01 November 2024

Der Messias und seine Oligarchen

Letzten Sonntag fanden wir uns irgendwo zwischen der 33rd Street und der 6th Avenue zwischen tausenden Menschen in MAGA-Kappen und roten T-Shirts wieder. Eine ewige Schlange von wartenden Menschen zog sich durch New York – Block für Block, Stunde um Stunde. Angereist sind sie aus dem Norden des Bundesstaates New York oder aus anderen Stadtteilen, voller Begeisterung, Trump im Madison Square Garden endlich persönlich zu sehen. Einige von ihnen, so erzählen sie es uns, reisen für Trumps Kundgebungen regelmäßig durch das ganze Land.

Wir reihen uns mit ihnen in die Schlange, um uns selbst ein Bild von einer Veranstaltung zu machen, die der Wahlkampfsaison ein besonders düsteres Ende setzen wird. Im Staat New York hat Trump kaum Chancen, zu gewinnen (laut neuesten Umfragen liegt er hier fast 20 % hinter Harris). Bei seinem Auftritt in Manhattan, dem Epizentrum der Küsteneliten, ging es also vor allem darum, Macht und Selbstbewusstsein zu demonstrieren. Es ging auch darum zu beweisen, wie erfolgreich Trump damit ist, eine Bewegung zu gründen und hinter sich zu versammeln – eine Bewegung, die von Unzufriedenheit, rassistischer Demagogie und seinem fragwürdigen Talent lebt, das Unsagbare sagbar zu machen. Trotz allem war es erschreckend, wie extrem die rassistische Hetze gegen Einwanderer, „gestohlene Wahlen“ und „den Feind im Inneren“ war, wie groß die Verachtung für das, was Trump als kaputtes Regierungssystem beschreibt. Über der Arena schwebte unterdessen ein großes, fast messianisches Banner mit dem Versprechen: „Trump will fix it“ – Trump wird es richten.

Dieses „es“ kann vieles bedeuten: Demokratie, Inflation, Einwanderung, die Wirtschaft. Es verwandelt Trump und seine Bewegung in eine breite und offene Projektionsfläche, auf die erstaunlich viele Menschen – jung, alt, reich, arm, weiß und nicht-weiß – ihre jeweiligen Sorgen projizieren können. Tatsächlich sind viele Wähler*innen in den USA grundlegend unzufrieden: 50 % der Amerikaner*innen glauben nicht an die Demokratie, 55 % wollen die Einwanderung verringern. In Swing States halten acht von zehn Menschen die Wirtschaft für nur „mäßig“ oder „schlecht“. Doch Trumps Anhänger*innen sind überzeugt, dass er „lösen“ wird, was auch immer sie am meisten besorgt.

Als wir eine junge Frau in der Schlange fragen, warum sie Trump unterstützt, antwortet sie ruhig: „Weil er mir ein Gefühl von Sicherheit gibt. Er stellt das Volk über die Regierung. Er steht für Harmonie, Frieden und Erfolg.“ Das mag absurd klingen angesichts Trumps Versprechen, seine Gegner zu verfolgen und abzuschieben, das Militär gegen den „Feind im Inneren“ einzusetzen und mit Truppen gegen „gewalttätige Demonstranten“ sowie gegen illegale Migrant*innen an der Grenze vorzugehen. In den Augen seine Anhänger*innen ist Trump jedoch jemand, der „Dinge erledigen kann“. Ihre Loyalität zu Trump ist weniger politisch als persönlich motiviert: Sie hängt an Trump als Person und an der Bewegung, die sich um ihn gebildet hat.

Letzte Woche ging es in unserem Editorial um die institutionellen Eigenheiten des US-amerikanischen Wahlsystems. Diese Woche wollen wir uns die Menschen ansehen, die Figuren, die diese Wahl grundlegend prägen. Im Mittelpunkt steht Donald Trump selbst. Trump ist für seine Wähler*innenschaft die entscheidende Person. Als wir einen Mann in der Schlange fragen, ob ihn auch andere Redner auf der Kundgebung interessieren, lacht er nur: “No. Only Trump. He’s the main guy.” Doch auch andere Figuren prägen diese Wahl – allen voran Elon Musk, der bei der Kundgebung im Madison Square Garden ebenfalls auf der Bühne stand.

Wir wollten verstehen, was Trumps Anziehungskraft ausmacht, und was er und die oligarchischen Strukturen, die ihn tragen, für die amerikanische Demokratie bedeuten. Dazu haben wir mit Menschen aus zwei sehr unterschiedlichen Perspektiven gesprochen: mit leidenschaftlichen Trump-Anhänger*innen auf der Kundgebung und prominenten Rechtswissenschaftler*innen wie Sam Issacharoff von der New York University und Julie Cohen von der Georgetown University.

Personenkult und Populismus

Für viele Menschen, mit denen wir vor dem Madison Square Garden in der Schlange stehen, ist Trump ein Messias; einige vergleichen seine Kundgebung gar mit einer Pilgerreise nach „Mekka“. Trumps Kundgebungen sind ekstatisch; die Leute jubeln und lachen, während sie ihre Feinde beleidigen. Sie können selbst kaum glauben, wie viele Menschen kommen, und filmen fasziniert die Massen. Jedes Mal, wenn die Schlange einen Zentimeter vorankommt, stimmen sie in patriotische Sprechgesänge ein, grölen „USA! USA! USA!“ und verteilen MAGA-Merchandise. Als ein Passant die Menge fragt, ob sie „bereit sei, einen Diktator zu wählen“, ruft das rote Meer aus Hüten und T-Shirts im Chor: „Lock him up!“ – „Sperrt ihn ein!“. So wird die Uniformität von Massenbewegungen greifbar – nicht nur ganz buchstäblich ihre Uniform, sondern gerade auch die Uniformität in Glauben und Gehorsam. Für uns war das beklemmend. Aber wir ahnten auch, dass es bestärkend sein kann: Wer Teil eines Kultes ist, fühlt sich besonders, als Teil der Auserwählten – der Person, die alle Antworten kennt, ganz nah.

Trump scheint für viele mehr als ein Politiker zu sein. Er verkörpert Wahrheit, einen fast spirituellen Ruf nach Gerechtigkeit. Trump selbst beschreibt sich als die „Vergeltung“ für die „vergessenen Männer und Frauen Amerikas“. Diese Wahrheit ist für viele Amerikaner*innen so offensichtlich, dass jede Wahl, bei der Trump nicht gewinnt, illegitim sein muss und sich nur durch „Manipulation“ der Gegenseite erklären lässt.

Diese falsche Erzählung von „gestohlenen“ Wahlen hat Trumps Personenkult nur weiter befeuert. Trump wurde vom abwählbaren Politiker zum unfehlbaren Anführer – eine populistische Verwandlung, allerdings eine der besonders gefährlichen Art. Denn Trump geht es nicht einfach nur darum, im demokratischen System mit populistischen Versprechen zu gewinnen. Er zielt darauf ab, das demokratische System selbst auszuhebeln. Er beansprucht Macht und Amt, ganz ohne Wahlen. In Trumps Erzählung bestätigt seine Wahl nur einen Status, den er ohnehin schon innehat: als der Anführer des Volkes, der guten und rechtschaffenen Amerikaner*innen.

Das ist natürlich extrem beunruhigend. Wie Samuel Issacharoff, Professor für Verfassungsrecht an der New York University, erklärt, ist ein Hauptmerkmal der Demokratie das „repeat play“, also die Tatsache, dass das Spiel immer wieder von vorn beginnt. Hinzu kommt ein institutionelles System, das es der Mehrheit zwar erlaubt, zu gewinnen, ihre Macht aber im Zaum hält, um eine „Tyrannei der Mehrheit“ zu verhindern. Hauptmerkmal des politischen Populismus ist es dagegen, genau diese Institutionen anzugreifen – vor allem jene, die das „repeat play“ tatsächlichen möglich machen, an erster Stelle also Wahlen mit friedlichem Machtwechsel. Populist*innen betonen, dass es solche Institutionen für den wahren und unmittelbaren Volkswillen – den sie verkörpern – nicht brauche. Besonders alarmierend ist Trumps Rhetorik, mit der er den Ausnahmezustand herbeiredet. Issacharoff bezweifelt, ob eine Demokratie – so widerstandsfähig sie auch sein mag – mehrere Wahlen in Folge überleben kann, die von dieser fatalistischen Rhetorik leben. Denn wenn „die Apokalypse“ bevorsteht, kommt es sowohl auf demokratische Institutionen als auch auf das „repeat play“ nicht mehr an.

Die Grand Old Party am Rande der Demokratie

Nicht nur bei seinen Anhänger*innen herrscht ein Personenkult um Trump. In seiner eigenen Partei, der G.O.P., hat Trumps Personenkult die politische Kultur nachhaltig verändert. Parteimitglieder, die sich gegen ihn ausgesprochen haben, wurden aus der Partei ausgeschlossen – etwa Liz Cheney, die nach dem Sturm aufs Kapitol für seine Amtsenthebung stimmte. Mit dem „Feind im Inneren“ meint Trump also nicht nur die Demokraten, sondern auch Mitglieder seiner eigenen Partei, die es wagen, ihm zu widersprechen.

Für Issacharoff ist der Trumpsche Zerfall der Republikanischen Partei genauso einzigartig wie besorgniserregend. Die USA seien das einzige Land, in dem der Populismus selbst zur Volkspartei wurde, statt sich – wie in anderen Ländern – gegen die Volksparteien zu inszenieren. Trump hat die G.O.P. umfunktioniert und ausgehöhlt. Inzwischen ist die Partei selbst bei einfachsten Vorgängen gelähmt, wie etwa bei der Wahl eines Fraktionsführers. Ob Trump die G.O.P. ins demokratische Aus geführt hat, bleibt abzuwarten. Issacharoff hält es für ein schlechtes Omen, dass die Republikaner den 6. Januar als akzeptabel hinnehmen. Lackmustest werde sein, ob die Partei einen Sieg von Harris hinnimmt – oder weiter für Unruhe sorgt.

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Die amerikanische Oligarchie

Es spielen aber auch noch (andere) Milliardäre eine Rolle. Neben Trump beeinflussen zunehmend einige wenige ultrareiche Einzelpersonen – allesamt Männer – die amerikanische Politik. Sie verfügen nicht nur über Milliarden, sondern kontrollieren wichtige Infrastruktur und bestimmen den Diskurs. Allen voran: Elon Musk, der reichste Mann der Welt. Wie Trump spaltet er die Öffentlichkeit – vor allem Intellektuelle – mit seinen Twitter-Entgleisungen, Mars-Ambitionen und Elektroautos. Neuerdings ist Musk nach rechts abgedriftet. Er hat Trumps Kampagne mit mehreren Millionen Dollar unterstützt und – vermutlich illegal – ein Preisgeld von einer Million Dollar für Wähler*innen in Pennsylvania ausgelobt, die sich zur Wahl registrieren und eine konservative Petition unterschreiben. Gemeinsam mit anderen prominenten Milliardären derart die Wahl zu beeinflussen, offenbart mehr als nur einen Wunsch nach Deregulierung. Dahinter steht eine ambitionierte ideologische Agenda, die den demokratischen Staat insgesamt überwinden möchte.

Natürlich ist Musk nicht der einzige Milliardär, der in den US-Wahlkampf investiert. Die Gelder, die in die Kampagnen von Clinton 2016, Biden 2020 und Harris 2024 geflossen sind, haben die jeweiligen Trump-Kampagnen bei weitem übertroffen, nicht zuletzt dank großzügiger Spenden der amerikanischen Geschäftselite. Hinter diesen Beiträgen standen jedoch vermutlich traditionellere Deregulierungsforderungen, als es bei jemandem wie Musk der Fall ist.

Das ideologische Projekt des Silicon Valley

Doch der offensichtliche politische Einfluss von Musk und seinen Milliardärskollegen (etwa von Jeff Bezos, dessen Washington Post dieses Mal – anders als sonst üblich – keinen Präsidentschaftskandidaten empfiehlt) könnte nur die sichtbare Spitze einer umfassenderen ideologischen Transformation sein, die vor allem das Silicon Valley vorantreibt. Darüber haben wir mit Julie Cohen von der Georgetown University gesprochen, einer führenden Expertin auf dem Gebiet der Informationsökonomie. Cohen bezeichnet die Silicon-Valley-Elite als „Trump-curious“. Für viele in der Tech-Branche stehe Trump nicht nur für Deregulierung, sondern für das Infragestellen von staatlicher Aufsicht insgesamt.

Der libertäre Impuls ist in amerikanischer Politik nichts Neues. Traditionell beschränkte sich dieser Impuls jedoch weitgehend darauf, die persönliche Freiheit und die Privatwirtschaft zu verteidigen. Die heutigen Tech-„Oligarchen“, wie Cohen sie nennt, wollen jedoch nicht nur die Politik gestalten, sondern den gesamten Entscheidungsprozess neu denken. Viele ihrer Ideen klingen nach Science-Fiction: eine Welt, in der KI und private Kolonien (auf dem Mars und der Erde) die Demokratie ablösen und digitale Währungen staatliches Geld ersetzen.

Dieser Größenwahnsinn der Tech-Oligarchen, gepaart mit einem Personenkult um Figuren wie Musk, ergänzt Trumps Populismus ideologisch nahezu perfekt – und auf gefährlichste Weise. Wem nach Gruselgeschichten zumute ist, sollte das „Techno-Optimist Manifesto“ lesen, das zwei berüchtigte Silicon-Valley-Figuren verfasst haben. Fantasien über eine „rationale“ Welt, die von Technologie und Privateigentum regiert wird, mögen noch nach Science-Fiction klingen. Aber dahinter steht die feste Überzeugung, dass das bestehende System überwunden werden muss.

Anti-Regierung als Regierung?

Es ist schwer zu sagen, welche Rolle solche Überzeugungen für die breite Wähler*innenschaft spielen. Die Menschen wählen Trump aus unterschiedlichen Gründen – aus wirtschaftlichen, kulturellen oder religiösen Überzeugungen oder aus Angst davor, dass die Demokraten Amerika „sowjetisieren“. Nur wenige werden sich tatsächlich dafür interessieren, was Musk bei einer Kundgebung sagt oder auf dem Mars plant. Wie der Trump-Fan sagte: Trump ist die Hauptfigur.

Allerdings werden die meisten dieser Trump-Anhänger*innen nicht regieren, wenn er gewinnt. Viel wichtiger sind nach der Wahl die ideologische Überzeugungen derjenigen, die bei einem republikanischen Wahlsieg ins Amt gehoben würden.

Wahrscheinlich würde Trump die oberen Ränge seiner Regierung mit Silicon Valley Personal besetzen. Zentrale Teile des Valleys stehen hinter Trump – nicht unbedingt seiner Person wegen, sondern weil sie die öffentliche Verwaltung auf ein Minimum herunterfahren wollen. Wenn Figuren wie Elon Musk in föderalen Behörden sitzen, könnte das weitaus folgenreicher sein als eine traditionelle Deregulierungswelle. Selbst Marktfundamentalisten der 1980er Jahren hielten den Staat nicht für überflüssig. Die heutigen Tech-Oligarchen hingegen scheinen zunehmend entschlossen, den Staat hinter sich zu lassen, als Relikt vergangener Zeiten. „Das ist qualitativ neu,“ sagt auch Cohen.

Kombiniert man diese neue Ideologie mit dem immensen Reichtum und der Macht einer kleinen Gruppe von Milliardären einerseits und mit der breiten, leidenschaftlichen Basis der Trump-Bewegung andererseits, entsteht eine potenziell explosive Mischung. Das ist keine übertriebene Schwarzmalerei. Auch das Pentagon und die US-Regierung zeigen sich zunehmend besorgt über ihre Abhängigkeit von Musks Satelliten- und Raketeninfrastruktur, dessen eigene Außenpolitik (er spricht regelmäßig mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin) und die schwindende Souveränität des amerikanischen Staates.

Nach der Wahl

Für Trump, seine Anhänger*innen und die Tech-Oligarchen lässt sich demokratische Legitimität nicht mehr an der Wahlurne ablesen. Aus ihrer Perspektive rechtfertigen starke Umfragewerte und volle Kundgebungen Trumps Machtanspruch, und weder er noch seine milliardenschweren Unterstützer*innen brauchen die Demokratie, den Staat oder Institutionen, um ihre Autorität zu legitimieren.

Ganz im Gegenteil: Für viele Amerikaner*innen scheint der institutionelle status quo, bei aller Kritik an seinen Mängeln, den Volkswillen eher zu unterdrücken als zu ermöglichen. Die Ironie dabei: An diesem Gefühl ist durchaus etwas dran, wie wir letzte Woche beschrieben haben. Doch die Folgerungen, die daraus gezogen werden, sind mehr als beunruhigend. Im Juli