Mit Wahrheit oder mit Mehrheit?
Die Migrationspolitik scheint nur noch eine Richtung zu kennen: immer mehr Verschärfungen. Weil sie aber von gleich mehreren Rechtsebenen durchzogen wird, scheint es, als würde die politische Debatte darum zu einem reinen Rechtsgespräch mutieren. Dabei entsteht die Illusion, dass man Rufe nach weiteren Verschärfungen mit Verweisen auf höherrangiges Recht aus der Welt schaffen könnte. Doch die argumentative Beanspruchung von Rechtsnormen kann riskante, zuweilen gegenteilige Effekte bewirken. Betrachtet man ihre Rolle in der Migrationsdebatte dabei genauer, ergeben sich wichtige Erkenntnisse, wie sich die gegenwärtige (Migrations-)Rechtsordnung argumentativ wirksamer verteidigen ließe.
Continue reading >>And, of course, Climate Change
Scholarly debates on climate change law in general and climate change litigation more specifically and the recent LPE debates mutually enrich each other. Surprisingly, the interaction of those two fields of study – while evoked frequently – remains underdeveloped.
Continue reading >>The Supreme Court v. the Administrative State II
The outlook is not rosy for Democrats, neither politically nor in court. Democrats’ hopes that President Biden – who, according to some polls, is trailing Trump in all seven swing states – could turn the odds in his favor in an early debate have been dashed by his disastrous performance. To add insult to injury, in three 6-to-3 rulings along ideological lines, the Supreme Court further reigned in on administrative agencies, putting Biden’s regulatory agenda at risk. The most far-reaching of these decisions is, undoubtedly, Loper Bright Enterprises v. Raimondo. This case marked a milestone for the conservative legal movement’s fight against the administrative state.
Continue reading >>Unfriedlichkeit statt Verhinderungsblockade
Die Polizeifestigkeit der Versammlung gehörte bislang zu den Grundpfeilern des deutschen Versammlungsrechts. Danach muss die zuständige Behörde eine Versammlung zunächst auflösen, bevor sie weitergehende Maßnahmen ergreifen darf. Diese schlichte Schrittfolge bereitet den handelnden Behörden in der Praxis dennoch oftmals erstaunliche Schwierigkeiten. Dieses Problem steht auch im Zentrum der Entscheidung des BVerwG vom 27. März 2024.
Continue reading >>Abschreckung um jeden Preis?
Zurzeit berät das Oberhaus des britischen Parlaments (House of Lords) die sog. Safety of Rwanda Bill. Zusammen mit dem Illegal Immigration Act soll dieses Gesetz die Abschiebung von Flüchtlingen nach Ruanda ermöglichen, um dort deren Asylverfahren durchzuführen. Während entsprechende Pläne auch in Deutschland Anklang finden, zeigt das Gesetzesvorhaben in bedenkenswerter Deutlichkeit, welche rechtsstaatlichen Konsequenzen mit einem solchen Outsourcing von Asylverfahren verbunden sind. Denn um einen möglichst wirksamen Abschreckungseffekt auf andere Flüchtende zu erzielen, haben die britische Regierung und das Unterhaus des Parlaments (House of Commons) bereits dafür gestimmt, Tatsachen zu erfinden, Grundrechte außer Kraft zu setzen und internationales Recht zu brechen.
Continue reading >>The Supreme Court v. the Administrative State
On Friday, June 30, the Supreme Court ended its session with a serious blow to the progressive agenda after its decisions striking down race-conscious college admissions and narrowing protections for LGBTQ consumers the day before. In its final case, Biden v. Nebraska, the Court further thwarted the Biden campaign, which is counting on the help of young voters to get reelected for a second term, as it struck down the Biden administration’s plan to wipe out more than $400 billion in student debt. The decision in Biden v. Nebraska joins a series of recent Supreme Court decisions aimed at curbing the executive branch’s power to regulate certain issues and to limit the so-called administrative state. In this battle against the administrative state, the major question doctrine, according to which it cannot be assumed that the administration has been authorized to regulate a “major question” with far-reaching economic and political consequences without “clear congressional authorization,” has become one of the central tools.
Continue reading >>Poland’s Extended Disciplinary System
The judgement of the European Court of Justice (ECJ) on June 5, 2023 (C-204/21) has added a new chapter to the rule of law crisis in Poland. The outcome was largely expected given the well-established jurisdiction of the ECJ on matters of the rule of law. However, a close reading of the judgment demonstrates that it recognizes the more insidious ways in which Poland has undermined judicial independence. Specifically, I argue that the ECJ's ruling paves the way for a legal response to the suppression of judicial independence through public intimidation and stigmatization of judges.
Continue reading >>Wagner ist keine Söldnertruppe
Spätestens seit Wagners Putsch-Versuch von letztem Samstag gerät die Gruppe immer stärker in den Fokus der Öffentlichkeit. Dabei nimmt das Interesse an Söldnern und die Forderung nach ihrer Kontrolle und Verboten von allen Seiten zu. Die Mitglieder der Gruppe Wagner sind jedoch keine Söldner. Sie sind private military contractors (PMCs) – und damit eine weitaus größere Bedrohung für das Gewaltmonopol, die Einhaltung des humanitären Völkerrechts und den Schutz von Betroffenen. Echte Regulierung von PMCs ist nicht erst seit Wagners brutalem Einsatz bitter nötig. Jetzt könnte sich zuletzt durch den gescheiterten Staatsstreich das erste Mal ein Fenster auftun, indem auch der Westen sich einer echten Kontrolle von PMCs nicht mehr verschließen kann. Wagner könnte damit zum Kipppunkt werden, die Haltung zum Outsourcing von Gewalt zu überdenken.
Continue reading >>Ziviler Ungehorsam als Demokratie
Spätestens seit dem Frühjahr 2022 ist ziviler Ungehorsam in Deutschland wieder in aller Munde. Die Justiz, Wissenschaft und die politische Öffentlichkeit sind durch die Protestaktionen insbesondere der „Letzten Generation“ mit dynamischen Entwicklungen konfrontiert. Immer im Raum, aber selten ausgesprochen, steht dabei die Kernfrage: Wann ist es gerechtfertigt, Gesetze zu brechen, um für ein höheres Ideal einzustehen? Ein Blick in die Geschichte sozialer Bewegungen zeigt: Dann, wenn es um existenzielle Krisen geht.
Continue reading >>Deutschlands goldener Pass?
In Deutschland entscheidet der Geldbeutel nicht alleine über die Einbürgerung, aber auch hier können finanzielle Ressourcen eine wichtige Rolle im Einbürgerungsprozess spielen. Der vor wenigen Tagen veröffentlichte Referentenentwurf des Bundesinnenministeriums zur Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts verschärft dies und trifft auf erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken.
Continue reading >>Verfassungsmüdigkeit
Im März 2023 beginnt ein neuer Verfassungsprozess in Chile. Die Rahmenbedingung hierfür bildet ein Gesetz, das das Chilenische Parlament im Januar 2023 mit großer Mehrheit beschlossen hat. Zuvor war im Dezember 2022 nach dreimonatigen Verhandlungen ein neues “Abkommen für Chile” (Acuerdo para Chile) zwischen den verschiedenen Abgeordneten beschlossen worden, das sich nun auch in dem Gesetzesvorschlag widerspiegelt. Schon jetzt zeichnet sich allerdings ab, dass der neue Verfassungsprozess sehr viel stärker durch die politisch Etablierten geprägt ist als der vorherige. Dem steht eine Bevölkerung gegenüber, deren Aufmerksamkeit für und Erwartung an den neuen Verfassungsprozess deutlich zurückgegangen ist.
Continue reading >>Gesätes Misstrauen
Das zweistufige System der Wahlprüfung ist getragen von politischen Erwägungen, die nicht mehr verfangen: Die Wahlprüfung gehört nicht notwendig zur Parlamentsautonomie, die Gefahr des politischen Missbrauchs der Wahlprüfung wird mittlerweile durch eine Parlamentsprüfung eher gesteigert. Eine institutionelle Reform der Wahlprüfung scheint daher angezeigt. Eine vorzugswürdige Regelung drängt sich allerdings nicht auf.
Continue reading >>Staatsgewalt als Freizeitbeschäftigung
Eine Schule bei München hat in den letzten Monaten Soldaten als Aushilfslehrkräfte eingesetzt. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft hat daran insbesondere kritisiert, es könne nicht sichergestellt werden, dass die Schwelle zur Anwerbung der Jugendlichen nicht überschritten wird. Von solchen Sorgen abgesehen stellt sich die Frage, wie der Sachverhalt (soweit das aus der Ferne möglich ist) rechtlich einzuordnen ist.
Continue reading >>Dobbs kills Roe
Am Freitag, den 24. Juni 2022 hat der Supreme Court der USA das Recht auf Abtreibung, wie es durch die 50 Jahre lang bestehende Rechtsprechung aus Roe v. Wade und Planned Parenthood v. Casey festgelegt war, außer Kraft gesetzt. In der Entscheidung Dobbs v. Jackson Women’s Health Organization hat der Supreme Court festgestellt, dass die Verfassung kein Recht auf Abtreibung enthalte.
Continue reading >>Das Ende von Roe v. Wade
Das Magazin Politico hat einen geleakten Entscheidungsentwurf des Supreme Courts veröffentlicht, der die Abkehr vom geltenden Recht auf Abtreibungen in den USA bedeuten würde. Der mit einer konservativen Mehrheit besetzte Supreme Court würde damit die Wahlversprechen Donald Trumps und die Hoffnungen einer großen Anzahl an Republikaner*innen umsetzen und Bundesstaaten die Möglichkeit geben, Abtreibungen komplett zu verbieten.
Continue reading >>Ein plurinationales Rechtssystem für Chile
Seit Mitte Februar schreiben die Mitglieder der Verfassunggebenden Versammlung in Chile an den Normen einer neuen Verfassung. In der ersten Woche stimmte das Plenum über Regeln zu Rechtssystem und Staatsaufbau ab. Die Ergebnisse der Abstimmungen haben in der Öffentlichkeit wegen mangelnder Klarheit für viel Diskussion gesorgt. Mit diesen Normen scheint die Verfassunggebende Versammlung Ungerechtigkeiten der Vergangenheit gegenüber der indigenen Bevölkerung beheben zu wollen. Das zeigt sich an dem Stellenwert, den der Verfassungsentwurf den Regionen und indigenen Rechtssystemen zuschreibt.
Continue reading >>Der europäische PNR-Rahmen und die sich verändernde EU-Sicherheitslandschaft
Seit Mai 2018 werden Reisende, die einen Flug in die, aus der oder innerhalb der Europäischen Union buchen oder antreten, gemäß der PNR-Richtlinie in Risikokategorien eingeteilt, um die Wahrscheinlichkeit ihrer Beteiligung an kriminellen oder terroristischen Aktivitäten zu bewerten. Das eigentliche Ziel des PNR-Richtlinie besteht darin, potenzielle Verdächtige zu identifizieren, die den Behörden bisher unbekannt waren. Sie hat somit das Potenzial, zentrale gesellschaftliche Werte wie Privatsphäre, Fairness und menschliche Autonomie neu zu definieren.
Continue reading >>The European PNR framework and the changing landscape of EU-security
Since May 2018, travelers booking or embarking on a flight to, from or within the European Union are classified into risk categories in order to assess the likelihood of their involvement in criminal or terrorist activity, per the PNR Directive. The very ambition of the PNR framework is to identify potential suspects previously unknown to the authorities. It has thus introduced important changes into existing EU approaches to security conceptions and practices, and has the potential to redefine core societal values such as privacy, fairness and human autonomy.
Continue reading >>Die Chilenische Verfassunggebende Versammlung
Die Verfassunggebende Versammlung in Chile hat am 28. und 29. September 2021 die grundsätzlichen Verfahrensregeln ihrer Arbeit verabschiedet. Seit der Wahl ihrer Mitglieder im Mai 2021 ist klargeworden, dass der politische und sozialökonomische Kontext einen erheblichen Einfluss auf ihre Arbeit hat. Gleichzeitig erhebt die Versammlung gewisse Machtansprüche im aktuellen politischen Diskurs.
Continue reading >>Kopfgeld gegen Abtreibungen
Seit dem 1. September 2021 sind Abtreibungen in Texas faktisch verboten – obwohl die Rechtsprechung des US Supreme Courts Abtreibungen vor der 24. Schwangerschaftswoche erlaubt und entgegenstehende Regelungen verfassungswidrig sind. Der US-Bundesstaat Texas hat ein Gesetz erlassen, das die Bürger:innen einspannen soll, um das Ziel eines faktischen Verbotes zu erreichen – mit einem Anreiz von $10.000, wenn sie die Durchführung von Abtreibungen zivilgerichtlich verhindern. Die unter dem Schlagwort Roe v. Wade zusammengefasste Rechtsprechung zum Schwangerschaftsabbruch könnte sich grundlegend verändern und die schlimmsten Befürchtungen, die nach dem Tod von Justice Ruth Bader Ginsburg unter Liberalen aufkamen, wahr werden.
Continue reading >>Unterbrochene Verweiskette
Auch andere Wissenschaften sind Textwissenschaften, aber nirgends huldigt man dem Textbezug so ernst wie in der Rechtswissenschaft. Was sich ahnen lässt: Der Textbezug der Rechtswissenschaft ist grenzenlos. Beschränken kann uns nur Vernunft. Oder wegen der Pandemie geschlossene Bibliotheken.
Continue reading >>Sind Verstöße gegen die Vorlagepflicht noch an Art. 101 GG zu messen?
Aussetzungs- und Vorlagebeschlüsse deutscher Gerichte sind unionsrechtlich volldeterminierte Akte deutscher Staatsgewalt. Damit sind sie seit der BVerG-Entscheidung "Recht auf Vergessen II" nicht mehr an dem Grundgesetz, sondern an den Chartagrundrechten zu messen, genauer gesagt an Art. 47 UAbs. 2 GRC.
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