Dieter Grimm: Wulffs Anruf war kein Eingriff in die Pressefreiheit
Gestern hat sich hier im Blog eine interessante Kontroverse entsponnen über meine These, dass der Anruf des Bundespräsidenten bei Kai Diekmann die Pressefreiheit desselben und seiner Bildzeitung unangetastet gelassen hat. Wir haben Dieter Grimm, den ehemaligen BVerfG-Richter und Rektor des Wissenschaftskollegs, um ein klärendes Wort gebeten und die Gelegenheit genutzt, ihm auch noch einige weitere Fragen zur Affäre um den Bundespräsidenten zu stellen.
Herr Grimm, schützt die Pressefreiheit Herrn Diekmann davor, von Anrufen wie dem des Bundespräsidenten verschont zu bleiben?
Nein. Das Grundrecht der Pressefreiheit schützt die Presse und die im Pressewesen Tätigen vor Eingriffen der öffentlichen Gewalt. Wir können zwar annehmen, dass der Bundespräsident in seiner Eigenschaft als Staatsoberhaupt angerufen hat, nicht als Privatmann. Eingriffsqualität hätte der Anruf aber nur gehabt, wenn dadurch die Freiheit des Chefredakteurs eingeschränkt worden wäre. Seine Freiheit, so zu handeln, wie er es journalistisch für richtig hielt, war aber in keiner Weise gemindert. Das heißt gleichzeitig, dass der Bundespräsident mit dem Anruf nicht gegen das Grundgesetz verstoßen hat. Ob seinem Verhalten ein angemessenes Verständnis von der Funktion der Presse in der Demokratie und dem Verhältnis von Politikern und Journalisten zugrundelag, ist eine andere Frage.
Dem Konflikt zwischen Wulff und der Bildzeitung geht eine langjährige enge Zusammenarbeit voraus. Ist die Grundrechtsdogmatik bei Art. 5 I 2 GG überhaupt dafür gerüstet, solchen Näheverhältnissen auf Wechselseitigkeit zwischen Politikern und Medien gerecht zu werden?
Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 garantiert der Presse zunächst einmal Freiheit vom Staat. Freiheiten können so oder anders genutzt werden. Das gilt auch für die Beziehungen zwischen Journalisten und Politikern. Manche werden die Distanz bevorzugen, das kommt ihrer Unabhängigkeit zugute. Andere werden die Nähe suchen, das zwingt zu gewissen Rücksichten. Den Gefahren, die damit verbunden sind, begegnen wir aber mit der Pluralität und Konkurrenz im Medienwesen. Was das eine Medium gern vertuschen würde, wird das andere mit Genuss verbreiten.
Hatte der Bundespräsident im Sinne des Quellenschutzes ein Recht gegenüber der Bildzeitung, dass Inhalt und Wortlaut seines Anrufs nicht an andere Medien weitergegeben wird?
Der Bundespräsident hat ein öffentliches Amt inne. Die Angelegenheit, um die es geht, ist von öffentlichem Interesse, mittlerweile sogar von überragendem öffentlichen Interesse, weil sie über den Anlassfall der Kreditgewährung hinausgeht und das Amtsverständnis und die Amtsausübung des Bundespräsidenten erfasst. Daran hat die Öffentlichkeit ein legitimes Interesse, hinter dem das Geheimhaltungsinteresse des Bundespräsidenten zurücksteht.
Niemand weiß, ob nicht noch ganz andere Berichterstattungsabsichten der Bildzeitung als Motiv für den Anruf eine Rolle gespielt haben könnten. Wie sieht es mit den Persönlichkeitsrechten der Frau des Bundespräsidenten aus? Abstrakt gefragt: Darf der Bundespräsident gegenüber der Presse mehr, wenn er gleichsam im Namen und zum Schutz seiner Frau handelt?
Das hält sich jetzt sehr im Spekulativen. Es bleibt völlig im Dunkeln, worum es gehen könnte. Auf eine abstrakte Frage abstrakt geantwortet, sind die aus Artikel 2 Absatz 1 (Persönlichkeitsrecht) und Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 (Pressefreiheit) entwickelten Grundsätze folgende: (1) Regel: Was wahr ist, darf gesagt werden. (2) Ausnahme: Es sei denn, es (a) würde die Privat- oder gar die Intimsphäre betreffen, (b) handelte sich um unrechtmäßig erlangte Informationen, (c) würde Nachteile für die Persönlichkeitsentfaltung haben, die das öffentliche Informationsinteresse überwiegen. (3) Ausnahme von der Ausnahme: Selbst im Fall 2a und b darf die Information verbreitet werden, wenn daran ein überragendes öffentliches Interesse besteht.
Zu der so genannten Kreditaffäre: Niemand wirft dem Bundespräsidenten rechtswidriges Verhalten vor. Wie beurteilen Sie das Verhältnis von Rechts- und Moralpflichten in diesem Fall?
Nicht alles, was moralisch gefordert ist, ist auch rechtlich geboten, und nicht alles, was als moralisch verwerflich gilt, ist auch rechtlich verboten. Es handelt sich hier meines Erachtens aber auch gar nicht so sehr um das Verhältnis von Recht und Moral, sondern um das richtige Funktionsverständnis für ein hohes Staatsamt und die Bedingungen seiner erfolgreichen Wahrnehmung. Kann das Amt noch im Sinn des Grundgesetzes ausgefüllt werden, wenn das Vertrauen in die Unabhängigkeit und Aufrichtigkeit des Amtsinhabers erschüttert ist? Ob ein solcher Zustand eingetreten ist oder nicht, ist eine sehr schwierige Frage, vor der das Recht mit gutem Grund halt macht. Deswegen sieht das Grundgesetz die Möglichkeit eines Amtsverlustes des Bundespräsidenten nur im Fall “vorsätzlicher Verletzung des Grundgesetzes oder eines anderen Bundesgesetzes” vor (Artikel 61). Jenseits dieses Falles hängt es verfassungsrechtlich allein vom Bundespräsidenten selbst ab, ob er im Amt bleibt oder nicht. Viele können ihm den Rücktritt nahelegen, niemand kann ihn dazu zwingen.
Das Amt des Bundespräsidenten halten manche ohnehin für überflüssig und antiquiert. Könnten Sie sich verfassungspolitisch auch eine Bundesrepublik ohne Präsident vorstellen?
Ich kann es mir vorstellen, aber nicht wünschen. Die Funktionen, die das Grundgesetz dem Bundespräsidenten überträgt, müssen ja weiter erfüllt werden. Etliche könnte man dem Parlamentspräsidenten oder dem Kanzler übertragen. Wären sie da besser aufgehoben? Die Fragen der Parlamentsauflösung, der Minderheitsregierung, des Gesetzgebungsnotstands müssten völlig neu geregelt werden. Wie? Vor allem bildet der Bundespräsident aber wie das Bundesverfassungsgericht ein wichtiges Gegengewicht gegenüber den Defiziten der Parteipolitik. Er hat die Möglichkeit, Themen, Gesichtspunkte, Werte, Zeitdimensionen ins Bewusstsein zu rücken, die im parteipolitischen Tagesgeschäft in den Hintergrund zu geraten drohen. Wenn ein Amtsinhaber dafür nicht den richtigen Sinn hat, ist das kein Grund, das Amt abzuschaffen. Dann muss man einen besseren Amtsinhaber finden.
Foto: Recht im Kontext / Maurice Weiss (Ostkreuz)
Gestern hat sich hier im Blog eine interessante Kontroverse entsponnen über meine These, dass der Anruf des Bundespräsidenten bei Kai Diekmann die Pressefreiheit desselben und seiner Bildzeitung unangetastet gelassen hat. Wir haben Dieter Grimm, den ehemaligen BVerfG-Richter und Rektor des Wissenschaftskollegs, um ein klärendes Wort gebeten und die Gelegenheit genutzt, ihm auch noch einige weitere Fragen zur Affäre um den Bundespräsidenten zu stellen.
Herr Grimm, schützt die Pressefreiheit Herrn Diekmann davor, von Anrufen wie dem des Bundespräsidenten verschont zu bleiben?
Nein. Das Grundrecht der Pressefreiheit schützt die Presse und die im Pressewesen Tätigen vor Eingriffen der öffentlichen Gewalt. Wir können zwar annehmen, dass der Bundespräsident in seiner Eigenschaft als Staatsoberhaupt angerufen hat, nicht als Privatmann. Eingriffsqualität hätte der Anruf aber nur gehabt, wenn dadurch die Freiheit des Chefredakteurs eingeschränkt worden wäre. Seine Freiheit, so zu handeln, wie er es journalistisch für richtig hielt, war aber in keiner Weise gemindert. Das heißt gleichzeitig, dass der Bundespräsident mit dem Anruf nicht gegen das Grundgesetz verstoßen hat. Ob seinem Verhalten ein angemessenes Verständnis von der Funktion der Presse in der Demokratie und dem Verhältnis von Politikern und Journalisten zugrundelag, ist eine andere Frage.
Dem Konflikt zwischen Wulff und der Bildzeitung geht eine langjährige enge Zusammenarbeit voraus. Ist die Grundrechtsdogmatik bei Art. 5 I 2 GG überhaupt dafür gerüstet, solchen Näheverhältnissen auf Wechselseitigkeit zwischen Politikern und Medien gerecht zu werden?
Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 garantiert der Presse zunächst einmal Freiheit vom Staat. Freiheiten können so oder anders genutzt werden. Das gilt auch für die Beziehungen zwischen Journalisten und Politikern. Manche werden die Distanz bevorzugen, das kommt ihrer Unabhängigkeit zugute. Andere werden die Nähe suchen, das zwingt zu gewissen Rücksichten. Den Gefahren, die damit verbunden sind, begegnen wir aber mit der Pluralität und Konkurrenz im Medienwesen. Was das eine Medium gern vertuschen würde, wird das andere mit Genuss verbreiten.
Hatte der Bundespräsident im Sinne des Quellenschutzes ein Recht gegenüber der Bildzeitung, dass Inhalt und Wortlaut seines Anrufs nicht an andere Medien weitergegeben wird?
Der Bundespräsident hat ein öffentliches Amt inne. Die Angelegenheit, um die es geht, ist von öffentlichem Interesse, mittlerweile sogar von überragendem öffentlichen Interesse, weil sie über den Anlassfall der Kreditgewährung hinausgeht und das Amtsverständnis und die Amtsausübung des Bundespräsidenten erfasst. Daran hat die Öffentlichkeit ein legitimes Interesse, hinter dem das Geheimhaltungsinteresse des Bundespräsidenten zurücksteht.
Niemand weiß, ob nicht noch ganz andere Berichterstattungsabsichten der Bildzeitung als Motiv für den Anruf eine Rolle gespielt haben könnten. Wie sieht es mit den Persönlichkeitsrechten der Frau des Bundespräsidenten aus? Abstrakt gefragt: Darf der Bundespräsident gegenüber der Presse mehr, wenn er gleichsam im Namen und zum Schutz seiner Frau handelt?
Das hält sich jetzt sehr im Spekulativen. Es bleibt völlig im Dunkeln, worum es gehen könnte. Auf eine abstrakte Frage abstrakt geantwortet, sind die aus Artikel 2 Absatz 1 (Persönlichkeitsrecht) und Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 (Pressefreiheit) entwickelten Grundsätze folgende: (1) Regel: Was wahr ist, darf gesagt werden. (2) Ausnahme: Es sei denn, es (a) würde die Privat- oder gar die Intimsphäre betreffen, (b) handelte sich um unrechtmäßig erlangte Informationen, (c) würde Nachteile für die Persönlichkeitsentfaltung haben, die das öffentliche Informationsinteresse überwiegen. (3) Ausnahme von der Ausnahme: Selbst im Fall 2a und b darf die Information verbreitet werden, wenn daran ein überragendes öffentliches Interesse besteht.
Zu der so genannten Kreditaffäre: Niemand wirft dem Bundespräsidenten rechtswidriges Verhalten vor. Wie beurteilen Sie das Verhältnis von Rechts- und Moralpflichten in diesem Fall?
Nicht alles, was moralisch gefordert ist, ist auch rechtlich geboten, und nicht alles, was als moralisch verwerflich gilt, ist auch rechtlich verboten. Es handelt sich hier meines Erachtens aber auch gar nicht so sehr um das Verhältnis von Recht und Moral, sondern um das richtige Funktionsverständnis für ein hohes Staatsamt und die Bedingungen seiner erfolgreichen Wahrnehmung. Kann das Amt noch im Sinn des Grundgesetzes ausgefüllt werden, wenn das Vertrauen in die Unabhängigkeit und Aufrichtigkeit des Amtsinhabers erschüttert ist? Ob ein solcher Zustand eingetreten ist oder nicht, ist eine sehr schwierige Frage, vor der das Recht mit gutem Grund halt macht. Deswegen sieht das Grundgesetz die Möglichkeit eines Amtsverlustes des Bundespräsidenten nur im Fall “vorsätzlicher Verletzung des Grundgesetzes oder eines anderen Bundesgesetzes” vor (Artikel 61). Jenseits dieses Falles hängt es verfassungsrechtlich allein vom Bundespräsidenten selbst ab, ob er im Amt bleibt oder nicht. Viele können ihm den Rücktritt nahelegen, niemand kann ihn dazu zwingen.
Das Amt des Bundespräsidenten halten manche ohnehin für überflüssig und antiquiert. Könnten Sie sich verfassungspolitisch auch eine Bundesrepublik ohne Präsident vorstellen?
Ich kann es mir vorstellen, aber nicht wünschen. Die Funktionen, die das Grundgesetz dem Bundespräsidenten überträgt, müssen ja weiter erfüllt werden. Etliche könnte man dem Parlamentspräsidenten oder dem Kanzler übertragen. Wären sie da besser aufgehoben? Die Fragen der Parlamentsauflösung, der Minderheitsregierung, des Gesetzgebungsnotstands müssten völlig neu geregelt werden. Wie? Vor allem bildet der Bundespräsident aber wie das Bundesverfassungsgericht ein wichtiges Gegengewicht gegenüber den Defiziten der Parteipolitik. Er hat die Möglichkeit, Themen, Gesichtspunkte, Werte, Zeitdimensionen ins Bewusstsein zu rücken, die im parteipolitischen Tagesgeschäft in den Hintergrund zu geraten drohen. Wenn ein Amtsinhaber dafür nicht den richtigen Sinn hat, ist das kein Grund, das Amt abzuschaffen. Dann muss man einen besseren Amtsinhaber finden.
Foto: Recht im Kontext / Maurice Weiss (Ostkreuz)
Wulff hat doch Menschlichkeit verlangt – aber da wo es passt nutzt man wie hier Gesteze zum argumentieren.
Wulff ruft eines der Auflagen stärksten Blätter an und will Einfluss auf Berichterstattung nehmen. Er droht mit Strafanzeige und “Krieg” siehe Rubikon Zitat.
Was macht so ein Präsident mit kleineren Blättern oder sogar Bloggern wenn erschon einem Konzern wie Springer droht der Dank großer Finanzmittel umfangliche Rechtsberatung geniest?
Die ganze Bild/Wulff Aktion erinnert sehr an Frost/Nixon – wir wissen was am Ende bei Nixon kam.
[…] Richter am BVerfG Dieter Grimm vertritt im Verfassungsblog die Ansicht, dass ein Anruf des BP bei einem Presseorgan nicht die Pressefreiheit verletze – das kann man […]
»Den Gefahren, die damit verbunden sind, begegnen wir aber mit der Pluralität und Konkurrenz im Medienwesen. Was das eine Medium gern vertuschen würde, wird das andere mit Genuss verbreiten.«
Leider ist das in einer Medienlandschaft, die a) immer mehr zentralisiert und b) in der Hand von Vertretern der immer gleichen, immer gleich denkenden Oberschicht liegt, so nur noch in der Theorie richtig. Hinzu kommt, dass (insbesondere auch in den kleinen Zeitungen) vielfach überwiegend Meldungen der Presseagenturen (redaktionell bearbeitet) verbreitet werden, aber kaum noch eigene Recherche stattfindet.
Das alles zusammen führt dazu, dass man aus den verschiedensten Ecken im Grunde genau eine Nachricht zu einem Thema hört, was aber psychologisch bedingt, die Bürger dazu bringt, diese “Information” als bestätigt anzuerkennen.
Bestes Beispiel ist die Hurra-Meldung bzgl. Beschäftigung und Konsum vom Jahresanfang. Man muss lange suchen (oder wissen, wo man Informationen außerhalb der “Qualitätsmedien” findet), um Informationen zur Art der Beschäftigung, zur Zählweise der Beschäftigungslosen/Arbeitssuchenden (auch da wird geschickt getrickst) etc. zu finden. Die Mehrheit der Bürger wird eingelullt zu glauben, alles wäre Gold. Und die ÖRE spielen das Spiel mit (was aber wegen des enormen politischen Einflusses auf die ÖRE kaum verwundern kann).
Davon abgesehen, halte ich den Versuch das Gewicht des Amtes einzubringen, um die Redaktion von einer Veröffentlichung abzuhalten, sehr wohl für einen (missglückten) Angriff auf die Pressefreiheit. Hätte Herr Wulff betont als Privatmann die Unterlassung verlangt und mit “Konsequenzen” gedroht, hätte ein solcher Angriff nicht vorgelegen, weil die “Konsequenzen” des Privatmanns Wulff praktisch jeder Redaktion egal sein können, solange der Artikel nicht juristisch angreifbar ist. Insofern wäre die “Drohung” mit “Konsequenzen” viel mehr eine Warnung vor der juristischen Prüfung oder leeres Gerede.
“Konsequenzen” eines Bundespräsidenten (und ggf. seiner politischen Freunde als Unterstützer) sind da von ganz anderem Kaliber. Eine Zeitung ist vom möglichst frühzeitigen Zugang zu (politischen) Informationen abhängig (“nichts ist so alt, wie eine Meldung von gestern”). Wenn diese konsequent einer Zeitung verwehrt werden, hat das immer negative Auswirkungen. “Konsequenzen” eines Bundespräsidenten an zu drohen sind unter dem Gesichtspunkt also sehr wohl ein (versuchter) Angriff auf die Pressefreiheit (auch wenn die Bild keine normale Zeitung ist und ich sie überhaupt nicht mag…).
Ansonsten teile ich die Auffassungen von Herrn Grimm völlig.
___
OT:
Herr Wulff ist offenbar nicht in der Lage Amt und Person zu trennen. Das macht ihn IMO untragbar! Das in letzter Zeit gehörte “Argument”, es könne ja auch noch schlimmer kommen (Gauck z. B., OMG), zieht IMO nicht. Ein Bundespräsident darf nicht nur deshalb gehalten werden, weil er das “kleinere Übel” oder sein Abgang teuer ist!
Der Eingriff in die Pressefreiheit erfolgt staatlicherseits durch die Gerichte. Die Richter verbieten als Beamte des Staates im Namen des Volkes, als deren Vertreter die Richter sich fühlen. Das ist staatliche Zensur, auch wenn diese meist auf Antrag Betroffener erfolgt und sich auf Persönlichkeits-, Urheber-, oder Wettbewerbsrechte bezieht.
Die Abwehr von solchen Zensurbegehren ist mit hohen Kosten und erheblichen Arbeitsaufwand verbunden. Eine Rechtssicherheit gibt es trotzdem nicht. Das weiß auch Diekmann, der an einer Kostenoptimierung interessiert sein müsste.
Somit zielt ein Anruf des Bundespräsidenten, noch dazu mit einer Kriegserklärung, den man als Hinweis auf mögliche juristische, d.h. teure und arbeitsaufwendige Verfahren, empfinden darf, auf Zensur. Das ist eine Drohung mit Zensur.
Eine Drohung mit Zensur kann man schon als ein Eingriff in die Pressefreiheit gesehen werden. Die Verfassung lässt einen solchen Eingriff allerdings zu, denn auch das Grundgesetz lässt Zensur in Abwägung mit anderen Grundrechten zu.
Ein Eingriff in die Pressefreiheit bleibt es allerdings.
[…] Dieter Grimm – Wulffs Anruf war kein Eingriff in die Pressefreiheit This entry was posted in Land, Politik and tagged Bild, Bundespräsident, Diekmann, Wulff. Bookmark the permalink. ← Wie viel Meinungsfreiheit kann David Vaulont? […]
Danke für die Einholung der Meinung von Herrn Grimm. Dessen unaufgeregten und klaren Worte sind – wie stets – ein Segen.
In der Tat geht es in Sachen Wulff eben weniger um Fragen des Rechts als des Niveaus. Und für sein Niveau kann in der Regel nur jeder selbst sorgen.
[…] Verfassungsblog › Dieter Grimm: Wulffs Anruf war kein Eingriff in die Pressefreiheit. […]
Vielen Dank.
Bis zur Lektüre dieses Interviews sah ich mich näher an dem Lager, welches die Verletzung der Pressefreiheit iSd. Art. 5 I GG durch Herrn Wulff angenommen haben. Dies ergibt sich nicht zuletzt dadurch, dass die Pressegesetze der Länder in ganz überwiegendem Maße diese Regelung vorsehen – ein Verbot nämlich:
“Sondermaßnahmen jeder Art, die die Pressefreiheit beeinträchtigen, sind verboten.” (§ 1 III LPrG BW, Art. 1 II BayPrG; § 1 III BerlPrG; § 1 III PrG HB; § 1 III HH PrG; § 1 III LPrG M-V; § 1 III LPrG NRW; § 4 III 2 LMG Rh-P [Medien statt Presse]; § 3 III 2 SMG [Medien statt Presse]; § 1 II 2 SachsPressG [unzulässig statt verboten]; LPrG S-H
oder
“Eine freie, nicht von der öffentlichen Gewalt gelenkte, keiner Zensur unterworfene Presse ist ein Wesenselement des freiheitlichen und demokratischen Staats.” (§ 1 I BbgPG)
oder
“Jedermann steht es frei, durch die Presse jede Ansicht zu äußern, zu verbreiten oder zu verteidigen.” (HPresseG)
oder
“Die Freiheit der Presse unterliegt nur den Beschränkungen, die durch das Grundgesetz zugelassen sind.” (§ 1 I Nds. PrG; § 1 I 2 LPrG S-A; § 1 II TPG)
Diese Wortlaute zeigen übereinstimmend, wie hoch das Gut der Pressefreiheit zu werten ist. Allerdings lassen diese Gesetze im Wesentlichen offen, was als “Sondermaßnahme” zu verstehen ist. Umfassen diese Begriffe lediglich regelnde Maßnahmen – also Rechtsvorschriften durch formale Gesetze, Verwaltungsakte und rechtskräftige Urteile? Oder beziehen diese auch (!) Realakte oder jegliches Verhalten ein?
Diese Regelungen zeigen zudem, dass nicht erst die Zensur als solche, sondern schon jedes Verhalten als verbotene Einflussnahme anzunehmen ist, wenn diese darauf gerichtet ist, das Wort und die Wertung des Journalisten oder der Presse vor der Veröffentlichung zu ändern. Es mag zwar übliche Praxis zwischen Politik/ Wirtschaft einerseits und Medien andererseits sein, durch gezielte Anrufe den Informationsfluss zu beeinflussen. Diese tägliche Praxis täuscht jedoch nicht darüber hinweg, dass dies gleichwohl im Widerspruch zu dem, was die Rechtsordnung zum Schutz der Pressefreiheit vorsieht, steht. Insofern deutet der Wortlaut der Regelungen an, dass nicht nur regelnde Eingriffe in die Pressefreiheit verboten sein sollen.
So instruktiv die Ausführungen von Herrn Grimm zudem auch sind – “Eingriffsqualität hätte der Anruf aber nur gehabt, wenn dadurch die Freiheit des Chefredakteurs eingeschränkt worden wäre. Seine Freiheit, so zu handeln, wie er es journalistisch für richtig hielt, war aber in keiner Weise gemindert.” -, so sehr überzeugt dies nicht vollends; denn diese Betrachtung vom Ergebnis her übersieht die Möglichkeiten der versuchten Einflussnahme, der zum Trotz die Presse dennoch vollumfänglich handeln kann. Auch solche Versuche sind schon Einflussnahme.
Mithin kommt es beim Eingriff in die Pressefreiheit nicht darauf an, dass die Presse-Ergebnisse als solche verhindert oder beschränkt werden; der Eingriff liegt schon im Vorfeld vor, wenn allein schon der Versuch unternommen wird, die Inhalte der Veröffentlichung in welcher Form auch immer umzugestalten.
Zusätzlich, unter Berücksichtigung der bisher bekanntgewordenen Inhalte aus dem fraglichen “Malibox-Text”*, ist zwar ohne Frage herauszulesen, dass es Herrn Wulff um die Verschiebung der Veröffentlichung geht; allerdings stand und steht dieses Verschieben unter dem Eindruck der zu erwartenden “Kriegsführung”, indem nämlich abhängig von den Gesprächen bis zur Veröffentlichung die Art des Krieges näher bestimmt werden sollte. Mit anderen Worten hält Herr Wulff durch seine Äußerungen eine beständige Drohkulisse aufrecht, die zum Zweck hat, die Berichterstattung und Wertung durch das Bild-Tagesblatt** zu seinen Gunsten willfähriger zu gestalten. Sprich: zu beeinflussen.
Lehnt man eine Eingriffsqualität für “Sondermaßnahmen” auf der Ebene von Realakten ab, was meines Erachtens nach zwar vertretbar, nach meinem Rechtsverständnis aber nicht zumutbar ist, so würde zwar unter rechtlichen Gesichtspunkten die Einflussnahme durch Herrn Wulff abzulehnen sein. Dann bliebe aber nach wie vor die werte-orientierte Debatte darüber, in welchem politischen, gesellschaftlichen und medialen Selbstverständnis diese “Player” aus Verfassungsorgan und Medien einander begegnen und wie sie sich gegenseitigen beeinflussen können oder womöglich sogar dürfen. Und diese Diskussion wird meines Erachtens viel zu wenig geführt.
Die Präambel des sachsen-anhaltinischen Landespressegesetzes liest sich hierfür beeindruckend: “Im Bewusstsein, dass die Menschen in Sachsen-Anhalt mehr als ein halbes Jahrhundert lang die Presse als ein Instrument staatlicher Unterdrückung erlebt haben und dass die Presse- und Informationsfreiheit tragende Säulen einer freien und demokratischen Gesellschaft sind, hat der Landtag beschlossen”
Insofern bleibe ich auch nach der Lektüre dieses Interviews näher am Lager derjenigen, die einen Eingriff in die Pressefreiheit annehmen.
* http://de.wulffplag.wikia.com/wiki/Vorw%C3%BCrfe_wegen_Drohungen_gegen_Redaktionen#Rekonstruktion_der_Mailbox-Nachricht_Wulffs.5BAnm._1.5D
** Das Bild-Tagesblatt ist mir persönlich höchst zu wider; und verglichen mit anderen, zum Teil ebenfalls zweifelhaften Tages- und Wochenpublikationen spreche ich diesem Druckerzeugnisse die allermeisten Qualitäten ab. Gleichwohl ändert dies nichts an dem Umstand, dass auch für dieses Tagesblatt die Pressegesetze sowie das Verständnis von Presse gelten.
[…] == "undefined"){ addthis_share = [];}In der FAZ äußert sich Dieter Grimm, den Max Steinbeis hier neulich zu Wulffs Anruf bei Kai Diekmann befragte, in der heutigen Ausgabe ausführlich zu Amt und Person des Bundespräsidenten – und kommt […]
Großartiger Artikel! Danke sehr.
Man sollte nur von Bedrohung der Pressefreiheit schreiben und schreien, wenn das auch zutrifft. Sonst nutzt sich das ab.
Deshalb ist auf der Site: http://www.pressefreiheit-in-deutschland.de auch nichts zu der Behauptung zu finden, Wulff hätte die Pressefreiheit eingeschränkt.
Manche Kommentare hier laufen deutlich in eine falsche Richtung… Was sagt eigentlich die Journalistik – also die Wissenschaft vom Journalismus – dazu? Hier die Ergebnisse der Bild-Studie der Otto Brenner Stiftung… http://pressefreiheit-in-deutschland.de/%E2%80%9Ebild-gegen-wulff-scheindebatte-zur-pressefreiheit/ Fazit: Bild instrumentalisiert die Pressefreiheit.
Eine Strafanzeige ist einem Rechtsstaat ein vollkommen legitimes Mittel. Wulff ist davon ausgegangen, dass bei der Besprechung zwischen Glaeseker und Heidemanns die Zusicherung von Vertraulichkeit gegeben worden ist für den Fall, dass der Kreditgeber weder Maschmeyer noch ein anderer bekannter Unternehmer sei. Er mag sich daher im Recht gefühlt haben. Ich kann nicht erkennen, dass Wulff in dem Telefongespräch in irgendeiner Weise seine Position als Bundespräsident hervorgehoben hätte. Auch als Bundespräsident hat er alle Rechte, die er als reine Privatperson hätte. Man sollte sich damit begnügen, dass die Staatsanwaltschaft Berlin keinen Anfangsverdacht bezüglich einer eventuellen Nötigung gesehen hat. Sogar Wulffs Ankündigung, es werde zum “Bruch” mit dem Springer-Konzern kommen, hat sich als zutreffend erwiesen. Was an der Diskussion grundsätzlich schief läuft: die Medien halten sich selbst für sakrosankt. Mittlerweile werden sogar nach einer Sendung erfolgte Programmbeschwerden (Söder/Fukushima) als Eingriff in die Pressefreiheit diskreditiert. Die Medien sind daher nicht der richtige Ort, um über Pressefreiheit zu diskutieren.