Dieser Blogbeitrag ist nicht von der Pressefreiheit geschützt
Zur Reichweite presserechtlicher Auskunftsansprüche von Online-Medien
Digitale Angebote haben längst den Medienmarkt erobert. Spiegel Online, Bild.de und Focus Online haben ihre analogen Pendants in puncto Reichweite abgehängt und einige Medien wie die taz planen bereits, ihr Printangebot zumindest teilweise einzustellen. Auf der lokalen Ebene ist seit einigen Jahren ein bedenkliches Zeitungssterben zu beobachten. Gleichzeitig gewinnen originär digitale Angebote an Bedeutung. Dazu zählen sowohl Nachrichtenportale wie t-online als auch Fachmagazine wie netzpolitik.org oder Legal Tribune Online. Laut einer Studie stellt das Internet inzwischen für 4 von 10 Personen das subjektiv wichtigste Informationsmedium dar. Damit liegt es knapp vor dem Fernsehen und deutlich vor den Printmedien.
Wenn man dem Verwaltungsgericht Berlin folgt, bewegen sich all diese Online-Medien jedoch möglicherweise im grundrechtlichen Niemandsland, zumindest was die Medienfreiheiten und die sich daraus ergebenden Auskunftsansprüche gegenüber Behörden betrifft. Denn die Pressefreiheit, so die für Presserecht zuständige 27. Kammer des Verwaltungsgerichts, setze die „Publikation eines Druckerzeugnisses“ voraus und die Frage, ob journalistisch-redaktionell gestaltete Telemedien von der Rundfunkfreiheit geschützt sind, könne im Eilverfahren nicht geklärt werden. Wenn die Entscheidung Bestand hat, hätte sie weitreichende Konsequenzen für den Journalismus in einer sich wandelnden Medienlandschaft. Auch der Verfassungsblog und damit dieser Blogbeitrag wären nicht von der Pressefreiheit (und nur vielleicht von der Rundfunkfreiheit) geschützt. Grund genug, sich die Entscheidung, den grundrechtlichen Schutz von Online-Medien und den gesetzgeberischen Handlungsbedarf bei medienrechtlichen Auskunftsansprüchen näher anzuschauen.
FragDenStaat und das Büro von Alt-Kanzler Schröder
In dem Beschluss des Verwaltungsgerichts geht es um das Transparenzportal FragDenStaat. Dessen Projektleiter Arne Semsrott hatte einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt, mit dem er das Bundeskanzleramt bzw. das Büro des ehemaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder verpflichten wollte, Auskunft zu den Gesprächsterminen des Alt-Kanzlers zu erteilen. Hintergrund ist die Nähe Schröders zu russischen Energiekonzernen und die Diskussion über die Ausstattung des Alt-Kanzlers mit einem Büro im Bundestag, das auch für Lobbytätigkeiten genutzt wurde. Der Bundestag hat im Zuge der öffentlichen Debatte mittlerweile beschlossen, das Büro „ruhend“ zu stellen.
Mit Beschluss vom 21. Juni 2022 hat das Verwaltungsgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückgewiesen. Das Bundeskanzleramt und das Büro von Gerhard Schröder müssen daher vorerst keine Auskunft erteilen. Zur Begründung beruft sich das Gericht auf die (umstrittene) Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach die Länder keine Kompetenz für die Regelung von Auskunftsansprüchen gegenüber Bundesbehörden haben. Die presserechtlichen Auskunftsansprüche nach Landesrecht müssen danach verfassungskonform dahingehend ausgelegt werden, dass sie Bundesbehörden nicht verpflichten. Dies überträgt die Kammer – soweit konsequent – auf § 18 Abs. 4 Medienstaatsvertrag, nach dem journalistisch-redaktionell gestaltete Telemedien einen Auskunftsanspruch gegenüber Behörden haben: Da der zwischen den Ländern geschlossene Medienstaatsvertrag ebenfalls zum Landesrecht gehöre, bestünden „erhebliche Zweifel“ an der Anwendbarkeit gegenüber Bundesbehörden.
Auf Bundesebene gibt es einen einfachgesetzlichen Auskunftsanspruch weder für die Presse noch für Telemedien. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedoch – gewissermaßen als verfassungsrechtlichen Notnagel – einen Auskunftsanspruch gegenüber Bundesbehörden unmittelbar aus der Pressefreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG hergeleitet. In dem Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin geht es daher in erster Linie um die Frage, ob FragDenStaat als Presse oder Rundfunk im Sinne des Grundgesetzes anzusehen ist.
Hierzu muss man wissen, dass FragDenStaat längst nicht mehr nur ein Online-Tool ist, mit dem Anträge nach den Informationsfreiheitsgesetzen von Bund und Ländern generiert werden können. Das Projekt veröffentlicht auf seinem Blog inzwischen regelmäßig journalistische Beiträge und hat dafür ein kleines, aber sehr effektives Investigativ-Team aufgebaut. Oft recherchiert und veröffentlicht FragDenStaat auch in Kooperation mit „etablierten“ Medien wie der taz, der Süddeutschen Zeitung oder dem ZDF. Der Projektleiter und Antragsteller, Arne Semsrott, hat einen Presseausweis und wurde von einer Jury des medium magazins in der Kategorie Politik unter die zehn Journalist*innen des Jahres 2021 gewählt.
Boomer-Vibes vom Verwaltungsgericht: Pressefreiheit nur für „Druckerzeugnisse“
Das Verwaltungsgericht geht dennoch davon aus, dass sich Semsrott nicht auf die Pressefreiheit berufen kann. Die Begründung wirkt anachronistisch. Der Anspruch, so das Verwaltungsgericht, setze voraus, „dass der Betreffende bezüglich der Publikation eines Druckerzeugnisses tätig ist“. Der Schutz der Pressefreiheit knüpfe „an das sächliche Substrat einer Publikation in gedruckter und zur Verbreitung geeigneter und bestimmter Form an“. Die Frage, ob journalistisch-redaktionell gestaltete Telemedien sich stattdessen auf die Rundfunkfreiheit berufen können, will das Verwaltungsgericht im Eilverfahren nicht beantworten. Dies lasse sich jedenfalls „nicht schon aufgrund der im Eilverfahren nur möglichen summarischen rechtlichen Prüfung mit einer hohen, die – hier endgültige – Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigenden Wahrscheinlichkeit annehmen“.
In der Tat ist der grundrechtliche Schutz von Online-Medien bisher nicht abschließend geklärt. Umstritten ist etwa, ob sie wegen ihrer elektronischen Verbreitungsmethode stets unter die Rundfunkfreiheit fallen oder ob sie jedenfalls dann der Pressefreiheit zuzuordnen sind, wenn die Verbreitung von Text und statischen Bildern im Vordergrund steht, sie also funktional die „klassische“ Presse ersetzen. In der Literatur werden Online-Medien teilweise auch einer „Internetfreiheit“ als eigenständigem Mediengrundrecht oder einer einheitlichen Medienfreiheit zugeordnet. Unklar ist darüber hinaus, welche publizistischen Anforderungen an die „neuen“ Medien zu stellen sind. Eine Qualitätskontrolle darf es nach einhelliger Auffassung nicht geben. Andererseits ist nicht jede Website und jeder Twitter-Account von der Presse- oder Rundfunkfreiheit geschützt, auch wenn es sich dabei durchaus um Massenkommunikation handelt. Der im Medienstaatsvertrag verwendete Begriff der journalistisch-redaktionellen Gestaltung dürfte ein taugliches Abgrenzungskriterium sein, auch wenn er konkretisierungsbedürftig ist.
Die vom Verwaltungsgericht jedenfalls für möglich gehaltene Auslegung, nach der auch journalistisch-redaktionell gestaltete Online-Medien weder von der Presse- noch von der Rundfunkfreiheit geschützt sind, wird demgegenüber kaum vertreten. Sie ließe sich auch nur mit einem strengen Textualismus rechtfertigen, den man bisher vor allem aus dem US-Verfassungsrecht kennt und der mit der Entwicklungsoffenheit des Grundgesetzes nicht vereinbar ist. Entsprechend werden journalistisch-redaktionelle Online-Medien sowohl in der jüngeren Kammerrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (etwa hier und hier) als auch vom Bundesgerichtshof (etwa hier und hier) ohne nähere Begründung dem Schutz der Pressefreiheit unterstellt.
Rechtsschutzverweigerung durch „summarische“ Prüfung
Auch die bloß „summarische“ Prüfung des Verwaltungsgerichts überzeugt nicht. Abgesehen davon, dass es sich um reine Rechtsfragen handelt, die regelmäßig auch im Eilverfahren abschließend geklärt werden können, wird die summarische Prüfung (zumal in Verbindung mit dem Erfordernis einer „hohen“ Erfolgsaussicht) dem Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers nicht gerecht. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits in einer Kammerentscheidung von 2014 entschieden, dass an den Eilrechtsschutz in presserechtlichen Auskunftsverfahren keine überhöhten Anforderungen zu stellen sind. Es hat zwar offengelassen, ob eine summarische Prüfung mit der Garantie effektiven Rechtsschutzes in Einklang steht. Gleichzeitig hat es jedoch darauf hingewiesen, dass die Gerichte unter besonderen Umständen dazu verpflichtet sein können, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen.
Viel spricht dafür, dass bei presserechtlichen Auskunftsbegehren mit einem starken Gegenwartsbezug eine solche abschließende Prüfung erforderlich ist. Denn die oft mehrere Jahre dauernden Hauptsacheverfahren können keinen effektiven Rechtsschutz leisten. Der vorliegende Fall verdeutlicht dies: Wenn FragDenStaat erst nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens in einigen Jahren die begehrte Auskunft erhält, hat sich der Anlass für die geplante Berichterstattung – der Ukrainekrieg, die Diskussion um Gasimporte aus Russland und Nord Stream 2 sowie Schröders diesbezügliche Rolle – (hoffentlich) weitgehend erledigt. Jedenfalls kommen die für die Öffentlichkeit möglicherweise relevanten Informationen zu spät ans Licht und FragDenStaat kann in der Zwischenzeit die Kontrollfunktion der Medien nicht erfüllen.
Hoffen auf die Ampel: Kommt ein Bundesmedienauskunftsgesetz?
Der Fall verdeutlicht den seit Jahren bestehenden gesetzgeberischen Handlungsbedarf. Das Bundesverwaltungsgericht hat bereits 2013 entschieden, dass der Gesetzgeber verpflichtet ist, „die Rechtsordnung in einer Weise zu gestalten, die der besonderen verfassungsrechtlichen Bedeutung der Presse gerecht wird und ihr eine funktionsgemäße Betätigung ermöglicht“. Hierzu zähle auch die Schaffung von behördlichen Auskunftspflichten. Die Ampel verspricht zwar im Koalitionsvertrag, „eine gesetzliche Grundlage für den Auskunftsanspruch der Presse gegenüber Bundesbehörden“ zu schaffen. Passiert ist bisher jedoch noch nichts.
Es ist davon auszugehen, dass der Begriff der Presse im Koalitionsvertrag weit verstanden wird und auch ein Auskunftsanspruch für den Rundfunk und für journalistisch-redaktionelle Telemedien geschaffen werden soll. Dass die Ampel von „dem“ Auskunftsanspruch spricht, lässt andererseits befürchten, dass die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum verfassungsunmittelbaren Anspruch lediglich kodifiziert werden soll. Dieser Anspruch ist jedoch laut Bundesverwaltungsgericht auf das Niveau eines „Minimalstandards“ begrenzt, den auch der Gesetzgeber nicht unterschreiten darf. Es stünde einer „Fortschritts-Koalition“ gut zu Gesicht, sich nicht auf diese Minimalstandards zu beschränken. Stattdessen sollte der Auskunftsanspruch etwa um einen presserechtlichen Akteneinsichtsanspruch ergänzt und Ausschlussgründe restriktiv formuliert werden. Aus der letzten Legislaturperiode gibt es bereits einen Gesetzentwurf der Grünen, der als Arbeitsgrundlage herangezogen werden kann.
Pressefreiheit im 21. Jahrhundert: FragDenStaat jetzt auch als Druckerzeugnis
Unabhängig von den möglichen Entwicklungen in der Gesetzgebung ist eine höchstrichterliche (ausdrückliche) Klärung des grundrechtlichen Schutzes von Online-Medien dringend geboten. Denn die Presse- und Rundfunkfreiheit leiten nicht nur die Auslegung der einfachgesetzlichen Auskunftsansprüche an, sondern können auch bei deren Durchsetzung eine entscheidende Rolle spielen (etwa beim Anordnungsgrund im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes).
Ob der Fall von FragDenStaat zu einer Klärung beitragen wird, ist indes zweifelhaft. Der Antragsteller hat zwar Beschwerde eingelegt, sodass sich das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg mit der Sache befassen muss. Auch ein strategisches Hauptsacheverfahren zur Klärung der Rechtsfrage wäre denkbar. FragDenStaat hat jedoch gleichzeitig einen anderen Weg eingeschlagen. Unter dem Titel „FragDenStaat DE – DE steht für Druckerzeugnis“ gibt das Projekt mittlerweile eine Printversion seines Blogs heraus. Die erste Ausgabe wurde bereits mit einer Auflage von 2.000 Exemplaren gedruckt und rund um das Oberverwaltungsgericht verteilt. In einer der nächsten Ausgaben soll dann die Recherche über das Büro von Alt-Kanzler Schröder erscheinen. Damit dürfte das „sächliche Substrat einer Publikation in gedruckter und zur Verbreitung geeigneter und bestimmter Form“ vorliegen. Pressefreiheit im 21. Jahrhundert.
Der Beitrag hat für meinen Geschmack ziemlich starke “Zoomer-Vibes” in seiner Ausdrucksweise.
Unabhängig davon stimme ich zu, dass die konventionelle Interpretation des Art. 5 altbacken ist, insbesondere da, wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht, bereits im parlamentarischen Rag explizit gesagt wurde, die Medien im Artikel seien beispielhaft für die allgemeine Massenkommunikation zu diesem Zeitpunkt niedergeschrieben.
Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Rundfunkfreiheit ist allerdings dogmatisch so verkrustet, dass ihre Aufgabe und eine individualistische Interpretation (die verfassungstextlich eher geboten wäre als die einer “dienenden Freiheit”) das Eingeständnis einer seit Jahrzehnten der Massenkommunikation hinterherhinkenden Niederlage wäre. Vermutlich wird eher irgendwann eine subjektive Seite unplausibel als Wundpflaster an die objektivrechtliche Verfassungswunde angebracht.
Danke für die hilfreiche Einordnung.
Hätte es für Gerichtsurteile eine Relevanz, ob ein Online-Medium z.B. eine ISSN hat oder ob z.B. Artikel über die VG Wort abgerechnet werden? Beides könnte man aus Laiensicht ja als Hinweise darauf verstehen, dass es z.B. eine Zeitschrift ist. Wäre sowas ein Argument, oder ist das aus rechtlicher Sicht egal?
Nach der Begründung des VG Berlin wäre dies nicht relevant. Danach ist zwingende Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Pressefreiheit, dass es sich um ein Druckerzeugnis (Print-Medium) handelt.