23 November 2021

Das Cannabis-Dilemma

Rechtliche Hürden der Cannabis-Legalisierung in Deutschland und Europa

Die zukünftige deutsche Bundesregierung will Cannabis legalisieren. Aus kriminologischer Sicht eine richtige Entscheidung. Gesundheitspolitisch bleibt es umstritten, etwa was die schädliche Wirkung auf Jugendliche angeht, doch auch hier scheint die herrschende Meinung in Richtung Legalisierung zu tendieren. Wie das alles konkret umgesetzt werden soll, wird sich zeigen. Worüber erstaunlich wenig diskutiert wird, ist die Frage, ob die Legalisierung rechtlich überhaupt realisierbar ist. Europa- und völkerrechtlich bestehen hohe Hürden, die eine vollständige Legalisierung von Cannabis sehr schwierig, wenn nicht sogar unmöglich machen.

Illegal durch die Hintertür

In Deutschland scheint die Ansicht zu überwiegen: wenn es die Niederländer können, können wir das auch – wahrscheinlich sogar besser. Der Plan der Koalition, nicht nur die Abgabe, sondern auch Produktion und Einkauf durch die Endanbieter rechtlich zu regeln ist dabei der wohl wichtigste Punkt der Gesetzesreform. Gerade hier will man die Fehler der Niederländer vermeiden. Dort wurde in den 70er Jahren der Verkauf und Konsum von Cannabis legalisiert, genauer gesagt toleriert. Bis heute aber hat man versäumt, legale Wege für die Coffeeshops zu schaffen, das zum Verkauf bestimmte Cannabis auch einzukaufen. Anbau und Handel blieben stets (und sind bis heute) illegal. ‚Hintertürproblematik‘ nennt man dies in den Niederlanden: Zur Vordertür geht Cannabis quasi-legal hinaus, zur Hintertür kommt es illegal hinein. In diese Lücke stießen die Drogenbanden, die das Cannabis für den rasch wachsenden niederländischen Markt aus Marokko und der Türkei schmuggelten. Innerhalb weniger Jahre wurde ein komplexes Vertriebssystem aufgebaut, das nicht nur die niederländischen Coffeeshops sondern ganz Europa belieferte. Irgendwann diversifizierten die Drogenbanden ihr Geschäft: Ecstasy, Kokain und Heroin kamen hinzu. Heute sind die Niederlande eines der bedeutendsten Transitländer im globalen Drogenhandel. Die schädlichen Nebenwirkungen sind längst im Land zu spüren: Seit Jahren schwelt ein brutaler Konflikt unter den Drogenbanden. Liquidationen auf offener Straße mit voll-automatischen Waffen sind an der Tagesordnung. Oft sterben auch Unbeteiligte oder werden schwer verletzt. 2020 traf es den Strafverteidiger eines Kronzeugen in einem großen Strafprozess gegen die sogenannte ‚Mocro-Mafia‘, ein marokkanisch-stämmiges Netzwerk von organisierten Kriminellen. Der traurige Höhepunkt war die Ermordung des bekannten Investigativjournalisten Peter R. de Vries im Sommer 2021.

Aus Fehlern lernen

Es wäre unredlich, die Niederlande als abschreckendes Beispiel generell gegen die Legalisierung von Cannabis anzuführen. Die Kriminalitätssituation ist komplex, direkte Vergleiche mit Deutschland schwierig. Doch es gibt auch einige Parallelen vor allem was die grenzüberschreitende Kriminalität angeht. Aus deutscher Sicht lohnt es sich dennoch, einen genauen Blick auf die Niederlande zu werfen, um Fehler zu vermeiden. Die Paradoxien und rechtlichen Fallstricke der Cannabislegalisierung in den Niederlanden sind zusammenfassend in dem EuGH Urteil vom 16.12.2010 Josemans gegen den Burgermeester van Maastricht dargestellt. Inhaltlich ging es in dem Urteil um den Kläger Josemans, dem Betreiber eines Coffeeshops in Maastricht, der sich gegen die Schließung seines Etablissements durch die Stadt zur Wehr setzte. Der Bürgermeister hatte verfügt, dass der Zutritt zu Coffeeshops nur Personen gestattet werden dürfe, die wohnhaft in den Niederlanden seien. Der Kläger hatte gegen diese Regelung verstoßen und machte geltend, dass diese Regelung zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung von Unionsbürgern führe. Die Stoßrichtung der Maastrichter Regelung, die in vielen grenznahen Städten weiterhin besteht, war eindeutig: Man wollte den lebhaften Drogentourismus aus Deutschland, Frankreich und Belgien eindämmen. Im Ergebnis wurde Josemans Klage übrigens abgewiesen. Die Gründe dafür sollen an dieser Stelle aber nicht weiter interessieren. Viel wichtiger hingegen sind die Ausführungen des EuGH zur europarechtlichen und völkerrechtlichen Fragen der Cannabislegalisierung.

Zunächst bezieht sich der EuGH auf das Schengen-Übereinkommen von 1990.

Nach Art. 71 Abs. 1 dieses Übereinkommens verpflichten sich die Vertragsparteien, in Bezug auf die unmittelbare oder mittelbare Abgabe von Suchtstoffen und psychotropen Stoffen aller Art einschließlich Cannabis und den Besitz dieser Stoffe zum Zwecke der Abgabe oder Ausfuhr unter Berücksichtigung der bestehenden Übereinkommen der Vereinten Nationen alle notwendigen Maßnahmen zu treffen, die zur Unterbindung des unerlaubten Handels mit Betäubungsmitteln erforderlich sind. (Rn. 8)

Der EuGH verweist explizit also darauf, dass Ausfuhr und Abgabe von Cannabis im Schengenraum zu unterbinden sind. Auch das Unionsrecht sieht in Art. 2 Abs. 1 Buchst. a des Rahmenbeschlusses 2004/757 vor:

[…] dass jeder Mitgliedstaat die erforderlichen Maßnahmen trifft, um sicherzustellen, dass u. a. folgende vorsätzliche Handlungen unter Strafe gestellt werden, wenn sie ohne entsprechende Berechtigung vorgenommen wurden: das Anbieten, Feilhalten, Verteilen, Verkaufen, Liefern — gleichviel zu welchen Bedingungen — und Vermitteln von Drogen. (Rn. 39)

Unter Bezugnahme auf das am 21. Februar 1971 in Wien abgeschlossene Übereinkommen der Vereinten Nationen über psychotrope Stoffe wird unter Drogen auch Cannabis gefasst. Diese Rechtslage stehe auch im Einklang mit verschiedenen internationalen Übereinkommen. Weiter stellt der EuGH klar:

Da die Schädlichkeit von Betäubungsmitteln, einschließlich derjenigen auf Hanfbasis, allgemein anerkannt ist, ist ihr Inverkehrbringen in allen Mitgliedstaaten verboten; lediglich ein streng überwachter Handel, der der Verwendung für medizinische und wissenschaftliche Zwecke dient, ist davon ausgenommen […] (Rn. 37)

Wie haben die Niederländer ihr Cannabis legalisiert?

Soweit, so eindeutig. Angesichts dieser hohen europa- und völkerrechtlicher Barrieren stellt sich die Frage, wie es dann die Niederländer dennoch geschafft haben, den Verkauf von Cannabis zum Freizeitvergnügen (also nicht allein zu medizinischen und wissenschaftlichen Zwecken) zu legalisieren?

Das niederländische Betäubungsmittelrecht (Opiumwet) verbietet in Artikel 2 ausdrücklich den Besitz von Betäubungsmitteln, einschließlich Cannabis und dessen Derivaten (Art. 3) mit Ausnahme zu medizinischen oder wissenschaftlichen Zwecken und unter der Voraussetzung einer vorherigen Genehmigung. Dass niederländische Behörden den Verkauf in Coffeeshops dennoch tolerieren (sog. gedoogbeleid) basiert auf dem sog. Opportunitätsprinzip.

Dieses ist auch dem deutschen Recht nicht unbekannt, wenn es auch in weit geringerem Maße Anwendung findet als dies in den Niederlanden der Fall ist. Das Opportunitätsprinzip gibt den niederländischen Ermittlungsbehörden einen Ermessenspielraum bei der Frage, welche Straftaten sie verfolgen und welche nicht. Dabei können eine Reihe von Gesichtspunkten eine Rolle spielen, etwa kriminalpolitische Prioritäten, Kapazitätsgründe, Erfolgsaussichten der Aufklärung, Effizienzgesichtspunkte oder die Schwere der zu verfolgenden Straftaten. Gemeinsam definieren Bürgermeister, Polizei und Staatsanwaltschaften an runden Tischen (sog. wegploegen) Schwerpunkte der Strafverfolgung nach den vorgenannten Kriterien. Alles was nicht darunter fällt bleibt liegen, soll heißen: wird nicht verfolgt.

Die ganze Tragweite des Opportunitätsprinzips wird aber erst deutlich, wenn man das in Deutschland geltende Gegenstück dazu in den Blick nimmt: das Legalitätsprinzip. Vereinfacht gesagt zwingt dieses die deutschen Strafverfolgungsbehörden, jede ihnen zur Kenntnis gelangte Straftat zu verfolgen. Das Prinzip, das auf Feuerbach und sein Werk zum peinlichen Strafrecht aus dem Jahr 1801 zurückgeht, ist tief verwurzelt im deutschen Verständnis von Rechtsstaatlichkeit. Mit diesem sollen der Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz aus Art 3 I GG sowie die Verpflichtung des Staates zur effektiven Strafverfolgung verwirklicht werden. Verankert ist das Prinzip in zahlreichen gesetzlichen Bestimmungen (z.B. § 152 II und §§ 160, 163 StPO). Dass es das deutsche Recht damit ernst meint, spiegelt sich darin wider, dass Ermittlungsbeamte sich der Strafvereitelung strafbar machen können, wenn sie nicht ermitteln (siehe § 258a StGB) sowie durch das Klageerzwingungsverfahren gemäß § 172 StPO, das den Bürgern ein Instrument an die Hand gibt, eine Strafverfolgung gerichtlich durchzusetzen.

Aber auch mit Blick auf das Legalitätsprinzip gilt der alte Satz: Die Suppe wird nicht so heiß gegessen wie gekocht. Nicht jede noch so kleine Straftat wird in Deutschland mit der vollen Härte des Gesetzes verfolgt – auch wenn dies Politiker die Bürger oft Glauben machen wollen. Es gibt eine Reihe von Ausnahmen zum Strafverfolgungszwang, wo also das Opportunitätsprinzip gilt und insbesondere der Staatsanwaltschaft ein Ermessensspielraum eingeräumt wird. Beispiele sind neben den §§ 153 ff. StPO etwa Bagatellklauseln, die auch und gerade in Bezug auf Cannabis gelten. So wird der Besitz einer geringen Menge, welche je nach Bundesland variieren kann, durch die Polizei nicht verfolgt. Vor allem aber in der Praxis stößt das Legalitätsprinzip an seine Grenzen: Ein beträchtlicher Teil der Ermittlungsverfahren in Deutschland enden nach einigen Monaten (oder Jahren) mit einem Einstellungsbescheid der Staatsanwaltschaft. Das Ergebnis ist also oft das gleiche wie in den Niederlanden, nur dass die niederländischen Behörden sich den bürokratischen Aufwand eines förmlichen Ermittlungsverfahrens von vornherein sparen.

Die Schizophrenie niederländischer Cannabislegalisierung

Was bedeutet das mit Blick auf die Frage der Legalisierung von Cannabis in Deutschland? Erneut lohnt sich der Blick in die Urteilsbegründung des EuGH. Darin heißt es zunächst, dass die Einführung von Betäubungsmitteln außerhalb eines streng überwachten Handels im Rahmen des Verkaufs in Coffeeshops in den Wirtschafts- und Handelsverkehr der Union verboten ist (Rn. 42):

Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass das Königreich der Niederlande, wie sich aus den Randnrn. 12 bis 14 des vorliegenden Urteils ergibt, eine Politik der Toleranz gegenüber dem Verkauf von Cannabis anwendet, obwohl der Handel mit Betäubungsmitteln in diesem Mitgliedstaat verboten ist. Denn nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs wird dieses Verbot nicht dadurch eingeschränkt, dass die mit seiner Durchsetzung betrauten Behörden in Anbetracht der begrenzten personellen und materiellen Ausstattung der Verfolgung einer bestimmten Art des Drogenhandels eine geringere Priorität einräumen, weil sie andere Arten für gefährlicher halten. Eine solche Haltung kann insbesondere nicht zur Gleichstellung des unerlaubten Drogenhandels mit dem von den zuständigen Stellen streng überwachten Handel im medizinischen und wissenschaftlichen Bereich führen. Dieser Handel ist nämlich tatsächlich legalisiert, während der unerlaubte Handel, selbst wenn er in bestimmten Grenzen toleriert wird, verboten bleibt. […]

Diese zwei Absätze des Urteils bringen die Schizophrenie eines halben Jahrhunderts niederländischer Cannabislegalisierung auf den Punkt. Der Verkauf von Cannabis in Coffeeshops ist nur möglich, weil man sich zum Ziel setzte, den Handel im großen Stil zu verfolgen – also eben jenen Handel, der den Verkauf im Kleinen überhaupt erst möglich machte. Voraussetzung dafür ist das Opportunitätsprinzip. Nur dies ermöglicht diese Prioritätensetzung in der Strafverfolgung. Es ergaben sich also zwei Probleme, die man zwar früh erkannte, aber dennoch ignorierte: zum ersten fallen unter die gefährlichen Arten des Drogenhandels eben Produktion und Handel von Cannabis zu nicht-wissenschaftlichen und nicht-medizinischen Zwecken. Auch wenn seit Jahrzehnten über lizensierten Anbau unter staatlicher Kontrolle geredet wird, ist dies im Kern eine Scheindebatte. Internationales Recht steht dem eindeutig entgegen. Zum zweiten aber stößt mit Blick auf den lizensierten Anbau auch das Opportunitätsprinzip an die Grenzen. Es ermöglicht zwar die Tolerierung des Verkaufs von kleinen Mengen. Auch über eine Handvoll Zimmerpflanzen für den Eigenbedarf lässt sich problemlos hinwegsehen. Das Ermessen ist aber dann überschritten, wenn es um den Anbau im großen Stil geht, um ganze Plantagen und Containerladungen von Cannabis, die im Hafen von Rotterdam gelöscht werden. Produktion und Handel im großen Stil sind auch nach dem relativ laxen niederländischen Betäubungsmittelrecht schwere Straftaten, die sich nicht einfach über das staatsanwaltliche Ermessen wegdefinieren lassen.

Um also einerseits den internationalen Verpflichtungen gerecht zu werden und andererseits den Verkauf in den Coffeeshops zu sichern, praktiziert die niederländische Polizei seit Jahren einen Balanceakt: Immer mal wieder werden die illegalen Plantagen im Land hochgenommen und Container in den Häfen abgefangen. Gern erzählt man etwa von den kreisenden Polizeihubschraubern über niederländischen Städten beim ersten Schneefall des Jahres: So ist es ein Leichtes, die wärmeintensiven Dachgeschossplantagen zu identifizieren. Dort schmilzt der Schnee zuerst. Die Bürgermeister sind befugt, diese Drogenhäuser schließen zu lassen und die Bewohner über mehrere Monate auf die Straße zu setzen. ‚Damocles‘ nennt man dies in der Praxis. In 2019 allein sollen es 1250 Schließungen gewesen sein. Das sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Strafverfolgung eher anekdotischen Charakter hat. Zu Lieferengpässen in den Coffeeshops hat sie nie geführt. Zudem liegen die Prioritäten der Strafverfolger auf den um ein vielfaches gefährlicheren harten Drogen. Die durch den Cannabishandel geschulten Drogenbanden haben das Land als europäisches Drehkreuz des Kokainhandels etabliert. Die südliche Provinz Limburg ist zu einem Silicon Valley der Ecstasy-Produktion geworden. Dass man dies lange nicht wahrhaben wollte, ist ein Kollateralschaden dieser schizophrenen Strafverfolgung.

Hoffnung wider Realitätscheck

Was bedeutet dies für die Legalisierung von Cannabis in Deutschland? Nichts Gutes, steht zu befürchten, solange die internationalen Verträge sind, wie sie sind. Die große Koalition kann nicht einfach Cannabis aus dem Strafrecht streichen und damit Produktion, Verkauf und Konsum entkriminalisieren. Alles außerhalb der medizinischen und wissenschaftlichen Nutzung und kleiner Mengen zum Eigenbedarf würden schlicht und ergreifend gegen europäisches und internationales Recht verstoßen. Andererseits steht Deutschland auch nicht der Weg einer Tolerierung über das Opportunitätsprinzip offen, wie es bei den Niederländern praktiziert wird. Wie soll der großangelegte und lizenzierte Anbau toleriert werden, wenn nicht einmal die rechts-pragmatischen Niederländer dies geschafft haben?

Diesen Widerspruch aufzulösen, wird juristisch schwierig. Diese Erfahrung hat Luxemburg gerade erst machen müssen. Das kleine Nachbarland war 2018 mit dem Versprechen angetreten, eine konsequente Cannabislegalisierung durchzusetzen. Heute, drei Jahre später, ist von diesem großen Wurf nicht mehr viel übrig: Der Konsum im privaten Bereich wird erlaubt. Ein paar Pflänzchen darf man sich im heimischen Wohnzimmer ziehen. Alles andere bleibt illegal. Ob die großen Ambitionen der deutschen Regierungskoalition einen ähnlichen Realitätscheck erfahren werden, bleibt abzuwarten. Eine Legalisierung light wie in Luxemburg dürfte dabei wohl schon rauskommen. Für eine saubere Lösung des Cannabis-Dilemmas kommen wir um eine Änderung europäischen und internationalen Rechts nicht herum. Dass dies innerhalb der Legislaturperiode zu bewerkstelligen ist, scheint wenig realistisch. Allerdings: Realismus war noch nie prägendes Element der Cannabispolitik. Man sollte die Hoffnung also nicht aufgeben.


SUGGESTED CITATION  Hofmann, Robin: Das Cannabis-Dilemma: Rechtliche Hürden der Cannabis-Legalisierung in Deutschland und Europa, VerfBlog, 2021/11/23, https://verfassungsblog.de/das-cannabis-dilemma/, DOI: 10.17176/20211123-205049-0.

13 Comments

  1. Carl Tue 23 Nov 2021 at 19:52 - Reply

    Steht das Schengen-Abkommen dem wirklich entgegen? Gemäß Art. 71 I wird dem Text nach lediglich die Pflicht begründet, den unerlaubten Handel zu unterbinden. Eine Legalisierung des Handels wäre somit gewissermaßen die effektivste Maßnahme, da es danach keinen unerlaubten Handel mehr gibt. Gleiches bezüglich “unerlaubter” Ausfuhr in Abs. 2.
    Auch die Anforderungen des Rahmenabkommens lassen sich erfüllen, wenn man die entsprechende Berechtigung schafft.
    Rechtssicher ist diese Argumentation sicherlich aber nicht…

    • Mark Obrembalski Mon 29 Nov 2021 at 16:42 - Reply

      Art. 71 des Schengen-Durchführungsabkommens dürfte einer (kontrollierten) Cannabisfreigabe in Deutschland tatsächlich nicht direkt entgegenstehen, denn er verpflichtet die Staaten nur, eben für die Unterbindung unerlaubten Handels zu sorgen. Angesichts des Zwecks des Schengen-Abkommens, “das (…) Bestreben der Abschaffung der Kontrollen des Personenverkehrs an den gemeinsamen Grenzen und der Erleichterung des Transports und des Warenverkehrs zu verwirklichen” (Präambel) geht es dabei wohl nicht so sehr um den innerstaatlichen Handel, sondern vor allem um den Handel, der auch andere Schengen-Staaten betrifft oder betreffen kann. Dazu passt auch die Bestimmung des Art. 76 Abs. 1:

      “Die Vertragsparteien treffen soweit erforderlich unter Berücksichtigung ihrer ärztlichen, ethischen und praktischen Gepflogenheiten die geeigneten Maßnahmen für die Kontrolle von Suchtstoffen und psychotropen Stoffen, die im Hoheitsgebiet einer oder mehrerer Vertragsparteien strengeren Kontrollen als in ihrem eigenen Hoheitsgebiet unterliegen, damit die Wirksamkeit dieser strengeren Kontrollen nicht beeinträchtigt wird.”

      Dass Stoffe in den einzelnen Schengenstaaten unterschiedlich strengen Regeln unterliegen können, setzt diese Bestimmung gerade voraus. Aus dem Schengen-Durchführungsabkommen dürfte also nur folgen, dass Deutschland dafür zu sorgen hat, dass die inländische Freigabe von Cannabis nicht zu einer (wesentlich) verstärkten (ungenehmigten) Einfuhr in solche Staaten führt, die hier strengere Regeln haben.

  2. MisterR Tue 23 Nov 2021 at 23:06 - Reply

    Danke für den interessanten Beitrag. DIe Niederlande können auf keinen Fall unser Vorbild sein. Rechtlich haben SIe die Siuation gut beschrieben, jedoch einen sehr wichtigen Punkt vergessen. Es gibt eine weltweite Dynamik die geltenden Konventionen hinsichtlich Cannabis zu hinterfragen und wurden nun auch bereits offen gebrochen. Etwas was sich die Niederlande damals nicht traute (war auch eine andere weltweite politische “Stimmung” gegenüber Cannabis) und dessen Konsequenzen Sie sehr gut beschrieben haben. Jedoch haben mit Urugay und dann auch Kanada, einem G7 Staat) diese Konvention nun offen gebrochen. Die USA sind dabei dem Beispiel zu folgen (oder aber es bewegt sich dann auch endlich international etwas).
    Die neue AMPEL-Regierung in Deutschland MUSS dem Beispiel Kanadas folgen. Dies hat keine Konsequenzen. Wir sind nicht die ersten… Der Wandel auf internationaler Ebene kommt dann vpn alleine. Das Momentum nimmt zu. Wenn die USA auf Bundeebene legalisieren, wird der Knoten aufgegangen sein. Kein Grund für Deutschland darauf zu warten. Wir haben die Chance uns in einem neuen Markt mit Innovation zu positionieren. Lassen sie uns dies nicht verspielen.

    • Robin Hofmann Mon 29 Nov 2021 at 09:33 - Reply

      Sie haben völlig Recht was diese internationale Dynamik angeht. Dies gillt es zu nutzen. Allerdings: Kanada stellt sich damit explizit gegen internationales Recht. Man kann das gut finden oder nicht. Dass sich die internationalen Verträge in absehbarer Zeit ändern lassen, halte ich für nicht sehr realistisch. Die USA hat da eine etwas elegantere Lösung gewählt die im Einklang mit int. Recht stehen dürfte. Auf Bundesebene bleibt Canabis verboten. Die Staaten haben es lediglich legalisert und da die Polizei nach Gesetzen der Gliedsstaaten handelt ist sie offenbar nicht verpflichtet Bundesrecht durchzusetzen. In DE würde das wohl nicht gehen.
      Ausserdem: Selbst wenn sich DE gegen int. Recht stellen würde mit dem Kalkül, dass es eh niemand durchsetzen wird – Was ist mit dem europäischen Recht? Hier lassen sich Rechtsbrüche sehr wohl durchsetzen durch ein Vertragsverletzungsverfahren der Kommission.

  3. MisterR Tue 23 Nov 2021 at 23:13 - Reply

    Nachtrag:
    Luxemburg hat wohl auch wegen Corona einen Teil-Rückzieher gemacht.
    Aus NZZ: Oberweis glaubt, dass die Regierung den Mut verloren habe. Dabei hätten die «traumatisierenden» Erfahrungen während der Pandemie im Frühjahr 2020 wohl eine Rolle gespielt, vermutet sie. Man habe gefürchtet, dass das Land ein Magnet für den Drogentourismus werden könnte und die Nachbarstaaten deswegen erneut ihre Grenzen schliessen könnten.

    Niederlande:
    Aus NZZ: Auch die Niederlande tolerieren die weiche Droge lediglich. Experimentieren will man dort nach den verheerenden Entwicklungen in jüngster Zeit allerdings mit dem staatlichen Anbau von Cannabis, um den Drogenbanden das Geschäft zu verderben.
    -> auch dies widerspricht der internationalen UN Konvention

  4. Oliver Waack-Jürgensen Wed 24 Nov 2021 at 08:48 - Reply

    Danke, für den Blog. Es ist jedoch leider in der Realität unzutreffend, dass geringe Mengen polizeilich nicht verfolgt werden. Über ein Verfahren entscheidet die StA. Da gibt es große lokale Unterschiede, wir haben Verfahren wegen Anhaftungen, 0,37g oder Saatgut. Bundesweite Rechtssicherheit ist seit 27 Jahren überfällig.
    Zu dem Schengen Abkommen: Als Laie verstehe ich, dass im internationalen Staatenbündnis Verträge auch gekündigt werden können, Beispiel Uruguay. Das Land hat die internationale Vereinbarung aufgekündigt, den störenden Passus entfernt/ersetzt und den Vertrag der Staatengemeinschaft erneut zur Abstimmung vorgelegt, erfolgreich. Ist etwas vergleichbares im Schengen Raum möglich? Mir ist schleierhaft, warum die Verträge so gerne als in Stein gemeißelt dargestellt werden. Es muss doch Raum für gesellschaftliche und wissenschaftliche Entwicklungen geben.
    Eine Regulierung von rauschauslösenden Substanzen ist eine Frage der Bürgerrechte, dies auf den Weg zu bringen, gegen alle Widerstände, der einzige Weg das historische Unrecht zu heilen.

    • Dominic Bair Fri 26 Nov 2021 at 23:21 - Reply

      Genau dieses Prinzip hatte ich auch sofort im Sinn. Allerdings nicht im konkreten Falle Uruguay, sondern Bolivien im Falle von Koka-Blättern (die nicht dieselbe Wirkung wie das daraus raffinierte und chemisch veränderte Kokain haben):
      Hier trat das Land gemäß Art. 46 des Einheitsabkommens über die Betäubungsmittel zum 1. Januar 2012, aus diesem aus, -erklärte jedoch schon am 10. Januar 12 seinen erneuten Beitritt, diesmal jedoch mit einem Vorbehalt (gem. Art.50) in Bezug auf die Legalität von Anbau, Handel und Konsum von Koka-Blättern.

      Da nicht mindenstens ein Drittel der anderen 180 Vertragsstaaten gegen diesen Vorbehalt formellen Einspruch erhoben, konnte Bolivien dann zum 11. Januar 2013 der Konvention wieder beitreten.

    • Robin Hofmann Mon 29 Nov 2021 at 09:39 - Reply

      Das Schengenübereinkommen liesse sich ändern indem sämtliche Vertragsstaaten einer Änderung zustimmen. Möglicherweise würde die Mehrheit der Staaten sogar mitziehen. Ich bin mir allerdings nicht sicher wie die Stimmungslage in den osteuropäischen Staaten ist, zumal wenn eine solche Initiative von Deutschland ausgehen würde.
      Was sie über Uruguay schreiben finde ich sehr interessant. Haben Sie dafür zufällig eine Quelle zur Hand?

  5. Puzzlekopf Thu 25 Nov 2021 at 11:01 - Reply

    Zu Luxemburg: https://www.wort.lu/de/politik/doch-kein-verkauf-von-legalem-cannabis-in-luxemburg-615320fbde135b9236ee9bb6

    > Personalwechsel führt zu Strategiewechsel
    >
    > DP, LSAP und Déi Gréng waren 2018 mit dem Versprechen angetreten, die Droge zu legalisieren. Zwei maßgeblich an der Ausarbeitung des Regierungsprogramms beteiligte Politiker sind allerdings nicht mehr im Amt: Félix Braz (Justiz, Déi Gréng) und Étienne Schneider (Gesundheit, LSAP) wurden 2019 beziehungsweise 2020 von Sam Tanson und Paulette Lenert abgelöst. Seitdem war das Projekt weitgehend in Arbeitsgruppen untergetaucht.

    Das mag (auch) ein Grund gewesen sein.

  6. Wonderfruuf Fri 26 Nov 2021 at 13:47 - Reply

    — “Der Konsum im privaten Bereich wird erlaubt. Ein paar Pflänzchen darf man sich im heimischen Wohnzimmer ziehen.” —

    Damit allein schon werden wohl über 90% aller Cannabiskonsumenten völlig einverstanden sein. Sie sind dann keine Kriminellen, keine Straftäter mehr, die von Gesetzes wegen verfolgt werden können, sondern dem Tabakraucher oder Weintrinker rechtlich gleichgestellt.
    Wenn das erreicht werden kann, dann hat die Ampel die vor der Wahl in diese Konstellation gesetzten Hoffnungen zur Lösung dieses Problems wohl voll und ganz schon erfüllt.

    Darüber hinaus, warum sollte es Deutschland nicht möglich sein, aus rechtsstaatlicher Sicht die Cannabisklauseln der Verträge aus heutiger Sicht und Kenntnisstand als nicht mehr zeitgemäß anzusehen und es auf eine Klage vor europäischen Gerichten ankommen zu lassen?

    Weiterhin fehlt mir in dem Artikel ein Hinweis auf Portugal, das diesbezüglich als EU Mitgliedsland auch sehr liberale Regelungen haben sollen.

    • Robin Hofmann Mon 29 Nov 2021 at 09:54 - Reply

      Ich stimme Ihnen zu, dass die Pflanzen zum privaten Anbau schonmal ein richtiger Schritt wären. Allerdings: es ist meilenweit von dem freien Verkauf in lizensierten Geschäften entfernt, von denen im Kolaitionsvertrag die Rede ist. Mein Eindruck ist, dass die Debatte stark emotionalisiert ist und ich habe Zweifel, dass sich die Mehrheit tatsächlich damit zufrieden geben würde.

      Was Portugal angeht, hatte ich zuvor ebenfalls nur gehört, nach genauer Recherche es dann aber aus Platzgründen nicht mehr erwähnt. Unten finden Sie die Passage zu Portugal aus einem ausführlichen Artikel zu dem Thema, der demnächst in der Zeitschrift für internationale Strafrechtsdogmatik veröffentlicht werden soll. Ich halte den portugiesischen Ansatz für eine ziemliche Mogelpackung und kein Vorbild für Deutschalnd. Die Quelle für die Passage ist der Artikel von Hughes, Stevens BRIT. J. CRIMINOL. (2010) 50, 999–1022.

      Die neue nationale Drogenstrategie Portugals stellte die Entkriminalisierung sämtlicher Drogen in den Mittelpunkt. Maßnahmen konzentrierten sich verstärkt auf die Bereiche Prävention, Schadensminderung, Therapie, Rehabilitation und Angebotsreduzierung. Konkret bedeutet dies, dass Personen, die mit einer Menge von Drogen die eine zehn-tages Ration unterschreiten, Bei Aufgriff durch die Polizei an regionale Gremien verwiesen werden (sog. CTDs). Eine solche zehn-tages Ration entspricht in der Praxis 0,1 g Heroin, 0,1 g Ecstasy, 0,1 g Amphetamine, 0,2 g Kokain oder 2,5 g Cannabis. Diese Gremien bestehen aus drei Personen, darunter Rechtsanwälte, Sozialarbeiter und medizinischen Fachleuten. Diese erörtern sodann die Beweggründe und Umstände der Straftat und können eine Reihe von Sanktionen vorschlagen, darunter gemeinnützige Arbeit, Geldstrafen, Aussetzung der Berufszulassung und Verbot des Besuchs bestimmter Orte. Das Hauptziel soll allerdings darin bestehen vom Drogenkonsum abzuschrecken und abhängige Drogenkonsumenten in Behandlung zu bringen. Zu diesem Zweck stellen sie fest, ob eine Person abhängig ist oder nicht. Bei nicht abhängigen Konsumenten kann eine vorläufige Einstellung des Verfahrens, der Besuch einer Polizeistation, eines psychologischen oder Erziehungsdiensts oder eine Geldstrafe angeordnet werden. Personen die mit mehr als die oben genannte zehn-tages Ration von der Polizei angetroffen werden, werden direkt angeklagt und an die Strafgerichte verwiesen, wo sie sich eines Strafverfahrens wegen Drogenhandels stellen müssen.

      Das portugiesische Model ist ein schönes Beispiel für eine De-kriminalisierung von Drogendelikten: Besitz und Konsum (sehr) kleiner Mengen werden aus dem Strafrecht ins Verwaltungsrecht gezogen und formell als Ordnungswidrigkeiten behandelt. Führt man sich allerdings die Sanktionsdrohungen des portugiesischen Systems vor Augen, zeigt sich, die eigentliche Ratio des Ansatzes: Es geht um Abschreckung. Die Androhung etwa eines Berufsverbotes für eine Menge unter 2,5 Gramm Cannabis, verhängt nicht von einem Berufsrichter, sondern einem Laiengremium zeigt dies deutlich. Wie viele Freizeitkonsumenten von Cannabis werden statt der harten Sanktionen da lieber die Flucht in die Therapie gewählt haben? Und wie viel Sinn macht eine solche, wenn nicht die Freiwilligkeit, sondern die Vermeidung harter Sanktionen die Motivation sind? Auch wenn das vielgelobte portugiesische Model durch seinen innovativen und durchaus progressiven Ansatz besticht so handelt es sich doch im Rahmen einer ehrlich geführten Legalisierungsdebatte um nichts weiter als ein Etikettenschwindel. Und um einen aufwendigen und teuren obendrein. Als Vorbild für Deutschland taugt diese Strategie nicht. Das dieses Sanktionsmodel im Einklang mit europäischen und internationalen Recht stehen dürfte lässt sich hingegen nicht bezweifeln.

  7. Heikor Sat 27 Nov 2021 at 00:27 - Reply

    Vielleicht kann man auch an die Möglichkeit derogierenden Gewohnheitsrechts denken. Es bröckelt.

  8. Felix Wed 1 Dec 2021 at 14:56 - Reply

    Das Prinzip des “Social Cannabis Club” (wie in Spanien) näher zu beleuchten wäre noch ein spannender Aspekt für den Artikel.

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