Sukzessivadoption: Karlsruhe schiebt den schwarz-gelben Peter zurück
Eigentlich ist es doch ganz einfach, zu erklären, was heute in Karlsruhe passiert ist: Adoptivkind und Adoptiveltern dürfen nicht ungleich behandelt werden je nach dem, ob die Adoptiveltern gleich- oder verschiedengeschlechtlich miteinander verheiratet sind. Das hat der Erste Senat heute beschieden, und zwar zur Überraschung von absolut niemandem.
Und trotzdem denke ich mir hier gerade einen Knoten ins Hirn bei der Lektüre. Das liegt an der Tenorierung.
Was hat Karlsruhe denn genau entschieden? Erstens: Die Regelung im Lebenspartnerschaftsgesetz, die die Sukzessivadoption in der Homo-Ehe unmöglich macht, ist insoweit verfassungswidrig. Zweitens: Die verfassungswidrige Regelung ist aber nicht nichtig. Sie bleibt bestehen während einer Übergangsfrist bis zur Mitte des Jahres 2014, um dem Gesetzgeber Zeit zu geben, sie durch eine verfassungskonforme Regelung zu ersetzen. Drittens: Diese vorläufig weiterbestehende Regelung ist aber mit der Maßgabe anzuwenden, dass sie die Sukzessivadoption in der Homo-Ehe möglich machen muss.
Nochmal ganz langsam. Verstehe ich das richtig? Das, was an der Regelung verfassungswidrig ist, soll erstmal weitergelten, aber mit der Maßgabe, dass das, was an ihr verfassungswidrig ist, nicht weiter gilt?
Und, nur mal so: Was passiert eigentlich, wenn der Gesetzgeber die Frist verstreichen lässt?
Ich kann mir diesen vogelwilden Tenor nur so erklären, dass sich Karlsruhe hier an einem Stück inter-verfassungsorganeller Drahtseildiplomatie versucht. Der Senat hat keine Lust, die Legislative damit davonkommen zu lassen, sich vor der Verantwortung für die verfassungskonforme Ausgestaltung des Adoptionsrechts zu drücken.
Dass die Regelung verfassungswidrig ist, konnte sich jeder an fünf Fingern abzählen. Auch die schwarz-gelbe Regierungskoalition wusste genau, dass es keinen wirklich guten Grund gibt, Hetero-Ehen die Sukzessivadoption zu erlauben und Homo-Ehen nicht. Dennoch war ihr die Vorstellung angenehmer, sich in Karlsruhe verurteilen zu lassen und dann den eigenen Wählern achselzuckend sagen zu können: Sorry, war nicht unsere Idee, aber wir müssen halt.
Das, so wird man sich in Karlsruhe gedacht haben, könnte euch so passen.
Das ganze Urteil ist von beispielhafter Zurückhaltung gegenüber dem Gesetzgeber geprägt. An gleich einem halben Dutzend Stellen ist vom politischen Gestaltungsspielraum desselben die Rede, den das Gericht geradezu peinlich genau zu respektieren sich bemüht.
Grundsätzlich haben Kinder zwar ein Gewährleistungsrecht gegen den Staat, dass der ihnen vernünftige Eltern verschafft (in der Deutlichkeit übrigens ein sehr interessantes Novum, soweit ich sehe), aber wer trägt die Verantwortung für die konkrete Ausgestaltung dieser Schutzpflicht? Der Gesetzgeber.
Grundsätzlich können auch Homo-Ehen “Eltern” im Sinne des Art. 6 II 1 GG sein und fallen daher in den Schutzbereich dieses Grundrechts, aber wer hat die Linie zwischen bloßer sozial-familiärer Verbundenheit und elterlicher Verantwortung zu ziehen? Der Gesetzgeber.
Grundsätzlich sind auch Homo-Ehen mit Kindern Familien und damit nach Art. 6 I GG dem besonderen Schutz des Staates anempfohlen, aber wem kommt bei der Gestaltung der “rechtlichen Struktur” dieser tatsächlichen Lebensgemeinschaft ein Ausgestaltungsspielraum zu? Dem Gesetzgeber.
Der Maßstab, an dem das Gericht die Regelung schließlich tatsächlich scheitern lässt, ist das Recht auf Gleichheit, und zwar zuvörderst das des Kindes: Das hat ein Recht auf Schutz gegen den Staat, weshalb dieser besonders gute Gründe haben muss, wenn er dem einen Kind gibt, was er dem anderen vorenthält. Kindern in Hetero-Ehen die Adoption zu ermöglichen und Kindern in Homo-Ehen nicht, dafür gibt es aber nicht nur keinen guten, sondern überhaupt gar keinen erkennbaren Grund. Selbst wenn man glaubt, dass Kinder irgendwie vor dem Kontakt mit Homosexualität geschützt werden müssen – was der Senat explizit nicht glaubt – wäre das Verbot der Sukzessivadoption dazu ganz ungeeignet. Umgekehrt gibt es einen Haufen extrem guter entwicklungspsychologischer und rechtlicher Gründe, warum es für das Kind von großem Vorteil ist, mit demjenigen, der es erzieht, auch rechtlich verwandt sein zu dürfen.
Kurzum: So einen glasklaren Fall von verfassungswidriger Diskriminierung hat man nicht oft.
Zu den anderen Vergleichskonstellationen – Adoptivkind zu leiblichem Kind, Homo-Eltern zu Hetero-Eltern, Sukzessivadoption zu Stiefkindadoption – verliert das Gericht dann gar nicht mehr viele Worte. Das, so hat sich der Senat vielleicht gedacht, kann ja dann der Gesetzgeber tun, wenn er seinen Pflichten nachkommt und das Thema in der politischen Arena ausdiskutiert.
Zuletzt versäumt das Gericht nicht zu betonen, dass der Gesetzgeber über mehrere Möglichkeiten verfügt, verfassungsmäßige Zustände herbeizuführen. Er muss die Sukzessivadoption für Homo-Ehen nicht zulassen, wenn er nicht will. Er könnte sich genauso auch dazu entschließen, sie für Hetero-Ehen abzuschaffen. Wenn er will. Seine politisch zu verantwortende und verfassungsrechtlich überhaupt kein bisschen determinierte, vollkommen freie Entscheidung.
Soviel zu Karlsruhe. Aus Straßburg haben wir heute ja ebenfalls ein Grundsatzurteil zu einem eng verwandten Thema empfangen: im Fall von Österreich ging es um die Frage, ob das Verbot der Stiefkindadoption Homo-Ehen diskriminiert. Das Verbot läuft über das Argument, dass bei der Adoption der Adoptivvater den leiblichen Vater und die Adoptivmutter die leibliche Mutter ersetzt – so dass man bei der Stiefkindadoption womöglich den eigenen Ehepartner aus der Verwandtschaft mit seinem Kind kicken würde.
Straßburg hat es schwerer als Karlsruhe, weil es in der EMRK nur das Recht auf Familienleben gibt, während das Grundgesetz verschiedene Maßstäbe anbietet: Schutz der Ehe, Schutz der Familie, Schutz der Eltern, Schutz des Kindes. Das zwingt Straßburg dazu, sich mit einer Frage herumzuschlagen, die Karlsruhe an anderer Stelle verneint hat und um die es in diesem Fall geschickt herumtänzelt: Gibt es einen Anspruch auf Gleichbehandlung von Homo- und Hetero-Ehen? Den gibt es nicht, und deshalb auch keinen auf Stiefkindadoption (Gerichtspräsident Dean Spielmann ist in dem Punkt anderer Meinung).
Wohl aber, so die Richtermehrheit in der Großen Kammer, gibt es einen Anspruch homosexueller Lebenspartnerschaften, nicht schlechter behandelt zu werden als Paare, die überhaupt nicht miteinander verheiratet sind. Und für diese Ungleichbehandlung kann sie ebenfalls keinerlei Grund erkennen.
Nun müsste das noch nicht heißen, dass ein Verstoß gegen die EMRK vorliegt. Denn die lässt den Mitgliedsstaaten einen Spielraum, der mal enger, mal weiter zu ziehen ist – abhängig nicht zuletzt von der Frage, wie einig sich die Mitgliedsstaaten sind. Wenn es in Europa viel Konsens gibt über die Lösung gerade moralisch aufgeladener Rechtsfragen, kann ein einzelner Mitgliedsstaat sich dem schwerer entziehen als wenn alle da ganz unterschiedliche Wege gehen.
Ärgerlicherweise ist aber bei der Stiefkindadoption der Konsens, nun ja, nicht so groß. Zehn Mitgliedsstaaten erlauben sie, 35 nicht. Das Mehrheitsvotum löst das so, dass sie speziell die Frage der Gleich- oder Ungleichbehandlung von Homo-Ehen und unverheirateten Paaren behandelt, und da sei das Sample so klein, dass man über das Maß an Konsens gar nichts sagen könne.
Sieben Richter sind überhaupt nicht einverstanden mit dieser zugegebenermaßen robusten Art, das Konsensproblem zu lösen, und werfen der Mehrheit sehr unverblümt vor, Verfassungswandel nicht nachzuvollziehen, sondern antizipieren oder sogar herbeiführen zu wollen.
Ich glaube, dass der Tenor mit dem – auch aus meiner Sicht sehr skrupulös gewundenen – Entscheidungsinhalt nichts zu tun hat, sondern an der Regelungstechnik der beanstandeten Norm hängt:
§ 9 VII LPartG ermöglicht in erster Linie, dass ein Lebenspartner das Kind des anderen Lebenspartners adoptiert. Jedoch fehlt ein Verweis auf die BGB-Regelung zur Sukzessivadoption. Darum wird § 9 VII LPartG allseits so gelesen, dass nur die Adoption des leiblichen Kindes des anderen Lebenspartners möglich ist (erläutert in Tz. 3 ff.).
Wenn § 9 VII LPartG weitergilt, dann wird zunächst einmal nach wie vor die Adoption des leiblichen Kindes des Lebenspartners ermöglicht. Die Übergangsregelung erweitert in einem zweiten Schritt den Anwendungsbereich der gesetzlich geregelten Adoptionsmöglichkeit, um auch die Stiefkindadoption zu ermöglichen. Rechtstechnisch wäre eine Nichtigerklärung des Verbots der Stiefkindadoption gar nicht möglich, weil das Gesetz ein ausdrückliches Verbot überhaupt nicht enthält, sondern lediglich ein Verweis auf eine Norm fehlt, die die Stiefkindadoption ermöglicht.
Verwirrend finde ich darum nicht den Tenor, sondern die Begründung dazu bei Tz. 106, die an diesem Punkt vorbeigeht.
Gut, das stimmt, das erklärt das teilweise. Aber was ist mit dem Fall der Nichteinhaltung der Frist? Völlig sanktionslos, oder? Dann gilt nach dem Tenor die Karlsruhe Maßgabe ad infinitum weiter. Was bedeuten würde, dass der Gesetzgeber eben doch damit davonkäme, das politisch nicht mehr anzufassen.
Das stimmt, liegt aber an der allgemeinen Problematik sanktionierter Übergangsfristen, die sich wiederum aus gesetzestechnischen Gründen hier noch verschärft:
1. hat Karlsruhe mit sanktioniert befristeten Übergangsanordnungen schlechte Erfahrungen gemacht, als die Vermögenssteuer nach Fristablauf wegfiel, obwohl das gar nicht Ziel der Sache war. Darum werden Fristen in jüngerer Zeit teilweise zwar gesetzt, aber keine (Nichtigkeits-)Sanktion für fruchtlosen Fristablauf vorgesehen, selbst wo das rechtstechnisch möglich wäre (vgl. beispielhaft E 118, 186, 211 – die Weitergeltung der Norm wird “bis zu einer verfassungsgemäßen Neuregelung” angeordnet, nirgendwo steht, dass die Norm bei Fristablauf außer Kraft träte).
2. sehe ich auch nicht, wie hier eine Sanktion bei Fristablauf aussehen sollte – der Wegfall von § 9 VII LPartG würde ja lediglich noch mehr homosexuelle Paare schlechterstellen und so die grundrechtswidrige Lage noch verschärfen.
Wenn der Gesetzgeber nichts macht, bleibt es halt bei der Übergangsanordnung (bis dann irgendwann auch noch der Ausschluss gemeinsamer Adoption kippt und eine neue Übergangsanordnung kommt). Es ist damit letztlich ein Gebot gesetzgeberischer bzw. gewaltengliedriger Hygiene, dass der Gesetzgeber bitteschön tätig wird. Aber was soll das Gericht sonst machen?
@Max: Ja, die Nichteinhaltung der Frist führt zur Fortgeltung ad infinitum. Hintergrund ist, dass der Erste Senat ein “gebranntes Kind” ist, seit er in seiner Hartz IV Entscheidung (unsauber) tenoriert hatte: “Bis zur Neuregelung, die der Gesetzgeber bis spätestens zum 31. Dezember 2010 zu treffen hat, sind diese Vorschriften weiter anwendbar.”
Damals wurde die Frist nicht gewahrt und die Fachgerichte wussten nicht mehr, ob die Weitergeltungsanordnung weiter galt oder nicht.
Das Problem mit dem Tenor im Übrigen ist eine Folge der Unterscheidung zwischen “normtexterhaltender Teilverfassungswidrigkeit” und “verfassungskonformer Auslegung”.
Interessant an der Entscheidung ist das Gegenüberstellen von Gewährleistungsgehalt des Freiheitsrechts auf der einen und Gleichheitsrecht auf der anderen Seite, denn die verfassungsrechtliche Würdigung aus der jeweiligen Perspektive kommt überraschenderweise zu unterschiedlichen Ergebnissen kommt.
Der Gestaltungsspielraum im Bereich des einen wird – so scheint es – durch das Prisma der Gleichheitsprüfung zu einem Alles oder Nichts. Denn wenn der Gesetzgeber Abstand nehmen würde von der Möglichkeit der Adoption bei den jeweiligen Bezugsgruppen (also die Adoption von adoptierten Kindern eines Ehegatten, die nach § 1742 BGB vom anderen Ehegatten angenommen werden können oder von leiblichen Kinder eines eingetragenen Lebenspartners, die nach § 9 Abs. 7 LPartG vom anderen Lebenspartner adoptiert werden können, zu beschränken) gäbe es keinen Gleichheitsverstoß (auch wenn diese Variante politisch nicht naheliegt). Dann bliebe nicht nur vom Verbot der Sukzessivadoption betroffenen Kindern, sondern einer größeren Anzahl die “Möglichkeiten der Entwicklung und Lebensgestaltung verwehrt” (Rdnr. 73). Die “gleichberechtigte Wahrnehmung der Elternverantwortung durch beide Lebenspartner” und die “Stabilisierungsfunktion der Familie” wären so – immerhin gleichheitsgerecht – bei einer ungleich größeren Anzahl von Betroffenen beeinträchtigt. Dass mit der glasklaren verfassungswidrigen Diskriminierung erscheint mir daher ganz so klar nicht und einen dogmatischen Pferdefuß zu haben. Ich erkenne nicht, wie man einen solchen Diskriminierungsansatz vor dem Uferlosen bewahrt. Der offensive Hinweis auf die gesetzgeberische Gestaltungsmöglichkeiten wirkt vor diesem Hintergrund – vorsichtig formuliert – fast schon ein wenig spöttisch.
Ich glaube der EGMR-Link ist falsch und sollte auf http://hudoc.echr.coe.int/sites/fra/pages/search.aspx?i=001-116998 führen.
Da ist zwar noch keine offizielle englische Sprachfassung, aber man kann schon wenig überraschend sehen, dass de Gaetano mal wieder ein Minderheitsvotum zu Homosexuellenrechten abgesetzt hat.
Lieber Max,
vermutlich würdest Du Dich etwas weniger wundern, wenn Du Deinen Betrachtungen den tatsächlichen Urteilstenor des Gerichts zugrunde legen würdest (und entsprechend aus den Urteilsgründen den Abschnitt C.I.): Das Verbot der Sukzessivadoption wurde vom BVerfG nicht für “verfassungswidrig”, sondern – nur – für “unvereinbar” mit dem Grundgesetz erklärt. (Ehrlich gesagt erstaunt mich, dass Dir das entweder nicht aufgefallen ist, oder Du diese Unterscheidung womöglich sogar für irrelevant hältst.) Welchen Unterschied das rechtlich (und tatsächlich) macht, kann man etwa hier nachlesen:
http://www.spiegel.de/panorama/justiz/adoptionsrecht-homosexueller-gestaerkt-analyse-des-bgh-urteils-a-884356.html
Vogelwild, sorry, ist nicht der Tenor, sondern (in diesem Fall, leider) Dein Beitrag.
Nichts für ungut, schöne Grüße
D. aus K.