13 November 2014
Straßburg: Lebenslang kann durchaus lebenslang sein
Die britischen Konservativen überlegen bekanntlich zurzeit, sich von der Europäischen Menschenrechtskonvention loszusagen. Einer der Gründe dafür ist die angeblich übergriffige Rechtsprechung des EGMR und darin ganz besonders die zur lebenslangen Haftstrafe. In dem Papier, das die Tories vor einigen Wochen dazu verabschiedet haben, heißt es: "In 2013 the Strasbourg Court ruled that murderers cannot be sentenced to prison for life, as to do so was contrary to Art. 3 of the Convention." Das hat noch nie gestimmt. Eine heute veröffentlichte Kammerentscheidung zur Rechtslage in Frankreich stellt das noch mal unmissverständlich klar.11 November 2014
Asyl für Irakkriegs-Deserteure: die Chancen wachsen
Muss Deutschland einem US-Soldaten, der lieber desertiert, als womöglich zur Teilnahme an Kriegsverbrechen gezwungen zu sein, Asyl gewähren? Mit dieser außen- wie menschenrechtspolitisch megaheiklen Frage sieht sich die Bundesrepublik seit 2008 durch den Fall des Irakkrieg-Deserteurs André Sheperd konfrontiert. Und wenn die deutschen Behörden geglaubt haben sollten, einer Antwort ausweichen zu können, so wird dies durch die heutigen Schlussanträge der Generalanwältin beim EuGH Eleanor Sharpston jedenfalls deutlich schwieriger.07 November 2014
Strafen für Homeschooling sind verfassungsgemäß
Wer seine Kinder lieber selbst zu Hause unterrichten will, anstatt sie in die Schule zu schicken, muss sich in Deutschland auf Ärger einstellen. Er begeht eine Ordnungswidrigkeit, in manchen Bundesländern sogar eine Straftat. Warum? Heute kam ein Kammerbeschluss aus Karlsruhe, der Anlass gibt, sich diese Frage mal wieder zu stellen.04 November 2014
Stasi-Spitzel: Wer trägt die Beweislast?
Wenn ich öffentlich jemanden als Stasi-Spitzel bezeichne, muss ich meine Behauptung beweisen. Und wenn das Behauptete nicht lückenlos aufgeklärt und nachgewiesen ist, muss ich das zumindest dazusagen. Heute kommt indessen aus Straßburg eine Kammerentscheidung des EGMR, die hier - je nach Lesart - einiges durcheinander bringen könnte.30 October 2014
Warum schalten die Datenkraken genauso uneffektiv Werbung wie alle anderen auch?
Ich verstehe nicht allzu viel von Big Data und ihren technischen Möglichkeiten, uns bis auf die Knochen zu durchleuchten und zu manipulieren und zu kontrollieren. Ich werde mich daher hüten, aus eigener Kompetenz irgendwelche Alarmrufe oder Entwarnungen von mir zu geben. Mir ist nur etwas aufgefallen, und auf die Gefahr hin, damit eine Menge publizistischer und politischer Freunde sauer auf mich zu machen, möchte ich hier mal schüchtern die Frage stellen, ob mir das jemand erklären kann.28 October 2014
Old News is Bad News: Karlsruhe stärkt Informationszugang von Journalisten
In seiner heute veröffentlichten Kammerentscheidung hat das BVerfG zwar den Anspruch eines Journalisten auf einen Eilentscheid abgelehnt – aber in der Begründung klar gestellt, dass Aktualität sehr wohl ein Gesichtspunkt ist, der eine Eilentscheidung rechtfertigen kann.23 October 2014
Karlsruhe verschafft DDR-Heimkindern Gerechtigkeit
Was ist mit dem Oberlandesgericht Naumburg los? Nach der Affäre Görgülü mitsamt ihren bizarren Begleiterscheinungen gibt das oberste Zivil- und Strafgericht Sachsen-Anhalts erneut Anlass zum Haareraufen. Und zwar dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, dessen heutige Kammerentscheidung zum Thema DDR-Heimkinder man nicht ohne kaltes Schaudern lesen kann.22 October 2014
Strafen für Atatürk-Beleidigungen: Straßburg, wie hältst du’s mit der Meinungsfreiheit?
Jemanden für 13 Jahre ins Gefängnis zu sperren, weil er ein paar Atatürk-Statuen mit Farbe beschmiert hat, ist unverhältnismäßig. Zu diesem wenig überraschenden Schluss kommt der EGMR heute in einer Kammerentscheidung gegen die Türkei. Interessant wird die Entscheidung durch die Sondervoten: Drei der sieben Kammermitglieder nehmen den Fall zum Anlass, eine gerichtsinterne Diskussion vom Zaun zu brechen, wie sie grundsätzlicher nicht sein könnte – nämlich über Nutzen, Grenzen und Ausgestaltung des in Straßburg praktizierten Verhältnismäßigkeitstests.15 October 2014
Too big to handle: Warum wir so schlecht sind im Abwenden von Katastrophen
Finanzkrisen, Genozide, Umweltkatastrophen, Epidemien, Kriege – dauernd passiert etwas, von dem wir zuvor genau wussten, dass es a) mit einiger Wahrscheinlichkeit oder sogar sicher passieren und b) ganz unvorstellbar schrecklich werden würde. Und trotzdem haben wir es passieren lassen. Und zwar nicht nur weil wir nicht anders konnten. Sondern weil wir es offenbar irgendwie, all things considered, nicht anders wollten. Was wir hätten tun können, haben wir unterlassen. Was wir hätten wissen können, wollten wir nicht wissen. Was hat es auf sich mit diesem merkwürdigen Phänomen? Und wie könnten wir da besser werden? Um auf diese Fragen Antworten zu suchen, hat sich letzte Woche am Berliner Wissenschaftskolleg eine außerordentlich illustre Gruppe von Wissenschaftler_innen zusammengefunden.06 October 2014
Großbritannien auf dem Weg ins verfassungsrechtliche Irrsal?
Aus deutscher Perspektive könnte man leicht den Eindruck gewinnen, als sei das gar nichts Besonderes, was die Tories in Großbritannien alles an konstitutionellen Umwälzungen planen. Einen nationalen Grundrechtekatalog neben der EU-Menschenrechtskonvention? Autonomie und regionale Selbstbestimmung für alle Teile des Vereinigten Königreichs, England eingeschlossen? Da zucken wir an Föderalismus und Grundgesetz gewöhnten Deutschen nur mit den Achseln. Ist doch normal, oder nicht? Aber der Eindruck täuscht. Was der britische Regierungschef und seine Partei da so alles im Schilde führen, deutet mitnichten in eine Richtung, die uns Kontinentalkonstitutionalisten vertraut und heimelig vorkommen sollte.30 September 2014