Der geheimnisvolle Pegasus
Zur Abwägung grundrechtlicher Informationsrechte mit der sicherheitsbehördlichen Aufgabenerfüllung
Der demokratische Willensbildungsprozess baut wesentlich auf einer informierten und damit partizipationsfähigen Öffentlichkeit auf. Die Kontrolle der Regierung durch Öffentlichkeit und Medien ist konstituierendes Element moderner Demokratien. Es bestehen daher diverse Auskunftsansprüche verschiedenster Institutionen, um die systeminhärent niedrige Transparenz zwischen Exekutive und Öffentlichkeit auszugleichen. Schwierig wird es jedoch, wenn diesen Auskunftsansprüchen die funktionale Aufgabenerfüllung insbesondere der Sicherheitsbehörden entgegensteht, diese also zur sachgerechten und effektiven Erfüllung ihrer Aufgaben gerade darauf angewiesen sind, dass bestimmte Informationen nicht ungefiltert an die Öffentlichkeit gelangen. Dieser Zielkonflikt führt immer wieder zur Notwendigkeit judikativer Wertentscheidungen in diesem Abwägungsdilemma, so auch jüngst in einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes, in dem es um den presserechtlichen Auskunftsanspruch über den Einsatz der Software „Pegasus“ durch den Bundesnachrichtendienst (BND) ging. Der Beitrag soll zeigen, dass die vergleichsweise sicherheitsorientierte Entscheidung des BVerwG nicht nur sachgerecht, sondern auch geboten ist und vollständige Transparenz im Sicherheitskontext ebenso illusorisch wie dysfunktional ist.
Kontext der Entscheidung
Ob der parlamentarische Auskunftsanspruch, der subjektiv-rechtliche Auskunftsanspruch des Einzelnen aus dem Informationsfreiheitsgesetz (§ 1 Abs. 1 IFG) im Lichte des Art. 5 Abs. 1 GG, oder wie hier der verfassungsunmittelbare presserechtliche Auskunftsanspruch gegen Bundesbehörden: Die Rechts- und Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland kennt unterschiedlichste Transparenzinstrumente, um den verschiedenen Institutionen sowie dem Einzelnen u.a. eine effektive Kontrolle des Regierungshandeln zu ermöglichen. Im konkreten Fall stützt sich der Antragsteller in Ermangelung eines einfachgesetzlichen bundesrechtlichen Auskunftsanspruches auf das in ständiger Rechtsprechung anerkannte verfassungsunmittelbare presserechtliche Auskunftsrecht über behördliche Informationen aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG (Vgl. nur BVerwG 10 C 3.20, Urteil vom 28. Oktober 2021 Rn. 25 m.w.N.; vgl. zur Problematik auch Hubig, ZGI 2022, 156.). Wie auch bei anderen Informationsrechten erfordert der presserechtliche Auskunftsanspruch dem BVerwG zufolge eine Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der Presse und den schutzwürdigen Belangen der Exekutive (Rn. 19). Diese Abwägungsdogmatik zieht sich kontext- und institutionenübergreifend durch, sowohl das parlamentarische Fragerecht insbesondere auch im Kontext von Untersuchungsausschüssen als auch der Informationsfreiheitsanspruch (vgl. § 3 IFG) kennen die Notwendigkeit, situativer Intransparenz zur Wahrung der Funktionsfähigkeit staatlicher Aufgabenerfüllung (BVerfGE 165, 167 Rn. 73).
Wie verhält es sich mit dieser Abwägung im Bereich des BND? Ein Journalist der NGO „FragDenStaat“, welcher es sich zum Ziel gemacht hat, „Licht ins Dunkel der Behörden“ zu bringen, und regelmäßig umfangreiche Anfragen an verschiedenste Behörden stellt, wandte sich im Februar 2023 an den BND, um zu erfahren, ob der BND vertragliche Vereinbarungen mit dem israelischen Technologieunternehmen „NSO Group“ über den Einsatz der Fernmeldeüberwachungssoftware „Pegasus“ habe, und wenn ja, wie oft er diese Software in den letzten Jahren eingesetzt habe. Der BND lehnte dieses Auskunftsbegehren mit der Begründung ab, bereits eine teilweise Offenlegung der von FragDenStaat begehrten Informationen würde die Funktionsfähigkeit der Überwachungssoftware gefährden. Der Kläger erhob sodann Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht, welches für Klagen im Zusammenhang mit dem BND nach § 50 Abs. 1 Nr. 4 VwGO erst- und letztinstanzlich zuständig ist allerdings: erfolglos.
Notwendige Opazität der operativen Tätigkeit des BND
Pegasus ist eine Spionage-Software zur Remote-Infiltration und -Überwachung verschlüsselter Kommunikation. Durch Ausnutzung von Zero-Days, also unbekannten Sicherheitslücken, insbesondere bei IOS-Geräten ist es möglich, die Software auf mobile Endgeräte zu spielen, ohne dass, wie früher üblich, fingierte Links verschickt und durch den Endgerätenutzer angeklickt werden müssen. Die Software wird aufgrund ihrer enormen Potenziale als „World`s Most Powerful Cyberweapon“ bezeichnet. Bereits 2021 wurde durch eine umfangreiche Medienrecherche u.a. von NDR, WDR und der ZEIT bekannt, dass die Software weltweit durch Sicherheitsbehörden eingesetzt wird.
Dass Sicherheitsbehörden die Funktionsfähigkeit ihrer effektiven Aufgabenerfüllung gefährden, wenn sie ihr Wissen und die Einzelheiten ihrer operativen Tätigkeiten in vollem Umfang mit der Öffentlichkeit und deshalb auf partielle Intransparenz angewiesen sind, ist in Rechtsprechung und Literatur allgemein anerkannt. Es ist jedoch bei tiefergehender vergleichender Analyse festzustellen, dass dem BND aufgrund seiner spezifischen Aufgabenstellung auch im Sicherheitskontext eine Sonderrolle gewährt wird. So gewährt das BVerwG dem BND im vorliegenden Urteil für den Bereich operativer Vorgänge einen Regelvorrang vor dem presserechtlichen Informationsinteresse und zwar explizit nicht nur für menschliche Quellen. Maßgeblich ist vielmehr, ob die Gefahr besteht, „dass durch Offenlegung operativer Vorgänge deren weitere Durchführung gefährdet oder Rückschlüsse auf die Arbeitsweise des BND möglich werden“ (Rn. 19). Die beiden Argumentationsstränge, auf die das BVerwG seine Entscheidung stützt, sind überzeugend: nämlich zum einen die Notwendigkeit des sicherheitsbehördlichen Methodenschutzes und zum anderen die Gewährleistung der auslandsnachrichtendienstlichen informationellen Kooperation.
Sicherheitsbehördlicher Methodenschutz und Sicherung der Funktionsfähigkeit
Das BVerwG führt zum ersten Argumentationsstrang aus, dass im konkreten Fall zwar nur die Existenz etwaiger Vertragsvereinbarungen im Allgemeinen erfragt wurde – nicht ihr Einsatz in konkreten operativen Vorgängen. Dennoch lässt schon diese Information Rückschlüsse darauf zu, wozu der BND strategisch und technisch in der Lage ist, was aktuelle Operationen gefährden kann (Rn. 21).
Das BVerwG verweist in diesem Zusammenhang auf die Erklärungen der Bundesregierung, die bereits 2021 auf eine kleine Parlamentsanfrage einiger Abgeordneten der LINKEN ausführte, dass eine Information darüber, ob die jeweiligen Behörden die Pegasus-Software einsetzen, die effektive Erfüllung des Aufklärungsauftrages gefährden würde; Betroffene könnten sich gezielt der Maßnahme entziehen, etwa indem sie konkrete technische Schutzmechanismen gegen die benannte Software implementierten (BT-Drs. 19/32246 S. 3). Die Bundesregierung führt hier richtigerweise aus, dass das Bekanntwerden der Datenverarbeitungspotenziale von Sicherheitsbehörden zu einem signifikanten Informationsvorteil bei den betroffenen Zielpersonen führen kann. Wie bereits angedeutet, ermöglicht Pegasus einen nahezu beispiellosen Zugriff auf mobile Endgeräte. Würde bekannt werden, ob und in welchem Umfang der BND die Software einsetzt, könnten die damit einhergehenden Effektivitätsverluste bei der Anwendung durch mögliche Gegenmaßnahmen bei den Zielpersonen nicht ohne Weiteres durch gleichwertige Instrumente kompensiert werden. Außerdem offenbart jede Information über das operative Wirken des BND ein Teilelement der Gesamttätigkeit: Selbst wenig umfangreiche Informationen lassen Rückschlüsse auf das operative Wirken und die genaue Arbeitsmethodik und Informationsverarbeitungsprozesse des BND zu, was die angestrebte Informationsasymmetrie zugunsten seiner Gegner verschiebt. Kenntnisse über das vorhandene Instrumentarium lassen Rückschlüsse auf Potenziale aber auch Grenzen der auslandsnachrichtendienstlichen Informationsverarbeitung zu und können genutzt werden, um die Effektivität dieser Informationsverarbeitung signifikant zu beeinträchtigen (vgl. auch BT-Drs. 20/4275 S. 9).
Institutionelle Rolle des BND in der Sicherheitsarchitektur
Die nachrichtendienstliche Funktionstätigkeit zielt darauf ab, strategisches Wissen zur Antizipation krisenhafter Entwicklungen zu erzeugen. (vgl. Braumandl/Desbalmes, 2006, S. 13 mit Bezug zur DCAF-Definition von „Intelligence“). Der BND führt im Rahmen seines gesetzlich weit gefassten Aufgabenauftrages zur Gewinnung von Erkenntnissen von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland (§ 1 Abs. 2 Satz 1 BNDG) umfangreiche strategische Aufklärungsmaßnahmen durch, um die politische Entscheidungsfindung der Bundesregierung informationell zu unterstützen. Das Bundesverfassungsgericht spricht der wirksamen auslandsnachrichtendienstlichen Aufklärung in ständiger Judikatur, jüngst im Urteil zur Cyberabwehr, ein „überragendes öffentliches Interesse“ zu. Es gibt sich große Mühe, die geänderte globale sicherheitspolitische Lage herauszuarbeiten und daher seinen Maßstabswechsel zum TKÜ-Urteil aus dem Jahr 1999 (BVerfGE 100, 313) und die dadurch geänderten materiellen Abwägungsdirektiven zu begründen. Während das Gericht bei Polizeibehörden sowie in der jüngsten Judikatur zu Eingriffs- und Übermittlungsbefugnissen der Verfassungsschutzbehörden einen starken Fokus auf Individualisierungserfordernisse und hinreichend konkrete Gefahren- und Relevanzschwellen legt, hat es diese Dogmatik für den BND spätestens im Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärungsurteil von 2020 abgelegt. In dieser Entscheidung billigte das Bundesverfassungsgericht im Grundsatz die anlasslose strategische Fernmeldeaufklärung mit Blick auf die fehlende territoriale Zugriffsmöglichkeit deutscher Sicherheitsbehörden auf die betroffenen Personen (vgl. Rn. 178). Diese Rechtsprechungslinie ist konsequent. Das sicherheitsbehördliche Aufgabenprofil, insbesondere des BND als Auslandsnachrichtendienst, in einer angespannten und immer unsicherer werdenden geopolitischen Lage und der stetigen Gefahr des internationalen Terrorismus erfordert eine erneute Evaluation und Neuausrichtung der konventionellen Transparenz- und Sicherheitsdogmatik.
Third-Party-Rule und die Notwendigkeit auslandsnachrichtendienstlicher Kooperation
Der zweite Argumentationsstrang des BVerwG betrifft die breit diskutierte Problematik der Notwendigkeit, mit ausländischen Nachrichtendiensten zu kooperieren. Hierfür gibt es zahlreiche Beispiele: Sei es der berüchtigte „Kofferbomber“, die Sauerlandgruppe oder der geplante Rizin-Anschlag 2018 in Köln – viele der glücklicherweise von Sicherheitsbehörden verhinderten Anschläge konnten nur unterbunden werden, weil ausländische Nachrichtendienste entsprechende Hinweise übermittelten. Das BVerwG betont jedoch richtigerweise, dass diese Informationsflüsse nur deshalb funktionieren, weil sie auf der gegenseitigen Zusicherung basieren, dass die Informationen ausschließlich im Rahmen der sicherheitsbehördlichen Tätigkeit genutzt werden oder nur mit Zustimmung des hinweisgebenden Nachrichtendienstes weitergegeben werden. Andernfalls dürfen sie nicht mit externen Stellen, insbesondere nicht mit der Öffentlichkeit, geteilt werden (sog. Third-Party-Rule). Der BND würde dem BVerwG zufolge „als unzuverlässiger Partner wahrgenommen werden“ (Rn. 21), was die weitere Zusammenarbeit und das interbehördliche Vertrauensverhältnis signifikant beschädigt.
Die Third Party Rule als „Informationsbeherrschungsrecht“ (BVerfGE 143, 101 Rn. 164) ist Ausfluss eines hochkomplexen Bereiches auslandsnachrichtendienstlicher, supranationaler Kooperation. Ronja Kniep spricht in ihrem soziologischen Ansatz mit Referenz zu Bourdieus Feldtheorie von der auslandsnachrichtendienstlichen Kooperation als „transnationales Feld relativer Autonomie“, welches nach eigenen Regeln funktioniert und trotz öffentlicher Kontestation – insbesondere nach Bekanntwerden des PRISM-Programms der NSA – sehr gut funktioniert (Kniep, ZPol 2022, 457 ff.). Diese länderübergreifende Kooperationstätigkeit, bedingt durch die funktionale Notwendigkeit der Zusammenarbeit (Al Waroi, IJMRA 2024) erreichte durch jahrzehntelange Persistenz und Ausdifferenzierung einen hohen Autonomiegrad und ist von elementarer Wichtigkeit für die Funktionsfähigkeit der Auslandsaufklärung. Will man also den oben beschriebenen informationellen Beitrag des BND für die nationale Sicherheit als Verfassungswert nicht einschränken, ist die Third Party Rule und deren Implikation für die Intransparenz der nachrichtendienstlichen Tätigkeit als notwendiges Übel hinzunehmen. Auch wenn es berechtigte Kritik an der damit einhergehenden Abhängigkeit Deutschlands von anderen Staaten geben mag: Das partnerschaftliche Kooperationsverhältnis der Auslandsnachrichtendienste ist nach dem aktuellen Status Quo unabdingbar, um das für die Antizipation terroristischer Attentate notwendige Informationsvolumen zu erlangen. Daraus folgt, dass jedwede Gefährdung dieser auf Vertraulichkeit basierenden transnationalen Zusammenarbeit (vgl. BT-Drs. 20/5706 S. 3) durch die Herausgabe sensibler Informationen an Dritte, insbesondere der Öffentlichkeit, in der Abwägung mit grundrechtlichen Informationsrechten zurückstehen muss.
Prozedurale aufsichtliche Kontrolle statt demokratischer Transparenz
Transparenz ist ein demokratischer Grundwert. Die parlamentarische Kontrolle der Regierung wird grundsätzlich durch die flankierende Kontrolle der informierten Öffentlichkeit ergänzt (BVerwGE 141, 122 Rn. 23). Robert Dahl sieht das „enlightened understanding“, d.h. die hinreichend informierte und damit partizipationsfähige Öffentlichkeit als ein konstituierendes Element der demokratischen Staatsform an. Nach einem sachgerechten Verständnis sollte sie sich aber vor allem auf das Handeln der gubernativen Exekutive und die wesentliche politische Steuerung beziehen und in der administrativen Exekutivtätigkeit mit den funktionellen Notwendigkeiten bereichsspezifischer Geheimhaltung abgewogen werden. Die Öffentlichkeit kann über den demokratischen Gesetzgebungsprozess Einsicht in die Befugnisse des BND erhalten und auf diesen Gesetzgebungsprozess durch unterschiedliche Partizipationsmethoden einwirken. Entscheidet sie sich aber durch ihre repräsentative Vertretung im Parlament für die institutionelle Errichtung eines auf Geheimhaltung angewiesenen Auslandsnachrichtendienst, so müssen ihr operative Arbeitsweisen und Hinweise auf Instrumente und Methoden vorenthalten bleiben, um den gesetzgeberischen Willen der funktionellen Aufgabenerfüllung dieses Dienstes durchsetzen zu können.
Völlige Transparenz ist im Sicherheitskontext illusorisch und dysfunktional (vgl. Benamor DVBl. 2024, 1133 ff.). Demokratische Kontrolle heißt hier zuvorderst die unabhängige Kontrolle der sicherheitsbehördlichen Grundrechtseingriffe. Die nachrichtedienstliche Tätigkeit des BND wird durch ein komplex-vernetztes System unterschiedlichster Kontrollmechanismen und -institutionen rationalisiert. Die parlamentarische Kontrollkommission aus Art. 45d GG, die G10-Kommission nach § 15 des Artikel 10-Gesetzes, der unabhängige Kontrollrat aus § 41 BNDG als ergänzende administrative Kontrolle und der Bundesdatenschutzbeauftragte bilden ein vielschichtiges Kontrollnetz, welches die auslandsnachrichtendienstliche Tätigkeit aus verschiedenster Perspektive kontrolliert und an rechtsstaatliche Standards bindet (vgl. dazu Schlömer ZRP 2024, 143). Diese objektiven Kontrollinstanzen gewährleisten gleichsam aber auch die für die effektive nachrichtendienstliche Aufgabenerfüllung des BND notwendige Geheimhaltung. Sie sichern sowohl eine hinreichende kompensatorische Wirkung in grundrechtlicher Hinsicht (Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG) als auch die demokratische parlamentarische Kontrolle institutionell ab. Eine „umfassende demokratische Kontrolle der Öffentlichkeit“ mag hier rechtspolitisch durch diverse NGOs und Akteur*innen der Zivilgesellschaft gewünscht werden, muss aber letztlich in einer Gesamtabwägung regelmäßig hinter den Sicherheitsbelangen nachrichtendienstlicher Aufklärung zurückstehen. Die sicherheitsorientierte Abwägungsdogmatik des BVerwG ist daher ausdrücklich zu begrüßen.