02 March 2024

Das Bundesgesetzblatt im digitalen Zeitalter

Wurde der Bundeshaushalt 2024 ordnungsgemäß verkündet?

Nach langen Verhandlungen wurde am 12. Februar 2024 endlich ein Bundeshaushalt für 2024 im Bundesgesetzblatt (BGBl. 2024 I Nr. 38) verkündet. Aber was genau wurde da verkündet? 12 Seiten Haushaltsgesetz und als Anlage 12 Seiten Gesamtplan, eine Zusammenfassung des Haushaltsplans. Von den – eigentlich interessanten – ausführlichen Festsetzungen auf ca. 3100 Seiten Einzelplänen keine Spur. Das entspricht ständiger Staatspraxis „zur Vermeidung einer übermäßigen Belastung des Bundesgesetzblattes“1). Aber seitdem das letzte Mal ein Bundeshaushalt verkündet wurde,2) hat sich ein entscheidender Faktor geändert: Das Bundesgesetzblatt erscheint elektronisch und braucht damit keine Entlastung mehr. Die nur teilweise Verkündung des Bundeshaushalts 2024 ist daher nicht gerechtfertigt.

Ausnahme vom Vollständigkeitsgebot in der Staatspraxis

Anerkanntermaßen gebietet das Rechtsstaatsgebot, Rechtsnormen vollständig zu verkünden,3) sodass ihr Wortlaut eindeutig amtlich feststeht und sich jeder darüber informieren kann. Zu dieser Verkündung formuliert Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG streng: „Die […] Gesetze werden […] im Bundesgesetzblatt verkündet.“ Das Haushaltsgesetz ist ein formelles Gesetz, Art. 110 Abs. 2 S. 2 GG, sodass es in den Anwendungsbereich der Vorschrift fällt. Trotzdem geht man nach „seit langem herrschende[r] Übung“4) anders vor: Es wird nur das Haushaltsgesetz verkündet, das auf eine Anlage verweist. Diese Anlage wiederum besteht nur aus dem Gesamtplan, der den Haushaltsplan gewissermaßen zusammenfasst; die Einzelpläne fehlen (zu dieser Aufteilung § 13 BHO).

Wer das ganze Zahlenwerk haben will, hat mehrere Möglichkeiten: Er kann es sich beim Bundesanzeiger Verlag als Buch (mehrere Bände) bestellen.5) Außerdem sind Entwurf und weitere Beratungen des Haushaltsplans über die öffentlichen Bundestagsdrucksachen einsehbar, allerdings keine konsolidierte Version. Heutzutage veröffentlicht das Bundesministerium der Finanzen die vollständigen Haushaltspläne für die Jahre seit 2005 auch auf einer eigenen Webseite. Die Einzelpläne sind also trotz der fehlenden Verkündung im Bundesanzeiger öffentlich verfügbar – auch wenn das Bundesgesetzblatt keineswegs auf diese Informationswege verweist. Allerdings hat das Bundesministerium der Finanzen mehr als eine Woche nach Verkündung gebraucht, um den beschlossenen Bundeshaushalt 2024 im Internet zu veröffentlichen.

Obwohl diese Praxis in Spannung zum Wortlaut von Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG steht, billigte sie das Bundesverfassungsgericht 1966 mit Verweis auf die vorkonstitutionelle Tradition und der Erwägung, „daß die Verkündung aller Kapitel einschließlich ihrer Titel zu einer übermäßigen Belastung des Verkündungsblattes führen würde.“ (BVerfGE 20, 56, 93) Das Haushaltsgesetz und der Gesamtplan nähmen Bezug auf die anderweitig öffentlich verfügbaren Einzelpläne, darin liege „eine dem Art. 82 Abs. 1 GG genügende Verkündung auch der Einzelpläne.“ (ebd.) Diese Argumentation ist in der Literatur weitgehend anerkannt.6)

Der Gesetzgeber hat diese Praxis bei der Neuordnung des Haushaltswesens 1969 kodifiziert. Seither bestimmt § 1 S. 2 BHO: „Mit dem Haushaltsgesetz wird nur der Gesamtplan (§ 13 Abs. 4) verkündet.“ Zur Begründung stellte der Regierungsentwurf nur lapidar fest: „eine Änderung gegenüber der bisherigen Praxis ist damit nicht verbunden.“ (BT-Drs. 5/3040, S. 59)

Änderung der Umstände durch die elektronische Verkündung

Über viele Jahrzehnte hinweg gab es einen sachlichen Grund für diese einschränkende Auslegung des Verkündungsgebots: Nicht die Unwichtigkeit der Veröffentlichung der Einzelpläne kam darin zum Ausdruck7), sondern das Gebot ökonomischer Sparsamkeit, das verbietet, den Umfang des gedruckten Bundesgesetzblatts durch das Haushaltsgesetz zu verdoppeln.

Seit dem 1. Januar 2023 erscheint das Bundesgesetzblatt aber in elektronischer Form (Art. 82 S. 2, 4 GG n. F., § 2 Abs. 1 VkBkmG Bund). Damit spielt der Umfang des Bundesgesetzblatts auf einmal fast keine Rolle mehr. Ob ein PDF-Dokument 30 oder 3000 Seiten hat, macht für die technischen Abläufe keinen wesentlichen Unterschied: niemand muss ihn nicht interessierende Seiten ausdrucken; der Mehrbedarf an belegtem Speicherplatz ist angesichts heutiger Festplattengrößen vernachlässigbar. Das erkannte auch der Gesetzgeber, der in diesem Zusammenhang die Verkündung aller Rechtsverordnungen aus Bundesanzeiger und Verkehrsblatt in das Bundesgesetzblatt zurückholte. Gerade bei den umfangreichen und in ihrem Anwendungsbereich speziellen Verordnungen, die im Verkehrsblatt verkündet wurden, hatte die bisherige Praxis ebenfalls dazu gedient, das Bundesgesetzblatt zu verschlanken. Jetzt aber heißt es: „Wird das Bundesgesetzblatt elektronisch ausgegeben und auf die Einzelverkündung umgestellt, trägt die Entlastung des Bundesgesetzblatts nicht mehr als Sachgrund.“ (Regierungsentwurf BT-Drs. 20/3068, S. 23)

Dass diese Erwägung auch den Haushaltsplan betrifft, hat der Gesetzgeber aber offenbar nicht bedacht, und so ordnet § 1 S. 2 BHO weiterhin die nur teilweise Verkündung des Haushaltsgesetzes im Bundesgesetzblatt an. Entsprechend wurde beim Bundeshaushalt 2024 verfahren.

Kann aber die dahinterstehende einschränkende Auslegung des Art. 82 Abs. 1 GG aufrechterhalten werden? Nach dem oben dargelegten Wegfall des Sachgrunds der Entlastung des Bundesgesetzblatts bleibt nur noch die entsprechende Tradition vor und nach Inkrafttreten des Grundgesetzes. Deren Wert – selbst als eventuelles Verfassungsgewohnheitsrecht8) – kann aber von einer einschneidenden Veränderung der Umstände kaum unberührt bleiben. Damit sind verfassungsrechtliche Zweifel an der ordnungsgemäßen Verkündung des Bundeshaushalts 2024 angebracht.

1 S. 2 BHO ließe sich allenfalls als Ausfüllung des Gesetzesvorbehalts lesen, den der verfassungsändernde Gesetzgeber in Art. 82 Abs. 1 S. 4 GG eingefügt hat, um die elektronische Verkündung zu ermöglichen: „Das Nähere zur Verkündung und zur Form von Gegenzeichnung und Ausfertigung von Gesetzen und Rechtsverordnungen regelt ein Bundesgesetz.“ Allerdings kann das „Nähere zur Verkündung“ kaum ein Verzicht auf die rechtsstaatlich gebotene Verkündung ohne sachlichen Grund bedeuten; dem verfassungsändernden Gesetzgeber ging es um die Einzelheiten der elektronischen Form. In § 1 S. 2 BHO ist auch nicht niedergelegt, in welcher anderen Weise (etwa durch Vertrieb über den Buchhandel) die Verkündung der Einzelpläne geschehen solle. Schließlich bestimmt Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG ausdrücklich die Verkündung im Bundesgesetzblatt und nicht über andere – und seien es gesetzlich angeordnete – Kanäle.

Fazit und Blick auf die Länder

Es fehlt damit heute an einer rechtlich tragfähigen Begründung für die Ausnahme vom Vollständigkeitsgebot bei der Verkündung des Haushaltsgesetzes, denn der Sachgrund für die bisherige Staatspraxis der teilweisen Verkündung ist mit der Einführung der elektronischen Verkündung entfallen. Das Bundeshaushaltsgesetz 2024 wurde folglich nicht ordnungsgemäß verkündet; auf Rechtsfolgenebene ergeben sich schwierige Fragen der Teilnichtigkeit. Es ist dringend zu raten, den § 1 S. 2 BHO zu streichen, die Verkündungspraxis umzustellen und das Haushaltsgesetz zukünftig mit allen Einzelplänen vollständig zu verkünden.

Ähnliche Anfragen müssen sich auch mehrere Bundesländer stellen lassen, die ebenfalls elektronisch verkünden, beim Haushaltsgesetz aber nur den Gesamtplan.9) Allein das Saarland verkündet den gesamten Haushaltsplan (z. B. Amtsbl. I 2023, Nr. 56, S. 1195) – obwohl § 1 S. 2 LHO Saarland unverändert etwas anderes vorsieht.

Die Länder, die weiterhin gedruckte Gesetzblätter nutzen, sind von diesem Problem nicht direkt betroffen. Auch sie sollten allerdings darüber nachdenken, wie man im Zeitalter der Digitalisierung die Öffentlichkeit des Haushaltsplans am besten herstellt. Ein einfacher Link im Gesetzblatt könnte dabei erheblich zur Transparenz beitragen.

References

References
1 Bauer, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, 3. Aufl. 2015, Art. 82 Rn. 19.
2 BGBl. I 2022, S. 2485; für den Nachtragshaushalt vom 22. Dezember 2023 (BGBl. 2023 I Nr. 407) gilt das im folgenden erläuterte Problem.
3 BVerfGE 65, 283, 291; Butzer, in: Dürig/Herzog/Scholz (Hrsg.), Grundgesetz, Stand 102. EL August 2023, Art. 82 Rn. 237; ausführlich zu den besonderen Zwecken der Öffentlichkeit gerade des Haushaltsplans Neumark, Der Reichshaushaltplan, 1929, S. 351 ff.
4 BVerfGE 20, 56, 93; Heckel, in: HdbDStR Bd. 2, 1932, S. 392, 403 kennt das schon als ständige Praxis; Neumark, Der Reichshaushaltplan, 1929, S. 358 ff. beschreibt ausführlich die damalige Praxis der Öffentlichkeit des Haushaltsplans: zentral war der als Buch erhältliche Entwurf der Regierung, ein vollständiges konsolidiertes Exemplar des beschlossenen Haushaltsplans gab es nicht einmal verwaltungsintern, geschweige denn in der Öffentlichkeit.
5 Jedenfalls war das noch zwei Wochen vor Erscheinen dieses Beitrags bei seiner Konzernschwester Reguvis möglich. Dieses Angebot ist inzwischen im Online-Shop des Verlags verschwunden.
6 Bauer, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, 3. Aufl. 2015, Art. 82 Rn. 19; Butzer, in: Dürig/Herzog/Scholz (Hrsg.), Grundgesetz, Stand 102. EL August 2023, Art. 82 Rn. 237; Lewinski, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand 222. Aktualisierung Dezember 2023, Art. 82 Rn. 207 f.; Gröpl, in: ders. (Hrsg.), Bundeshaushaltsordnung/Landeshaushaltsordnungen, 2. Aufl. 2019, § 1 Rn. 59 f.; nur auf die anderweitige Veröffentlichung und die Tradition abstellend: Hillgruber/Drüen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Grundgesetz, 7. Aufl. 2018, Art. 110 Rn. 110; aA: „Entlastung von nicht interessierten Beziehern des BGBl“ reiche als Rechtfertigung nicht aus, Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 9. Aufl. 2021, Art. 110 Rn. 86; die Praxis sei mit dem Wortlaut nicht vereinbar, man könne und müsse die Einzelpläne in – ggf. gesondert anzufordernden – Sonderbänden des Bundesgesetzblatts abdrucken, Oldenburg, Die Öffentlichkeit von Rechtsnormen, 2009, S. 186.
7 So einen Begründungsansatz hatte noch Heckel, in: HdbDStR Bd. 2, 1932, 392, 403, der die Haushaltsfeststellung als staatsinternen Akt wahrnahm, bei dem die Publikation nur ein „öffentliches Zeugnis“ darstellt, dass die Haushaltsfeststellung verfassungsgemäß geschehen ist, ohne dass es auf den konkreten Inhalt ankäme. Diese Argumentation hat das Bundesverfassungsgericht und die ihm folgende Literatur aber nicht wieder aufgegriffen.