10 February 2014

Bankenabwicklungsfonds: Gemeinschaftsmethode sticht Unionsmethode

Unter dem Mantel einer eher technisch anmutenden Detaildebatte wird in Brüssel zurzeit ein Präzedenzfall von großer Tragweite für die künftige europäische Rechtsetzung und die Stellung des Europäischen Parlaments ausgefochten. Es geht darum, ob die Gemeinschaftsmethode die Unionsmethode sticht oder andersherum.

Zur Erinnerung: Die Gemeinschaftsmethode zeichnet sich dadurch aus, dass die Europäische Kommission den EU-Gesetzgebungsprozess durch einen Vorschlag einleitet und anschließend das Europäische Parlament als Repräsentant der Unionsbürgerinnen und Unionsbürger und der Rat als Repräsentant der Regierungen der Mitgliedstaaten diesen Vorschlag diskutieren und beschließen. Dabei können das Parlament und der Rat jeweils Änderungsvorschläge einbringen, für deren Annahme sie die eigene Mehrheit und die Mehrheit der anderen Institution brauchen.

Die Unionsmethode wurde von der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel anlässlich einer Rede vor dem Collège d’Europe in Brügge folgendermaßen skizziert: Sie soll die Gemeinschaftsmethode außerhalb der Unionskompetenzen im Sinne der Subsidiarität ergänzen. Im Europäischen Rat soll in den Fällen, in denen die Staats- und Regierungschefs zwar ein gemeinsames Handeln für notwendig erachten, es jedoch keine Unionskompetenzen gibt, auf Grundlage von zwischenstaatlichen Verträgen bindendes Recht geschaffen werden. Bekannte Beispiele für die Unionsmethode sind der ESM-Vertrag und der sog. Fiskalpakt.

Das Demokratieproblem der Unionsmethode

Klingt die Unionsmethode in Merkels Worten noch einigermaßen sinnhaft („abgestimmtes solidarisches Handeln – jeder in seiner Zuständigkeit, alle für das gleiche Ziel.“), werden die Probleme dieser Methode offenkundig, wenn man sie unter Demokratiegesichtspunkten durchleuchtet. Was irgendwie innovativ unter dem Namen „Unionsmethode“ erscheint, ist in Realität nichts anderes als das klassische Völkerrecht. Ein völkerrechtlicher Vertrag wird von den Regierungen hinter verschlossenen Türen ausgehandelt. Der ausgehandelte Text wird von einem Regierungsvertreter unterzeichnet und dem heimischen Parlament zur Ratifikation vorgelegt. Der unterzeichnete Text kann vom Parlament nicht mehr geändert werden. Die Parlamentarierinnen und Parlamentarier können den Text nur annehmen oder komplett ablehnen und dabei riskieren, die von ihnen mehrheitlich getragene Regierung zu düpieren. Einmal ratifiziert, darf ein nationales Parlament nur noch in Ausnahmefällen Gesetze erlassen, die im Bruch mit dem völkerrechtlichen Vertrag stehen. Das Bundesverfassungsgericht hat im Görgülü-Beschluss deutlich gemacht, dass der “lex posterior”-Grundsatz, wonach das zeitlich jüngere Gesetz ein ranggleiches zeitlich späteres Gesetz inhaltlich ersetzt, bei einem völkerrechtlicher Vertrag, auch wenn er im deutschen Recht den Rang eines einfachen Bundesgesetzes hat, aufgrund des Rechtsstaatsprinzips und des Grundsatzes der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes nicht uneingeschränkt gilt (zum sog. “treaty override”: Vorlage des BFH an das BVerfG). Ist keine Kündigungsklausel vorgesehen, kann ein völkerrechtlicher Vertrag außer in einigen sehr außergewöhnlichen Ausnahmefällen nur im Einvernehmen mit allen Vertragsstaaten wieder aufgehoben werden.

Der Demokratiemehrwert der Gemeinschaftsmethode

Die Gemeinschaftsmethode sieht mit dem Europäischen Parlament eine direkt von den Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern gewählte Institution vor, die im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren gemeinsam mit dem Rat gleichberechtigter Mitgesetzgeber ist. Das Europäische Parlament hat das Recht, Änderungen an den Gesetzesentwürfen der Kommission vorzuschlagen und Änderungen, die der Rat vorgenommen hat, selbst zu ändern oder zurückzuweisen. Im Extremfall kann das Parlament mit seinem Veto den kompletten Gesetzesvorschlag samt den Änderungen des Rates zurückweisen.

Während damit bei der Gemeinschaftsmethode Parlamentarier bestimmenden Einfluss auf den Inhalt eines rechtlich bindenden Textes haben, befinden sich die nationalen Parlamentarier bei der Unionsmethode lediglich im Nachvollzug der durch die Regierung geschaffenen Rechtslage. Dies hat keine mit der Gemeinschaftsmethode vergleichbare demokratische Qualität. Diese „Flucht aus dem Europarecht“ wurde von Lukas Oberndorfer als „autoritärer Konstitutionalismus“ kritisiert.

Es darf daher nicht im Ermessen der EU-Mitgliedstaaten stehen, zwischen der Unionsmethode und der Gemeinschaftsmethode zu wählen. Andernfalls stünde den Regierungen ein Wahlrecht zwischen verschiedenen Qualitätsgraden von demokratischer Teilhabe zu.

Lackmustest: Bankenabwicklungsmechanismus (single resolution mechanism)

Genau diese Frage des Wahlrechts steht im Zentrum einer Auseinandersetzung zwischen dem Europäischen Parlament und dem Rat im Rahmen der Errichtung eines Bankenabwicklungsmechanismus (single resolution mechanism). Die Europäische Kommission hat hierzu im Juli 2013 einen Gesetzgebungsvorschlag vorgelegt. Die Rechtsgrundlage für diesen Vorschlag ist Artikel 114 AEUV. Diese Rechtsgrundlage verlangt für die Beschlussfassung das ordentliche Gesetzgebungsverfahren. Der Vorschlag beinhaltete die Einrichtung eines Bankenabwicklungsfonds, der durch Beiträge von Banken finanziert werden soll. Der gesamte Fonds soll künftig bei Bankenabwicklungen einspringen. Dies bedeutet im Kern, dass die Beiträge aller Banken, die in den Fonds einbezahlt haben, dazu verwendet werden können, eine einzelne Bank abzuwickeln.

Mit diesem Fonds hatte der Rat seine Probleme, weshalb er beschloss, Teile der Regelungen über den Fonds in einen zwischenstaatlichen Vertrag auszulagern. Anstelle der EU sollen die Mitgliedstaaten die Beiträge der Banken einziehen und dem Fonds anschließend übertragen. Die Beiträge sollen zudem für eine Übergangsphase nationalen Abteilungen innerhalb des Fonds zugewiesen werden. Diese nationalen Abteilungen sollen dann sukzessive über einen Zeitraum von zehn Jahren miteinander verschmelzen, indem jährlich jeweils 10 % der Abteilung eines nicht von einer Bankenabwicklung betroffenen Mitgliedstaates für die Abwicklung eingesetzt werden kann. Im Unterschied zum Kommissionsentwurf können dann Beiträge einer deutschen Bank zum Zeitpunkt der Errichtung des Fonds nicht dazu verwendet werden, eine Bank mit Sitz außerhalb Deutschlands abzuwickeln.

Der Präzedenzfall

Die Mitgliedstaaten nehmen mit diesem Beschluss einen massiven Eingriff in die Gemeinschaftsmethode vor. Während der Rat nach den Regeln der Europäischen Verträge entweder konkrete Änderungen an Teilen eines Kommissionsentwurfs vorschlagen kann und dafür eine Mehrheit im Europäischen Parlament suchen muss oder den Entwurf als Ganzes ablehnen kann, nimmt sich der Rat mit seinem Beschluss vom 18. Dezember 2013 das Recht heraus, einen Teil des Kommissionsentwurfs abzulehnen und konkrete Änderungen in einem völkerrechtlichen Vertrag zu beschließen, ohne dafür die notwendige Mehrheit im Europäischen Parlament suchen zu müssen.

Dieser Präzedenzfall ist nichts anderes als ein Konflikt zwischen der Gemeinschaftsmethode und der Unionsmethode. Es stellt sich die Frage, welche Methode sich in diesem Konfliktfall durchsetzt. Aus demokratietheoretischen Erwägungen muss die Antwort klar sein: Gemeinschaftsmethode sticht Unionsmethode. Sieht dies das Europarecht aber auch so?

Eine entscheidende Vorfrage für das Europarecht ist, ob die von der Kommission vorgeschlagenen und vom Rat ausgelagerten Elemente von einer Unionskompetenz erfasst sind. Wäre nämlich der ausgelagerte Teil gar nicht auf der Grundlage einer Unionskompetenz erlassbar, könnte dieser Teil auch nicht im Wege des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens beschlossen werden. Gutachten des Autors und der Juristischen Dienste des Rates und der Kommission haben sich jedenfalls dafür ausgesprochen. Das soll auch die Grundlage für die folgenden Erwägungen sein.

Die Unionstreue und das Demokratieprinzip

Die Unionstreue (Art. 4 Abs. 3 UAbs. 3 EUV) verlangt von den Mitgliedstaaten, alle Maßnahmen zu unterlassen, die die Verwirklichung der Ziele der Union gefährden könnten. Darunter fällt auch das Verbot der Hintertreibung des Unionsrechts. Das ordentliche Gesetzgebungsverfahren und das hierin zum Ausdruck kommende „checks and balances“ zwischen dem Rat, dem Parlament und der Kommission gehören zum Verfassungskern der EU. Die Mitgliedstaaten dürfen daher das ordentliche Gesetzgebungsverfahren, wenn es einmal eingeleitet wurde, nicht hintertreiben. Die Rechte des Rates sind in diesem Verfahren klar definiert und begrenzt. Würden die Mitgliedstaaten trotz Einleitung des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens durch einen Kommissionsvorschlag noch die Wahlfreiheit zwischen der Gemeinschaftsmethode und der Unionsmethode haben, wäre dieses wohl austarierte System von „checks and balances“ bedeutungslos.

Das Demokratieprinzip gilt auch in der Europäischen Union (Art. 10 Abs. 1 EUV). Hierzu hat der EuGH klar und deutlich entschieden:

„Die wirksame Beteiligung des Parlaments am Gesetzgebungsverfahren der Gemeinschaft gemäß den im EG-Vertrag vorgesehenen Verfahren stellt […] ein wesentliches Element des vom EG-Vertrag gewollten institutionellen Gleichgewichts dar. Diese Befugnis ist Ausdruck des grundlegenden demokratischen Prinzips, daß die Völker durch eine repräsentative Versammlung an der Ausübung der Hoheitsgewalt beteiligt sind“ (Rs. C-392/95, Europäisches Parlament gegen Rat, Slg. 1997, I-3213 Rn. 14).

Die wirksame Beteiligung des Europäischen Parlaments, die vom ordentlichen Gesetzgebungsverfahren vorgesehen ist, darf deshalb von den Mitgliedstaaten nicht dadurch verhindert werden, dass der Rat Teile eines Kommissionsvorschlags in einen zwischenstaatlichen Vertrag auslagert, wenn diese Teile von einer Unionskompetenz abgedeckt sind.

Die geteilte Kompetenz

Einem Vorrang der Gemeinschaftsmethode kann die Kompetenzverteilung zwischen der Union und den Mitgliedstaaten entgegen gehalten werden (Art. 2 Abs. 2 AEUV). Hiernach nehmen die Mitgliedstaaten „ihre Zuständigkeit wahr, sofern und soweit die Union ihre Zuständigkeit nicht ausgeübt hat.“ Die Mitgliedstaaten verlieren demnach ihre Zuständigkeit erst mit dem Inkrafttreten eines Unionsrechtsakts. Wenn die Mitgliedstaaten damit während des Gesetzgebungsverfahrens noch über ihre Zuständigkeiten verfügen, dann können sie diese auch für den Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrags nutzen.

Dieser Gedanke greift jedoch zu kurz. Auch wenn die mitgliedstaatliche Kompetenz erst mit dem Inkrafttreten eines Unionsrechtsaktes zurücktritt, so treffen die Mitgliedstaaten dennoch bereits während des Gesetzgebungsverfahrens Stillhalteverpflichtungen. Sie dürfen ihre Gesetzgebungskompetenz dann nicht mehr nutzen, um den europäischen Rechtsetzungsprozess zu hintertreiben. Ab welchem Zeitpunkt eine solche Stillhalteverpflichtung entsteht, hat der EuGH bislang noch nicht zu entscheiden gehabt. In einem anderen Verfahren, in dem es darum ging, ob ein Mitgliedstaat noch einseitig einen multilateralen völkerrechtlichen Vertrag ändern darf, wenn die EU auf dem Gebiet des Vertrags aufgrund einer eigenen auswärtigen Kompetenz aktiv werden möchte, entschied der EuGH, dass eine Stillhalteverpflichtung der Mitgliedstaaten entsteht, „wenn die Kommission dem Rat Vorschläge unterbreitet hat, die, obgleich sie vom Rat nicht angenommen worden sind, den Ausgangspunkt eines abgestimmten gemeinschaftlichen Vorgehens darstellen“ (Rs. C-246/07, Kommission gegen Schweden, Slg. 2010, I-3317 Rn. 74).

Überträgt man diese Erwägungen auf das ordentliche Gesetzgebungsverfahren, dann entsteht eine Stillhalteverpflichtung der Mitgliedstaaten, keine anderen internationalen Rechtsetzungsverfahren als das ordentliche Gesetzgebungsverfahren anzustoßen, sobald die Kommission das Verfahren mit einem Gesetzgebungsvorschlag eingeleitet hat.

Gemeinschaftsmethode sticht Unionsmethode

Eine Gesamtschau dieser rechtlichen Argumente macht damit deutlich, dass das Europarecht das Ergebnis stützt, zu dem auch demokratietheoretische Erwägungen hinführen: Die Rechte des Europäischen Parlaments stehen nicht im Ermessen der Mitgliedstaaten. Teilelemente eines Gesetzgebungsvorschlags der Kommission, die von einer Unionskompetenz, die ein ordentliches Gesetzgebungsverfahren verlangt, abgedeckt sind, können nicht in einen zwischenstaatlichen Vertrag ausgelagert werden. Gemeinschaftsmethode sticht Unionsmethode.

Es ist deutlich geworden, dass die Diskussionen über die eher technisch anmutenden Fragen danach, wer Beiträge von Banken für die Finanzierung eines Bankenabwicklungsfonds erheben darf und wie diese Gelder innerhalb des Fonds genutzt werden können, eine politische und demokratietheoretische Dimension haben. Es ist der Präzedenzfall, der darüber entscheidet, ob die Mitgliedstaaten im Rat die Entscheidungsfreiheit darüber haben, die Rechte des Europäischen Parlaments in der Gemeinschaftsmethode zu beachten oder Teilfragen, bei denen die Ratsposition wahrscheinlich vom Parlament abgelehnt werden würde, einfach in einen zwischenstaatlichen Vertrag und damit in die Unionsmethode verschieben zu können. Die Ratifikation in den mitgliedstaatlichen Parlamenten kann jedenfalls mangels Einflussmöglichkeiten dieser Parlamente auf den Inhalt des Vertrags den Mangel an demokratischer Beteiligung auf europäischer Ebene nicht heilen.

Der Beitrag ist in leicht geänderter Fassung zuerst auf dem Blog Arbeit&Wirtschaft erschienen. Der Autor berät die Fraktion der Grünen im Europäischen Parlament bei rechtlichen Fragen der Bankenregulierung.