Direkte Demokratie: Wir müssen reden
Wenn es um direkte Demokratie geht, sind wir in etwa folgende Frontstellung gewöhnt: Auf der einen Seite stehen reaktionäre Rechts-Etatisten, die den wohl geordneten Staat und seine Institutionen vor dem verunreinigenden Einfluss des Plebs abzuschirmen streben, weil sie in dessen Köpfen nichts als Unvernunft und Chaos vermuten. Auf der anderen Seite stehen lauter progressive und liberale Aufklärer, die um die Unvernunft wissen, zu der die Institutionen des Staates ihrerseits fähig sind, um die bornierte Beharrungskraft der gesellschaftlichen Interessengruppen, die sie tragen, und um die Legitimationspotenziale, die sich heben ließen, wenn man die Leute, die von politischen Entscheidungen in ihrem täglichen Leben betroffen sind, in dieselben stärker einbinden würde.
Diese Frontstellung gibt es, und es fällt mir nicht schwer zu wählen, auf welcher Seite ich mich einreihe.
Trotzdem scheint mir die Evidenz täglich zuzunehmen, dass man es sich so einfach nicht machen kann mit der direkten Demokratie, und zwar gerade dann, wenn man sich gern als progressiver und liberaler Aufklärer begreift. Beispiele dafür hat Gerhard Matzig heute in der Süddeutschen Zeitung in einem, wie ich finde, sehr klugen Artikel zusammengefasst (noch nicht online): Die Kroaten haben am Sonntag per Verfassungsreferendum die Homo-Ehe verboten, die Schweizer bekanntlich den Bau von Minaretten und den verhältnismäßigen Umgang mit kriminellen Ausländern, und was die Kalifornier in ihrem Staat schon alles an plebiszitärem Unheil angerichtet haben, passt sowieso auf keine Kuhhaut (wenngleich es natürlich auch Gegenbeispiele gibt).
Heißt das, dass uns Plebiszite nur dann recht sind, wenn uns auch ihr Ergebnis politisch gefällt? Überhaupt nicht. Wie Gerhard Matzig zu Recht schreibt, geht es um Minderheitenschutz: Wenn das Volk abstimmt, bekommt immer nur ein Teil des Volkes, was es will. Plebiszitäre Demokratie ist eine ungeheure Ermächtigung der Mehrheit über die Minderheit.
Im Regelfall kann man von den Überstimmten erwarten, dass sie sich ihrer Niederlage fügen. Das ist ja das Tolle an der Demokratie, dass sie Gleichheit nicht nur voraussetzt, sondern auch herstellt: Nach der Abstimmung hat der Streit ein Ende. Aber wenn man diese Angleichungserwartung ins Extrem treibt, wird sie tyrannisch. Es gibt Dinge, in denen soll man sich nicht angleichen müssen. Die sexuelle Orientierung gehört dazu, ebenso die religiösen Überzeugungen. Die schützen wir mit den Grundrechten in unserer Verfassung. Deshalb sind Verfassungsreferenden so heikel.
Aber ich würde noch einen Schritt weiter gehen. Ich bin nicht sicher, ob man das Problem allein mit dem Stichwort Minderheitenschutz wirklich zu fassen kriegt. Geht es allein darum, konstitutionelle Schutzsphären zu errichten und abzusichern, Reservate sozusagen, innerhalb derer Gläubige, Schwule, Ausländer und andere bedrohte Arten in idyllischem Frieden ihren eigentümlichen Angewohnheiten nachgehen können?
Ich habe gerade Dave Eggers‘ neuen Roman „The Circle“ gelesen, in dem er eine Welt beschreibt, in der die Identität von Herrschenden und Beherrschten ins Extrem getrieben wird: Eine Art Supergooglefacebook-Firma hat die technischen Möglichkeiten dazu entwickelt, permanent ein höchstauflösendes und keinerlei dunkle Stellen mehr aufweisendes Bild davon zu bekommen, was das Volk dort draußen will. Das Würgende an dieser Vision ist nicht (nur), dass da irgendwelche dunklen Mächte die Weltherrschaft an sich reißen – nein, die sind total freundlich. Sie haben für jede Art von Vielfalt totales Verständnis, fördern sie sogar, Freiheit ist kein Problem, im Gegenteil: Sie ermutigen dich, frei zu sein, und erweitern deine Freiheitsräume in unvorstellbarem Maße. Sie machen die Welt transparent, tolerant und gut. Das einzige, worauf sie mit aller Macht bestehen, ist, dass du genau das ebenfalls bist: transparent, tolerant und gut.
Ich schlafe nicht mehr besonders gut seit dieser Lektüre.
Ich fürchte, es reicht nicht, auf Minderheitenschutz zu bestehen und darauf, dass sich die Mehrheit nicht intolerant und tyrannisch aufführt. Es geht auch darum, wie Mehrheiten und Minderheiten, wie Konsens und Dissens überhaupt zustande kommen. Dass sie zustande kommen. Dass Andersartigkeit überhaupt noch möglich bleibt.
In einer solchen perfekten Identität von Herrschenden und Beherrschten bleibt für meine Identität als Individuum kein Raum mehr. Ich muss für die Gesellschaft das Andere bleiben können. Ich muss sagen können: Ich bin anders als ihr. Ich will für mich sein dürfen. Ich will mich vor euch verhüllen dürfen. Ich will mit euch auch mal einfach nichts zu tun haben dürfen. Ich will Ich bleiben können. Und wenn dadurch ihr nicht Wir werden könnt, tut mir das leid. Aber dann ist das halt so.
Vielleicht steckt hier auch ein Grund dafür, dass das Grundgesetz in Art. 38 Abs. 1 S. 2 vorsieht, dass Abgeordnete weisungsungebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen zu sein haben. Hier wird ein Keim individueller Identität ins demokratische Entscheidungsverfahren eingebaut, das dem Anspruch des Volkes, mit sich selber identisch zu werden, widerstehen soll (wie man das operationalisiert, ist eine ganz andere Frage).
Ich weiß nicht, was Herr Degenhart sich gedacht hat, aber das war jedenfalls die Klingel, die bei mir am Freitag schrillte, als ich meinen Post zu dem Slomka-Gabriel-Kerfuffle geschrieben habe. Ausgelöst hat diese Klingel gerade die Art, mit der Gabriel auf Slomkas Fragen reagiert hat: Wir sind doch die Guten! Wir wollen doch die Entscheidung darüber, was in den nächsten vier Jahren in Deutschland passiert, transparenter, partizipativer, demokratischer machen! Also „lassen Sie uns den Quatsch beenden!“
Dazu noch eine kleine Beobachtung: Letzte Woche gingen diese Bilder von dem britischen Hoteliers-Ehepaar durch die Medien, die vor dem UK Supreme Court verloren hatten, weil sie einem verheirateten Homo-Paar kein Doppelbett geben wollten – zwei zerknitterte, der millionenfachen Facebook-Häme preisgegebene, in dieser Welt hoffnungslos verlorene alte Fundamentalchristen in scheußlichen Anzügen.
Ich bin nun wahrhaftig kein Freund der Gegner der Homo-Ehe. Aber ich kann mich des Gefühls nicht erwehren, dass hier zwei stehen, vor denen man Respekt haben muss.
Ein kluger Artikel! Ich möchte aber hinzufügen, dass es rechtliche Zusammenhänge gibt, die komplexer sind als die Fragen einer Volksabstimmung (nein, man kann nicht alles jedem erklären). Die parlamentarische Demokratie dient weniger dem Minderheitenschutz (dafür sind die Grundrechte da) als der Verbesserung des Schutzes komplexer Zusammenhänge – vor zerstörerisch trivialem Zugriff.
Klar, aber das ist doch genau die Frage: Kann es sein, dass die parlamentarische Demokratie nicht nur das tut, sondern obendrein auch ein Moment der Selbstentfremdung in die Demokratie einbaut, zum Schutz nicht so sehr von Minderheiten, sondern der Differenz Individuum/Gesellschaft?
@Max: Ich würde es nicht „Selbstentfremdung“ nennen, sondern „Arbeitsteilung“ (genauer: Verantwortungsteilung), wobei man – glaube ich – im Gewerkschaftsdeutsch Arbeitsteilung als Entfremdung bezeichnet. So wie man komplexere Dinge (zB Flugzeuge) eben nur herstellen kann, wenn arbeitsteilig gearbeitet wird, kann man auch komplexere Rechtsordnungen wohl nur parlamentarisch bauen. Volksabstimmungen sind komplexitätsreduzierend, es kommen andere Ergebnisse (keine Minarette, keine Euro etc…) raus.
@Max: Das Thema ist eigentlich zu komplex, um es in einem schnell hingeschriebenen Kommentar zu einem Blogpost abzuhandeln. Aber mir scheint, der Wunsch, „mit euch auch mal einfach nichts zu tun haben“ zu dürfen und „Ich zu bleiben“, auch wenn „dadurch ihr nicht Wir werden könnt“, läuft auf den Wunsch hinaus, einfach mal nicht Bürger sein zu müssen. Die Demokratie postuliert immer ein „Wir“, nämlich das Wir der Bürger, die gemeinsame Angelegenheiten gemeinsam regeln. Dass damit (auch über jenen Privatbereich hinaus, den die Verfassung durch Grundrechte und Minderheitenschutz dem Zugriff dieses Wir mit gutem Grund entzieht) auch eine Zumutung für das Individuum verbunden ist, kann ich durchaus nachvollziehen.
Allerdings fürchte ich, dass es für das Problem auch keine gute Lösung geben wird. Ich sehe zu der Vereinnahmung des Individuums durch das demokratische „Wir“ der Bürgergesellschaft letztlich nur zwei Alternativen. Die eine ist Anarchismus: Wenn wir auf kollektive politische Beschlüsse verzichten, lässt das natürlich der Individualität mehr Raum. Aber da wir nun einmal dazu gezwungen sind, mit anderen Menschen zusammenzuleben, hätten wir ein Problem bei allen Bedürfnissen, die (von Sicherheit bis Umweltschutz) nur kollektiv zu befriedigen sind.
Die andere Alternative besteht darin, den demokratischen Anspruch aufzugeben und nur einige wenige herrschen zu lassen. Für die Beherrschten wäre das in vieler Hinsicht von Nachteil – hätte aber immerhin den Gewinn, dass ihnen niemand mehr abverlangen könnte, politische Beschlüsse als irgendwie gerecht, gut oder dem Gemeinwohl dienend anzuerkennen. Wenn Herrscher und Beherrschte nicht identisch wären, würde es uns Beherrschten viel leichter fallen, mit den Herrschenden unzufrieden zu sein und uns als geistig unabhängige Individuen zu fühlen. Wir wären unterdrückt, aber nicht vereinnahmt. Trotzdem ich würde annehmen, dass das auf Dauer doch der unangenehmere Zustand ist.
Und was nun den Schlenker zum SPD-Mitgliedervotum und der Weisungsungebundenheit der Abgeordneten betrifft: Ich sehe den Degenhart’schen Punkt auch nicht so richtig. Das SPD-Mitgliedervotum bindet den Parteivorstand, aber nicht die Fraktion oder die einzelnen Abgeordneten; damit dürfte der Vorwurf der Grundgesetzwidrigkeit vom Tisch sein (und Gabriel zu Recht verärgert, wenn man ihn wie Slomka wieder und wieder damit konfrontiert). Davon abgesehen, kann ich aber auch nicht ganz erkennen, wie der Umstand, dass sich die Abgeordneten gegebenenfalls nicht an die Parteilinie halten müssen, meinem eigenen Individualitätsempfinden zugute kommt – außer dass ich mich, siehe oben, leichter über einzelne Abgeordnete ärgern kann als über die amorphe Masse der SPD-Mitglieder.
Ja, es ist eine Zumutung, mit anderen Menschen zusammenleben zu müssen, mit ihnen gemeinsam Entscheidungen treffen und diese hinterher auch noch irgendwie als gut und richtig akzeptieren zu sollen. Aber das ist der Preis für die Demokratie, und wenigstens im politischen Raum ist keine Demokratie auch keine Lösung.
@Müller: Es gibt mehr als Ihre beiden Möglichkeiten, nämlich das geltende System der parlamentarischen Demokratie, Die Bürger verantworten den Bundestag, Der Bundestag verantwortet die Gesetze.
@Manuel: also, das scheint mir zu sehr von der Theorie her gedacht. Es ist doch nicht so, dass wir nur zwischen Demokratie und Keiner Demokratie wählen könnten. Demokratie ist eine normative Erwartung, und Individualität eine andere. Mein Punkt ist, dass wir die Demokratie nicht bis zu einem Grad zu perfektionieren versuchen sollten, an dem für Individualität gar kein Raum mehr bleibt (genau wie andersherum, apropos Anarchie).
@Max: Akzeptiert, meine Dreiteilung ist rein idealtypisch-theoretisch. In der Realität werden wir immer Mischformen haben (schon allein wegen der oben vom Aufmerksamen Leser angesprochenen „Arbeitsteilung“, die immer zu Prinzipal-Agenten-Situationen führt, bei denen die Herrschenden zwar den Beherrschten verantwortlich, aber nicht mit ihnen identisch sind). Trotzdem lohnt es sich in meinen Augen schon, uns klar zu machen, in welche Richtung wir unser politisches System verändern können, wenn wir uns dem „Wir“ der Bürgergesellschaft verweigern wollen.
Eine Bemerkung übrigens noch zu „The Circle“. Ich habe den Roman leider nicht gelesen, aber wennich die Rezensionen richtig verstehe, ist das Problem dort in erster Linie die allumfassende soziale Kontrolle, durch die bestimmte sozial nicht akzeptierte Verhaltensweisen faktisch unterbunden werden. Dieser Mechanismus ist aber (anders als die direkte Demokratie) gar nicht politisch, sondern rein gesellschaftlich. Das politische Wir der Demokratie – auch der plebiszitären – lässt immer noch zu, dass ich mit Nein stimme, und wenn ich nicht will, brauche ich mich dafür auch nicht zu rechtfertigen. Die Zumutung besteht lediglich darin, dass ich das Ergebnis der Wahl oder Abstimmung dann als auch in meinem Namen getroffen anerkennen soll, da ich schließlich ein Mitspracherecht daran hatte. Hingegen erhebt das soziale Wir von The Circle den Anspruch, dass ich mich tatsächlich den Verhaltens- und Denkweisen der Mehrheit angleiche (wenigstens in dem Sinn, dass ich, wie du schreibst, „transparent, tolerant und gut“ zu sein habe). Das ist eine sehr viel größere Zumutung – und zugleich etwas, das auch die vollendetste Demokratie wohl niemals mit Aussicht auf Erfolg von mir wird verlangen können.
@Maximilian Steinbeis:
„Mein Punkt ist, dass wir die Demokratie nicht bis zu einem Grad zu perfektionieren versuchen sollten, an dem für Individualität gar kein Raum mehr bleibt (genau wie andersherum, apropos Anarchie).“
Wer mag diesem Wunsch nicht folgen, ihn nicht als den seinen verstehen?
@Manuel Müller:
„Ja, es ist eine Zumutung, mit anderen Menschen zusammenleben zu müssen, mit ihnen gemeinsam Entscheidungen treffen und diese hinterher auch noch irgendwie als gut und richtig akzeptieren zu sollen. Aber das ist der Preis für die Demokratie.“
„Demokratie“ eine „Zumutung“, weil „zusammenleben zu müssen“, „gemeinsam Entscheidung treffen zu sollen“? Wer oder von wem sind die Normen, die zu viel erwarten?
Wer oder was mutet wem das Zusammenleben zu? „Die Demokratie“? Die deshalb nicht perfektioniert werden sollte? Die nicht von wem zu viel erwarten sollte?
Waren und sind zum Beispiel die „10 Gebote“ zu perfektionierte Bestimmungen für das Zusammenleben? Oder sind ihr „Du sollst . . . deshalb eine Zumutung?
Nicht nur die Beantwortung der Frage, worin eine perfekte Demokratie sich von einer weniger perfekten unterscheide, bedingt ein Begreifen von dem, was als Demokratie bezeichnet wird, warum das damit besonders bezeichnet wird.
Ein Begreifen wider beliebiges Verstehen. Ein Begreifen, was das Zusammenleben bedingt, ob als Zumutung empfunden, ob als nur „zu einem Grad zu perfektionieren“, oder nicht.
@Manuel Müller:
„Ja, es ist eine Zumutung, mit anderen Menschen zusammenleben zu müssen, mit ihnen gemeinsam Entscheidungen treffen und diese hinterher auch noch irgendwie als gut und richtig akzeptieren zu sollen. Aber das ist der Preis für die Demokratie, und wenigstens im politischen Raum ist keine Demokratie auch keine Lösung.“
Nein, niemand mutet mir zu, Entscheidungen des gemeinsam gewählten Gesetzgebers auch nur irgendwie als gut und richtig zu würdigen! Vielmehr erfordern Mehrheitsentscheidungen lediglich Akzeptanz der Geltung, und selbst das nur in gewissen Grenzen (Rechtsbehelfsmöglichkeiten, Aussicht auf Machtwechsel nach den nächsten Wahlen, Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit usw. ). Nicht einmal derjenige, der das Gesetz zur Anwendung bringt, muss die jeweils maßgebende Regel richtig oder gar gut finden. Ich muss als Richter keineswegs davon überzeugt sein, dass die anwendbare Regel im konkreten Fall zu einer gerechten Entscheidung führt, solange ich nämlich keine mit dem (verfassungsmäßigen) Gesetz vereinbare Alternative (Bindung an Recht und Gesetz) sehe und meine, dass eine ansatzweise gerechte Lösung in der Gesamtschau jedenfalls angestrebt wurde vom Gesetzgeber (Radbruch).
@Manuel: Mir geht es gar nicht unbedingt um die Möglichkeit, etwas anderes zu wollen als die Mehrheit, materiell. Mir geht es um die Möglichkeit, die Frage, was ich will, auch mal unbeantwortet zu lassen. Also um die Möglichkeit, nicht dabei zu sein, mich der Bürgergesellschaft zu entziehen, für mich zu sein.
Das Scheußliche an dem Circle-Szenario ist gar nicht so sehr die soziale Kontrolle, sondern die Unentrinnbarkeit des Mitmachens, Dabeiseins, permanent seine Likes und Dislikes zu kommunizieren. Ich fürchte, in dem Moment, da wir tatsächlich technisch in der Lage sind, jede Entscheidung plebiszitär zu legitimieren, schaffen wir diese Unentrinnbarkeit, und das ist eine ganz andere Art von Zumutung als die, das Überstimmtwerden zu akzeptieren.
@Maximilian Steinbeis: Und da reicht der grundrechtlich garantierte Freiraum, der auch zur Irrationalität, zur Willkür und sogar zur Absonderung gewährleistet ist, nicht aus? Dass Absonderung – auch von der Bürgergesellschaft – (noch) geht, kann man in einem Selbstversuch weit darußen auf dem Lande, ohne Handy und ohne Internet ohne weiteres erproben. Dann sieht die „urbane Bügergesellschaft“ sehr, sehr anders aus als in Berlin oder Köln. Warum soll das durch mehr direkte Demokratie anders werden? Weil die geschützte Sphäre dann unter erheblich größerem Druck steht durch mehr Politisierung?
@Rensen: Na, da erscheint mir das Ergebnis des Selbstversuchs keineswegs so eindeutig. Alex Rühle hat das mal versucht und ein Buch drüber geschrieben, ob man offline leben kann. Man kann, aber es ist ungeheuer mühsam und teuer.
Aber Sie haben völlig Recht: Diese Art von Absonderung – als Möglichkeit – meine ich. Unterstellt, die technische Entwicklung macht es möglich, jederzeit in Echtzeit zu messen, was wir alle gut und schlecht finden – glauben Sie nicht, dass es damit dann ein Ende hätte? Dass es uns dann so schwer gemacht werden würde, uns diesem permanenten Plebiszit/Verbraucherumfrage (was ineinander fließen würde) zu entziehen, dass das faktisch gar keine Option mehr wäre? Und wie sollen uns dagegen die Grundrechte schützen? Oder anders gefragt: Ließe sich aus diesem Befund nicht ein Argument für Repräsentativität der Demokratie und freies Mandat und lauter solche Sachen, die wir als pusseligen Etatistenkram zu betrachten uns angewöhnt haben, ableiten?