19 July 2024

Zeitungsverbot durch die Hintertür?

Zum Compact-Verbot

Mit ihrem gewohnten Impetus („harter Schlag gegen rechtsextreme Szene“) und begleitet von einigem Inszenierungsaufwand verkündete Bundesinnenministerin Nancy Faeser am Dienstag, 16.7.2024 das Verbot des rechtsextremen Magazins Compact. Von AfD-Kreisen heftig kritisiert, von grünen, linken, aber auch christdemokratischen Stimmen begrüßt, ist seither auch die verfassungs- und verwaltungsrechtliche Debatte in vollem Gange (siehe etwa hier und hier). Tatsächlich reibt man sich kurz die Augen: Nein, das Verbot von Compact ist keine Maßnahme einer Landespolizeibehörde gegen ein politisch missliebiges Pressemedium während des Deutschen Kaiserreichs, sondern eine Maßnahme der Bundesinnenministerin im Jahre 2024 unter Geltung des erst jüngst gefeierten Grundgesetzes.

Weil es keine presserechtliche Ermächtigungsgrundlage für das Verbot eines Pressemediums durch den Bund (übrigens auch nicht durch die Länder) gibt, wählte Faeser den Weg über das Vereinsrecht: Die Compact-Magazin GmbH einschließlich ihrer Teilorganisation Concept-Film GmbH, die das Magazin und einen Youtube-Kanal betrieben, seien verboten nach Art. 9 II GG, § 3 VereinsG, weil sie sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richteten. Mit der Auflösung der Gesellschaften geht automatisch ein umfassendes Tätigkeitsverbot einher, sodass sie nun auch das Magazin nicht mehr betreiben können. Auch seine Fortführung durch eine andere Organisation kommt nicht in Betracht, da die Bildung von Ersatzorganisationen ebenfalls verboten ist (§ 8 I VereinsG); die Fortführung durch eine Einzelperson ist wiederum kaum realistisch. Auf diese Weise erreichte Faeser über einen Umweg, was sie wollte: ein Verbot des Magazins.

Der Fall wirft grundsätzliche Fragen auf: Wo verläuft die Grenze zwischen ausgeklügeltem Einsatz des Instrumentariums der wehrhaften Demokratie und seinem Missbrauch? Wie ist das Verhältnis von Meinungs- und Pressefreiheit zur Vereinigungsfreiheit? Beides klingt an in der Frage, die hier im Zentrum stehen soll: Kann das Vereinsrecht gezielte Verbote von Medienerzeugnissen begründen?

Meine Antwort lautet: nein. Anders als das BVerwG meint, wird das Vereinsrecht bei primär auf das Presseerzeugnis selbst zielenden Verboten vom Presserecht verdrängt. Teilt man diese Ansicht nicht, so bedarf es jedenfalls einer verfassungskonformen Auslegung von § 3 VereinsG unter Berücksichtigung der hier besonders betroffenen Pressefreiheit.

Weiter öffentlich-rechtlicher Vereinsbegriff

Lässt man das Compact-Verbot über das Vereinsrecht laufen, scheint Faesers Idee erst einmal aufzugehen. Gem. § 17 Nr. 1 VereinsG findet das VereinsG auch auf wirtschaftliche Unternehmen wie eine GmbH Anwendung, wenn sie sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Völkerverständigungsgedanken richten. Den weiten öffentlich-rechtlichen Vereinsbegriff erfüllt die Compact-Magazin GmbH dann ohne weiteres, denn darunter fällt nach § 2 I VereinsG „ohne Rücksicht auf die Rechtsform jede Vereinigung, zu der sich eine Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen für längere Zeit zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusammengeschlossen und einer organisierten Willensbildung unterworfen hat“. Auch die für den Verbotsgrund der Gerichtetheit gegen die verfassungsmäßige Ordnung erforderliche aggressiv-kämpferische Haltung der GmbH liegt angesichts der gegen Minderheiten aufwiegelnden und von Rassenideologie und Antisemitismus geprägten Inhalte des von ihr betriebenen Magazins nicht fern. Von Bedeutung sind hier insbesondere Aussagen wie die des Chefredakteurs Jürgen Elsässer, mit der das Verbot u.a. begründet wird: „Wir wollen dieses Regime stürzen. Wir machen keine Zeitung, indem wir uns hinter den warmen Ofen oder den Computer verziehen und irgendwelche Texte wie eine Laubsägenarbeit auf den Markt bringen. Sondern das Ziel ist der Sturz des Regimes.“

Vereinsgesetz durch Presserecht gesperrt?

Das Unbehagen, das Faesers Vorgehensweise auslöst, rührt daher, dass damit möglicherweise das Fehlen einer staatlichen Presseaufsicht unterlaufen wird und zudem das Bundesinnenministerium ein Gebiet berührt, das für sich genommen in die Gesetzgebungskompetenz der Länder (Art. 70 I GG) fällt. Damit stellt sich das schon von Joschka Buchholz und Max Kolter auf LTO aufgeworfene verfassungsrechtliche Kompetenzproblem: Ist das Vereinsrecht bei eigentlich auf ein Presseerzeugnis abzielenden Vereinsverboten mangels Gesetzgebungskompetenz des Bundes im Presserecht unanwendbar? Nach dieser Logik würden angesichts des pressespezifischen Eingriffs auf einfachgesetzlicher Ebene die Landespressegesetze Sperrwirkung entfalten und so eine „Vereinsrechtsfestigkeit“ der Presse bewirken (vgl. die in vielen Landespressegesetzen enthaltene Vorschrift, nach der die Freiheit der Presse nur den Beschränkungen unterliegt, die durch das Grundgesetz unmittelbar und in seinem Rahmen durch die Landespressegesetze zugelassen sind).

Das Verbot von Medien oder Presseerzeugnissen über das Vereinsrecht ist keine ganz neue Idee. 2005 verbot der damalige Bundesinnenminister Otto Schily auf diese Weise die türkischsprachige Zeitung Anadoluda Vakit wegen systematischer Volksverhetzung; 2016 verbot Bundesinnenminister Thomas de Maizière die rechtsextremistische Internetplattform „Altermedia Deutschland“; daneben wurden einige Verlage wegen ihrer Eingliederung in die PKK verboten. Besonders viel Aufsehen erregte der Fall des als Plattform gewaltorientierter Linksextremisten verbotenen Internetportals „linksunten.indymedia“ 2017 auf Grundlage von § 3 VereinsG. Das BVerwG ließ die gewählte Konstruktion ziemlich unaufgeregt durchgehen, ohne dem Argument der klagenden Vereinsmitglieder, die eigentliche Zielrichtung sei die Abschaltung der Internetplattform gewesen, Bedeutung beizumessen (NVwZ-RR 2020, 738 Rn. 34). Die Gesetzgebungskompetenz der Länder für das Medienrecht komme nicht zum Tragen, weil die Publikationen nur als Folge des vereinsrechtlichen Organisationsverbotes verboten würden (NVwZ-RR 2020, 738 Rn. 36). Das BVerfG äußerte sich nicht zu dem Fall, weil es die gegen die Entscheidung des BVerwG gerichteten Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung annahm: Die Beschwerdeführer hatten eine Grundrechtsverletzung nur durch die Verbotsverfügung, nicht aber durch das BVerwG substantiiert (NVwZ 2023, 665 Rn.12).

Die in der BVerwG-Entscheidung durchscheinende kompetenzrechtliche Abgrenzung zwischen Verbot der hinter der Publikation stehenden Organisation (dann Vereinsrecht) und Verbot der Publikation selbst (dann Medienrecht) überzeugt nicht. Denn wie die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) in ihrem amicus-curiae-Brief zum linksunten.indymedia-Verfahren darlegt, „erfasst das Medienrecht nicht nur die Regulierung des Medienprodukts, sondern auch die Regulierung hinsichtlich der in den Medien tätigen Personen sowie dem technischen, wirtschaftlichen und organisatorischen Apparat der Unternehmen“ (S. 12). Für die Pressefreiheit gilt nichts anderes. Wird also die hinter einem Presseerzeugnis stehende Organisation verboten, ist das Presserecht durchaus betroffen. Insofern bedarf es differenzierterer Abgrenzungskriterien. Für die Gesetzgebungskompetenz müssen sie dabei eine eindeutige Zuordnung ermöglichen.

Vor dem Hintergrund der jeweils primären Schutzrichtung von Vereins- und Presserecht sollte dabei maßgeblich sein, worauf das Verbot in erster Linie abzielt. Ist dies die Vereinigung, die neben anderen gegen die Verfassung gerichteten Tätigkeiten auch der Publikation von gegen die Verfassung gerichteten Inhalte nachgeht, besteht ein näherer Sachzusammenhang mit dem Vereinsrecht. Das Gleiche gilt in Konstellationen wie den erwähnten PKK-Verlagsfällen, in denen sich der Verlag in eine verbotene oder verbotsfähige Organisation eingliedert (siehe zuletzt BVerwG NVwZ 2023, 423). Hier ist das (mittelbare) Verbot des Presseerzeugnisses – um ein Wort von Christoph Gusy im Verfassungsblog  aufzugreifen – nur ein „Annex“ des Vereinsverbotes. Ist eigentliches Ziel dagegen ein bestimmtes Presseerzeugnis, deren dahinterstehende Gruppierung nur als „Mittel zum Zweck“ verboten wird, ist das Presserecht vorrangig. Dabei ist die Bedeutung, die die Inhalte des Presseerzeugnisses für die Begründung des Verbotes haben, für die Abgrenzung ein wichtiges Indiz (der Vorschlag des GFF-amicus-curiae-Briefs (S. 13), Verbote, die schwerpunktmäßig mit Medieninhalten begründet werden, dem Medienrecht zuzuordnen, läuft deshalb auf ein ähnliches Ergebnis hinaus). Aber auch sonstige Umstände wie etwa die Darstellung des Verbotes in der Öffentlichkeit sind berücksichtigungsfähig. Eine Aussage wie Faesers Satz in ihrer Videobotschaft auf X „Ich habe heute das rechtsextremistische Compact-Magazin verboten“ deutet daher stark in Richtung Presserecht.

Auch der Aspekt der notwendigen bundesweiten Einheitlichkeit des Verbots begründet keine Bundeskompetenz (etwa „kraft Natur der Sache“). Denn lässt sich die Regelung wie hier einer Materie eindeutig zuweisen, ist für ungeschriebene Bundeskompetenzen kein Raum. Im Übrigen reichten bloße Zweckmäßigkeitserwägungen für eine solche Kompetenz auch nicht aus.

Auf dieser Grundlage war das Vereinsgesetz auf das Compact-Verbot, das von Faeser in der Öffentlichkeit ausschließlich und in der amtlichen Begründung wohl jedenfalls wesentlich mit Inhalten des Magazins begründet wurde, schon nicht anwendbar. Zwar ist richtig, dass auf diese Weise reine Presseorganisationen, die außer dem Publizieren keine weiteren Aktivitäten entfalten, gegenüber anderen Vereinen privilegiert werden. Eben dies ist aber Folge der insoweit vorrangigen und eben besonderen Regeln unterliegenden Pressefreiheit, insbesondere der Entscheidung für eine selbstregulative statt einer staatlichen Aufsicht über die Presse. Eben dies macht den Fall des Printmagazins Compact noch heikler als den des Telemediums linksunten.indymedia, für den (wie auch für den Compact-Youtube-Kanal) wie beim Rundfunk immerhin noch die heute im Medienstaatsvertrag kodifizierten aufsichtsbehördlichen Befugnisse existierten. Aber auch beim Compact-Magazin hätte der Staat nicht völlig untätig bleiben müssen: Er hätte wegen strafbarer Publikationsbeiträge nach den allgemeinen und presserechtlichen Strafvorschriften sowie den Beschlagnahmenormen der StPO und ggf. der Landespressegesetze vorgehen können (bzw. müssen). Eine weitere Grenze bildet der Straftatbestand der Bildung einer kriminellen Vereinigung (§ 129 StGB).

Die Alternative: Aufwertung der Pressefreiheit als eigenständiger Prüfungsmaßstab des Vereinsverbotes

Wer nicht so weit gehen will, das Vereinsgesetz für unanwendbar zu halten, muss wohl jedenfalls die Bedeutung der Pressefreiheit im Rahmen der inhaltlichen Prüfung des Vereinsverbotes stärker aufwerten als bisher. In diese Richtung gehen wohl auch die Überlegungen von Christoph Gusy. Dazu muss man wissen, dass das BVerfG Vereinsverbote bislang in erster Linie an Art. 9 GG misst. In seiner letzten Vereinsverbotsentscheidung von 2018 (BVerfGE 149, 160) formuliert es:

„Das Grundrecht, an dem sich ein Vereinigungsverbot messen lassen muss, ist in erster Linie die Vereinigungsfreiheit; sie steht hier im Vordergrund. Das bedeutet nicht, dass die Wertungen weiterer Grundrechte im Rahmen der Prüfung am Maßstab des Art. 9 GG keine Berücksichtigung finden […]. Art. 5 Abs. 1 GG wird damit aber nicht zum selbständigen Prüfungsmaßstab.“ (Rn. 93)

„Soweit ein Vereinigungsverbot nach Art. 9 Abs. 2 GG auf grundrechtlich geschützte Handlungen gestützt wird oder auf andere Weise sonstige Grundrechte beeinträchtigt, müssen diese Grundrechte im Rahmen der Rechtfertigung des Eingriffs in Art. 9 Abs. 1 GG beachtet werden. Ein Vereinigungsverbot darf nicht bewirken, dass auf diesem Wege untersagt wird, was die Freiheitsrechte sonst erlauben. Aus der kollektiven Grundrechtsausübung kann aber auch kein weitergehender Grundrechtsschutz folgen.“ (Rn. 113)

Für die Meinungsfreiheit (Art. 5 I 1 GG) etwa leitet das BVerfG aus vorstehenden Grundsätzen ab, dass ein Vereinsverbot nicht schon auf eine politische Ausrichtung gegen die verfassungsmäßige Ordnung abstellen dürfe, sondern erst, wenn diese Ausrichtung kämpferisch-aggressiv verfolgt werde (BVerfGE 149, 160 Rn. 114). Gleichwohl bleibt im Rahmen von Art. 9 GG der Raum zur Berücksichtigung anderer Grundrechte begrenzt. Das liegt unter anderem daran, dass die behördliche Entscheidung über das Vereinsverbot nach Art. 9 II GG und § 3 VereinsG nach herrschender Meinung eine gebundene ist, sodass auf Rechtsfolgenseite für eine Verhältnismäßigkeitsprüfung kein Platz ist. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist vielmehr auf Tatbestandsseite zu berücksichtigen und führt lediglich zu einer restriktiven Auslegung der Voraussetzungen für ein Verbot. Hierbei kann aber insbesondere der Zweck-Mittel-Relation nur unzureichend Rechnung getragen werden.

Wird nun die hinter einem Presseerzeugnis stehende Gruppierung in erster Linie verboten, um das Presserzeugnis aus der Welt zu schaffen, so wird in die Pressefreiheit so gezielt eingegriffen, dass diese jedenfalls als selbstständiger Prüfungsmaßstab neben der Vereinigungsfreiheit anerkannt werden sollte, selbst wenn man das Vereinsrecht als Grundlage heranziehen will. Nur so lässt sich dem für die demokratiekonstitutive Pressefreiheit besonders zentralen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung tragen. Dies wäre auch insoweit konsequent, als es in den genannten Fällen gerade nicht im Wesentlichen um den Vereinsbestand, sondern um seine Betätigung – nämlich die Publikation des Presseerzeugnisses – geht. Diese wird aber nicht von Art. 9 GG, sondern von dem Grundrecht der jeweiligen Handlungsfreiheit, hier also Art. 5 I 2 GG geschützt. Naheliegend ist dann, dass dieser von Art. 9 GG abweichende Maßstab eine verfassungskonforme Auslegung von § 3 VereinsG insbesondere dahingehend verlangt, dass das Verbot der Presseorganisation im Ermessen der Behörde steht.

Fazit

Es ist überragend wichtig, Rechtsextremismus einzudämmen. Doch wie alle Instrumente der wehrhaften Demokratie sind Vereinsverbote wegen Verfassungswidrigkeit ein zweischneidiges Schwert. Sie werden schnell dafür kritisiert, dass sie für Intoleranz gegenüber Andersdenkenden stehen und mit einem System brechen, das Systemkritik gerade zulassen soll. Umso problematischer ist es, wenn Vereinsverbote  – worauf im vorliegenden Fall einiges hindeutet – als Vehikel eingesetzt werden, um etwas zu erreichen, das sich nicht mit den eigentlich dafür vorgesehenen Mitteln der Rechtsordnung erreichen lässt. Schon der Anschein, der Rechtsstaat überdehne seine Möglichkeiten, stärkt letztlich Rechtsextreme und -populisten.