30 April 2025

Diabolus Advocati

Freie Advokatur in unruhigen Zeiten

Der Überfluss an verfassungsrechtlichen Sünden der Trump-Administration kaschiert manchmal die Unbegreiflichkeit der einzelnen Tat. Ein Baustein des Angriffs auf den Rechtstaat in seiner Gesamtheit ist der Feldzug der Regierung gegen bestimmte Anwaltskanzleien (zu einer umfangreichen Materialsammlung des Instituts für Prozess- und Anwaltsrecht der Leibniz Universität Hannover). Um sich den Zorn des Präsidenten zuzuziehen, reicht es, dass eine Kanzlei bestimmte Mandanten vertreten hat, sich für bestimmte rechtspolitische Anliegen starkgemacht hat und/oder ehemalige Juristinnen und Juristen in ihre Reihen aufgenommen hat, die den Demokraten nahestehen. Einige Kanzleien sahen sich deshalb einer sogenannten Executive Order ausgesetzt, die ihnen den Zugang zu Bundesbehörden entzieht und auf die Beendigung von laufenden Mandanten abzielt. Der Verlust von Mandanten aus der Privatwirtschaft droht, weil diese mit Kanzleien „nichts mehr zu tun haben wollen“. WilmerHale, Jenner & Block, Perkins Coie haben erfolgreich einstweiligen Rechtsschutz vor Bundesgerichten gegen diese Maßnahmen erlangt, zuletzt hat sich auch Susman Godfrey gewehrt. Andere Kanzleien wiederum haben – überwiegend bereits präventiv – „deals“ mit dem Weißen Haus geschlossen, die eine Änderung der Rekrutierungspolitik sowie Pro-Bono-Arbeit für Anliegen der Bundesregierung umfassen. Die Vorgänge werfen nicht nur berufsrechtliche Fragestellungen im Hinblick auf die in Deutschland zugelassenen Rechtsanwälte dieser Kanzleien auf – sondern auch nach der Resilienz der Anwaltschaft in Deutschland. Eine sinnvolle Resilienzmaßnahme wäre eine Verankerung der Anwaltschaft im Grundgesetz. Hierfür hat sich jüngst der Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer Wessels ausgesprochen.

Autoritärer Populismus und die Anwaltschaft

Trump ist nicht der erste, der die Anwaltschaft ins Visier nimmt. Auch beispielsweise in der Türkei oder Aserbaidschan zeigt sich, dass sich der Staat gegen die anwaltliche Berufsausübung einzelner Anwälte und Kanzleien wenden kann, aber auch gegen die Institutionen der anwaltlichen Selbstverwaltung.

Eine autoritäre-populistische (Teil-)Regierung auf Landes- oder Bundesebene in Deutschland könnte versuchen, missbräuchlich Einfluss auf die berufliche Selbstverwaltung auszuüben, indem sie bewusst die Grenzen der ihr eingeräumten Rechtsaufsicht überschreitet. Nach § 176 BRAO übt das Bundesministerium der Justiz die Rechtsaufsicht gegenüber der Bundesrechtsanwaltskammer aus. Die Rechtsanwaltskammern unterstehen nach § 62 Abs. 2 BRAO der Rechtsaufsicht der Landesjustizverwaltungen, und nach § 224 BRAO kann diese Zuständigkeit auf nachgeordnete Behörden übertragen werden (bspw. Präsident des Oberlandesgerichts). Konkret könnten etwa Stellungnahmen der BRAK oder der Kammern beanstandet werden, die öffentlich die Regierung zur Einhaltung rechtsstaatlicher Standards anmahnen, beispielsweise im Asyl- oder Strafrecht.

Mögliche Szenarien, in denen eine Landesregierung Einfluss auf die weisungsabhängige Generalstaatsanwaltschaft nimmt, sind auch für die Anwaltschaft relevant. Die Generalstaatsanwaltschaft nimmt die Aufgaben der Staatsanwaltschaft im anwaltsgerichtlichen Verfahren wahr (§ 120 BRAO), wenn es um die Ahndung von Pflichtverletzungen nach § 113 BRAO geht. Nur sie kann ein solches Verfahren einleiten (§ 121 BRAO), und dies auch gegen den Willen der Rechtsanwaltskammer. Die möglichen Sanktionen sind in § 114 BRAO geregelt und umfassen auch den Ausschluss des Rechtsanwalts aus der Rechtsanwaltschaft (Nr. 5).

Die selbstverwaltete Anwaltschaft könnte aber auch von innen ausgehöhlt werden. Innerhalb der Anwaltschaft stellt der Umgang mit Verfassungsfeinden eine Herausforderung dar. Denkbar scheint, dass dem Rechtsextremismus verbundene Rechtsanwälte versuchen, sich in den Vorstand einer Rechtsanwaltskammer wählen zu lassen, um dort bei der Berufsaufsicht oder bei der Zulassung mitzuwirken und am Ende darüber mitzuentscheiden, was würdiges und was unwürdiges Verhalten darstellt.

Die extremen Szenarien sollen nicht den Blick für problematische Entwicklungen der Gegenwart verdecken. Anwältinnen und Anwälte werden auch heute schon durch Beamte eingeschüchtert oder in bestimmten Medien als Person selbst zum Gegenstand der Berichterstattung. Das LG Berlin II hat jüngst eine Berichterstattung über eine im Asylrecht tätige Rechtsanwältin, die den mutmaßlichen Attentäter von Solingen vertreten hat, für rechtmäßig gehalten, obwohl dies auf erbitterte Kritik bei Berufsorganisationen gestoßen war. Auch in Deutschland werden Privatadressen veröffentlicht und Anwältinnen und Anwälte beleidigt und bedroht. Selbst Vertreter von eigentlich staatstragenden Parteien sind in der Vergangenheit hiervor nicht zurückgeschreckt: Man denke nur an das Schlagwort von der „Anti-Abschiebe-Industrie“ im Jahr 2018, das Anwältinnen und Anwälten und den gesellschaftlichen Frieden gegeneinander ausspielen sollte.

Zwei gesetzgeberische Entwicklungen, die Ausdruck eines allzu leichtfertigen Umgangs mit der anwaltlichen Freiheit sind und für eine autoritäre Regierung Missbrauchspotenzial bieten, sollen hier genannt werden: Im Oktober 2022 wurde das sanktionsrechtliche Verbot, bestimmte Dienstleistungen an den russischen Staat oder an russische Unternehmen zu erbringen, erstmals auch auf Rechtsdienstleistungen erstreckt. Das EuG hat dieses Verbot deshalb gehalten, weil es im Rahmen einer grundrechtskonformen Auslegung die Erbringung von Rechtsdienstleistungen im Zusammenhang mit dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz als vom Verbot nicht erfasst gesehen hat (kritisch zur Entscheidung Gerhold, EuZW 2025, 190 f.). Trotz des unzweifelhaft legitimen Anlasses der Maßnahmen kann man darin mit guten Gründen einen Präzedenzfall sehen, der auf die rechtstaatlich schiefe Ebene führt. Der Europäische Gerichtshof wird hierüber entscheiden. Auch das zentrale Berufsgeheimnis erodiert schleichend. Der Kampf gegen Geldwäsche oder Steuervermeidung sind ohne Zweifel legitime Allgemeinwohlbelange, doch die regelmäßig mit Maßnahmen hiergegen einhergehende Durchbrechung des Berufsgeheimnisses durch Meldepflichten schwächt an sich diese bedeutende Institution, wenn sich die einzelnen Belastungen zu einer bedenklichen Gesamtbelastung summieren (zutreffend Uwer, AnwBl. Online 2019, 327 ff.). Das BVerfG hat diese Gefahr von chilling effects ganz klar adressiert: „Mit dem Ausmaß potentieller Kenntnis staatlicher Organe von vertraulichen Äußerungen wächst die Gefahr, dass sich auch Unverdächtige nicht mehr den Berufsgeheimnisträgern zur Durchsetzung ihrer Interessen anvertrauen“ (BVerfGE 113, 29 [49]). Auch der Europäische Gerichtshof hat in einer Reihe von Entscheidungen dem Unionsgesetzgeber die Bedeutung des Berufsgeheimnisses in Erinnerung gerufen (C-694/20; C-623/22; C-432/23).

Rechtliches Gehör nur mit Rechtsanwalt

Im Unterschied zur Garantie der richterlichen Unabhängigkeit werden Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte oder die Anwaltschaft als Institution von nationalen Verfassungen zumeist nicht ausdrücklich benannt – so auch im Grundgesetz. Ausnahmen sind in den Mitgliedstaaten soweit ersichtlich nur Art. 134 der Verfassung Bulgariens und Art. 208 der Verfassung Portugals. Art. 47 Abs. 2 S. 2 GRC enthält das Recht jeder Person, sich beraten, verteidigen und vertreten zu lassen. Art. 88 Abs. 1 S. 2 ThürVerf regelt im Anschluss an das rechtliche Gehör (S. 1), dass sich jeder rechtlichen Beistands bedienen kann.

Nach der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG sichert Art. 103 Abs. 1 GG kein allgemeines Recht auf anwaltlichen Beistand (schon BVerfGE 9, 124 [132]). Angesichts der dialogischen Struktur von Gerichtsverfahren überzeugt dies schon im Ansatz nicht (Wolf, BRAK-Mitt. 2024, 193 [195 f.]) Dieser Aspekt kann hier nicht vertieft werden. In bestimmten Konstellationen leitet das BVerfG gleichwohl aus dem Recht auf ein faires Verfahren ein solches Beistandsrecht ab und begründet dieses auch nicht mit strafprozessualen Besonderheiten, sondern damit, dass sich Parteien eines Gerichtsverfahrens in einer strukturell überfordernden Situation befinden, materiell-rechtliche und prozess-rechtliche Fragen an sie herangetragen werden und sie deren Fernwirkungen oftmals nicht erfassen können. „Ein Recht auf Rechtsbeistand gewährleistet […] um der Chancengleichheit willen die Möglichkeit, seine prozessualen Befugnisse umfassend und sachgerecht wahrzunehmen“ (BVerfGE 38, 105 [114]). Aus Art. 19 Abs. 4 GG folgert das BVerfG zudem, dass bestimmte prozessuale Fristen nicht so ausgestaltet sein dürfen, dass sie das Einholen von Rechtsrat unmöglich machen (BVerfGE 94, 166 [207]). Die Strafverteidigung im Besonderen wird als Institution des Rechtsstaatsprinzips bezeichnet (BVerfG 110, 226 [253]). Die Zurückhaltung des BVerfG bei der Anerkennung eines allgemeinen Beistandsrechts ist also nicht konsequent, zumal es dem Rechtsanwalt eine wichtige Rolle bei der Findung einer sachgerechten Entscheidung zuweist. Er soll Gericht und Staatsanwaltschaft davon abhalten, Fehlentscheidungen zulasten seines Mandanten zu treffen, die dessen Grundrechte verletzen (BVerfGE 76, 171 [192]). Rechtsanwälte sind somit unverzichtbare Akteure der rechtsstaatlichen Rechtspflege.

Kein Beruf wie jeder andere

Die anwaltliche Berufsausübung ist nicht nur Grundrechtsvoraussetzung aus Sicht des Mandanten, sondern fällt zudem in den sachlichen Schutzbereich der Berufsfreiheit. Anders als es das BVerfG in einem frühen obiter dictum einmal – zur Schutzverstärkung – andeutete (BVerfGE 38, 105 [119]), übt der Rechtsanwalt keinen staatlich gebundenen Beruf aus. Die Berufsfreiheit von Rechtsanwälten ist gleichwohl durch verfassungsrechtliche Besonderheiten geprägt, die den Beruf aus der Gesamtheit aller Berufe in besonderer Weise herausheben. Nicht jeder Beruf unterliegt in einem vergleichbaren Maße der „freien und unreglementierten Selbstbestimmung“, bedarf des Schutzes vor staatlicher „Bevormundung“ und ist „gekennzeichnet“ durch die „Freie Advokatur“ (BVerfGE 110, 226 [251 f.]). Sie ist aus Sicht des Gerichts eine objektiv-rechtliche Verstärkung des Grundrechtsschutzes; es spricht von der „fundamentalen objektiv-rechtlichen Bedeutung der Freien Advokatur“, worunter das Gericht die für den Rechtsstaat unverzichtbare Unabhängigkeit der Anwaltschaft vom Staat versteht. Die rechtsstaatliche Rechtspflege setzt, so das BVerfG, voraus, dass der Einzelne in diese Unabhängigkeit der „Advokatur“, also in die Unabhängigkeit der Anwaltschaft als solcher, gegenüber der öffentlichen Gewalt vertrauen kann.

Berufsfreiheit als Funktionsgrundrecht?

Die Besonderheiten des Schutzes der freien Anwaltschaft, wie er dem Grundgesetz und der Rechtsprechung des BVerfG zugrunde liegt, können mit der grundrechtdogmatischen Kategorie der „dienenden Freiheit“ veranschaulicht werden, die vor allem im Bereich der Rundfunkfreiheit und auch der Wissenschaftsfreiheit herangezogen wird, um den auch fremdnützigen Grundrechtsgebrauch durch den Grundrechtsträger zu beschreiben (ausf. Gerhold, Anwaltliche Berufsausübung im Dienste des Rechtsstaats, 2023, S. 337 ff., siehe hierzu die Diskussion bei Wolf, BRAK-Mitt. 2024, 193 [197 f.]). Die dienende Freiheit kann als die „ungehinderte Ausübung von Befugnissen im Interesse eines besonderen verfassungsrechtlichen Schutzgutes des allgemeinen Wohls oder im Interesse der Verwirklichung des Rechts- oder Freiheitsstatus Dritter“ definiert werden (Burmeister, in: FS Stern, 1997, S. 849 ff.). Die Parallele zur Rundfunkfreiheit und zur Wissenschaftsfreiheit ist deshalb naheliegend, weil die anwaltliche Berufsfreiheit wie diese Grundrechte mit der Rechtsfindung einen dialogischen Prozess schützt, der zwingend von staatlicher Einflussnahme abgeschirmt werden muss. Das BVerfG lässt ein derartiges Grundrechtsverständnis in seiner Rechtsprechung durchaus erkennen (BVerfGE 110, 226 [251 f.]; kritisch Mayen, AnwBl. 2011, 405 [411]).

Anwaltschaft ins Grundgesetz?

Trotz der Vielzahl an Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum Schutz der Anwaltschaft kann es sinnvoll sein, die freie Anwaltschaft ausdrücklich im Grundgesetz zu verankern. Bereits im Entstehungsprozess des Grundgesetzes wurde eine ausdrückliche Verankerung angedacht und insbesondere für das Strafverfahren als wichtig erachtet. Man wollte jedoch dem Gesetzgeber der Strafprozessordnung nicht zu sehr vorgreifen, weshalb Höpker-Aschoff und Dehler – um strafprozessuale Vorfestlegungen zu vermeiden – im Hauptausschuss eine allgemeine Beistandsgarantie vorschlugen, die sich aber auch nicht durchsetzen konnte (Gerhold, S. 138).

Bei der Formulierung könnte man sich an Art. 88 Abs. 1 S. 2 der Verfassung Thüringens anlehnen, die das Beistandsrecht im Anschluss an das rechtliche Gehör regelt: „Jeder kann sich eines rechtlichen Beistands bedienen.“ (vgl. auch § 137 Abs. 1 S. 1 StPO), wobei es sachgerecht erscheint, ausdrücklich den anwaltlichen Beistand zu erwähnen. Es käme in Betracht, Art. 19 Abs. 4 GG oder Art. 103 GG zu ergänzen, um die Bedeutung der anwaltlichen Berufsausübung für die Realisierung der Prozessgrundrechte des Mandanten zu verdeutlichen. Bei einer Lösung im Rahmen des Art. 19 Abs. 4 GG sollte man klarstellen, dass nicht nur der gerichtliche Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt von einem solchen Beistandsrecht erfasst wäre, sondern auch zivilgerichtliche Verfahren. Der bisherige Satz 1 müsste also von der neuen Beistandsgarantie in Satz 2 sprachlich klar abgetrennt werden. Das Beistandsrecht würde nicht nur die reine gerichtliche Vertretung umfassen, sondern auch die Erbringung und den Zugang zu Rechtsdienstleistungen im Vorfeld, wenn diese Voraussetzung für einen späteren effektiven Rechtsschutz sind (Gerhold, S. 372 ff.). Die Verankerung im Kontext der Prozessgrundrechte hätte zur Konsequenz, dass man – wenn man auch die außergerichtliche Rechtsberatung, beispielsweise die Vertragsgestaltung, in vollem Umfang in die Garantie einschließen will – dies jedenfalls in der Gesetzesbegründung klarstellen sollte.

Eine solche Beistandsgarantie bietet immerhin klare Maßstäbe, sollte eine autoritäre-populistische Parlamentsmehrheit versuchen, aus ihrer Sicht missliebigen Personen den Zugang zu anwaltlichem Beistand zu erschweren. Die Grundgesetzänderung hätte Signalwirkung. Für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte bietet Art. 12 GG weitreichenden Schutz. Die mittelbare Absicherung der freien Anwaltschaft als Institution würde es aber auch ermöglichen, Gesetze am Maßstab des Grundgesetzes sachgerecht zu überprüfen, denen keine berufsregelnde Tendenz zukommt und die somit nicht in Art. 12 GG eingreifen, die aber trotzdem für die Unabhängigkeit der Anwaltschaft von Bedeutung sind.

Selbstverwaltung und Teilnahme am öffentlichen Diskurs

Die bisherigen Ausführungen haben den Blick nur auf die freie Berufsausübung des einzelnen Berufsträgers sowie die Inanspruchnahme anwaltlichen Beistands gerichtet. Nicht geschützt ist hingegen die anwaltliche Selbstverwaltung durch die Rechtsanwaltskammern. Das Grundgesetz steht der berufsständischen Selbstverwaltung offen gegenüber, fordert sie aber nicht schlechthin. Die Beistandsgarantie des Einzelnen ließe sich institutioneller fassen („Jeder kann sich der Hilfe/des Beistands der unabhängigen und sich selbst verwaltenden Anwaltschaft bedienen“).

Trotz der fehlenden verfassungsrechtlichen Absicherung kommt den Kammern eine zentrale Rolle beim Schutz der freien Anwaltschaft zu, und zwar nicht nur, weil sie für eine staatsferne Berufsaufsicht unverzichtbar sind, sondern weil sie aktiv für die Verteidigung der Rechtstaatlichkeit eintreten dürfen. Die Beteiligung der Rechtsanwaltskammern am öffentlichen Diskurs ist zwar kein Gebrauch grundrechtlicher Meinungsfreiheit (Art. 19 Abs. 3 GG), allerdings verfassungsrechtlich durchaus weitreichend zulässig in den Grenzen staatlichen Informationshandelns. So hat der Anwaltsgerichtshof Berlin zurecht den Aufruf der Rechtsanwaltskammer Berlin zur Teilnahme an der „Unteilbar-Demonstration“ nicht beanstandet und die Klage eines Rechtsanwalts abgewiesen, weil der Aufruf einen Bezug zur Aufgabe der Kammer aufweise. Eine offene, demokratische und freiheitliche Gesellschaft sei unabdingbar für die Berufsausübung. Es sei „gerechtfertigt, dass auch die Berliner Anwaltschaft als ein – relevanter – Teil der demokratisch-rechtsstaatlichen Gesellschaft deutlich macht, dass sie die Wichtigkeit dieses Grundverständnisses [der Demonstration] stützt.“

Die freie Anwaltschaft als „Vorbedingung des konstitutionellen Verfassungslebens“

Die Garantie richterlicher Unabhängigkeit ist am Ende ohne Bedeutung, wenn der Zugang zu anwaltlicher Hilfe für die Menschen dem staatlichen Zugriff unterliegt. Es war deshalb konsequent, dass im 19. Jahrhundert der Vordenker des Rechtsstaats Rudolf v. Gneist als „erste Forderung aller Justizreform“ jene nach der „Freie[n] Advocatur“ formulierte, weil diese eine „Vorbedingung des konstitutionellen Verfassungslebens“ bilde. Eine nach rechtsstaatlichen Grundsätzen organisierte Justiz kann es nur mit einer freien Anwaltschaft geben. Die aktuellen Entwicklungen geben Anlass, sich dessen zu vergewissern.


SUGGESTED CITATION  Gerhold, Maximilian: Diabolus Advocati: Freie Advokatur in unruhigen Zeiten, VerfBlog, 2025/4/30, https://verfassungsblog.de/diabolus-advocati/.

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