bundesinnenministeriums im Spannungsverhältnis zum in Art. 18 EMRK verankerten Zweckentfremdungsverbot. Zudem widerspricht eine rein formale Unterscheidung dem Grundsatz, dass sich die Bestimmung des einschlägigen Kompetenztitels nicht nach einem bloß formalen Zusammenhang und der gewählten Begrifflichkeit richtet, sondern nach dem wesentlichen Inhalt, primären Zweck und den rechtsfolgenabhängigen Wirkungen der Maßnahme (siehe nur Seiler, in: BeckOK, Art. 70, Rn. 14). Hierauf komme ich gleich noch zurück.
Ebenso wenig hält der Senat die Bedenken für begründet, dass das Vereinsverbot keine adäquaten Maßstäbe für faktische Medienverbote enthalte. Die entsprechende Kritik beruhte vor allem darauf, dass ein Vereinsverbot normalerweise primär an der Vereinigungsfreiheit gemessen wird und andere Grundrechte (wie die hier in erster Linie betroffene Meinungs- und Pressefreiheit) keinen selbstständigen Prüfungsmaßstab bilden, sondern nur ihren „Wertungen“ nach berücksichtigt werden (vgl. BVerfGE 149, 160, Rn. 93 – Internationale Humanitäre Hilfsorganisation) – welche Maßstabssenkung auch immer damit genau verbunden sein soll.
Das Bundesverwaltungsgericht räumt diesen Einwand pragmatisch beiseite, indem es jedenfalls der Sache nach eben jene Grundsätze aufgibt: Der Bedeutung von Meinungs-, Presse- und Medienfreiheit sei bei der Rechtsanwendung im Einzelfall Rechnung zu tragen und ihr Schutz dürfe durch das Verbot eines Medienunternehmens nicht unterlaufen werden. Tatsächlich zeigt die Rechtsanwendung im vorliegenden Fall, dass das Gericht das Compact-Verbot – richtigerweise – in erster Linie an Meinungs- und Pressefreiheit misst. Es ist zu hoffen, dass die schriftlichen Entscheidungsgründe diese nachjustierten Maßstäbe explizit machen und die von einem Vereinsverbot primär betroffenen Grundrechte auch nominell nicht länger als „Grundrechte zweiter Klasse“ hinter der Vereinigungsfreiheit firmieren. Denn wenn das Vereinsverbot als Allzweckwaffe eingesetzt werden darf, um jedwede Art von Vereinigung verbieten zu können – und so gerade die Ausübung anderer Grundrechte als der Vereinigungsfreiheit zu unterbinden –, ist es nur konsequent, wenn diese anderen Grundrechte auch den primären Grundrechtsmaßstab bilden.
Aber keine reinen Medienverbote?
So sieht es zunächst danach aus, als bliebe das Bundesverwaltungsgericht bei seiner Linie – bis man in der Pressemitteilung auf folgenden Absatz stößt:
„Die Anwendung des Vereinsgesetzes auf die Klägerin erweist sich schließlich auch mit Blick auf den Gesetzeszweck als gerechtfertigt. Denn bei der Klägerin, die uneingeschränkt den Schutz der grundrechtlichen Medienfreiheiten genießt, handelt es sich nicht nur um ein Presse- und Medienunternehmen. Vielmehr verfolgt der maßgebliche Personenzusammenschluss nach seinem eigenen Selbstverständnis eine politische Agenda, organisiert Veranstaltungen sowie Kampagnen und versteht sich als Teil einer Bewegung, für die er auf eine Machtperspektive hinarbeitet.“
Hiermit scheint der Senat seine soeben statuierte rein formale Unterscheidung zwischen Verbot der Vereinigung (Vereinsrecht) und Verbot des Medienerzeugnisses (Medienrecht) geradewegs einzureißen, jedenfalls bedeutsam zu nuancieren: Wenn es allein auf die Frage ankommt, was formal verboten wird – warum ist es dann doch relevant, dass die Elsässer Clique kein reines Presse- und Medienunternehmen war, sondern eine politische Agenda besaß und neben der dem Herausgeben von Medienerzeugnissen auch anderen Aktivitäten nachging?
Die Passage lässt sich wohl am ehesten so deuten, dass das Gericht eine Ausnahme für reine Presse- und Medienunternehmen statuiert, deren Verbot somit allein auf das Verbot ihrer Medienerzeugnisse abzielt. Für diese soll das Vereinsrecht offenbar keine taugliche Grundlage bilden, weil dessen Gesetzeszweck sie nicht mehr trägt. Dem liegt vermutlich der Gedanke zugrunde, dass die Gesetzgebungskompetenzen, wie eben dargestellt, nicht formal, sondern materiell zugeordnet werden und sich das auch in der Anwendung des Gesetzes fortschreibt. Ist dies die richtige Deutung der Pressemitteilung (in eine ähnliche Richtung, wenngleich noch etwas vorsichtiger Markus Sehl), so hat das Gericht die Kritik an der Zweckentfremdung des Vereinsrechts verarbeitet: Denn dann zieht es jedenfalls eine Grenze, wenn der vereinsrechtliche Titel der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz durch das Bundesinnenministerium mithilfe einer rein formalen kompetenzrechtlichen Zuordnung zurechtgebogen würde. Das wäre zu begrüßen.
Klarstellungen zur Reichweite der Meinungsfreiheit
Die Entscheidung enthält daneben einige interessante Klarstellungen zur Reichweite der Meinungsfreiheit, die sich auch über das Compact-Verfahren hinaus – etwa mit Blick auf ein mögliches AfD-Verbotsverfahren – als bedeutsam erweisen könnten. So sieht das Gericht in dem „Remigrationskonzept“, das auf das führende Mitglied der Identitären Bewegung Martin Sellner zurückgeht, einen Verstoß gegen die Menschenwürde und das Demokratieprinzip: Es degradiere Deutsche mit Migrationshintergrund zu „Staatsbürger[n] zweiter Klasse“ und wolle sie durch Druck zur „Remigration“ bewegen. Ein solches Konzept läuft in der Tat der egalitären, von Kategorien wie Herkunft oder gar einer „Rasse“, Lebensalter oder Geschlecht unabhängigen Menschenwürde ebenso wie dem Demokratieprinzip zuwider (näher hier). Ebenfalls stellt das Gericht klar, dass ein Vereinsverbot auf entsprechende Äußerungen gestützt werden könne, obwohl sie weder strafbar noch rechtswidrig seien, solange die Vereinigung auf die kämpferisch-aggressive Umsetzung der entsprechenden Ideen ausgehe. Auch wenn diese Aussage nicht neu ist (siehe bereits BVerfGE 149, 160, Rn. 114), verdeutlicht sie doch, dass – anders als häufig behauptet – die Meinungsfreiheit nicht erst durch das Strafrecht begrenzt wird, sondern (ähnlich wie im Beamten- oder Waffenrecht) auch an nicht strafbare Äußerungen Nachteile geknüpft werden können. Denn dabei handelt es sich um gerechtfertigte Eingriffe in die Meinungsfreiheit.
Das Gericht betont andererseits auch, dass bloß „migrationskritische bzw. migrationsfeindliche Äußerungen“, die zwar als überspitzte, aber letztlich zulässige Kritik an der Migrationspolitik zu deuten seien, nicht verbotsrelevant seien. Das ist abstrakt sicherlich richtig, ebenso wie die Aussage, dass bei Deutungszweifeln die der Meinungsfreiheit noch unterfallende Deutung unterstellt werden müsse. Die eigentlich spannende Frage ist allerdings, bei welchen konkreten Aussagen das Gericht eine Deutung als lediglich „migrationskritisch“ noch für möglich hält und bei welchen nicht. Das werden erst die Urteilsgründe zeigen. Erst dann wird sich auch Näheres dazu sagen lassen, ob die Compact-Entscheidung den Erfolg eines möglichen AfD-Verbotsverfahrens wirklich so viel unwahrscheinlicher macht, wie Jürgen Elsässer behauptet.
Hohe Hürden bei der „Prägung“ des Vereins angesichts von Meinungs- und Pressefreiheit
Das Urteil bestätigt schließlich: Meinungs- und Pressefreiheit wirken sich auf das Vereinsverbot auch in der Weise aus, dass sich die verbotsrelevanten Äußerungen und Aktivitäten für die Vereinigung „als prägend erweisen“ müssen und hieran hohe Hürden zu stellen sind. An diesen ließ das Gericht das Compact-Verbot scheitern, weil viele der vom Bundesinnenministerium vorgelegten Äußerungen noch von der Meinungsfreiheit gedeckt waren. Hinzu kam, dass das Compact-Magazin „eine Vielzahl“ von Veröffentlichungen auch zu anderen Themen als zu Migration enthielten, etwa zu Coronamaßnahmen oder zum Ukrainekrieg. Die genauen Maßstäbe für die Beurteilung der Prägung lässt die Pressemitteilung allerdings noch im Vagen. Das gilt besonders für die Frage, ob es sich dabei wirklich noch um eine „wertende“ und keine quantitative Betrachtung handelt, wie das Gericht in ständiger Rechtsprechung verlangt und noch im Eilbeschluss zum Compact-Verbot wiederholte (dazu näher hier).
Fazit
Die Compact-Entscheidung ist nicht, wie Jürgen Elsässer in seinem Siegestaumel meint, „die wichtigste Entscheidung im Presserecht seit Gründung der Bundesrepublik“. Den Ausschlag für das Scheitern des Verbots gaben letztlich die Einzelfallumstände. Doch deutet die Pressemitteilung darauf hin, dass die Entscheidung durchaus einige grundsätzliche Pflöcke zu faktischen Medienverboten auf Grundlage des Vereinsrechts einschlägt. Dazu gehört, dass das Gericht auch im Rahmen des Vereinsrechts die Meinungs- und Pressefreiheit hochhält. Eine weitere wichtige Feststellung ist die angedeutete Grenze für reine Medienunternehmen, für die die vereinsrechtliche Konstruktion offenbar nicht funktionieren soll. Sollten die Urteilsgründe diese Lesart bestätigen, hat das Bundesverwaltungsgericht einen vernünftigen Umgang mit Medienverboten im Gewand des Vereinsrechts gefunden.