16 March 2015

Auf der Suche nach dem Ariadnefaden: von den rechtlichen Schwierigkeiten von Grexit und Graccident

Allenthalben verdichten sich die Anzeichen, dass Griechenland die Reformforderungen der Eurogruppe für die Auszahlung noch zur Verfügung stehender Hilfsgelder oder sogar für ein weiteres Hilfsprogramm nicht erfüllen will oder aus den unterschiedlichsten politischen Gründen nicht erfüllen kann. Die unmittelbare Konsequenz scheint offenkundig: Griechenland würde seine ausstehenden Verbindlichkeiten insbesondere gegenüber dem IWF und der EZB nicht erfüllen, zahlungsunfähig werden und den Euro bewusst verlassen (Grexit). Alternativ könnte es im augenscheinlichen Regierungschaos in Athen sogar dazu kommen, dass Griechenland „versehentlich“ den Euro verlässt, weil der Regierung der Überblick über die Kontenlage abhandengekommen ist. Der Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat diese Befürchtung jüngst selbst ausdrücklich geäußert. Im Einklang mit der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts (OMT-Vorlagebeschluss, Rn. 72) hat der Bundesbankpräsident Jens Weidmann darauf hingewiesen, bei der Entscheidung über die Zusammensetzung der Eurozone handele es sich um eine politische Entscheidung. Ob ein Austritt aus dem Euro und die Einführung einer neuen Währung („Neue Drachme“) für Griechenland wirtschaftspolitisch eine kluge Entscheidung wäre, kann hier dahinstehen. Ökonomen sind sich diesbezüglich uneinig – als Juristen müssen wir uns da nicht einmischen. Auch bei der wirtschaftspolitischen Beurteilung sollte man allerdings zwei Dinge nicht vermischen (was aber manchmal der Fall zu sein scheint): Ob Griechenland mit einer eigenen Währung besser dastünde als mit dem Euro ist nicht gleichbedeutend mit der Frage, ob ein Verlassen der Eurozone für Griechenland besser wäre als ein Verbleib. Gleichzusetzen wäre beides nur, wenn ein Verlassen des Euro selbst keinerlei Wohlfahrtseinbußen (wie Ökonomen das wohl nennen würden) mit sich brächte oder diese geringer wären als die zu erwartenden Wohlfahrtsgewinne. Und nun sind wir als Juristen doch wieder im Spiel. Anders als häufig – selbst von Juristen, die es eigentlich besser wissen müssten – angenommen, ist das Verlassen des Euro nämlich keineswegs rechtlich einfach, aber für „findige Juristen“ sollte doch ein Weg zu finden sein. Begeben wir uns also auf die Suche!

Dass Staaten auf der Grundlage ihrer Währungssouveränität eine eigene Währung begeben und zum gesetzlichen Zahlungsmittel erklären (ius cudendae monetae), ist nicht viel mehr als eine Selbstverständlichkeit – auch wenn so mancher Staat davon keinen Gebrauch macht, sondern sich auf völkervertraglicher Grundlage oder unilateral einer fremden (meist stabileren) Währung bedient. Man spricht dann von Dollarisierung oder Euroisierung. Die Entscheidungen von Staaten über ihr Währungsstatut, die sog. lex monetae, ist von anderen Staaten grundsätzlich zu akzeptieren – das gilt auch und gerade für den Fall einer Währungsreform. Wie weit die rechtlichen Wirkungen einer Währungsumstellung im Einzelnen reichen, ist eine Frage des Internationalen Privatrechts und der im Einzelnen gewählten Anknüpfungsmomente. Nach diesen Regeln könnte Griechenland also zweifelsohne ein neue Währung begeben, einen Umtauschkurs gegenüber dem Euro festlegen und die neue Währung zum gesetzlichen Zahlungsmittel erklären. Alternativ wäre ein Szenario vorstellbar, in dem Griechenland jedenfalls seine Verbindlichkeiten gegenüber inländischen Gläubigern des Staates mit nichtverzinslichen Inhaberpapieren begleicht, die aber ohne gleichzeitige Einführung einer neuen Währung dann auf Euro denominiert sein müssten. Solches Staatspapiergeld gab es z.B. in Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg („Reichskassenscheine“). Es war zwar nicht gesetzliches Zahlungsmittel, wurde von öffentlichen Kassen aber als Zahlung (z.B. von Steuerschulden) akzeptiert.

Nun liegen die Dinge währungsrechtlich in Griechenland aber nicht nur geringfügig anders und es ist schon bemerkenswert, mit welcher Ignoranz die daraus resultierenden Probleme verdrängt werden – besonders gerne von Ökonomen, die gar nicht schnell genug „klare Rechtsbrüche“ durch die diversen Rettungsmaßnahmen sowie die EZB-Anleihenkäufe ausmachen können und immer den Euro-Austritt Griechenlands als Alternative ins Spiel bringen. Versuchen wir also, ein wenig Licht ins währungsrechtliche Dunkel zu bringen – das sind sicherlich nicht die berühmten Eulen nach Athen – es könnte in der derzeitigen Lage ja auch kaum ein unpassenderes Sprichwort geben.

Ausweislich Art. 3 Abs. 4 EUV errichtet die EU eine Wirtschafts- und Währungsunion, deren Währung der Euro ist. Die Mitgliedstaaten haben der EU auch hierzu Hoheitsrechte übertragen, namentlich das ius cudendae monetae. Der primär- und sekundärrechtliche Rahmen zur Verwirklichung des Ziels ist im Einzelnen kompliziert und etwas unübersichtlich. Die zentralen sekundärrechtlichen Vorschriften finden sich in der VO (EG) 974/98 über die Einführung des Euro. Diese gilt für Griechenland, nachdem die ursprüngliche „Ausnahmeregelung“ (vgl. Art. 139 AEUV) auf Grundlage der Vorgängerbestimmung des Art. 140 Abs. 2 AEUV aufgehoben worden war (Entscheidung 2000/427/EG; VO (EG) 1478/2000) seit dem 1. Januar 2001 (VO Nr. 2596/2000). Nach den Bestimmungen der VO 974/98 ist der Euro auch in Griechenland zum festgelegten Umrechnungskurs an die Stelle der Drachme getreten und ist seither „die Währung“ Griechenlands. Lediglich die von der EZB und der griechischen Nationalbank in Umlauf gesetzten Euro-Banknoten sowie die von der griechischen Regierung geprägten Euro-Münzen genießen den Status eines gesetzlichen Zahlungsmittels. Auf die nationalen Währungen lautende Zahlungsmittel durften maximal noch sechs Monate die Eigenschaft eines gesetzlichen Zahlungsmittels besitzen. Das ist die geltende lex monetae für Griechenland.

Die europarechtlich bewanderten Leser wird es nicht überraschen: Diese Regelungen sind als Verordnungen in Griechenland unmittelbar anwendbar und haben unzweifelhaft am Anwendungsvorrang des Unionsrechts teil. Griechenland verfügt danach nicht mehr über eine unbeschränkte Währungshoheit im oben beschriebenen Sinne. Die unilaterale Einführung einer neuen Währung durch Griechenland verstieße gegen die VO 974/98. Auch vor griechischen Gerichten müssten Gläubiger von auf Euro lautenden Forderungen – und zwar völlig ungeachtet des Vorliegens eines grenzüberschreitenden Sachverhalts – diese also unter Hinweis auf die europarechtliche Lage einklagen können. Es wäre überaus naiv zu glauben, dass Gläubiger das nicht täten!

Ohne eine Änderung der vorgenannten europarechtlichen Vorschriften geht es also nicht. Zumeist werden Euro-Austritt und Euro-Rausschmiss allerdings auf primärrechtlicher Grundlage diskutiert, z.B. der Austritt analog Art. 50 EUV (a maiore ad minus). Dogmatisch ist das wenig tragfähig und aufgrund der prozeduralen Erfordernisse, die zu erfüllen erhebliche Zeit in Anspruch nähme, wohl auch nicht praktikabel. Die Eine-Million-Drachme-Frage lautet daher: kann man die VO 974/98 (sowie die weiteren oben genannten Sekundärrechtsvorschriften) dahingehend ändern, dass sie auf Griechenland keine Anwendung mehr finden (konkret: Streichung Griechenlands aus dem Anhang der VO 974/98)? Dazu bedarf es unzweifelhaft einer Rechtsgrundlage im Primärrecht. Für die VO 974/98 war und ist dies grundsätzlich Art. 140 Abs. 3 AEUV. Auf dieser Grundlage kann der Rat aufgrund eines einstimmigen Beschlusses der Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung der EZB den Umrechnungskurs festsetzen, zu dem der Euro die nationale Währung eines beitretenden Mitgliedstaats ersetzen wird und kann die weiteren erforderlichen Maßnahmen zur Einführung des Euro als gesetzliche Währung in dem betreffenden Mitgliedstaat treffen. Diese Vorschrift ist ersichtlich als Einbahnstraße ausgestaltet („unwiderruflich“; „zur Einführung des Euro“), wäre aber die wahrscheinlichste Grundlage für eine „Austrittsverordnung“, zumal das Europäische Parlament hier nicht zu beteiligen ist, so dass eine entsprechende Rechtsänderung auch an einem Wochenende bewältigt werden könnte – und das wäre aus praktischen Gründen zur Verhinderung eines Bank Runs und einer massiven Kapitalflucht aus Griechenland (die ja jetzt schon stattfindet) auch erforderlich. Ob der Gerichtshof der Europäischen Union sich auf eine derartige Interpretation des Art. 140 Abs. 3 AEUV allerdings einließe, lässt sich kaum einschätzen. Befürworter eines Austritts werden anführen, dass die Pringle-Entscheidung zeige, dass der Gerichtshof mit den Problemen der Euro-Krise „konstruktiv“ umgehe. Dabei wird aber verkannt, dass die Pringle-Entscheidung angesichts des Wortlauts des Art. 125 AEUV methodisch auf soliden Beinen steht. Das wäre im vorliegenden Fall völlig anders, zumal ein Euro-Austritt Griechenlands einen Desintegrationsakt darstellte, dessen Legalisierung die Grundlagen der Eurozone grundlegend umgestalten würde.

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass das Unionsrecht die Wiedereinführung einer neuen Währung in einem Euro-Teilnehmerstaat definitiv nicht vorsieht und auch keinen rechtssicheren Weg eröffnet, um aus dem Euro auszuscheiden. Einen Ariadnefaden haben die Euro-Teilnehmerstaaten bei ihrem Weg in das Labyrinth des Minotaurus eben mitzunehmen vergessen. Sollte es dennoch zu Grexit oder Graccident kommen – die steuernde Kraft des Währungsrechts stößt mitunter an Grenzen – so würde dies eine Flut von Prozessen nach sich ziehen und auf Jahre erhebliche Rechtsunsicherheit in Griechenland mit sich bringen. Für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung Griechenlands mit Sicherheit ebenfalls kein beruhigender Befund.


SUGGESTED CITATION  Herrmann, Christoph: Auf der Suche nach dem Ariadnefaden: von den rechtlichen Schwierigkeiten von Grexit und Graccident, VerfBlog, 2015/3/16, https://verfassungsblog.de/auf-der-suche-nach-dem-ariadnefaden-von-den-rechtlichen-schwierigkeiten-von-grexit-und-graccident/, DOI: 10.17176/20170211-153935.

14 Comments

  1. dehan Mon 16 Mar 2015 at 22:29 - Reply

    .. und wenn man sich jetzt noch anschaut, wie sehr geradezu um den Rausschmiss *gebettelt* wird, dann haben die dortigen Juristen ihre Hausaufgaben vielleicht bereits gemacht.

  2. Falk D. Mon 16 Mar 2015 at 22:48 - Reply

    Die europarechtliche Betrachtung springt m.E. über die Natur eines Staatsbankrotts hinweg. Ein Staat stellt ja nicht nur die Bedienung seiner Kredite ein sondern er stellt die Zahlungsverpflichtungen ein.
    Ob er das durchhalten kann (siehe Argentinien), steht auf einem anderen Blatt, aber tendenziell sehe ich das Problem, dass Griechenland egal unter welcher Regierung in diesen Fragen eine erstaunliche Beharrlichkeit aufzeigt.
    Ich fürchte allerdings dass die Beleuchtung der Eine-Millionen Drachme-Frage gar nicht zum Zuge kommt, denn hier wird vermutlich ein “Politischer Pragmatismus” ohne formalen Ansprüchen zu genügen eine Faktenlage schaffen, die nur unter Ausblendung der bei der Einführung des Euro in Stein gemeißelten Regularien hinzunehmen ist und erst nach Wochen legalisiert wird. Das waren ja eh eher Ytong-Steinem, wie wir seit der Kompetenzausweitung der EZB wissen.

  3. […] Auf der Suche nach dem Ariadnefaden: von den rechtlichen Schwierigkeiten von Grexit und Graccident Allenthalben verdichten sich die Anzeichen, dass Griechenland die Reformforderungen der Eurogruppe für die Auszahlung noch zur Verfügung stehender Hilfsgelder oder sogar für ein weiteres Hilfsprogramm nicht erfüllen will oder aus den unterschiedlichsten politischen Gründen nicht erfüllen kann. Die unmittelbare Konsequenz scheint offenkundig: Griechenland würde seine ausstehenden Verbindlichkeiten insbesondere gegenüber dem IWF und der EZB nicht erfüllen, zahlungsunfähig werden und den Euro bewusst verlassen (Grexit). Alternativ könnte es im augenscheinlichen Regierungschaos in Athen sogar dazu kommen, dass Griechenland „versehentlich“ den Euro verlässt, weil der Regierung der Überblick über die Kontenlage abhandengekommen ist. Der Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat diese Befürchtung jüngst selbst ausdrücklich geäußert. Im Einklang mit der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts (OMT-Vorlagebeschluss, Rn. 72) hat der Bundesbankpräsident Jens Weidmann darauf hingewiesen, bei der Entscheidung über die Zusammensetzung der Eurozone handele es sich um eine politi