27 May 2023

Deutschlands goldener Pass?

Zur geplanten Verschärfung der ökonomischen Voraussetzungen für die Einbürgerung

In Zypern gab es über einige Jahre hinweg die Staatsangehörigkeit gegen Geld, in Malta geht das bis heute noch. In Deutschland dagegen entscheidet der Geldbeutel nicht alleine über die Einbürgerung, aber auch hier können finanzielle Ressourcen eine wichtige Rolle im Einbürgerungsprozess spielen. Der vor wenigen Tagen veröffentlichte Referentenentwurf des Bundesinnenministeriums zur Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts verschärft dies und trifft auf erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken.

Derzeit müssen Anspruchsstellende in der Lage sein, ihren Lebensunterhalt grundsätzlich selbst zu bestreiten (§ 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StAG). Diese Voraussetzung dient nach dem BVerwG der „wirtschaftliche[n] Integration“ (Rn. 16, 24). § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StAG sieht einen Menschen auch dann als wirtschaftlich integriert an, wenn er oder sie die Inanspruchnahme von Sozialleistungen nicht zu vertreten hat. Entgegen der allgemeinen liberalisierenden Tendenz (dazu hier und zum Entwurf differenzierend hier) des Gesetzesentwurfs sieht das Ministerium eine Verschärfung der ökonomischen Kriterien als notwendig an – was unzutreffenderweise in der Pressemitteilung des Bundesinnenministeriums als bloße Klarstellung bezeichnet wird. Die beabsichtigten Änderungen erleichtern auch nicht, wie die Pressemitteilung suggeriert, die Einbürgerung für die sogenannte Gastarbeitergeneration. Vielmehr bleiben nur diese im Genuss der bisherigen Regelung; für alle anderen werden die Voraussetzungen verschärft. Ehrlicher drückt sich da der Bundesjustizminister aus, dem die Verschärfung in diesem Bereich ein zentrales Anliegen ist.

Ein verfassungsrechtlich unterfasster Einbürgerungsanspruch

Nimmt man den demokratischen Selbstanspruch des Grundgesetzes ernst, kann sich dieses nicht gleichgültig zur Frage der Einbürgerung verhalten.[1] Wie das Bundesverfassungsgericht in der Ausländerwahlrecht I-Entscheidung von 1990 festgestellt hat, lebt die Demokratie unter dem Grundgesetz von der „Kongruenz zwischen den Inhabern demokratischer politischer Rechte und den dauerhaft einer bestimmten staatlichen Herrschaft Unterworfenen“ (S. 52 Rn. 56). Diesen Fixpunkt des Einbürgerungsrechts hebt auch die Begründung zum aktuellen Gesetzesvorhaben hervor (S. 20). Das ist freilich immer ein Ideal – aber als solches keineswegs rechtlich belanglos.

In einem Einwanderungsland wie Deutschland steht die erwähnte Kongruenz unter systemimmanenten Druck. Als Ventil bleiben dafür nur das Staatsangehörigkeitsrecht und die Einbürgerung, da ein Ausländer:innenwahlrecht nach dem BVerfG mit dem GG unvereinbar ist (insbesondere S. 52 Rn. 56). Verschiedene rechtliche Konstruktionen dieses Kongruenzgebots sind denkbar. Manche sehen darin ein verfassungsrechtliches Gebot an den Gesetzgeber. [2]  Für andere steht dagegen die individuelle, grundrechtliche Position der Einbürgerungswilligen im Vordergrund.[3] Ich selbst habe an anderer Stelle einen verfassungsrechtlich unterfassten Einbürgerungsanspruch auf die Menschenwürde i.V.m. dem Demokratieprinzip gestützt.[4] Dafür lässt sich aus der jüngsten Zeit anführen, dass das BVerfG im Beschluss zur Wiederholungswahl Berlin das erste Mal ein Grundrecht auf Demokratie außerhalb des europarechtlichen Kontexts zumindest angeprüft hat (Rn. 181-183).

Das BVerwG wiederum hat in einer Entscheidung aus 2020 auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) und den inhärenten zukunftsgerichteten Entfaltungsschutz abgestellt (Rn. 16). In dem zugrundeliegenden Fall war die Anforderung an den Identitätsnachweis nach § 10 Abs. 1 S. 1 StAG umstritten. Das BVerwG leitete aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ein „grundrechtlich geschützte[s] Recht des Einbürgerungsbewerbers, eine Klärung seiner Identität bewirken zu können“ (Rn. 17), ab. Von Antragsstellenden könne nur das zur Identitätsklärung verlangt werden, was ihnen objektiv möglich oder subjektiv zumutbar sei (Rn. 15, 18 f.). Das BVerwG verweist zur Begründung auf die demokratische Bedeutung der Staatsangehörigkeit für das Individuum sowie auf das Kongruenzgebot des BVerfG (Rn. 16). Die in dieser Entscheidung verwendete, grundrechtliche Argumentation ist auf andere Einbürgerungsvoraussetzungen übertragbar.[5]

Die genaue verfassungsrechtliche Konstruktion des Kongruenzgebots ist für diesen Beitrag jedoch nicht relevant. Jedenfalls verlangt das Grundgesetz eine Möglichkeit für Gebietsansässige, sich von fremd- zu selbstbestimmten Gewaltunterworfenen zu wandeln. Daraus folgt die grundsätzliche Notwendigkeit eines Einbürgerungsanspruchs.[6] Dieser darf – auch anspruchsvolle – Voraussetzungen aufstellen, um insbesondere einen notwendigen Grundkonsens als Funktionsbedingung der Demokratie zu sichern. Insofern ringt das Demokratieprinzip hier mit sich selbst: Das Ideal der Selbstbestimmung der Gewaltunterworfenen kann im Widerspruch zu einem möglichst breiten Grundkonsens stehen. Die Voraussetzungen dürfen jedoch nicht so ausgestaltet sein, dass sie zu einer dauerhaften Exklusion von Einbürgerungswilligen führen können. Es muss – mit den Worten des BVerwG – den Anspruchsstellenden eine „realistische Chance“ (Rn. 16) auf die deutsche Staatsangehörigkeit bleiben. Diese Chance wird Einbürgerungswilligen dann verwehrt, wenn auf Kriterien und Umstände abgestellt wird, die außerhalb ihrer Verfügungsgewalt und damit unabhängig vom individuellen Verhalten sind.

Die Voraussetzung der wirtschaftlichen Integration an sich

Dass Einbürgerungswillige ihren Lebensunterhalt grundsätzlich selbst bestreiten müssen, raubt ihnen noch keineswegs die realistische Chance auf Einbürgerung. Im Gegenteil: Arbeitsintegration ist oftmals ein entscheidendes Puzzleteil im komplexen Gesamtprozess erfolgreicher Integration.

Der Topos der wirtschaftlichen Integration wird jedoch häufig – beispielsweise vom BVerwG – mit der Verhinderung der „Zuwanderung in die Sozialsysteme“ (Rn. 24) vermengt. Wirtschaftliche Integration und Einbürgerung dienen beide im weiten Sinne dem Demokratieprinzip. Man mag rechtspolitisch über die Gewichtung und zeitliche Abfolge der Elemente streiten, aber sie tragen beide zu einer funktionierenden Demokratie und Gesellschaft im Ganzen bei. Rein fiskalische Überlegungen sind dagegen systemfremd. Nun ist es nicht ausgeschlossen, dass Einbürgerung aus anderen verfassungsrechtlichen Gründen als zum Schutz der Demokratie begrenzt wird. Beispielsweise wägt das BVerwG im oben genannten Urteil das allgemeine Persönlichkeitsrecht mit den sicherheitsrechtlichen Belangen Deutschlands ab (Rn. 17). Diese Gründe stehen aber in einem deutlich stärkeren Widerspruch zum verfassungsrechtlich unterfassten Einbürgerungsanspruch. In diesem Fall besteht die Gefahr, dass die demokratische Partizipation des Individuums unter den Finanzierungsvorbehalt der Gemeinschaft gestellt wird.

Die geplante Verschärfung

Die bisherige Regelung des § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StAG bringt die verschiedenen rechtlichen Positionen in einen Ausgleich. Die Anspruchsstellenden müssen grundsätzlich ihren Lebensunterhalt und den ihrer unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach SGB II (Grundsicherung für Arbeitssuchende) oder SGB XII (Sozialhilfe sowie die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) bestreiten können. Der Bezug der genannten Leistungen ist jedoch unschädlich, wenn sie dies nicht zu vertreten haben. Nach dem BVerwG muss die Person gar „maßgeblich oder prägend“ (Rn. 23) für den Leistungsbezug verantwortlich sein. Die Einbürgerungswilligen müssen in dem Rahmen zur wirtschaftlichen Integration beitragen, wie es ihre individuellen Möglichkeiten und Umstände zulassen. Verlieren sie jedoch ihren Arbeitsplatz aufgrund gesundheitlicher, betriebsbedingter oder konjunktureller Ursachen und haben sie sich hinreichend intensiv um eine Beschäftigung bemüht, wird ein Vertreten bisher verneint (10.1.1.3. VAH-StAG; ebenso BT-Drs. 16/5065, S. 228).

Dies soll nach dem Referentenentwurf weiterhin für die sogenannte Gastarbeitergeneration gelten (§ 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 lit. a StAG-E). Für spätere und zukünftige Generationen an Eingewanderten hält das Gesetz aber weniger flexible, strengere Lösungen bereit. Diese können zwar weiterhin ausnahmsweise Leistungen nach SGB II oder XII beziehen, müssen dann aber mindestens 20 der letzten 24 Monate in Vollzeit gearbeitet haben (§ 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 lit. b StAG-E). Dadurch wird die Einbürgerung insbesondere durch eine gering entlohnte Arbeit nicht ausgeschlossen, da daneben weiterhin eine „Aufstockung“ nach SGB II möglich ist. Eine weitere Ausnahme gilt für Ehen oder Lebenspartnerschaften, zu deren familiärer Gemeinschaft minderjährige Kinder gehören (§ 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 lit. c StAG-E). Hier muss nur eine Person die Voraussetzung aus lit. b erfüllen, die andere Person kann sich der Kinderbetreuung widmen und Leistungen beziehen. Zusammengefasst müssen Anspruchsstellende in Zukunft – sollten sie auf Sozialhilfen angewiesen sein – überwiegend in Vollzeit arbeiten – abgesehen von Übergangsvorschriften für die sogenannte Gastarbeitergeneration und Ausnahmen zur Kinderbetreuung.

Die vorgeschlagene Änderung schwächt damit das Prinzip der individuellen Verantwortlichkeit und verlangt von Einbürgerungswilligen unter Umständen objektiv Unmögliches oder subjektiv Unzumutbares. Weder individuell gesundheitliche Einschränkungen noch betriebliche beziehungsweise konjunkturelle Verwerfungen oder beispielsweise die häufig faktisch alternativlose Pflege von Angehörigen können berücksichtigt werden. Das verträgt sich nicht mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben. Die Anspruchsstellenden werden dann entweder dauerhaft oder jedenfalls für eine längere Zeit jeder realistischen Chance auf Einbürgerung beraubt. Eine demokratische Teilhabe wird ihnen mangels Unterstützung durch die Solidargemeinschaft verweigert.

Wo der Entwurf ausnahmsweise die Unterstützung der Solidargemeinschaft Einbürgerungswilligen zukommen lässt, zementiert er stereotypische Rollenbilder einer Familie und verschließt sich der in der Realität vorkommenden Bandbreite an Familienentwürfen. Die Ausnahme in lit. c) perpetuiert das tradierte Familienbild einer in Vollzeit arbeitenden Person und einer sich um die Kinder kümmernden Person. Die geschlechterparitätische Wahrnehmung der Kinderbetreuung durch beiderseitige Teilzeit ist nicht vorgesehen. Dieser höchst problematische Anreiz des Entwurfs steht im starken Widerspruch zu anderen geplanten Änderungen, die der Gleichstellung von Männern und Frauen mehr Gewicht beimessen wollen (§ 11 S. 1 Nr. 3 lit. b) StAG-E).

Fazit

Die deutsche Staatsangehörigkeit wird auch im Referentenentwurf nicht monetarisiert. Die Einbürgerung setzt nach wie vor eine Mischung verschiedener Integrationsdimensionen voraus. Jedoch wird der Goldanteil am deutschen Pass im Gesetzesentwurf erhöht. Der Abschied vom Prinzip der individuellen Verantwortlichkeit und die Nichtberücksichtigung der individuellen Umstände verstößt gegen die verfassungsrechtlichen Vorgaben zur Einbürgerung. Menschen werden es faktisch nicht mehr in der Hand haben, die Einbürgerungsvoraussetzungen herbeizuführen. Insgesamt geht die vorgeschlagene Neuregelung an der Fülle unterschiedlichster Lebens- und Familiensituationen vorbei. Eine Härtefallklausel wäre verfassungsrechtlich geboten und ein umfassenderer Ausnahmenkatalog (wie beispielsweise in § 25 b Abs. 1 S. 3 AufenthG) wäre jedenfalls rechtspolitisch wünschenswert.

Laut Presseberichten scheint das letzte Wort noch keineswegs gesprochen zu sein. Es ist zu hoffen, dass die erheblichen Bedenken durch die Bundesregierung oder spätestens im parlamentarischen Prozess ausgeräumt werden.

[1] So schon BVerfGE 37, 217 (239 f. Rn. 86) – Staatsangehörigkeit von Abkömmlingen.

[2] Gärditz, VVDStRL 72 (2013), 49 (121 f.); Emmerich-Fritsche, Der Staat 58 (2019), 575 (589 ff.).

[3] Vgl. Hong, in: Mangold/Payandeh, AntidiskriminierungR-HdB, 2022, § 2 Rn. 177; in Ansätzen ebenso Siehr, in: Herdegen/Masing/Poscher/Gärditz, VerfassungsR-HdB, 2021, § 9 Rn. 86 f.

[4] Thierer, DÖV 2021, 1000 (1002).

[5] Ebenso Oberhäuser, in: NK-AuslR, 3. Aufl. 2023, § 8 StAG Rn. 77.

[6] Gärditz, VVDStRL 72 (2013), 49 (123); Emmerich-Fritsche, Der Staat 58 (2019), 575 (592); Thierer, DÖV 2021, 1000 (1003).


SUGGESTED CITATION  Thierer, Johannes: Deutschlands goldener Pass?: Zur geplanten Verschärfung der ökonomischen Voraussetzungen für die Einbürgerung, VerfBlog, 20