Die Minimalvariante: Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Dritten Option
Die Bundesregierung hat am 15. August 2018 den Referentenentwurf des Bundesinnenministeriums zur Umsetzung des Dritte-Option-Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts angenommen. Der Gesetzesentwurf wird damit ins gesetzgeberische Verfahren gehen. Er setzt das Minimum dessen, was das Gericht gefordert hat, um. Den Interessen und Rechten intergeschlechtlicher Personen wird er aber bestenfalls ansatzweise gerecht.
Weiblich, männlich, divers, offenlassen
Der Gesetzesentwurf sieht vor, den seit November 2011 geltenden § 22 III PStG um die Möglichkeit zu ergänzen, „divers“ einzutragen, wenn das Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden kann. Bislang war der Personenstandseintrag dann offen zu halten. Es bleibt aber bei der Pflicht, die Geschlechtsangabe offen zu lassen oder „divers“ einzutragen.
Weiterhin sollen nach § 45b PStG des Entwurfs Personen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung selbst gegenüber dem Standesamt erklären können, dass die Personenstandseintragung in eine der in § 22 III vorgesehene Bezeichnung geändert werden soll. Laut Entwurfsbegründung soll dies männlich, weiblich oder divers sein oder die vorhandene Angabe gestrichen werden. Dazu muss aber eine ärztliche Bescheinigung vorgelegt werden, die nachweist, dass eine Variante der Geschlechtsentwicklung vorliegt. Für Personen unter 14 soll nur der gesetzliche Vertreter diese Erklärung abgeben können, ab 14 und vor Vollendung des 18. Lebensjahres muss der_die gesetzliche Vertreter_in zustimmen. Tut er_sie das nicht, entscheidet das Familiengericht.
Alles gut? Nein!
Mit der Option „divers“ für Personen, die körperlich nicht eindeutig dem weiblichen oder männlichen Geschlecht zugeordnet werden können, würden intergeschlechtliche Personen gegenüber männlichen und weiblichen Personen gleichbehandelt: Auch für sie ist ein positiver Geschlechtseintrag vorgesehen. Das Bundesverfassungsgericht hatte dies als eine der Regelungsoptionen vorgesehen.
Dennoch ist damit nicht alles gut. Der Gesetzesentwurf wird dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht und dem Verbot der Diskriminierung wegen des Geschlechts unterschiedlicher Personenkreise nur unvollkommen gerecht. Die grundlegende Kritik am Referentenentwurf und dem nur marginal geänderten Gesetzesentwurf, die aus juristischer Perspektive zum Beispiel das Deutsche Institut für Menschenrechte sowie Interessenvertretungen intergeschlechtlicher Personen, wie die Kampagne Dritte Option, der Bundesverband Intersexuelle Menschen e.V. und die IVIM / OII Deutschland, geäußert haben, ist gerechtfertigt.
Die Eintragung eines Geschlechts nach der Geburt ist notwendig fremdbestimmt. Kein_e Ärzt_in, kein Elternteil kann voraussehen, wie sich die geschlechtliche Identität eines Kindes, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Trans- und Intergeschlechtlichkeit wesentlicher Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist, entwickeln wird. Dies gilt auch dann, wenn ein Kind körperlich eindeutig männlich oder weiblich zugeordnet wird.
Naheliegend wäre deshalb, auf den Personenstandseintrag hinsichtlich des Geschlechts jedenfalls solange zu verzichten, bis ein Kind sich selbst darüber erklären kann, wie dies die genannten Organisationen fordern. Dies würde allen Menschen unabhängig von ihrer körperlichen Konstitution eine selbstbestimmte Entscheidung zur eigenen Geschlechtlichkeit ermöglichen und auch Diskriminierungen entgegenwirken, die dadurch entstehen können, dass ein Kind durch einen offen gelassenen Geschlechtseintrag oder den Eintrag „divers“ zwangsweise geoutet wird. Das Deutsche Institut für Menschenrechte hat das Für und Wider einer solchen Regelung in seinem Gutachten zur Geschlechtervielfalt im Recht für das Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) in der 18. Legislaturperiode umfassend abgewogen und einen Regelungsvorschlag unterbreitet. Warum sich diese grund- und menschenrechtliche Expertise und die Perspektive der von der Regelung betroffenen Personen im Gesetzesentwurf nicht niederschlagen, ist nicht nachvollziehbar. Es geht immerhin um die Gewährleistung existentieller Aspekte des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts und der Gleichbehandlung hinsichtlich des Geschlechts.
Dass Eltern bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres selbst die Erklärung zur Änderung des Geschlechtseintrags ihres Kindes abgeben können sollen, widerspricht der Höchstpersönlichkeit der Entscheidung über die eigene geschlechtliche Identität. Das gleiche gilt für das Erfordernis, einen ärztlichen Nachweis über die Variante der Geschlechtszugehörigkeit vorzulegen. Es fördert zudem die Pathologisierung intergeschlechtlicher Personen und zwingt diese in Kontakt mit Mediziner_innen zu gehen, obwohl sie nicht zwingend krank sind und häufig fremdbestimmten medizinischen Behandlungen ausgesetzt waren, die sie als Misshandlungen erfahren haben.
Die Beschränkung des Entwurfs auf intergeschlechtliche Personen diskriminiert weitere Personengruppen, die sich geschlechtlich nicht binär identifizieren, wegen des Geschlechts. Auch transgeschlechtliche Personen können sich nicht binär identifizieren, wie das ebenfalls für das BMFSFJ in der 18. Legislaturperiode an der Humboldt-Universität zu Berlin erstellte Gutachten zum rechtlichen Reformbedarf für transgeschlechtliche Lebensweisen in einer empirischen Erhebung gezeigt hat.
Transgeschlechtliche Personen, die derzeit hinsichtlich des Verfahrens der Anerkennung der männlichen oder weiblichen Geschlechtsidentität ohnehin gegenüber männlichen und weiblichen Personen mit den Sonderregelungen des Transsexuellengesetzes (TSG) diskriminiert werden, würden mit der vorgesehen Neuregelung des Verfahrens zusätzlich im Vergleich zu intergeschlechtlichen Personen unzulässig ungleich behandelt. Denn für die Anerkennung der Geschlechtsidentität ist nach § 4 TSG ein persönlich und finanziell aufwändiges gerichtliches Verfahren notwendig, in dem mindestens zwei Sachverständigengutachten zum Vorliegen der sogenannten Transsexualität eingeholt werden.
Dieses Verfahren ist unverhältnismäßig, nicht zuletzt weil es kaum zu abweichenden Ergebnissen von der Selbstidentifikation der betroffenen Personen führt, wie das bereits erwähnte Gutachten der Humboldt-Universität zu Berlin gezeigt hat. Um Geschlechtlichkeit personenstandsrechtlich umfassend zu regulieren, sollte der Geschlechtseintrag auf der Selbsterklärung einer Person unabhängig vom Geschlecht beruhen, wenn sie selbstbestimmt darüber entscheiden kann.
Die Notwendigkeit umfassenderer Regelung der Geschlechtervielfalt
Damit wird deutlich, dass die Bundesregierung versäumt hat, einen Gesetzesentwurf auf den Weg zu bringen, der die Geschlechtervielfalt grund- und menschenrechtlich umfassend angemessen regelt. Dieses Versäumnis betrifft nicht nur die Einbeziehung transgeschlechtlicher Personen, sondern auch familienrechtliche Folgefragen sowie die Unwirksamkeit der elterlichen Einwilligung in medizinische Behandlungen intergeschlechtlicher Kinder, die nicht der Beseitigung einer Lebensgefahr oder schweren Gesundheitsschädigung dienen, also letztlich nur wegen der kosmetischen Anpassung an eine medizinisch definierte Norm weiblicher und männlicher Körper erfolgen.
Bislang ist es nach §§ 1591, 1592 BGB nur möglich als Frau Mutter eines Kindes und als Mann Vater eines Kindes zu werden. Rechtlich als solche anerkannte intergeschlechtliche Personen können also nicht Mutter oder Vater eines Kindes sein, auch wenn sie es geboren haben oder eine der zusätzlichen Voraussetzungen für die Vaterschaft erfüllen. Hier besteht dringender Regelungsbedarf, ebenso wie für transgeschlechtliche Personen, bei denen Männer ein Kind gebären oder Frauen ein Kind zeugen können. Das Personenstandsrecht hat sich hier keineswegs an einem traditionell geprägten Familienrecht auszurichten, sondern muss die Vielfalt geschlechtlicher Identitäten anerkennen.
Geradezu empörend ist, dass der Entwurf nichts enthält, um medizinisch nicht notwendige medizinische Behandlungen an nicht einwilligungsfähigen intergeschlechtlichen Minderjährigen zu unterbinden. Bereits seit den 1990er Jahren werden diese Behandlungen von Betroffenen problematisiert, weil sie deren gravierenden Folgen wie den Verlust der sexuellen Empfindungsfähigkeit, Störungen des Hormonhaushalts oder erheblichen Beeinträchtigungen der psychosexuellen Entwicklung ausgesetzt sind.
Diese Behandlungen an nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen greifen fremdbestimmt, massiv und teils unumkehrbar in die körperliche Integrität ein und verletzen damit deren Grund- und Menschenrechte auf Achtung der körperlichen Integrität, zur Entwicklung einer selbstbestimmten Persönlichkeit und auf Gleichbehandlung. Wie eine Studie der Humboldt-Universität zu Berlin zeigt, werden weiterhin nicht vital indizierte, kosmetische medizinische Behandlungen an Minderjährigen vorgenommen. Dem Staat erwächst hieraus eine grund- und menschenrechtliche Schutzpflicht, der er wieder nicht nachzukommen scheint, obwohl es intensiv durchdachte Regelungsvorschläge hierzu gibt, zum Beispiel im Gutachten des Deutschen Instituts für Menschenrechte.
Das Bundesinnenministerium und die Bundesregierung haben damit eine große Chance verpasst. Bereits in der 18. Legislaturperiode hatte das BMFSFJ umfassend Expertise zusammengetragen und Stellungnahmen von Interessenvertretungen betroffener Personen eingeholt. Diese Perspektiven sollten im jetzt anstehenden parlamentarischen Verfahren unbedingt einbezogen und ernst genommen werden.
Es kann noch viele denkbare Situationen geben, in welchen eine Geschlechtszuordnung Umständen einen gewissen ordnenden Rahmen geben kann.
Dies unabhängig von Registrierungen und Einsichtfähigkeit.
Warum sollen rein tatsächlich ordnende Sinnzusammenhänge nicht amtlich registrierbar sein, wenn dies etwa elterlich erwünscht ist?
Man muss bei Registrierungsverbot vielleicht hinnehmen, wenn eine Geschlechtszuordnung in Einzelfällen ganz unterbleiben kann. Jede konkrete Entscheidungspflicht kann diskriminieren.
Blöde Frage: nur was würden etwa Frauen sagen, wenn zukünftig im Schwimmbad in der Frauendusche massenhaft Männer vielleicht mit erregtem Geschlechtsorgan auftreten, welche sich geschlechtlich nicht festlegen wollen und sich etwa teils ebenso als Frau sehen wollen?
Wie an dem “komischen Beispiel” im vorherigen Kommentar eventuell erkennbar, kann Geschlechtertrennung mitunter ein sozialer Sinn zukommen, Geschlechter voreinander zu schützen und eine Scham zu wahren, wie etwa insbesondere ein weibliches Geschlecht vor einem männlichen Geschlecht. Schützen kann ein elterliches Erziehungsrecht mitumfassen, welches ein Recht scheint, was nicht einfach grundlos zu nehmen sein kann.
Das kann dafür sprechen, dass Eltern grundsätzlich quasi mit ein Erziehungsrecht auf geschlechtliche Festlegung oder (Vor-)Entscheidung haben können. (Man kann vielleicht nicht zulässig immer nur auschließlich vollkommen einseitig, blind für andere, eigene Maximalforderungen auf Diskriminierungsfreiheit im Blick haben, ohne einmal über den Tellerand hinauszuschauen, was dies für andere und deren Rechte, wie auf D