08 July 2025

Kein SLAPP-Back

Das Umsetzungsgesetz gegen missbräuchliche Klagen

„SLAPP“ steht für „strategic lawsuits against public participation“ und meint Konstellationen, in denen gerichtliche Verfahren als Druckmittel genutzt werden, um Personen zum Schweigen zu bringen. Diese Strategie hat sich in den letzten Jahren nicht zuletzt in rechten Kreisen einer steigenden Beliebtheit erfreut und auch die EU auf den Plan gerufen. Letztes Jahr erließ die EU eine Anti-SLAPP-Richtlinie, für deren Umsetzung ins deutsche Recht das Justizministerium nun einen Referentenentwurf vorgelegt hat. Der Entwurf dürfte in der Sache allerdings keine allzu großen Auswirkungen haben. Das liegt einerseits an den Maßnahmen, die er den SLAPPs entgegenstellt, andererseits aber auch daran, dass diese missbräuchlichen Klagen schwer zu fassen sind.

Überblick

Auch wenn das Akronym „SLAPP“ selbsterklärend ist, lassen sich dem Begriff recht verschiedene Problemfelder zuordnen. Da wäre zum einen die Situation, in der Politiker*innen wegen (potenzieller) Beleidigungen gegen Äußerungen vorgehen. Da mit verbaler Gewalt durch Diskriminierung oftmals gezielt der Zweck verfolgt wird, ganze Personengruppen aus dem öffentlichen Diskurs auszuschließen, ist es in vielen Konstellationen richtig, die Äußerungen auch strafrechtlich zu verfolgen. Wenn aber Spitzenpolitiker*innen wie der ehemalige Wirtschaftsminister Robert Habeck oder der Hamburger Innensenator Andy Grothe mit Strafanzeigen dagegen vorgehen, als „Schwachkopf“ bzw. „1 Pimmel“ bezeichnet zu werden, übersteigt der Preis einer rigorosen Anzeigepraxis ihren Nutzen. Ähnlich liegt es bei Tadzio Mueller, der Friedrich Merz nach dessen umstrittener Zahnarzt-Aussage in einem Blogpost systematische „schamfreie Arschlochhaftigkeit“ vorwarf und seitdem immer wieder angezeigt wurde – wohl auch von Merz selbst. Im schlimmsten Fall führen zulässige, aber provokante Äußerungen wiederholt zu Strafanzeigen und Ermittlungen, belasten die angezeigte Person und stören ihre öffentliche Beteiligung.

Noch häufiger kommen SLAPP-Konstellationen aber in Form zivilrechtlicher Auseinandersetzung vor. Dort richten sie sich beispielsweise gegen kritische Berichterstattung über Unternehmen oder vermögende Personen und treffen dabei auch Wissenschaftler*innen. Anlass sind oft alltäglichen Konstellationen, etwa wenn Positionen des Inhabers eines Feriendorfs auf einem Elternabend als nicht mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung vereinbar beschrieben werden.

Was SLAPPs gemeinsam haben, ist ihr Ziel. Die Verfahren sind ein Selbstzweck: Sie sollen nicht primär Ansprüche durchsetzen, sondern Beklagte verunsichern und ihre Ressourcen binden, um sie an einem bestimmten Verhalten in der Öffentlichkeit zu hindern. Die Kläger*innen nutzen dabei oft überlegene finanzielle Mittel, weil es ihnen schlicht egal sein kann, wie der Prozess ausgeht – während für ihre Gegner*innen unter Umständen die wirtschaftliche Existenz auf dem Spiel steht. SLAPP ist allerdings nicht gleich SLAPP. So stellen sich in Fällen, in denen große Medienhäuser wegen Recherchen verklagt werden, ganz andere Probleme als in Verfahren, in denen eine Google-Bewertung angegriffen wird. Gerade in kleineren Verfahren spielen Abmahnungen eine kaum zu überschätzende Rolle. Abmahnungen sind rechtliche Voraussetzung für einen Unterlassungsanspruch aus §§ 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog i.V.m. § 823 BGB und bieten so eine Möglichkeit, die öffentliche Beteiligung zu verhindern, ohne dass ein Gericht den Fall prüfen würde. Als Anwaltsschreiben verschickt und mit einer hohen Forderung sowie der Drohung versendet, Klage zu erheben, wenn die Forderung nicht erfüllt und die beigefügte Unterlassungsverpflichtung nicht unterschrieben wird, bauen sie lange vor einem gerichtlichen Verfahren die für SLAPPs typische Bedrohungslage auf. Viele Betroffene kapitulieren schon wegen der Abmahnung und nehmen ihre öffentliche Beteiligung zurück.

Alles eine Frage des Anwendungsbereichs

Abhilfe verspricht nun der Referentenentwurf des Bundesministeriums für Justiz (BJM) über „den Schutz von Personen, die sich öffentlich beteiligen, vor offensichtlich unbegründeten Klagen oder missbräuchlichen Gerichtsverfahren“, mit dem die Anti-SLAPP-RL umgesetzt werden soll. Der Gesetzgeber hat – obwohl dazu keine Pflicht bestand, weil die EU nur Regeln für grenzüberschreitende Verfahren erlassen konnte – eine einheitliche Rechtslage geschaffen. Das ist erfreulich, weil so auch Verfahren ohne grenzüberschreitenden Bezug unter die neuen Regelungen fallen.

Ins Zentrum rückt damit die Frage, wann überhaupt ein SLAPP vorliegt, der die nun umzusetzenden Regeln aktiviert. Nach § 615 Abs. 2 ZPO-E ist dies der Fall, wenn – kumulativ – der Rechtsstreit geführt wird, um die öffentliche Beteiligung des Beklagten zu unterdrücken und wenn mit ihm unbegründete Ansprüche verfolgt werden. Tatsächlich müssen die verfolgten Ansprüche aber nicht zwingend unbegründet sein. Das ergibt sich aus § 615 Abs. 3 ZPO-E, der eine Reihe von Kriterien festlegt, anhand derer beurteilt werden soll, ob die Voraussetzungen aus § 615 Abs. 2 ZPO-E vorliegen. Demnach ist insbesondere zu berücksichtigen, ob der geltend gemachte Anspruch „überhöht oder unangemessen“ ist (§ 615 Abs. 3 Nr. 1 ZPO-E). Da der Anspruch nur überhöht sein kann, wenn er nicht gänzlich unbegründet ist, muss „unbegründet“ im Sinne von § 615 Abs. 2 Nr. 2 ZPO-E weit interpretiert werden. Für den Anwendungsbereich der Anti-SLAPP-Regeln dürfte es damit darauf ankommen, „ob und inwieweit man die Klageforderung und die Art ihrer Durchsetzung für legitim oder gerechtfertigt hält.“

Allerdings beeinträchtigt es die Normklarheit, in die eigentlich eindeutig formulierten Tatbestandsvoraussetzungen aus § 615 Abs. 2 ZPO Erwägungen hineinzulesen, die im Wortlaut und kumulativen Zusammenspiel der Merkmale nicht angelegt sind. Wie weit der eigentlich klare Wortlaut des Abs. 2 durch die weiteren Beispiele des Abs. 3 gedehnt werden kann, ist unklar. So ist etwa bei presserechtlichen Berichtigungsansprüchen, die sich nur auf unerhebliche Teile einer Berichterstattung beziehen, für sich aber begründet sind, fraglich, ob nach dem Wortlaut des § 615 Abs. 2 ZPO-E tatsächlich ein SLAPP angenommen werden kann. Hier sollte der Gesetzgeber klarstellen, ob der verfolgte Anspruch etwa nur „in der Regel“ unbegründet sein muss.

Was gegen SLAPPs helfen soll

Über die momentane Rechtslage hinausgehende Regelungen für SLAPPs finden sich vor allem in den §§ 616-619 ZPO-E. Neu ist ein Vorrang- und Beschleunigungsgebot für SLAPP-Verfahren (§ 616 ZPO-E). § 617 ZPO-E ermöglicht es der beklagten Partei zu erwirken, dass die*der SLAPP-Kläger*in eine Sicherheit für die Prozesskosten hinterlegen muss. Damit soll verhindert werden, dass Betroffene trotz der Regelungen gegen SLAPPs auf den Kosten des Verfahrens sitzen bleiben (vgl. Erwägungsgrund 36).

Vor allem legen die Regelungen gegen SLAPPs einen Fokus auf die finanzielle Folgen für Kläger*innen. So ermöglicht es § 618 Abs. 2 ZPO dem Gericht, von SLAPP-Kläger*innen eine zusätzliche Gebühr zu verlangen. Die Gerichte haben dabei – entsprechend Erwägungsgrund 42 – einen weiten Spielraum (Nr. 1903 GKG Anlage 1-E, siehe Entwurf, S. 21), müssen sich aber am Gebührensatz der Verfahrensgebühr orientieren. Im Ergebnis bedeutet dies, dass bei einem Streitwert von 10.000 € eine zusätzliche Gebühr von bis zu 849 € erhoben werden kann, bei einem Streitwert von 50.000 € immerhin bis zu 1.914 €. Die Begründung des Entwurfs geht selbst allerdings davon aus, dass die höchstmögliche Gebühr nur in Ausnahmefällen verhältnismäßig ist (Entwurf, S. 22). Daneben ermöglicht § 618 Abs. 3 ZPO-E der beklagten Partei, die entstandenen Rechtsanwaltskosten vollständig ersetzt zu bekommen. Die in § 91 Abs. 2 ZPO angelegte Begrenzung auf die Höhe der gesetzlichen Gebührensätze entfällt damit (siehe Entwurf, S. 22).

Um zu verhindern, dass die Regelungen der Anti-SLAPP-RL umgangen werden, schreibt Art. 17 der Richtlinie zudem vor, dass Urteile aus Drittstaaten, die nach Maßstäben der Anti-SLAPP-RL missbräuchlich oder offensichtlich unbegründet sind, nicht anerkannt und vollstreckt werden (siehe dazu Egidy, S. 34). Diese Vorschrift setzt § 23a ZPO-E um. Zudem sieht § 619 ZPO-E vor, dass Urteile und Beschlüsse von SLAPP-Verfahren veröffentlicht werden müssen. Eine Reihe weiterer Vorgaben aus der Anti-SLAPP-RL hält der Gesetzgeber bereits für hinreichend im geltenden Recht abgebildet (siehe dazu Entwurf, S. 10). Der Entwurf bleibt bei der Umsetzung insgesamt eng an der Anti-SLAPP-RL; über die europäischen Normen hinausgehende Regelungen, wie Art. 3 Abs. 1 Anti-SLAPP-RL sie ausdrücklich ermöglicht, sind nicht vorgesehen.

Der Gesetzentwurf folgt damit primär zwei Ansätzen. Zum einen will er ein Bewusstsein für die hinter SLAPPs stehende Strategie schaffen, um dafür zu sensibilisieren, dass es sich lohnen kann, sich zur Wehr zu setzen. Die Veröffentlichung von entsprechend eingestuften Gerichtsurteilen könnte hier eine wichtige Funktion übernehmen, weil so Maßstäbe des oft einschlägigen, inhaltlich aber hoch komplexen Äußerungsrechts im Zusammenhang mit SLAPPs zugänglich gemacht und präzisiert werden. Der andere Ansatz bezieht sich auf die finanziellen Folgen: Das Risiko der Beklagten soll gemindert, das der Kläger*innen dagegen erhöht werden.

Was gegen SLAPPS helfen würde

Neben dem unklaren Anwendungsbereich des Gesetzes stellt sich die Frage, wie effektiv die neu eingeführten Anti-SLAPP-Regelungen sind. Für den Zeitraum vor der Klage sind bislang keine Vorschriften geplant – angesichts der wichtigen Rolle, die Abmahnungen spielen, ein Versäumnis. Mindestens ein Ersatzanspruch für alle im Zusammenhang mit einer unberechtigten Abmahnung entstandenen Kosten sollte das Gesetz ausdrücklich vorsehen.

Der wichtigste Ansatz der Anti-SLAPP-Regeln liegt letztlich in einer neuen Gestaltung finanzieller Risiken. Doch dürfte dieser Ansatz wenig effektiv sein. Das zeigt schon die Grundkonstellation von SLAPPs: Wenn die Kläger*innen den Prozess gerade anstrengen können, weil die wirtschaftlichen Folgen für sie faktisch irrelevant sind, wird sie auch eine zusätzliche Gebühr im hohen drei- oder niedrigen vierstelligen Bereich kaum an der Klage hindern; dasselbe gilt auch für den Erstattungsanspruch der Rechtsanwaltskosten. Es wäre durchaus überraschend, wenn sich beispielsweise die klageerprobten Hohenzollern durch solche Konsequenzen davon abgehalten ließen, weiter Klagen zu erheben.

Die zweifelhafte Effektivität wirft wiederum die Frage auf, ob es nicht stattdessen Möglichkeiten gibt, das wirtschaftliche Risiko für Betroffene abzumildern. Erster Ansatzpunkt sollten auch hier Abmahnungen sein. Abmahnungen können wegen des geringen finanziellen Risikos mehr oder minder ins Blaue hinein ausgesprochen werden, unabhängig davon, ob der behauptete Anspruch besteht oder nicht. Für Anwält*innen kann das schon ein lohnendes Geschäft sein, was sich daran zeigt, dass auf eine zurückgewiesene Abmahnung oft keine weitere Reaktion folgt.

Um die mit den Abmahnungen verknüpfte Drohkulisse zumindest abzumildern, könnte eine Regelung geschaffen werden, mit der die Höhe der Abmahnung begrenzt wird. Vorbild könnte § 97a Abs. 3 S. 2-4 UrhG sein, der eine solche Grenze für bestimmte Abmahnungen im Urheberrecht schafft.

Daneben könnte es sich aber auch lohnen, die Streitwerte in äußerungsrechtlichen Verfahren in den Blick zu nehmen. Der Streitwert entscheidet letztlich über die mit dem Rechtsstreit verbundenen Kosten, die für Betroffene von SLAPPs vielfach der größte Risikofaktor sind. Je höher der Streitwert ist, desto höher wird der Druck und desto effektiver ist die SLAPP-Klage. Die Streitwerte werden bei nicht vermögensrechtlichen Streitigkeiten nach freiem Ermessen der Gerichte festgesetzt, wobei alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind (§ 48 Abs. 2 S. 1 GKG, § 3 ZPO). Das OLG Frankfurt geht beispielsweise bei äußerungsrechtlichen Streitigkeiten von einem Streitwert von 5.000 € bis 15.000 € aus. Darüber, ob diese Bewertung auch Fällen gerecht wird, in denen die streitigen Aussagen auf einem Blog ohne echte Reichweite veröffentlicht wurden, kann man sicherlich geteilter Meinung sein. So lässt sich mit guten Gründen eine Deckelung von Streitwerten ablehnen, weil SLAPPs damit im Umkehrschluss auch günstiger werden könnten. Dennoch wäre es denkbar, regelmäßig von einem niedrigeren Streitwert auszugehen, von dem dann mit entsprechender Begründung nach oben abgewichen werden kann. Zumindest sollten Gerichte aber nicht unreflektiert Streitwerte übernehmen, die Kläger*innen in ihren Schriftsätzen angeben, da diese oft vor allem Druck ausüben sollen.

Für einen sensiblen Umgang

Wichtig bleibt: Es sprechen gewichtige Argumente dagegen, Regeln gegen SLAPPs generell sehr viel strenger zu gestalten und den Anwendungsbereich der Vorschriften möglichst weit zu interpretieren. Das Recht, Ansprüche gerichtlich geltend machen zu können, ist ein hohes Gut, das mit Regelungen gegen SLAPPs nicht unterlaufen werden darf. Dabei ist vor allem zu bedenken, dass gerade ein zu weiter Begriff von SLAPPs kontraproduktiv sein könnte – denn Klagen gegen diskriminierende Äußerungen könnten dadurch deutlich erschwert werden. Um sinnvoll mit SLAPPs umzugehen, braucht es eine sensible Handhabung im Einzelfall. Umso wichtiger bleiben zivilgesellschaftliche Initiativen, die Betroffene aufklären, Ängste nehmen und unterstützen.


SUGGESTED CITATION  Maurer, Johannes: Kein SLAPP-Back: Das Umsetzungsgesetz gegen missbräuchliche Klagen, VerfBlog, 2025/7/08, https://verfassungsblog.de/anti-slapp-gesetz/.

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