06 June 2025

„Der Rechtsstaat ist auf eine redliche Verwaltung angewiesen“

Fünf Fragen an Till Patrik Holterhus

Nur einen Tag nach Aufnahme der Regierungsgeschäfte ordnete der neue Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) an, die Kontrollen an den deutschen Binnengrenzen zu verschärfen. Zugleich wies er die Bundespolizei an, dabei gem. § 18 Abs. 2 Nr. 1 AsylG auch Asylsuchende zurückzuweisen, sofern sie aus einem sicheren Drittstaat nach Deutschland einreisen wollen. In der Rechtswissenschaft warnten zahlreiche Stimmen früh davor, dass diese Praxis gegen Unionsrecht verstoße und klar rechtswidrig sei (etwa hier und hier). Nun hat das Verwaltungsgericht Berlin in drei Entscheidungen die Zurückweisung von somalischen Asylsuchenden an der deutsch-polnischen Grenze für rechtswidrig erklärt. Beendet ist die Zurückweisungspraxis damit jedoch nicht. Mit Rückendeckung von Kanzler Friedrich Merz kündigte Alexander Dobrindt unmittelbar nach Veröffentlichung der Entscheidungen an, an seiner Weisung festzuhalten. Liegt damit ein Fall „exekutiven Ungehorsams“ vor?

Wir haben mit Till Patrik Holterhus gesprochen. Er ist Professor für Internationales Öffentliches Recht an der Leuphana Law School und Mitherausgeber des Buches „Die schwache Gewalt? – Zur Behauptung judikativer Autorität“.

1. Die Bundesregierung argumentiert, dass es sich bei den Entscheidungen nur um Einzelfälle im Eilverfahren handele. Andere sprechen jedoch von Grundsatzentscheidungen, die über den Einzelfall hinauswirkten. Welche Bindungswirkung haben denn die Beschlüsse des VG Berlin?

Zunächst einmal trifft es zu, dass sich die materielle Rechtskraft der Beschlüsse nur auf die konkret entschiedenen Sachverhalte – hier also die Zurückweisung der drei somalischen Antragsteller – bezieht und nicht auch auf andere Sachverhalte. Denn die materielle Rechtskraft von Beschlüssen ist, auch im einstweiligen Rechtsschutz, auf den konkreten Streitgegenstand beschränkt. Aus einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung folgt also keine unmittelbare Pflicht des im jeweiligen Verfahren unterlegenen Rechtsträgers und seiner Behörden, sich auch in ähnlich gelagerten Fällen an dieser Entscheidung auszurichten. Anders gewendet: Eine Behörde, die vor dem Verwaltungsgericht im Einzelfall unterliegt, muss allein deshalb noch nicht ihre gesamte Verwaltungspraxis anpassen.

2. Mitunter wird gegenwärtig davon gesprochen, dass es sich hier um einen Fall des sog. exekutiven Ungehorsams handele. Was hat es damit auf sich?

Exekutiver Ungehorsam ist ein schillernder Begriff, der in der politischen Theorie und auch in der Rechtswissenschaft bisher nicht abschließend definiert ist. Meist wird von exekutivem Ungehorsam gesprochen, wenn ein Exekutivorgan eine verbindliche Gerichtsentscheidung im Hinblick auf ihre konkrete materielle Rechtskraft ignoriert.

Solch exekutiver Ungehorsam lag etwa vor, als die Stadt Wetzlar sich 2018 trotz ausdrücklich entgegenstehender verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen – und insbesondere auch entgegen einer unmissverständlichen einstweiligen Anordnung des Bundesverfassungsgerichts – schlicht weigerte, die örtliche Stadthalle der NPD im Sinne der Parteiengleichheit für deren Landtagswahlkampf zu überlassen. Oder als es die bayerische Staatsregierung beharrlich unterließ, den Luftreinhalteplan für die Münchener Innenstadt fortzuschreiben, obwohl sowohl das Verwaltungsgericht München als auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof dies ausdrücklich – unter wiederholter Verhängung von Zwangsgeldern und sogar der Androhung von Zwangshaft – forderten. Beide Fälle haben es wegen der besonders offenen Missachtung verbindlicher judikativer Entscheidungen ja auch zu einiger Bekanntheit gebracht.

Die Konstellation, die uns hier interessiert, liegt aber anders. Denn der Bundesinnenminister hat bisher gerade nicht erkennen lassen, dass er die konkreten verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen über die Rechtswidrigkeit der Zurückweisung der drei Somalier nicht akzeptiere oder sich der ordnungsgemäßen Umsetzung der Beschlüsse in den Weg stellen wolle. Vielmehr weist er lediglich darauf hin, dass er die Beschlüsse des VG Berlin nicht zum Anlass nehmen werde, die bisherige Zurückweisungspraxis künftig auch in anderen Fällen zu ändern.

3. Viele Rechtswissenschaftler*innen werten die Zurückweisungspraxis als eindeutigen Verstoß gegen geltendes Unionsrecht, und auch das VG Berlin stellt fest: „Die Dublin-III-Verordnung erlaubt keine Zurückweisung ohne Durchführung des darin geregelten vollständigen Verfahrens zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats” (S. 14). Muss dies nicht auch für die Frage des exekutiven Ungehorsams relevant sein?

Auch wenn es spitzfindig erscheint, sind hier zwei Kategorien rechtsstaatlicher Vorwürfe voneinander zu unterscheiden.

Es ist das eine, ob man dem Bundesinnenminister vorwirft, die materielle Rechtskraft verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen zu missachten – ein solcher exekutiver Ungehorsam ist hier, wie gesagt, nicht gegeben. Etwas anderes ist es, wenn dem Bundesinnenminister vorgeworfen wird, sehenden Auges Zurückweisungen anzuordnen, denen das Unionsrecht so evident entgegensteht, dass ihnen der Rechtsbruch – auch unabhängig von entsprechend konkretisierenden Gerichtsentscheidungen – auf die Stirn geschrieben ist.

Beides sind schwere, aber eben unterschiedliche Vorwürfe der Verletzung des zentralen rechtsstaatlichen Elements der Rechtsbindung öffentlicher Gewalt.

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4. Wie sieht es dann mit der Ankündigung des Bundesinnenministers aus, die jüngsten Beschlüsse des VG Berlin bei der Ausrichtung der künftigen Zurückweisungspraxis nicht mit einzubeziehen? Da bleibt doch ein rechtsstaatliches Störgefühl, oder?

In der Tat, aus rechtsstaatlicher Perspektive ist das nicht völlig unproblematisch. Im gewaltengeteilten Rechtsstaat ergibt sich die Realität des geltenden Rechts immer erst aus einer Kombination von legislativ gesetzter, abstrakter Rechtsnorm und deren gerichtlicher Interpretation.

Obwohl sich die materielle Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen ganz regelmäßig nur auf den Einzelfall bezieht, ist es vor diesem Hintergrund – insbesondere im Zusammenhang mit höchstrichterlicher bzw. letztinstanzlicher Rechtsprechung – durchaus richtig, auch von gerichtlichen Grundsatzentscheidungen und der Setzung allgemeiner rechtlicher Maßstäbe zu sprechen.

Aus rechtsstaatlicher Perspektive wäre es daher grundsätzlich problematisch, wenn ein wesentlicher Teil der Bundesverwaltung den Standpunkt einnähme, sich bei der Anwendung des Rechts nicht auch von vorigen verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen leiten zu lassen – insbesondere, wenn diese Entscheidungen der beabsichtigten Verwaltungspraxis konkret entgegenstehen.

Ein funktionierender Rechtsstaat ist selbstverständlich darauf angewiesen, dass die Verwaltung bestehende Rechtsprechungslinien – auch jenseits deren beschränkter materieller Rechtskraft – redlich zur Kenntnis nimmt und in die Gestaltung ihres Handelns einbezieht. Anders gewendet: Eine Verwaltung, die kontinuierlich im klaren Bewusstsein handelt, dass ihre Maßnahmen im Lichte bestehender Rechtsprechungslinien mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit immer wieder gerichtlich aufgehoben werden, handelt auch dann nicht rechtsstaatlich, wenn sie der Überzeugung ist, dass die konfligierende Rechtsprechungslinie (rechtlich) verfehlt ist.

Ob mit den drei Beschlüssen des VG Berlin und den darin enthaltenen grundsätzlichen unionsrechtlichen Erwägungen eine solche Rechtsprechungslinie begründet wurde, ist jedoch noch unklar und wird sich erst mit weiteren absehbaren Gerichtsentscheidungen zeigen.

Ich wäre daher noch etwas zurückhaltend dabei, dem Bundesinnenminister bereits jetzt die Nichtbeachtung einschlägiger Rechtsprechungslinien vorzuwerfen. Klar ist aber: Je mehr gerichtliche Entscheidungen von einer Rechtswidrigkeit der angeordneten Zurückweisungen ausgehen, desto problematischer wird es, diese bei der Gestaltung des künftigen Verwaltungshandelns nicht zu berücksichtigen.

Auch unabhängig von der beschränkten materiellen Rechtskraft der einzelnen Gerichtsentscheidungen wäre der Kipppunkt zu einer strukturellen Verletzung des Rechtsstaatsprinzips irgendwann erreicht.

5. Wie würde der Rechtsstaat eine solche strukturelle Verletzung des Rechtsstaatsprinzips sanktionieren?

Jenseits der einzelfallbezogenen verwaltungs- und verfassungsgerichtlichen Überprüfung des behördlichen Handelns gibt es gegen eine von ministerieller Ebene gestützte, klaren Rechtsprechungslinien zuwiderlaufende und damit kontinuierlich rechtswidrige Verwaltungspraxis auf institutioneller Ebene kaum rechtliche Handhabe.

Natürlich gelten für die handelnden Personen individuelle rechtliche Grenzen. Je eindeutiger und vorhersehbarer der Rechtsverstoß, desto eher kann es letztlich sowohl für die unmittelbar handelnden Polizistinnen und Polizisten wie auch für den anweisenden Bundesinnenminister sogar zu einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit kommen. Davon sind wir zur Zeit aber noch ein gutes Stück weit entfernt. Wo insoweit Zweifel bestehen, reicht eine Remonstration der betroffenen Beamten gegenwärtig jedenfalls völlig aus.

Interessanter scheint es mir, den Blick auf einen anderen Bereich möglicher Sanktionierung bzw. Korrektur zu lenken, der in den Mechanismen demokratischer Repräsentation wurzelt. Jeder durch eine politische Verwaltungsspitze angeordneten Verwaltungspraxis wohnt in der Logik demokratischer Machterhaltung stets auch eine politische Kosten-Nutzen-Rechnung inne. Das gilt (leider) auch für die Fälle offen rechtswidriger Verwaltungspraxis.

Jedenfalls solange der Bereich der individuellen strafrechtlichen Verantwortung noch nicht erreicht wird, ist also zu vermuten, dass der ministeriellen Entscheidung für die Anordnung einer rechtswidrigen Verwaltungspraxis zumindest auch die politische Abwägung zugrunde liegt, ob mit der entsprechenden Anordnung mehr Wählerstimmen zu gewinnen als zu verlieren sind.

Wirklich „kostspielig“ würde eine solche rechtswidrige Verwaltungspraxis für den Bundesinnenminister demnach erst dann, wenn fortgesetzte Rechtsverstöße nicht nur verwaltungsgerichtlich kontinuierlich geahndet würden, sondern daraus auch messbare negative Auswirkungen auf Beliebtheitswerte und zu erwartende Wahlergebnisse folgten.

Der Rechtsstaat wäre insoweit also ganz maßgeblich auch im politischen Raum zu verteidigen.

Till Patrik Holterhus dankt Fabian Michl und Sven Siebrecht für einen gewinnbringenden Austausch zu den behandelten Fragen.

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Editor’s Pick

von KLAAS MÜLLER

Die Demokratie steckt in der Krise. Oder doch nicht? Wenn der Mehrheitswechsel (noch) funktioniert, ist es dann nicht eher ihre liberale Spielart, die kriselt?

Alles Krise jedenfalls. Verständlich, wer da selbst die Krise kriegt. Um ein paar Knoten zu lösen, empfehle ich Uwe Volkmanns Text „Demokratischer Minimalismus“ (Merkur, Nr. 912, Mai 2025). Volkmann erklärt, warum Begriffe wie Resilienz Konjunktur haben und warum Defensive im Kampf um die Demokratie nicht ausreicht.

Vielleicht ist die wahre Krise am Ende gar die ewige Krisenrhetorik und es braucht vor allem einen vibe shift in der Art und Weise, in der wir Konflikte bearbeiten. Ich frage mich: Warum verzweifeln wir heute vor allem an Widersprüchen – statt uns als Antrieb der Erkenntnis über sie zu freuen?

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Die Woche auf dem Verfassungsblog

zusammengefasst von EVA MARIA BREDLER

In der Politik scheinen noch nicht alle mitbekommen zu haben, dass das Verwaltungsgericht Berlin in einem Eilverfahren die Zurückweisungen an der Grenze als europarechtswidrig eingeordnet hat (s. Interview oben). Nicht nur ihnen empfehlen wir den Beitrag von MAXIMILIAN PICHL (DE), der den Beschluss bespricht und erklärt, warum Ausstrahlungswirkung über den Einzelfall hinaus besteht.

Mehr Aufmerksamkeit richtete die Politik dagegen auf eine andere asylrechtliche Frage: Der Bundestag beriet heute in erster Lesung über zwei Gesetzesentwürfe, mit denen der Familiennachzug bei Fällen subsidiären Schutzes ausgesetzt und die Bundesregierung ermächtigt werden soll, per Rechtsverordnung „sichere Herkunftsländer” zu bestimmen. VALENTIN FENEBERG (DE) sagt: Die Aussetzung des Familiennachzugs missversteht den subsidiären Schutz; bei „sicheren Herkunftsstaaten“ per Rechtsverordnung drohen Intransparenz und mangelhafte Begründung.

Mutmaßlich mangelhaft begründete asyl- und migrationsrechtliche Standards haben Ende Mai auch neun Mitgliedstaaten dazu veranlasst, einen Brief an den EGMR zu richten. SILVIA STEININGER (EN) ordnet den Vorgang ein und fragt: Wofür sind Menschenrechte da, wenn nicht für den Schutz ausländischer Krimineller?

Am 19. Mai leitete Litauen ein Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof gegen Belarus ein – wegen des mutmaßlichen Einschleusens von Migrant*innen. DANA SCHMALZ (EN) zeigt, wo Litauens Argument stark ist und was bislang fehlt: Insbesondere die Gleichsetzung von klassischer Schleusung mit der politischen Instrumentalisierung von Migration sei problematisch.

Globale Aufmerksamkeit zog auch ein anderes Verfahren auf sich, das nun vor dem Oberlandesgericht Hamm an sein Ende kam. In der wohl spektakulärsten Klimaklage Deutschlands wies das Gericht die Klage des peruanischen Kleinbauern Lliuya gegen RWE zwar ab, stellte aber fest, dass Großemittenten grundsätzlich nach deutschem Zivilrecht für klimabedingte Schäden haftbar gemacht werden können – ein “success without victory”, wie PAUL GRIMM und JAN-ERIK SCHIRMER (EN) resümieren.

Das Klima tauchte dabei zwar faktisch im Gerichtssaal auf, war aber jedenfalls kein Prozessbeteiligter. Anders könnte sich das bei der Lagune Mar Menor bald darstellen.  Nachdem Spanien im November 2022 das Ley 19/2022 verabschiedet hatte, wird sich in laufenden Strafverfahren nun erstmals entscheiden, ob das Rechtssubjekt Mar Menor vor Gericht auftreten kann. FINN-LAURITZ SCHMIDT (DE) legt das spanische Gesetz aus und argumentiert, dass die Lagune über eine „acusación particular“ zur strafprozessualen Beteiligten werden kann: vertreten, aber in eigenem Namen.

Wegen der schweren Menschenrechtsverletzungen in Gaza zieht nun die EU Konsequenzen und prüft ihr Assoziierungsabkommen mit Israel. STEFAN LORENZMEIER (DE) hat sich angeschaut, welche Sanktionsmaßnahmen die EU bei völkerrechtswidrigem Verhalten von Vertragspartnern ergreifen kann.

Sowohl der Umgang mit Gaza als auch mit der Ukraine lassen alte Vorwürfe in neuer Schärfe aufkommen: Das Völkerstrafrecht messe mit zweierlei Maß. Jetzt ringt es mit seiner eigenen Glaubwürdigkeit. ANDREAS PATETT (DE) ordnet ein, was auf dem Spiel steht – und was sich ändern muss.

Zur Befriedung des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine wurden Anfang der Woche die Waffenstillstandsverhandlungen in Istanbul fortgesetzt. Frühere Gespräche scheiterten, da Putin nicht erschien und alte Forderungen wiederholte, die die Ukraine längst abgelehnt hatte – vor allem jene, ukrainisches Staatsgebiet an Russland abzutreten. CARNA PISTAN (EN) warnt: Eine Abtretung unter diesen Voraussetzungen würde Geschichtsrevisionismus als geopolitische Strategie belohnen – und einen gefährlichen Präzedenzfall im Völkerrecht schaffen.

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Als rechtliche Lösung könnte der EGMR bald erste Entschädigungen gegen Russland für dessen Vorgehen in der Ukraine anordnen. Dann stellt sich die Frage der Durchsetzung. Angesichts der fehlenden Kooperationsbereitschaft Russlands könnten Kläger versuchen, Entschädigungen in Drittstaaten durchzusetzen, die russische Vermögenswerte halten – ein vielversprechender, aber bislang unerprobter Ansatz, den ANTOINE DE SPIEGELEIR UND BEINI YE (EN) geprüft haben.

Fehlende Kooperationsbereitschaft hat bislang auch den Umgang Belgiens mit dessen Kolonialverbrechen im Kongo gekennzeichnet. Jetzt hat das Brüsseler Berufungsgericht  den belgischen Staat dazu verurteilt, Entschädigungen für das Unrecht zu zahlen, das Kindern weißer Väter und schwarzer Mütter durch rassistische Segregation zugefügt wurde. Ein historisches Urteil: Zum ersten Mal hat ein nationales Gericht einen Staat verpflichtet, finanzielle Wiedergutmachung für Taten zu leisten, die als Verbrechen gegen die Menschlichkeit im kolonialen Kontext gewertet werden könnten. SOFIA VANDENBOSCH (EN) erklärt die Folgen.

Folgenreich sind auch Trumps jüngste Angriffe auf NGOs: Trump und der Kongress stellen nun deren Steuerbefreiung infrage. Die Organisationen werden dabei teils als illegale Instrumente dargestellt, um Steuervorteile für Reiche zu sichern. LLOYD HITASHI MAYER (EN) kartiert die rechtlichen Spannungsfelder.

Auch Migrant*innen bleiben in Trumps Visier: Die Einwanderungsbehörde ICE geht nun dazu über, Menschen ohne US-Staatsangehörigkeit direkt am Gericht festzunehmen – also an einem Ort, an dem sie eigentlich humanitären Schutz beantragen oder sich gegen Abschiebung verteidigen wollen. Die Festnahmen erfolgen unmittelbar, nachdem die Regierung beantragt, die Verfahren einzustellen. SHALINI BHARGAVA RAY (EN) zeigt, wie diese Praxis das Recht auf ein faires Verfahren unterläuft – und das Gericht zur Falle macht.

Keine Falle dagegen ist das verdeckte Testen der Integrität von Amtsträger*innen: Im Fall Cavca gegen Moldau hat der EGMR entschieden, dass solche Maßnahmen im Kampf gegen Korruption zulässig sein können. TILMAN HOPPE (EN) ordnet das Urteil ein – und erklärt, ab wann die Tests rechtlich doch problematisch werden können.

Auch in einem anderen Fall billigte der EGMR ein verdecktes Vorgehen: Im Grundsatzurteil Russ gegen Deutschland stellte das Gericht fest, dass es die Versammlungsfreiheit verletzt, einen Demonstranten wegen eines Visiers zu bestrafen. Damit stärke das Gericht die Bedeutung menschenrechtlicher Freiheiten, findet JOHANNA BÜCKER (EN) und analysiert die Entscheidung.

Restriktiver war der EGMR dagegen bei Gefangenenrechten: In Tergek gegen Türkei entschied der Gerichtshof, dass Gefangenen der Zugang zu bestimmten Informationen aus vagen Sicherheitsgründen verweigert werden darf. Für RUMEYSA BUDAK (EN) ist das ein beunruhigendes Signal – es könnte auf eine grundsätzliche Verschiebung hin zu mehr staatlicher Deutungshoheit und weniger Grundrechtsschutz hindeuten.

Apropos staatliche Deutungshoheit: Neben den Angriffen auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk treiben der slowakische Premierminister Robert Fico und Innenminister Matúš Šutaj Eštok eine tiefgreifende Reform des Wahlsystems voran. Was sie als Modernisierung verkaufen, könnte in Wahrheit den politischen Umbau vorantreiben. MAREK DOMIN (EN) bewertet die Vorschläge verfassungsrechtlich – und ruft dazu auf, die Vorgänge in der Slowakei genau zu beobachten.

Ein anderes Demokratieexperiment lief unterdessen in Mexiko: Zum ersten Mal wurden Richter*innen per Direktwahl bestimmt – eine Reform, die mehr Legitimität und Unabhängigkeit versprechen sollte. Doch JORGE GAXIOLA LAPPE (EN) ist – auch angesichts der Wahlbeteiligung von nur knapp 13 Prozent – mehr als skeptisch, dass dieses Versprechen eingelöst werden kann.

Auch in Bulgarien wurde das Volk befragt: Kurz vor dem Beitritt zur Eurozone hat Präsident Rumen Radev am 9. Mai ein Referendum zur Euro-Einführung gefordert – verfassungswidrig, wie viele Jurist*innen betonen. Für BLAGA THAVARD (EN) ist das ein riskantes Spiel mit dem Populismus: Die Glaubwürdigkeit gegenüber Europa werde für kurzfristigen politischen Gewinn geopfert.

Kurzfristig dachte wohl auch der Gouverneur des indischen Bundesstaats Tamil Nadu, der über Monate hinweg zehn Gesetzesvorhaben schlicht ignorierte. Nun hat ihn der indische Supreme Court aufgeweckt: Gouverneure müssten in angemessener Frist handeln. SARTHAK GUPTA (EN) erklärt, was das Urteil für das institutionelle Gleichgewicht Indiens bedeutet.

Diese Woche haben wir unser Symposium zur „GEAS-Reform: Halbzeit bis zur Anwendung“ gestartet: Vor einem Jahr wurde die Reform des GEAS verabschiedet, in einem Jahr tritt sie in Kraft. Doch die Lektüre der über 500 Seiten Gesetzestext offenbart zahlreiche juristische Unklarheiten und Spannungsfelder. Wo stehen wir also zur Halbzeit? CONSTANTIN HRUSCHKA, ROBERT NESTLER und KATHARINA STÜBINGER eröffnen das Symposium mit einer ersten Zwischenbilanz. ANNA-LENA PRIEBE erklärt den Ablauf der neuen einheitlichen Screening-Prozedur – eine der größten Änderungen der Reform – und weist auf Gefahren im Hinblick auf Freiheitsentzug, Daten- sowie Rechtsschutz hin. MAXIMILIAN PICHL und LISA STEURER untersuchen den Solidaritätsmechanismus, mit dem die AMMVO, die im neuen GEAS Dublin-III ersetzt, erstmals ein Instrument zur Koordination von Überlastungssituationen einführt. JULIA KIENAST schaut sich die neue Krisen-VO an und lobt sie als Instrument, das ein Rechtssystem für ein gemeinsames Vorgehen in Zeiten besonderer Belastungen schaffe.

Ja, so ein Rechtssystem für ein gemeinsames Vorgehen in Zeiten besonderer Belastungen ist genau das, was wir brauchen. Auf nationaler Ebene ist unser Rechtsstaat ein solches System. Jetzt braucht es nur Personen, die ihn in die Tat umsetzen.

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Das war’s für diese Woche.

Ihnen alles Gute!

Ihr

Verfassungsblog-Team

 

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SUGGESTED CITATION  Holterhus, Till Patrik; Zillessen, Friedrich: „Der Rechtsstaat ist auf eine redliche Verwaltung angewiesen“: Fünf Fragen an Till Patrik Holterhus, VerfBlog, 2025/6/06, https://verfassungsblog.de/der-rechtsstaat-ist-auf-eine-redliche-verwaltung-angewiesen/, DOI: 10.59704/27a2c2e75160dea2.

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