Ausgangspunkt ist das Gewaltverbot, nicht die Rechtfertigung
Eine Kritik am Begründungsansatz der USA zum Gewalteinsatz zur Tötung Soleimanis im Irak
„The Fake News Media and their Democrat Partners are working hard to determine whether or not the future attack by terrorist Soleimani was “imminent” or not, & was my team in agreement. The answer to both is a strong YES, but it doesn’t really matter because of his horrible past!”
„Well, it does matter!“, möchte man Donald Trump nach diesem Tweet vom 13. Januar 2020 zurufen, in dem er sich auf den Drohnenangriff vom 03. Januar bezieht. Das Gewaltverbot, ein Grundpfeiler des Völkerrechts, verbietet grundsätzlich die Anwendung von Gewalt gegen einen anderen Staat. Es ist zwingendes Recht. Nur ausnahmsweise ist der Einsatz von Gewalt gerechtfertigt. Schon aus diesem Grundsatz-Ausnahme-Verhältnis folgt, dass die USA die Gründe für eine Rechtfertigung selbst vorbringen müssten. Doch die USA machen mit ihrem Begründungsansatz nicht den Eindruck, bei ihrer Entscheidungsfindung dem Stellenwert des Gewaltverbots hinreichend gerecht geworden zu sein. Ein Militäreinsatz zur Tötung eines ranghohen Staatsoffiziers Irans auf irakischem Staatsgebiet verletzt das Gewaltverbot nicht nur gegenüber dem Iran, sondern auch gegenüber dem Irak. Der bisherige Begründungsansatz der USA vermag diese Verstöße jedoch nicht hinreichend zu rechtfertigen. Nicht zuletzt ein kürzlich erschienener Beitrag gibt Anlass dazu, herauszustellen, wieso es so wichtig ist, dass sich Staaten plausibel und nachvollziehbar rechtfertigen, wenn sie das Gewaltverbot verletzen.
Gewaltverbotsverstoß gegenüber dem Iran
Grundlage der rechtlichen Bewertung sind die Erklärungen der USA (Urteil des Internationalen Gerichtshof, Nicaragua, Merits, Para. 266: “not entitled to ascribe to States legal views which they do not themselves formulate”). In ihrem Brief vom 8.1.2020 an den VN-Sicherheitsrat (und später) machen die USA das Selbstverteidigungsrecht nach Artikel 51 VN-Charta geltend. Dort heißt es, sie haben auf eine „Reihe bewaffneter Angriffe der letzten Monate“ reagiert. Zu diesen sollen zählen: ein vergangener bewaffneter Angriff und eine Gewaltandrohung aus vergangenem Sommer (Juni bzw. Juli 2019). Darüber hinaus sprechen die USA von einem „Kontext andauernder bewaffneter Angriffe“, die sich jedoch nicht gegen die USA selbst gerichtet haben, und daher außer Betracht bleiben müssten. Weiterhin soll der Iran für Aufruhen in Bagdad am 31.12.2019 verantwortlich sein, die zu materiellem Schaden an der US-Botschaft führten.
Interessanterweise behaupten die USA in ihrem Brief – wie zuvor – nicht mehr, dass weitere Angriffe unmittelbar bevorstünden (also „imminent“ seien). Vielmehr beziehen sie sich nur noch auf bereits vergangene, abgeschlossene bewaffnete Angriffe. Die USA machen also weder ein präventives Selbstverteidigungsrecht noch ein Selbstverteidigungsrecht gegen einen andauernden bewaffneten Angriff geltend, der sich aus einer Serie einzelner Angriffe zusammensetzen könnte (s. hier). Es scheint vielmehr, als würden die USA offenlegen, dass ihr Militärschlag einzig der Abschreckung des Irans bzw. der Abschwächung der militärischen Kapazitäten der Milizen diente („in order to deter the Islamic Republic of Iran […], and to degrade the […] supported militias’ ability to conduct attacks.“).
Als legitimes Ziel der Selbstverteidigung ist einhellig bisher nur das Aufhalten und – soweit geboten – die Zurückdrängung eines konkreten bewaffneten Angriffs anerkannt. Die Abschreckung vor der Ausübung weiterer Angriffe, wenn auch nur durch die Schwächung der militärischen Kapazitäten des Gegners (s. hierzu Kretzmer), wird demnach mehrheitlich als unerlaubte Repressalie abgelehnt (vgl. hier und hier). Selbst wenn man ein solch weites Verständnis des Selbstverteidigungsrechts zugrunde legen möchte, vermag der Begründungsansatz der USA ihren Militäreinsatz nicht zu rechtfertigen. Erstens zeichnete sich schon keine hinreichende Gefahrenlage ab (s. etwa die Stellungnahme des Wissenschaftlichen Dienstes oder hier und hier). Zweitens wäre weiterhin zweifelhaft, ob die Tötung Soleimanis überhaupt geeignet war, das Ziel der Abschreckung oder Schwächung des Gegners zu erreichen (s. hier). Dies ist unter Berücksichtigung Soleimanis Stellung als Entscheidungsträger (nicht Ausführender der bevorstehenden Angriffe) und der letzten Entscheidungsbefugnis Ayatollah Khameneis höchst unwahrscheinlich, wenn nicht sogar unplausibel (s. hier).
Nur aus gegebenem Anlass sei noch hervorzuheben, dass die präventive Selbstverteidigung selbst unter Zugrundelegung eines restriktiven Verständnisses (nach welchem die Gegenwärtigkeit ein rein zeitliches Element ist), angesichts der Formulierung des Art. 51 VN-Charta („if an armed attack occurs“) durchaus weiterhin umstritten ist (s. etwa hier und hier).
Gewaltverbotsverstoß gegenüber dem Irak
In dem Brief der USA an den Sicherheitsrat findet sich erstaunlicherweise keinerlei Begründung wieder, die den Gewalteinsatz gegenüber dem Irak rechtfertigen könnte. Zwei Rechtfertigungsgründe kämen theoretisch in Betracht, namentlich die Intervention auf Einladung und das Selbstverteidigungsrecht.
Bezüglich ersteren wurde bereits an dieser und dieser Stelle zutreffend festgestellt, dass sich die vom Irak im Jahr 2014 ausgesprochene Einladung ausschließlich auf die Bekämpfung des sogenannten Islamischen Staates bezieht. Dies machte Irak noch einmal in seinem Brief an den Sicherheitsrat vom 7. Januar 2020 deutlich und auch die USA scheinen dies ausdrücklich anzuerkennen. So heißt es in dem amerikanischen Brief vom 8. Januar 2020, dass US-Truppen „with the consent and at the request of the Iraqi government for counter-ISIS operations” im Irak präsent sind. Um den Gewalteinsatz gegen Soleimani samt Begleiter auf irakischem Territorium rechtfertigen zu können, bräuchte es daher einer gesonderten Zustimmung, für deren Vorliegen es keinerlei Anhaltspunkte gibt. Ganz im Gegenteil hat der Irak in seinem offiziellen Brief vom 6. Januar 2020 Protest bekundet und das Verhalten der USA als „aggression against the State, Government and people of Iraq“ bezeichnet. Deutlicher kann eine Verurteilung des Angriffs wohl kaum ausfallen. Dennoch von einer Geheimabsprache auszugehen und etwaige Empörung als politisch motiviert abzutun, ist nichts weiter als Spekulation. Und selbst wenn man sich auf Spekulationen einlässt scheint die Annahme eines insgeheimen Konsenses unplausibel. Nicht nur weil bei dem amerikanischen Angriff fünf irakische Staatsbürger getötet wurden, die als Mitglieder der Kata’ib Hizbollah Teil der Volksmobilisierungseinheiten sind, welche wiederum in die irakische Armee eingegliedert sind, sondern auch weil dadurch die Gefahr droht, dass sich der Irak in ein Schlachtfeld der USA und des Irans verwandelt.
Bezüglich des Selbstverteidigungsrechts der USA stellt Labuda in seinem Beitrag richtigerweise fest, dass eine Unterscheidung zu treffen ist: Waren die Mitglieder der Kata’ib Hizbollah ebenso Ziel des Angriffs, käme es darauf an, ob ein bewaffneter Angriff von Seiten des Iraks unmittelbar bevorstand (falls man präventive Selbstverteidigung nach restriktivem Verständnis für zulässig erachtet). Dies haben die USA jedoch selbst nicht geltend gemacht. Ist ersteres nicht der Fall ließe sich über eine Anwendung der unable or unwilling Doktrin nachdenken, welche im Zusammenhang mit der Bekämpfung nichtstaatlicher Akteure entwickelt wurde, deren Geltung jedoch hoch umstritten ist. Milanovic führt hierzu aus, dass die USA dann darlegen müssten, dass sie „had to strike at Soleimani when and where it did, that it could not ask the Iraqi government for permission (e.g. on the basis of its collusion with Iran) and that it could not wait to strike at Soleimani elsewhere”. Auch dem sind die USA nicht nachgekommen.
Berichts- und Darlegungspflicht
Vielfach wurde bereits bemängelt, dass die USA eine Rechtfertigung nicht substantiiert dargelegt haben. Zudem haben die USA wie dargelegt den Gewaltverstoß gegenüber dem Irak in keiner Weise gerechtfertigt. Eine Offenlegung der Geheimdienstinformationen, über die die USA behaupten zu verfügen, erfolgte bis heute nicht.
Im Ausgangspunkt gilt, dass der Staat, der Maßnahmen in Ausübung des Selbstverteidigungsrechts trifft, dem Sicherheitsrat unmittelbar Bericht zu erstatten hat. Diese Berichtspflicht wurde 1945 in Art. 51 VN Charta aufgenommen, um die Anwendung militärischer Gewalt nach den Gräueltaten des Zweiten Weltkriegs beim neu geschaffenen Sicherheitsrat zu zentralisieren. Dieser sollte in der Lage sein, die angezeigte Maßnahme zu prüfen, um sodann möglicherweise auf eine Verletzung des Gewaltverbots wirksam reagieren zu können.
Der sich auf das Selbstverteidigungsrecht berufende Staat muss bestimmte Tatsachen vortragen und ggf. beweisen, welche den Tatbestand des Selbstverteidigungsrechts begründen. Dies folgt bereits aus der Berichtspflicht und wurde vom Internationalen Gerichtshof (s. Oil Platforms Fall) anerkannt.
Die Anforderungen an eine substantiierte Darlegung sind nicht klar. Im Schrifttum finden sich jedoch Ansätze. Lobel spricht von einem „clear and stringent evidentiary standard“, Henkin fordert ähnlich einen „clear unambiguous, subject to proof, and not easily open to misinterpretation or fabrication“. Man dürfte den Maßstab jedenfalls nicht allzu niedrig anlegen. Im Fall des Gewalteinsatzes durch die USA haben Staaten wie Südafrika sich dahingehend geäußert, dass „imminent threats […] must be credible, real and objectively verifiable for the use of force without Security Council authorization to be justifiable”.
Nun wird man bei berechtigtem Geheimhaltungs- und Sicherheitsinteresse den USA keine vollständige Offenlegung ihrer Geheimdienstinformationen aufbürden wollen. Jedoch folgt aus dem Interesse der Weltgemeinschaft, die sich dem Gewaltverbot verschrieben hat und dem in Art. 51 VN Charta verankerten Gedanken, dass die USA ihre Behauptung näher ausführen müssten. Dies würde bedeuten, dass sie zumindest darlegen müssten, wie u.a. die mutmaßlich geplanten Angriffe aussehen sollten, wo sich die Angriffsziele konkret befanden, zu welchem Zeitpunkt angegriffen werden sollte und wie fortgeschritten die Planung dieser Angriffe bereits war.
Warum es so wichtig ist, den Einsatz zu verurteilen
Der US-Gewalteinsatz vom 03. Januar ist aufgrund des bisherigen Vorbringens der USA – wie dargelegt – eindeutig nicht gerechtfertigt und weiterhin ein Verstoß gegen das Gewaltverbot.
Hat ein Staat sich zu seinem Gewalteinsatz nicht geäußert oder bringt er nicht genügend vor, kann nicht der Schluss gezogen werden, dass es besser wäre, diesen Staat nicht zu verurteilen. Unsubstantiierte Begründungen können sich nur zu Lasten von Staaten auswirken und nicht zu deren Gunsten (anders hier).
In einer dezentralen Rechtsordnung, in der die Staaten durch ihr Verhalten Recht mitformen, ist es besonders wichtig, dass diese ihre rechtliche Position auch artikulieren. Andernfalls droht eine Erosion des zentralen Gewaltverbots. Es ist richtig, dass einige Staaten wie Großbritannien und Israel das Selbstverteidigungsrecht der USA ausdrücklich bestätigt haben. Doch haben einige Staaten eben auch den US-Militärschlag eindeutig als völkerrechtswidrig qualifiziert (s. China, Russland). Das Problem ist jedoch, dass ein Großteil der Staaten sich bisher nicht in rechtlicher Hinsicht eindeutig geäußert hat (für eine Übersicht zu den Reaktionen der Staaten s. den Beitrag von Anssari und Nußberger).
Hinweis der Redaktion vom 24.01.2020: Der Hinweis auf den Beitrag von Anssari und Nußberger zu den Staatenreaktionen wurde nachträglich eingefügt.
Selbstverständlich war der Einsatz der USA gegen Quassem Soleimani völkerrechtlich gerechtfertigt. Dass nun die politischen Dauer-Konkurrenten Russland und China anderer Auffassung sind, dürfte daher kaum Gewicht haben.
Im vorliegenden Fall ist vom Rechtsrahmen eines „International bewaffneten Konfliktes“ auszugehen. „Wie der Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) im Tadić-Fall festgehalten hat, liegt ein solcher vor, sobald Staaten untereinander auf Waffengewalt zurückgreifen (“an armed conflict exists whenever there is a resort to armed force between States”).“(Janik, Zur Tötung von Soleimani, Völkerrechtsblog)
„Man spricht hier von der auf den großen Jean Pictet und seine Kommentare zum gemeinsamen Artikel 2 der Genfer Konventionen zurückgehende „first shot“-Theorie. In seinem Kommentar zur ersten Genfer Konvention legte er fest, dass sie bereits auf einen einzelnen verwundeten Soldaten anwendbar sei: „If there is only at single wounded person as a result of the conflict, the Convention will have been applied as soon as he has been collected and tended.“(Janik, s.o.)
“The Targeted Killing of General Soleimani: Its Lawfulness and Why It Matters” https://www.justsecurity.org/67949/the-targeted-killing-of-general-soleimani-its-lawfulness-and-why-it-matters/
Ergänzend: Es ist geradezu absurd die Ansicht zu vertreten, der Iran könne die Stürmung einer US-Botschaft orchestrieren ohne dass dies zumindest einen geringfügigen Gegenschlag auslöst um hier klare rote Linien zu ziehen. Gerade wenn man keine solchen Grenzen aufzeigt besteht umso mehr die Gefahr einer noch viel weiter gehenden Eskalation. Die USA wie der Iran sind beides Kriegsparteien im Jemen, beide im Irak aktiv militärisch involviert. Massenweise wurden und werden US Soldaten durch vom Iran kontrollierte schiitische Kämpfer getötet. Den dafür verantwortlichen Hintermann gezielt zu töten statt die von ihm kontrollierten Handlanger niederzumetzeln ist nicht nur moralisch die bessere Reaktion, es ist zweifelsohne auch die vernünftigere, zeigt es doch dem Iran, dass dieser nicht nach Belieben gegen US Einrichtungen vorgehen kann.
Ohne solche (gegenseitige) Abschreckung bestünde sehr rasch die Gefahr dass der Konflikt in dieser Region völlig außer Kontrolle gerät. Selbst wesentliche Teile der iranischen Führung sind keineswegs unfroh über die Tötung dieses Schwerstverbrechers, dem man auf andere Weise für seine Verbrechen nicht hätte strafen können. Hier wurde gezielt ein Verbrecher (auch Kriegsverbrecher) in einem anderen Staatsgebiet getötet.
Artikel 2 Nr. 4 der Charta der Vereinten Nationen spricht jedoch demgegenüber ausschließlich von einer gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare …. Anwendung von Gewalt.
Weder wurde die territoriale Unversehrtheit des Iran beeinträchtigt, noch seine politische Unabhängigkeit bedroht. Bleibt die Frage, ob die gezielte Tötung eines Massenmörders und Kriegsverbrechers mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbar ist. Eine rethorische Frage, den es wird hier ja wohl niemand behaupten, das Ziel der Vereinten Nationen sei es Massenmörder zu schützen.
Somit ergibt es aus Artikel 2 Nr. 4 am Ende eben keinerlei Verbot einer solchen gezielten und gerechten Bestrafung eines Kriegsverbrechers und Massenmörders. Womit hier auch kein Fall eines Verstoßes gegen das Gewaltverbot vorliegt.
Hochachtungsvoll