09 October 2025

Im Süden nichts Neues

Warum sich die Entscheidung des VG Stuttgart zum Ausschluss von AfD-Vorschlägen für die Wahl ehrenamtlicher Richter nicht politisieren lässt

Am 12. September hat das VG Stuttgart mit einer einstweiligen Anordnung sogar überregional für mediale Aufmerksamkeit gesorgt (siehe hier, hier und hier): Darin gab es dem Eilantrag eines Kreistagsmitglieds der Heilbronner AfD-Fraktion statt und erklärte den pauschalen Ausschluss von AfD-Vorschlägen für die Wahl ehrenamtlicher Richter gem. § 28 VwGO für unzulässig (VG Stuttgart, 5. Kammer, Beschluss vom 12.09.2025 – 5 K 8212/25). Teilweise wurde kritisiert, das Gericht habe der AfD damit den Weg zu ehrenamtlichen Richterstellen geebnet, und die AfD wertete die Entscheidung als Erfolg.

Um es vorwegzunehmen: Der Beschluss des VG Stuttgart eignet sich nicht für eine Politisierung, denn er leistet keinen Beitrag dazu, Verfassungsfeinde vom Amt ehrenamtlicher Richterinnen oder Richter am Verwaltungsgericht auszuschließen. Vielmehr hat das VG Stuttgart erneut die Maßstäbe herausgestellt, die sich aus Art. 33 Abs. 2 GG – als grundrechtsgleichem Recht – für den gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern ergeben.

Sachverhalt

Der für die Aufstellung der Vorschlagslisten zuständige Kreistag (§ 28 S. 4 VwGO) des Landkreises Heilbronn hatte in seiner Sitzung am 28. Juli 2025 beschlossen, die von der AfD-Fraktion benannten Personen pauschal nicht in die Vorschlagsliste aufzunehmen. Zur Begründung führte die Kreistagsmehrheit an, die AfD vertrete als Partei insgesamt Positionen, die der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zuwiderliefen.

Konkret beschloss der Kreistag, insgesamt 46 Personen für die Vorschlagsliste zur Wahl der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter beim VG Stuttgart für die Wahlperiode 2025 bis 2030 zu benennen. Zuvor hatte die Geschäftsstelle des Kreistags die Fraktionen – nach geübter Praxis – aufgefordert, Listen mit Personenvorschlägen entsprechend der jeweiligen Fraktionsstärke einzureichen. Über diese Listen stimmte der Kreistag dann jeweils separat ab, nachdem bereits dessen Verwaltungsausschuss argumentiert hatte, die AfD vertrete Positionen, die die freiheitliche demokratische Grundordnung missachteten – und daher eine separate Abstimmung über ihre Liste erforderlich sei. Dabei lehnte der Kreistag die Kandidatenliste der AfD-Fraktion, die sieben Personen enthielt, pauschal ab, während er die Listen der übrigen Fraktionen annahm und die sieben AfD-Kandidaten durch von den übrigen Fraktionen vorgeschlagene Personen ersetzte.

Gegen den pauschalen Ausschluss des AfD-Vorschlags durch den Kreistag wandten sich sowohl das antragstellende Mitglied als auch die AfD-Kreistagsfraktion mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Nur das antragstellende Mitglied war erfolgreich.

Entscheidung

Das Gericht hat den Landkreis Heilbronn verpflichtet, die Vorschlagsliste für die Wahl der ehrenamtlichen Richter für das VG Stuttgart für die Wahlperiode 2025 bis 2030 unter Beachtung seiner Rechtsauffassung neu aufzustellen. Damit muss der Kreistag als zuständige Vertretungskörperschaft erneut über die Aufstellung der Vorschlagsliste entscheiden. Zugleich lehnte das Gericht den gleichlautenden Antrag der AfD-Fraktion ab, da diese im Verfahren nach § 28 VwGO über die Kandidatenvorschläge selbst keine Rechte aus Art. 33 Abs. 2 GG geltend machen könne.

In seinem Beschluss hat das VG Stuttgart klargestellt, dass Art. 33 Abs. 2 GG auch für die Wahlvorschläge ehrenamtlicher Richterinnen und Richter am Verwaltungsgericht gilt – also in dem zweistufig ausgestalteten Verfahren, bei dem nach § 28 VwGO zunächst die Kreise und kreisfreien Städte (Stadtkreise) in jedem fünften Jahr durch ihre Vertretungskörperschaft eine Vorschlagsliste aufstellen. Aus dieser Liste wählt sodann der bei dem jeweiligen Verwaltungsgericht zu bildende Wahlausschuss (§ 26 VwGO) im Verfahren nach § 29 VwGO die erforderliche Zahl an ehrenamtlichen Richterinnen und Richtern.

Kern des Beschlusses sind die Maßstäbe, die für Auswahlentscheidungen im Sinne von Art. 33 Abs. 2 GG gelten – und zwar bereits, wie hier, auf der Vorstufe zur eigentlichen Wahl durch den Wahlausschuss. Verlangt ist eine willkürfreie Einzelfallentscheidung über jede vorgeschlagene Bewerbung. Daran fehlte es bei der pauschalen Ablehnung des AfD-Vorschlags (Ls. 1 und Rn. 50). Zwar stehe dem Antragsteller kein Anspruch auf Aufnahme in die Vorschlagsliste des Kreistages zu, wohl aber folge aus Art. 33 Abs. 2 GG ein Anspruch auf eine rechtsfehlerfreie Auswahlentscheidung (Rn. 50). Denn Art. 33 Abs. 2 GG gebiete als grundrechtsgleiches Recht, dass die Auswahl für die Vorschlagsliste auch für ehrenamtliche Richterinnen und Richter auf der Grundlage einer Prognose anhand der konkreten und einzelfallbezogenen Würdigung der gesamten Persönlichkeit des Bewerbers erfolgt (Rn. 55).

Insbesondere könne aus der zweistufigen Ausgestaltung des Verfahrens – das aus einem Abstimmungselement (§ 28 Satz 4 VwGO) und einem Wahlelement (§ 29 Abs. 1 VwGO) besteht – nicht geschlossen werden, dass es sich um ein Wahlamt auf staatlicher oder kommunaler Ebene handelt, für das Art. 33 Abs. 2 GG keine Geltung beanspruchen würde (Rn. 57, 60). Vielmehr sei Art. 33 Abs. 2 GG funktionsgerecht auf das Amt des ehrenamtlichen Richters anzuwenden, wobei dem Gesetzgeber hinsichtlich des Verfahrens und der materiellen Auswahlkriterien ein Ausgestaltungsspielraum zustehe (Ls. 1 und Rn. 58, 62-64). Auch bei ehrenamtlichen Richtern gelte trotz dieses Spielraums in jedem Fall jedoch die Minimalanforderung aus Art. 33 Abs. 2 GG, wonach bei der Auswahlentscheidung ein Personenbezug herzustellen sei.

Vor diesem Hintergrund bewertete das VG Stuttgart die ursprüngliche Entscheidung des Kreistages als willkürlich: Sie stelle allein auf den Vorschlag der AfD-Fraktion ab und lasse keinen Personenbezug erkennen. Damit seien die Anforderungen an eine rechtsfehlerfreie Aufstellung der Vorschlagsliste nicht erfüllt worden (Ls. 3 und Rn. 68 ff.).

Bewertung

Der Beschluss des VG Stuttgart ordnet sich in eine Reihe vorausgegangener Entscheidungen ein, die das Amt der ehrenamtlichen Richterin bzw. des ehrenamtlichen Richters ebenfalls als Anwendungsfall des Art. 33 Abs. 2 GG sehen (VG Stuttgart, Beschluss vom 20.02.2001 – 9 K 651/01, BeckRS 2001, 31344335; VG Aachen, Beschluss vom 24.05.2019 – 4 L 517/19, juris Rn. 21) und damit die gleichheitsbedingten Minimalanforderungen an die Aufstellung der Vorschlagsliste nach § 28 VwGO als zwingend anerkennen. Dies bedeutet, dass – wie das VG Stuttgart betont – das Auswahlverfahren funktionsgerecht auszugestalten ist, also an der Persönlichkeit der Listenbewerberinnen und -bewerber anknüpfen muss. Eine Liste kann also nicht pauschal allein nach ihrer parteipolitischen Provenienz behandelt werden.

Das VG Stuttgart betont in seinem Beschluss ausdrücklich den weiten Spielraum des Kreistags nach § 28 Satz 4 VwGO, stellt aber zugleich die eingeschränkte gerichtliche Überprüfbarkeit heraus: Eine Kontrolle komme nur dann in Betracht, wenn die Willkürgrenze bei Ermessens- oder Beurteilungsfehlern überschritten werde. Damit weist das Gericht den Weg zu Auswahlentscheidungen, die den Anforderungen von Art. 33 Abs. 2 GG genügen. Im konkreten Fall wird man daher wohl von einem Ermessens- oder Beurteilungsausfall des Kreistages sprechen müssen. Als Merkposten lässt sich festhalten: Im Rahmen von § 28 VwGO verbietet sich jede Form pauschaler Entscheidungen. Weder ein pauschaler Ausschluss eines Fraktionsvorschlags noch ein pauschales „Durchwinken“ von Fraktionslisten ist mit Art. 33 Abs. 2 GG vereinbar – dies hat der aktuelle Beschluss des VG Stuttgart eindeutig bestätigt.

Dafür spricht auch die Existenz materieller Auswahlkriterien für die Berufung zur ehrenamtlichen Richterin bzw. zum ehrenamtlichen Richter. Diese gelten – und das ist hier entscheidend – bereits für die Aufnahme von Personen in die Vorschlagsliste nach § 28 VwGO. Die Auswahlkriterien finden sich in den §§ 20 f. VwGO, §§ 44f. DRiG und vor allem in § 13a des baden-württembergischen Landesrichter- und -staatsanwaltsgesetzes (LRiStAG). Gerade § 13a LRiStAG, der 2023 eingefügt wurde, verlangt die wichtige Überprüfung, ob eine Bewerberin oder ein Bewerber „jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt“. Die Beachtung dieser Vorgaben lässt sich nur im Rahmen der von Art. 33 Abs. 2 GG gebotenen einzelfallbezogenen Prüfung sicherstellen. Ein pauschaler Ausschluss von Bewerberinnen und Bewerbern allein aufgrund ihrer parteipolitischen Herkunft widerspricht diesem gesetzlichen Prüfungsmaßstab. Er ersetzt die gebotene Einzelfallbewertung durch eine undifferenzierte Gruppenentscheidung – und läuft damit nicht nur dem Zweck des § 13a LRiStAG, sondern auch den Anforderungen des Art. 33 Abs. 2 GG zuwider.


SUGGESTED CITATION  Pautsch, Arne: Im Süden nichts Neues: Warum sich die Entscheidung des VG Stuttgart zum Ausschluss von AfD-Vorschlägen für die Wahl ehrenamtlicher Richter nicht politisieren lässt , VerfBlog, 2025/10/09, https://verfassungsblog.de/afd-wahlliste-richter-heilbronn/.

Leave A Comment

WRITE A COMMENT

1. We welcome your comments but you do so as our guest. Please note that we will exercise our property rights to make sure that Verfassungsblog remains a safe and attractive place for everyone. Your comment will not appear immediately but will be moderated by us. Just as with posts, we make a choice. That means not all submitted comments will be published.

2. We expect comments to be matter-of-fact, on-topic and free of sarcasm, innuendo and ad personam arguments.

3. Racist, sexist and otherwise discriminatory comments will not be published.

4. Comments under pseudonym are allowed but a valid email address is obligatory. The use of more than one pseudonym is not allowed.