Eigentumsverhältnisse sind antastbar
Über die mögliche Vergesellschaftung von RWE
Die aktuellen Debatten um Kohleausstieg und Energiewende zeigen, dass Entscheidungen auf dem Gebiet der Energiewirtschaft hochpolitisch sind und nicht ohne Blick auf das Wohlergehen dieser sowie folgender Generationen gefällt werden können. Insbesondere die anhaltenden Proteste gegen den Braunkohleabbau unter Lützerath belegen, dass die privatwirtschaftliche Nutzung und Verwertung fossiler Energien zugunsten privater (Rekord-)Gewinne in Zeiten der Klima- und Energiekrise zunehmend auf Ablehnung stößt. Vermehrt werden daher auch Forderungen laut, private Profitinteressen aus den Entscheidungsprozessen auszuschließen und den gewonnenen Entscheidungsraum mit demokratisch legitimierter und gemeinwohlorientierter Unternehmenspolitik zu füllen.
Vergesellschaftungen sind möglich
Dem Gesetzgeber stehen kraft Verfassung umfangreiche Befugnisse zur Umstrukturierung der Wirtschaftsordnung zu. Die Möglichkeit zur Vergesellschaftung wurde in der bundesdeutschen Geschichte noch nicht wahrgenommen, und entsprechend wenig Beachtung fand Art. 15 GG in auch der Rechtswissenschaft. Dies änderte sich im Zuge der Kampagne „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“, die eine Sozialisierung großer Wohnungsunternehmen in Berlin anstrebt und im September 2021 einen erfolgreichen Volksentscheid anstrengte. Seitdem nimmt die Vergesellschaftungsidee an Fahrt auf. So gründete sich unter anderem die Initiative „RWE & Co. enteignen“, die eine Demokratisierung des Energiesektors fordert und hierfür Art. 15 GG aktivieren will. Inwiefern kann mittels Vergesellschaftung nach Art. 15 GG eine Demokratisierung des Energiesektors mit Neuausrichtung auf das Gemeinwohl gelingen?
Das Grundgesetz enthält, anders als die Weimarer Reichsverfassung (Art. 151–166 WRV), keinen Teil, der eine Wirtschaftsverfassung festlegt. Zwar begreifen manche Literaturstimmen das Grundgesetz als eine Verfassung der Marktwirtschaft, historisch hat sich der Verfassungsgeber allerdings bewusst für die wirtschaftspolitische Neutralität des Grundgesetzes entschieden. Es ist also dem Gesetzgeber überlassen, die Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik auszugestalten.1) Vor allem die Möglichkeiten der Inhaltsbestimmung des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG) und der Vergesellschaftung (Art. 15 GG) geben ihm umfangreiche Befugnisse, in die herrschende Eigentums- und Wirtschaftsordnung einzugreifen und diese durch einfache Gesetze umzugestalten.
Eingegrenzt wird diese Kompetenz nach Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts lediglich durch die Grundrechte, insbesondere durch Art. 2 Abs. 1, 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 GG sowie dem Sozialstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 1 GG.
Art 15 GG ermöglicht es, “Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel […] zum Zwecke der Vergesellschaftung […] in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft [zu überführen]“. Grundsätzlich ist also eine Vergesellschaftung des Energiesektors mittels Gesetzes denkbar.
Voraussetzungen einer Vergesellschaftung im Energiesektor
Ob und inwieweit eine Vergesellschaftung von RWE möglich ist, entscheidet sich insbesondere an der Frage, ob Energiekonzerne zulässige Sozialisierungsobjekte sind (a) und welche Anforderungen Art. 15 GG an die Verhältnismäßigkeit einer Vergesellschaftung stellt (b).
a) Energiekonzerne als Sozialisierungsobjekte
Art. 15 GG erlaubt die Vergesellschaftung von „Produktionsmitteln“. Im Bereich der Immobilienwirtschaft wird aktuell umfangreich diskutiert, ob der Wohnungsbestand von Immobilienkonzernen unter diesen Tatbestand fällt. Unstrittig hatte der Parlamentarische Rat im Jahre 1949 noch keine Vorstellung davon, welchen Stellenrang der Dienstleistungssektor in den kommenden Jahrzehnten einnehmen würde und hatte hier wohl eher die Vergesellschaftung industrieller Produktionsmittel vor Augen. Ob nun auch Versicherungen, Banken, Immobilienunternehmen oder Tech-Konzerne Produktionsmittel iSd Art. 15 GG darstellen können, hängt davon ab, ob ein weiter volkswirtschaftlicher oder ein enger industrieller Produktionsmittelbegriff Anwendung finden soll. Im Falle der RWE Power AG stellt sich diese Frage nicht. Als bedeutende Akteurin der Energiewirtschaft ist sie Eigentümerin von klassischen industriellen Produktionsmitteln. Insbesondere die Kohleindustrie hatte der Verfassungsgeber vor Augen, als er zu Art. 15 GG beriet.
In Bezug auf die Energiewirtschaft ist laut Art. 15 GG außerdem eine Vergesellschaftung von „Naturschätzen“ zulässig. Hierunter fallen neben Bodenschätzen auch Naturkräfte. Es ist also nicht nur die Bergbausparte, die im Fall einer Vergesellschaftung von RWE umfasst wäre, sondern auch die Gewinnung erneuerbarer Energien aus Wind-, Solar- und Wasserkraft. Ob über die Naturschätze hinaus auch die damit verbundenen Unternehmensstrukturen umfasst sind, ist strittig. Diese wären jedenfalls als Produktionsmittel vergesellschaftungsfähig.2)
Die Möglichkeit einer Vergesellschaftung von RWE stützt nicht zuletzt auch ein historischer Rückblick auf die angestrebte Wirtschaftspolitik der Nachkriegszeit. Oft wird Art. 15 GG als ein Zeugnis des Kompromisscharakters des Grundgesetzes verstanden. Dies mag teilweise überzeugen, übersieht jedoch die breite Unterstützung für Vergemeinschaftungen der Großindustrie in der Nachkriegszeit. Nicht nur SPD und KPD, sondern auch die bürgerlich-konservativen Parteien sowie die Nationalökonomie und Kirchen traten für umfassende Vergesellschaftung ein.3) Die CDU stellte 1947 in ihrem Ahlener Wirtschaftsprogramm fest: „Kohle ist das entscheidende Produkt der gesamten deutschen Volkswirtschaft. Wir fordern die Vergesellschaftung der Bergwerke“. Hiervon zeugen auch zahlreiche Landesverfassungen, die zu dieser Zeit erlassen wurden und weit überwiegend umfangreiche Vergesellschaftungsklauseln und sogar -aufträge beinhalten (exemplarisch hierzu Art. 40, 41 Hessische Landesverfassung vom 1.12.1946 und Art. 27 der Verfassung von NRW vom 11.7.1950). Die anfängliche Begeisterung für die Demokratisierung wesentlicher Wirtschaftszweige verflog auf Seiten der CDU jedoch schnell und sorgte für eine Frontenbildung innerhalb des Parlamentarischen Rats. Von dieser Zeit und diesem Geist zeugt Art. 15 GG, der als Ergebnis von Bemühungen der SPD und KPD Einzug in das Grundgesetz erhielt und die Perspektive einer Überwindung des Kapitalismus eröffnen sollte.4)
b) Das Problem der Verhältnismäßigkeit
Heftig umstritten ist die Frage, ob die Vergesellschaftung dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unterliegt. Das Spektrum an verschiedenen Meinungen und Modifikationen der Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen von Art. 15 GG ist umfangreich und teils unübersichtlich (vgl. hier und hier).
Richtig ist, dass Maßnahmen nach Art. 15 GG keiner Verhältnismäßigkeitsprüfung unterliegen.5) Dies ergibt sich logisch aus der Konzeption der Norm als Öffnung in andere Wirtschaftssysteme. Demnach steht der Übergang in eine andere Wirtschaftsordnung im politischen Ermessen des Gesetzgebers und muss gerade nicht gegenüber der herrschenden Eigentums- und Wirtschaftsordnung gerechtfertigt werden. Bei anderer Ansicht wäre der mögliche Anwendungsbereich des Art. 15 GG wesentlich beschränkter als vom Verfassungsgeber beabsichtigt und würde das Grundgesetz gerade doch zu einer grundsätzlich marktwirtschaftlich ausgerichteten Verfassung machen, die nur im Ausnahmefall eine Vergesellschaftung erlaubt. Eine solche Lesart liefe auf ein Verständnis der Norm als „Freiheitsrecht auf Nichtsozialisierung“ hinaus, wodurch eine Vergesellschaftung nur bei Vorliegen eines besonders wichtigen, übergeordneten Zwecks möglich wäre. Dagegen spricht jedoch eindeutig der Wortlaut der Norm, welcher die Überführung in die Gemeinwirtschaft „zum Zwecke der Vergesellschaftung“ und somit als Selbstzweck vorschreibt. Untermauert wird dies durch die Tatsache, dass Hermann von Mangoldt und Thomas Dehler im Parlamentarischen Rat mit ihrem Antrag scheiterten, die Vergesellschaftung nur „zum Wohle der Allgemeinheit“ zuzulassen.6) Zwar wird die Überführung in die Gemeinwirtschaft regelmäßig auf die Verfolgung von Zielen des Allgemeinwohls hinauslaufen. Damit ist das Gemeinwohl jedoch nur die Folge von Vergesellschaftung und nicht ihre Voraussetzung.
Auch restriktive Interpretationen des Art. 15 GG stehen der Vergesellschaftung nicht entgegen
Selbst bei Vornahme einer Verhältnismäßigkeitsprüfung wäre die Vergesellschaftung von RWE möglich. Es existiert ein hinreichend gewichtiges Interesse der Gemeinschaft, den Energiesektor zukunftstauglich und demokratisch zu gestalten. Neben Preissenkungen für Verbraucher*innen könnten die Rekordgewinne von RWE aus den Krisenjahren außerdem für die Umstrukturierung des Energiesektors hin zu erneuerbaren Energien genutzt werden. Ebenso wie beim Wohnraum kommt hinzu, dass fossile Energieträger nur begrenzt verfügbar sind. Dass die Verbrennung dieser verbleibenden Rohstoffe möglichst umweltschonend und nicht profitmaximierend stattfinden muss, ergibt sich nicht zuletzt aus dem vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Gebot der “Schonung künftiger Freiheit“. Eine solche Neuausrichtung kann privatwirtschaftlichen Unternehmen aufgrund ihrer inhärenten Profitorientierung sowie ihrer mangelnden demokratischen Legitimation nicht gelingen.
Neben der Verhältnismäßigkeitsprüfung werden noch weitere Ansichten vertreten, die den Anwendungsbereich von Art. 15 GG beschränken. Teils wird Art. 15 GG als Norm verstanden, die zur Monopol- und Marktmachtbekämpfung geschaffen wurde. RWE ist eines der großen vier Energieversorgungsunternehmen und somit maßgeblicher Akteur in hochsensibler Infrastruktur. Laut Marktmachtbericht des Bundeskartellamts aus 2021 hat RWE damit eine marktbeherrschende Position inne. Auch nach dieser Lesart wäre eine Vergesellschaftung als Mittel zur Monopolbekämpfung zulässig.
Ferner wird Art. 15 GG auch als Norm verstanden, die Markteingriffe nur bei besonderen krisenhaften Umständen zulässt. Angesichts der Ausmaße von Klima- und Energiekrise und der bedeutenden Rolle, die Energiekonzerne in diesen Bereichen einnehmen, steht die Beschränkung auf Krisenzeiten einer Vergesellschaftung ebenfalls nicht entgegen. RWE ist also ein Unternehmen, welches selbst bei Annahme restriktiver Interpretationen vergesellschaftungsfähig ist.
Mehr Demokratisierung wagen
Die nachgeschaltete Frage nach der korrekten Berechnung der Entschädigungshöhe ist ebenso umstritten wie die der Verhältnismäßigkeit, für die hier aufgeworfene Frage nach der grundsätzlichen Möglichkeit einer Vergesellschaftung von RWE jedoch ohne Bedeutung. Überzeugend ist, eine Entschädigung unter Verkehrswert grundsätzlich zuzulassen, da die Entschädigungspflicht andernfalls zu einer„Sozialisierungsbremse“ wird – eine Funktion, die ihr nicht zugedacht ist.7) Unabhängig von den Detailfragen scheint eine Vergesellschaftung in Anbetracht der staatlichen Milliardenbeträge, mit denen sich Energiekonzerne den Kohleausstieg vergolden lassen, finanzierbar. Die Möglichkeiten der Finanzierung sind zahlreich. Sie kann falls nötig über Jahrzehnte erfolgen und anteilig über die Einnahmen der vergesellschafteten RWE Power AG finanziert werden. Auch die kürzlich erst erfolgte Verstaatlichung von Uniper zeigt, dass solche Vorhaben finanzierbar sind.
Abschließend bleibt festzuhalten: Der Verfassungsgeber gestaltete das Grundgesetz wirtschaftssystemoffen. Mit Art. 15 GG wurde er umfassend dazu ermächtigt, Unternehmen und ganze Wirtschaftszweige zu vergesellschaften, um sie zugunsten des Gemeinwohls zu nutzen. Trotz zahlreicher Versuche der Literatur, den Anwendungsbereich von Art. 15 GG möglichst eng zu ziehen, stehen die Eingrenzungen auf die Verhältnismäßigkeit, die Krisenfunktion oder die Ausrichtung auf Monopolbekämpfung einer Vergesellschaftung nicht im Wege.
Der Protest gegen RWE und den sogenannten Kompromiss zum Kohleabbau resultiert nicht zuletzt aus dem privatwirtschaftlichen Aufbau des Energiesektors und der damit verbundenen Erwirtschaftung von Rekordgewinnen auf dem Rücken krisengeplagter Verbraucher*innen und zukünftiger Generationen. Eine gerechte und nachhaltige Stromversorgung ist ein Bereich, der gemeinwirtschaftlich gestaltet werden kann und sollte. So könnten Fragen rund um Preisgestaltung, Kohleausstieg, Nuklearenergie und Energiewende in demokratischen Entscheidungsprozessen beantwortet und die Unternehmenspolitik dahingehend ausgerichtet werden. Die RWE Power AG ist somit ein in allen Belangen geeignetes Sozialisierungsobjekt.
Für engagierte Diskussion und Kritik danke ich Prof. Dr. Thorsten Kingreen, Marje Mülder und Jonas Neudecker.
References
↑1 | Vgl. hierfür Bäumler, DÖV 1979, 325. |
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↑2 | Durner, Dürig/Herzog/Scholz GG-Kommentar, Art. 15 GG Rn. 35 ff. |
↑3 | Durner, Dürig/Herzog/Scholz GG-Kommentar, Art. 15 GG Rn. 8 ff. |
↑4 | Mayer/Stuby, Die Entstehung des Grundgesetzes, S. 125, 138 ff.; Hans-Peter Ipsen, Enteignungen und Sozialisierung (Tagungsband), S. 102 ff. |
↑5 | Kingreen/Poscher, Staatsrecht II 38. Aufl., Rn. 1250; Röhner, KJ 2020, 16 (18). |
↑6 | Stuby/Mayer, Die Entstehung des GG, S. 125. |
↑7 | Thiel, DÖV 2019, 497 (500). |
Die Zwischenüberschrift “Mehr Demokratie wagen” ergibt auch mit Blick auf den Folgeabschnitt keinen Sinn. Die zur Gesamtbevölkerung verhältnismäßig geringe Anzahl der Demonstranten versucht, eine gesetzgeberische Entscheidung mit Mittel der Besetzung und des Protests, also eher unfriedlich, aufzuheben. Das ist genau das Gegenteil von Demokratie. (Hausfriedensbruch ist niemals friedlich)
Vergesellschaftung ist durchaus denkbar, aber nicht unter Umgehung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, die gesetzgeberische Entscheidung zugunsten dem Abbau kann wegen mehrerer Tausender nicht rückgängig gemacht werden. Die Zukunft muss anders gestaltet werden.
Sehr geehrter Herr Petzold
Unter Umständen ergibt der Absatz für Sie keinen Sinn, da Sie die Überschrift falsch gelesen haben. Dort steht “mehr Demokratisierung wagen” und nicht “mehr Demokratie wagen”. Die Demokratisierung der Wirtschaft ist ein von der Demokratie (oder auch der Demokratisierung von politischen Entscheidungsprozessen mittels Parlamentsvorbehalt) zu unterscheidener Prozess, auch wenn er meiner Meinung nach mit der Demokratie zusammen gedacht werden muss (aA natürlich vertretbar). Das Missverstädndnis ist aber wahrscheinlich der Anlehnung an das Zitat Willy Brandts geschuldet, welche ich eventuell deutlicher hätte ausarbeiten können.
Auch beziehe ich an keiner Stelle Position für oder gegen die Demostrierenden, die ihrer Meinung nach “Hausfriedensbruch” begehen (ich verweise aber auf Herr Steinbeis Editorial von vor 2 Wochen: https://verfassungsblog.de/nichts-ist-gut/). Hinsichtlich den jetzt noch offenen parlamentarischen Gestaltungsspielraum verweise ich gerne auf einen anderen Verfassungsblog-Beitrag (https://verfassungsblog.de/handeln-erlaubt/). All dies zeigt, dass die Entscheidungen durchaus abgelehnt und unter Umständen zurückgenommen werden können (wofür ich an dieser Stelle eintrete). Selbstverständlich ist es aber auch Ihr gutes Recht, das anders zu sehen. Ich wünsche mir nur zukünftig aufmerksamere Lektüre meiner Texte, bevor Sie sich zum Sinngehalt dieser auslassen.
Ich wünsche Ihnen Viel Spaß bei der Lektüre und noch ein schönes Restwochenende,
Georg Freiß
Sehr geehrter Herr Freiß,
Ich erachte, die von Ihnen versuchte Unterscheidung von Demokratie und Demokratisierung als nicht wirklich schlüssig. Demokratisierung ist schon begriffsinhärent auf mehr Demokratie ausgerichtet. Mehr Demokratisierung führt unweigerlich zu mehr Demokratie. Genauso wie “Mehr Wasser ins Glas giessen wagen” unweigerlich zu “Mehr Wasser im Glas” führt. Bevor Sie also Herrn Petzold unbegründet eine unaufmerksame Lektüre vorwerfen, wäre es angebracht, beim Wählen der eigenen Worte mehr Aufmerksamkeit an den Tag zu legen.
MfG
Vielen Dank, es ist in der Tat eine unangenehme Gewohnheit, andere Meinungen schnell als ungenau abzuwerten. Im uebrigen ist der Kommentar von Herrn Freiss interessant.
“So könnten Fragen rund um Preisgestaltung, Kohleausstieg, Nuklearenergie und Energiewende in demokratischen Entscheidungsprozessen beantwortet…”
Inwiefern ist das aktuell nicht möglich? Nuklearenergie, Energiewende, Kohleausstieg (oder eben nicht) wurde doch alles vom Parlament geregelt.
Guten Tag Herr Glättli
Ich möchte Sie teilweise an meine Antwort an Herrn Petzold verweisen. Die Entscheidungen zu Nuklearenergie, Energiewende und Kohleausstieg betrifft die politische demokratische Willensbildung im Deutschen Bundestag, da haben Sie Recht.
Mein Text spricht aber nicht von der Demokratisierung politischer Entscheidungsprozesse, sondern der Demokratisierung unternehmerischer Entscheidungsprozesse. Meiner Meinung nach lege ich in meinem Text deutlich dar, dass die Verwendung der Rekordgewinne in RWEs privatwirtschaftlichen Entscheidungsspielraum liegt. Mein Anliegen ist es, die Verwendung dieser Gelder in gesellschaftliche Entscheidungsspielräume zu übergeben. Selbiges gilt für RWEs privatwirtschaftlichen Vertrauensschutz aus ihrem Eigentum. Die Milliardenbeträge, die unsere Gesellschaft an die Anteilseigner von RWE zahlt, weil wir versuchen unseren Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaabkommen nachzukommen (bisher leider wenig überzeugend und ohne Erfolg), könnte man sich bei einem Unternehmen der Gemeinwirtschaft wohl sparen oder effektiver in die Energiewende investieren. Selbstverständlich steht es Ihnen aber zu eine andere Ansicht zu vertreten und ausschließlich den Bundestag hier in der Pflicht zu sehen, dass privatwirtschaftliche Interesse eines privaten Energiekonzerns zu zähmen. In Anbetracht der bisherigen Unternehmenspolitik von RWE und der Tatsache, dass das Emirat Katar in diesem Jahr größter Anteilseigner der RWE Power AG wird, sehe ich jedoch kein ernsthaftes privatwirtschaftliches Interesse RWEs an einem Ausstieg aus fossilen Energieträgern. Letztlich ist dies jedoch eine politische und keine verfassungsrechtliche Debatte. Mir ging es in erster Linie darum, die Möglichkeit der Vergesellschaftung aufzuzeigen.
Mit freundlichen Grüßen
Georg Freiß
Sehr geehrter Herr Freiß
“Mein Text spricht aber nicht von der Demokratisierung politischer Entscheidungsprozesse, sondern der Demokratisierung unternehmerischer Entscheidungsprozesse.”
Ich fürchte diese Argumentation ist angesichts des Textes nicht wirklich haltbar. Schliesslich schreiben Sie bereits im ersten Satz “Die aktuellen Debatten um Kohleausstieg und Energiewende zeigen, dass Entscheidungen auf dem Gebiet der Energiewirtschaft hochpolitisch sind”. Inwiefern es nach diesem Einstieg nicht um “politische Entscheidungsprozesse” gehen soll, ist schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar.
Neues aus der Rubrik “rechtsähnliche Politikwissenschaft”
Man nehme einen harmlos klingenden, inhaltlich zutreffenden Titel (natürlich sind Eigentumsverhältnisse antastbar, es ist ja nicht die Menschenwürde) und lege mithilfe einer weiteren Plattitüde den rechtlichen Rahmen dar (dem Verfasser wird zur erfolgreichen Lektüre von Art. 15 GG gratuliert).
Sodann subsumiere man halbgar unter den Wortlaut der Norm. RWE ist ein Produktionsmittel und offenbar zugleich ein Bodenschatz, weil RWE es eben sein muss, weil man sonst ja nicht zum gewünschten Ergebnis kommt.
Lästiger Verhältnismäßigkeitskram wird ebenfalls weggewischt (nicht nötig). Da der Verfasser als wissenschaftlicher Mitarbeiter offenbar doch das 1. Examen gemacht hat, schiebt er diese Prüfung dankenswerterweise hilfsweise hinterher, begrenzt diese aber ausschließlich auf den verfolgten Zweck (hinreichend gewichtiges Interesse der Gemeinschaft, wird unterstellt). Eine echte Abwägung widerstreitender Interessen (z.B. die in der Überschrift erwähnten Eigentumsverhältnisse) erfolgt nicht, der Zweck heiligt schließlich die Mittel.
Zum Abschluss wird noch einmal zum Klassenkampf getrommelt und gegen die profitgierige Energiewirtschaft polemisiert. Man könnte doch einfach alles “demokratisch” lösen. Offenbar wurde die Energiepolitik der letzten Jahrzehnte von einem König von Deutschland festgelegt.
Alles in allem ein netter politischer Gesinnungsaufsatz, über den es sich wunderbar streiten lässt. Man ist hier nur leider nicht bei der taz.
Ps: Herrn Freiß sei ein Blick nach Venezuela empfohlen, man sagt, dort funktioniere die staatliche Energieindustrie ganz besonders gut.
Hm, Herr Maier, Ihre Süffisanz in punkto Verhältnismäßigkeitsprüfung enthüllt mehr über Ihre Ahnungslosigkeit, als Ihnen lieb sein kann. Ich würde bisschen Vorsicht empfehlen.
Lieber Herr Steinbeis,
wenn Sie schon die Notwendigkeit sehen dem Verfasser beizuspringen, dann bemühen Sie sich doch zumindest um eine inhaltliche Replik. Es fällt vermehrt auf, dass Sie an einer (dogmatischen) Auseinandersetzung nicht interessiert sind, sondern nur Ihre politischen Vorstellungen in Recht transformiert sehen wollen. Der Verfassungsblog bietet sich da natürlich an, nur leider diskreditiert ihn das zunehmend.
Was gibt es denn da inhaltlich zu replizieren? Der Vorkommentar hatte hinsichtlich der Frage der Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsprinzips – wie auch im Übrigen – ja schon nichts Substantielles beigetragen. Freiß hat hingegen seine Auffassung mit dem Wortlaut, dem Telos und der Normgenese begründet. Maier geht darauf überhaupt nicht ein, sondern wirft dem Verfasser bar jeder Argumentation vor, er habe “lästigen Verhältnismäßigkeitskram […] weggewischt”.
Wer den Mindestanforderungen an rationale Rede nicht gerecht wird, darf sich nicht wundern, wenn die übrigen Beteiligten sich unwillig zeigen.
“Das Problem der Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsprinzips hängt nicht am „können“ im Tatbestand der Norm, sondern an „zum Zwecke der Vergesellschaftung“. Da eine Verhältnismäßigkeitsprüfung in ihrer logischen Struktur ein Denken in Alternativen voraussetzt (Erforderlichkeit), muss danach schon die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzip ausscheiden – zum Zweck der Vergesellschaftung kann es schließlich nur das Mittel der Vergesellschaftung geben.”
Eingehend auf Ihren unteren Kommentar sei mir dann doch eine kleine Anmerkungen erlaubt. Ihre Ausführungen tragen offensichtlich nicht. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung setzt einen Denken in Alternativen höchstens im Rahmen der Erforderlichkeit (i.e. auf der tatsächlichen Ebene) voraus. Die Angemessenheit als solche (i.e. der genuin normative Teil) hingegen nicht. Schließlich erfolgt hier kein Bezug auf die Realität, sondern auf kollidierende Rechtsgüter (unschwer bei Alexy nachzulesen). Solche bestehen im Falle der Vergesellschaftung in Form der Grundrechte der Eigentümer. Warum hier also keine eingehende Abwägung der kollidierenden Positionen vorgenommen werden soll, erschließt sich nicht. Vielleicht legen Sie ihre ideologischen Scheuklappen einmal ab, dann lässt es sich besser diskutieren.
@Hermann Heller:
Sie können das gerne weiter mit Jörn Ipsen diskutieren, der das Argument in NVwZ 2019, 527 aufgebracht hat. Vielleicht können Sie ja da mit noch weiteren Verbalinjurien reüssieren.
Liebe Frau Kiesel,
nachdem Sie sich dieses Argumentes doch so bereitwillig bedient haben, sollten Ihnen weitere Ausführungen doch unschwer möglich sein. Dass Sie sich stattdessen einzig der Autorität des Urhebers des Gedankens bedienen, lässt einen – in Anbetracht Ihrer sonstigen Diskutierfreudigkeit – doch verwundert zurück.
Wenn man über Vergesellschaftung nachdenkt, sollte man sich daran erinnern, dass es bei der RWE AG schon einmal so weit war. Mehr als 50 % der Aktionäre waren kommunale Anteilseigner, nämlich Städte, Landkreise und kommunale Stadtwerke vor allem aus Nordrhein-Westfalen. Noch jetzt werden fast 25 % der Aktien von kommunalen Anteilseignern gehalten, die sich in zwei kommunalen Aktionärsverbänden organisieren. Hinzu kommt die (kleine) Gruppe der Belegschaftsaktionäre. Irgendwie scheint sich das nicht so richtig auf die Politik des Unternehmens auszuwirken. Oder sind die Kommunen vielleicht nicht die richtigen Aktionäre? Wer sollte es denn dann sein?
Guten Tag Herr Lickleder
tatsächlich habe ich die Wirkmacht des Argumentes, dass die Kommunen bereits an RWE beteiligt sind, unterschätzt.
Hierzu kann einiges gesagt werden. Zunächst einmal möchte ich nicht bestreiten, dass die Kommunen und auch die Belegschaft wohl größtenteils mit RWE sehr zufrieden sind, was insbesondere wohl auch an hohen Steuerzahlungen, guten Renditen und guten Gehältern liegt (böse Zungen würden an dieser Stelle wohl ergänzend auch auf zahlreiche Korruptiosskandale zwischen RWE und Kommunalpolitik verweisen). Insofern sind diese Gruppen wohl kaum für eine Vergesellschaftung mobilisierbar.
Dass diese Anteilseigner sich kaum auf die Unternehmenspolitik auswirken liegt wohl an der gewählten Form der Aktiengesellschaft. Oft wird übersehen, dass nicht jedes Unternehmen der Gemeinwirtschaft ein Staatsunternehmen ist und nicht jedes Staatsunternehmen ein Unternehmen der Gemeinwirtschaft (vgl. Deutsche Post, Uniper und die DB AG, welche sich zu 100% in Staatseigentum befindet). Die Form der Aktiengesellschaft sorgt für eine profit- und marktorientierte Unternehmenspolitik (mit all ihren Vor- und Nachteilen). Wenn man diese ändern möchte, reicht es nicht, wenn der Staat weitere Anteile kauft. Vielmehr muss eine Überführung in Gemeineigentum stattfinden (Deutsch Wohnen & Co. enteignen schlägt hier meines Wissens nach eine Körperschaft des öffentlichen Rechts vor, einschlägige Art. 15 GG Kommentierungen geben viele weitere Beispiele für Unternehmensformen an, u.a. auch genossenschaftliche Formen). Letztlich wird eine AG auf Profitmaximierung ausgerichtet sein (Schlagwort Sharholder-Value Prinzip), egal ob die Anteilseigner öffentliche oder private Akteure sind.
Ich muss aber auch gestehen, dass ich in meiner Forschung auf der “Folgenseite” der Vergesellschaftung noch nicht so weit fortgeschritten bin wie auf der “Voraussetzungsseite”. Deshalb verweise ich in meinem Text auf andere (tiefergehendere) Quellen. Eventuell ist das dann bei Zeiten ein Thema für einen weiteren Verfassungsblog-Beitrag! Ich hoffe mein Kommentar konnte Ihnen einige Fragen beantworten.
Herzliche Grüße
Georg Freiß
Vielen Dank für diese zeitgemäße Erläuterung zu Art. 15 GG. Die in den Kommentaren zum Ausdruck kommende Ablehnung verstehe ich insofern, wie wir alle ja im Rahmen einer bestimmten Wirtschaftsordnung aufgewachsen sind (zumindest eindeutig im früheren “Westdeutschland”). Anfänglich war es jedoch mal anders. So konnte sich Wolfgang Abendrots bereits 1954 betonte gesetzgeberische “Gestaltungsfreiheit” auch bezüglich der Eigentumsordnung, sich problemlos auf die Entscheidung des BVerfG 1954 (4, 7 ) berufen, in der es u.a. heißt: “Die gegenwärtige Wirtschafts- und Sozialordnung ist zwar eine nach dem Grundgesetz mögliche Ordnung, keineswegs aber die allein mögliche” Ähnlich war es bei der bahnbrechenden BVerfGE (50, 290 ), in welcher der Erste Senat 1979 im Zusammenhang mit der Mitbestimmung – also der betrieblichen Demokratie (!) – die gesetzgeberische Gestaltungsfreiheit “auf dem Gebiet der Wirtschaftsordnung” ebenfalls betonte. Aber nicht nur das. Bezüglich der Sozialverpflichtung des Eigentums nach Art. 14 (2) GG schloss das Gericht daraus, dass “die Befugnis des Gesetzgebers zur Inhaltsbestimmung und Schrankenbestimmung um so weiter [ist], je mehr das Eigentumsobjekt in einem sozialen Bezug und einer sozialen Funktion steht” also “Belange anderer Rechtsgenossen berühr(t)” (50, 290 <341f). Dass diese Sichtweise im Zusammenhang mit Eingriffen in das RWE-Eigentum sehr aktuell ist, liegt auf der Hand und wird von Georg Freiß gut herausgearbeitet. Es ist also keine Frage von Forderungen einer "zur Gesamtbevölkerung verhältnismäßig geringe Anzahl der Demonstranten" (vgl. oben Claudius Petzold), und auch nicht der Legalität von Protesten. Es ist eine verfassungsrechtliche recht eindeutig (von der BVerfGE zum Einigungsvertrag einmal abgesehen) beantwortet Antwort auf die Frage, ob eine Vergesellschaftung von RWE legal wäre, und die im Rahmen von Art. 5 und Art 8 GG deshalb durchaus vom Gesetzgeber legal gefordert und von ihm realisiert werden kann. Übrigens spielt das durch das Gemeinwohl begrenzte Recht auf Eigentum letztlich auch bei Enteignungen wie in Lützerat eine zentrale Rolle, wobei für mich allerdings Gemeinwohlinteressen in deisem Fall durchaus als nicht vorhanden – oder gar als Gegensatz – verstanden werden können.
Lieber Alfons,
Vielen Dank für das nette Kommentar und die ergänzenden Hinweise. Ich musste mich aufgrund des Blog-Formates in meinen Ausführungen ein wenig beschränken und bin deshalb sehr froh, dass sie vieles von dem, was ich eigentlich noch schreiben wollte, nun im Kommentarbereich nachgereicht haben.
Liebe Grüße
Georg
Um die (rechts-)historischen Bezüge zu ergänzen, erlaube ich mir den Hinweis auf eine heute scheinbar kaum noch bekannte Epoche deutscher “Wirtschaftsgeschichte”:
https://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/1977_1_2_wulf.pdf
Außerdem gab es kurzzeitig einmal echte Befürworter von “gemeinwirtschaftlichen” Strukturen (zumindest in der Frühzeit der Weimarer Republik).
Diese konnten sich u. a. auch deshalb nicht durchsetzen, weil die Gegenseite (die sog. Ruhrbarone) nicht nur viel Geld (Stinnes bereits Anfang 1919) bereithielt, sondern auch massiven politischen Einfluss ausübte – Lobbyarbeit sei Dank.
Ein paar dogmatische und theoretische Nachfragen, wo Herr Freiß bereit ist, Kommentare zu beantworten:
1) Art. 15 GG spricht von einem “Können” der Vergesellschaftung durch den Gesetzgeber, aus dem eine relativ weit gezogene Prärogative des gestaltenden Gesetzgebers bis zur auch hier vertretenen Nichtbindung des Gesetzgebers an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz angenommen wird. Das Grundgesetz verwendet den Begriff des “Könnens” im Grundrechtsbereich an einigen Stellen, so etwa exemplarisch bei Artt. 12a, 17a GG. Gilt nun in diesem Bereich ebenfalls ein Nichtbindung des gestaltenden, einfachen Gesetzgebers an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz?
Das Bundesverfassungsgericht entschied vor langer Weile, dass der Verhältnismäßigkeitsmaßstab zumindest im Rahmen einer konkreten Verfassungsänderung kein “adäquater Maßstab” der Beurteilung der Aufnahme einer Wehrpflicht wäre. Die Aufnahme des Wehrdienstes als konstitutioneller Selbstzweck ist also dem Grunde nach zulässig. Bedingt das ebenfalls eine Lesart des Art. 17a GG, die eine Bindung des einfachen Gesetzgebers an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei der Einschränkung der dortigen Grundrechte präkludiert? Falls nein – in welcher Hinsicht unterscheidet sich dieser Fall von Art. 15 GG?
2) Eine allgemeine Frage zur Abgrenzung des Könnens von einem Dürfen: Wenn der Verfassungsgeber bzw. irgendein Normsetzer davon spricht, dass etwas getan werden KANN, bedeutet das deontisch zunächst nur, dass es nicht der Fall ist, dass etwas NICHT getan werden SOLL. Der theoretische Ursprung des Verhältnismäßigkeitsgebots besteht ja in der Überlegung, dass der Schluss eines Könnens auf ein Dürfen nicht zwanglos vollzogen werden kann, wenn subjektive Rechte infrage stehen, sondern in einem solchen Falle immer relational hinsichtlich Rechtsposition und Mittel ausgeglichen werden muss. Den Schluss des Könnens auf ein Dürfen könnte man etwa nach nach dem Toulmin-Schema mit dem Verhältnismäßigkeitsgebot als Schlussregel und der Abwägung im Einzelfall als Stütze der Regel darstellen. Hier wird allerdings der Schluss mit einer etwas gefährlichen Generalisierung, sollte man diese ziehen, infrage gestellt und eher angenommen, ein Können impliziere ohne Weiteres auch stets ein Dürfen. Wie kommt man aus dieser theoretischen Bredouille heraus, ohne entweder a) das Verhältnismäßigkeitsprinzip und seine Anwendung bei der Eröffnung eines Könnens an sich infrage zu stellen, b) auf einseitige Weise eine Vergesellschaftung zu bevorzugen.
3) Der Wunsch nach einer “Demokratisierung” ist ja ein alter Hut, der seit den 1980er Jahren dankbarerweise etwas in der Versenkung verschwunden ist. Die allgemeine Frage ist: ist “Demokratisierung”, wie auch schon Ende der 1970er/80er Jahre tendenziell festgestellt wurde, nicht gerade antithetisch gegenüber der Idee von Grundrechten? Grundrechte sind ja als solche gerade ein Schutzwall VOR fremdbestimmten Entscheidungen bzw. geben einem Träger im Falle der Kommunikationsgrundrechte die OPTION der Teilnahme an demokratischen Diskursen und im Falle des Wahlrechts an demokratischen Entscheidungen. Was ist der Wert eines Rechts, das nicht im Belieben seines Trägers steht?
Weiter oben wurde bereits gefragt, warum gerade eine Vergesellschaftung sicherstellen soll, dass “richtige” Entscheidungen getroffen werden, wenn in Fragen des Klimaschutzes bereits ein größeres gesellschaftliches Misstrauen gegenüber staatlichen Entscheidungsträgern besteht.
zu 1): Das Problem der Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsprinzips hängt nicht am “können” im Tatbestand der Norm, sondern an “zum Zwecke der Vergesellschaftung”. Da eine Verhältnismäßigkeitsprüfung in ihrer logischen Struktur ein Denken in Alternativen voraussetzt (Erforderlichkeit), muss danach schon die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzip ausscheiden – zum Zweck der Vergesellschaftung kann es schließlich nur das Mittel der Vergesellschaftung geben. Aber auch darüber hinaus macht die ausdrückliche Nennung des Maßnahmezwecks in der Befugnisnorm, noch dazu in der Verfassung, die besondere Privilegierung dieses Zweckes deutlich; es handelt sich um eine (mWn) unüblich Restriktion des Anwendungsbereiches der Norm, der die Verhältnismäßigkeitsprüfung, die sonst auch aufgrund der Zweckoffenheit von Befugnisnormen auf Ebene der Einzelmaßnahme noch einmal durchzuführen ist, hier bereits auf der Ebene des Tatbestandes antezipiert: Für besondere wirtschaftliche Bereiche (Grund und Boden; Naturschätze; Produktionsmittel) ist eine Vergesellschaftung, insoweit sie im Übrigen normkonform ist (Überführung in Gemeineigentum oder andere Formen der Gemeinwirtschaft) immer schon verhältnismäßig.
zu 2): Mir ist nicht ganz klar, worauf Sie hierunter hinauswollen, aber die Verwendung des Wortes “kann” in Befugnisnormen bedeutet durchaus nicht, dass “etwas nicht der Fall ist”. Es handelt sich nicht um ein faktisches, sondern um ein – wie Sie richtig feststellen – ein deontisches Können, um eine Erlaubnis.
zu 3): Grundrechte sind durchaus nicht nur ein “Schutzwall” und erst recht nicht “VOR fremdbestimmten Entscheidungen”, siehe status positivus zum Einen und das Problem horizontaler Drittwirkung zum Anderen. Mir leuchtet auch nicht ein, weshalb Demokratisierung “gerade antithetisch gegenüber der Idee von Grundrechten” sein soll. Insoweit damit eine potentielle Kollision von Kollektiv- und Individualzwecken gemeint sein soll, ist das ja ganz normaler verwaltungsrechtlicher Alltag. Hinsichtlich der Frage des gesellschaftlichen Misstrauens bezüglich der “Richtigkeit” staatlichen Entscheidens im Bereich des Klimaschutzes sei noch angemerkt, dass eine Vergesellschaftung durchaus keine Verstaatlichung darstellt. Hierin liegt der wesentliche Unterschied zu Art. 14 Abs. 3 GG.
1) Das ist ein etwas plattes Argument, weil der Zweck auch als gesetzter Selbstzweck nicht notwendigerweise die Erforderlichkeit bestimmt – wäre dem so, wäre die Verhältnismäßigkeit ziemlich machiavellistisch, finden sie nicht? Raum für die “Erforderlichkeit” besteht im Tatbestand alleine durch die Formulierung “In Gemeineigentum oder andere Formen der Gemeinwirtschaft”, was auch der Hauptanknüpfungspunkt einer breiter vertretenen Affassung in diesem Bereich von Art. 15 GG und meiner Meinung nach auch nicht von der Hand zu weisen ist.
2) Lassen wir David Hume mal seine Totenruhe genießen. Die Wortgruppe “Der Fall sein” können sie meinetwegen gerne mental mit “geltendes Recht” ersetzen, wenn es ihre Seele beruhigt, weil das ja in der Tat der Fall ist.
Ich drücke das so generalisiert aus, weil es sich hier um einen allgemeinen Fall deontischen Schlussfolgerns handelt. Der Staat KANN handeln (was sie treffend eine Erlaubnis nennen). Das Verhältnismäßigkeitsprinzip schiebt dem Ganzen allerdings einen Riegel vor, wenn es darum geht, ob er Handeln DARF, in dem es sagt, dass ein Können nicht notwendigerweise ein Dürfen bedingt. Zwangloses Schließen erfolgt durch Implikation, Schließen im Anwendungsbereich des Verhältnismäßigkeitsprinzips erfolgt durch Argumentation, die den Schluss von Können auf Dürfen überhaupt ermöglicht.
3) “horizontale Drittwirkung” –> gibt’s nicht. Es gibt keinen nicht vom Ergebnis her gedachten Weg, das im Rahmen des Grundgesetzes zu konstruieren. Ansonsten habe ich den status positivus ja angesprochen – der auch eine unter das Belieben des Rechtsträgers fallende Position ist, wir leben ja schließlich nicht in einer Demarchie.
Demokratisierung ist der Idee von Grundrechten oder, allgemeiner gesprochen, subjektiven Rechten gegenüber deswegen antithetisch, weil ich mein Belieben, etwas zu tun, unter den Vorbehalt der Entscheidung einer Mehrheit setzen müsste. Dieser Umstand hat nicht mehr viel von einem “Recht” übrig, sondern würde eher einem Privileg ähneln.
zu 1): Das ist ein etwas plattes Gegenargument, denn die Definition des Elementes “Erforderlichkeit” dürfte verfassungsrechtlich gesichert feststehen: Eine Maßnahme ist erforderlich, wenn kein milderes Mittel existiert, dass den verfolgten Zweck der Maßnahme gleich effektiv erreichen kann. Ich darf hinzufügen: gleich ob hierdurch ein machiavellistischer Eindruck entsteht.
Dass es im Rahmen der verschiedenen Sozialisierungsmodi die Möglichkeit einer Binnendifferenzierung auch hinsichtlich der Erforderlichkeit geben mag, will ich dadurch nicht abstreiten. Der Punkt ist aber, dass eine Sozialisierungsmaßnahme sich allein durch den Zweck “Sozialisierung” zu tragen vermag und nicht auf “Fernziele” der Sozialisierung zurückgreifen muss.
zu 2): Das haben Sie in Ihrem Vorkommentar aber nicht behauptet. Dort heißt es sinngemäß, “KANN” bedeute, dass “etwas NICHT getan werden SOLL”. Das ist unzutreffend. Möglicherweise meinten Sie, “kann” bedeutet nicht, dass etwas getan werden soll.
zu 3): “„horizontale Drittwirkung“ –> gibt’s nicht. Es gibt keinen nicht vom Ergebnis her gedachten Weg, das im Rahmen des Grundgesetzes zu konstruieren.”
Die gibt es durchaus, vgl. Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG sowie auch Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG. Im Übrigen hatte ich im Vorkommentar auch nicht behauptet, eine horizontale Drittwirkung von Grundrechten sei im Allgemeinen gegeben, sondern darauf hingewiesen, dass Grundrechte nicht – wie von Ihnen zuvor erklärt – einen “Schutzwall vor fremdbestimmten Entscheidungen” darstellen. Das ist in dieser Generalität falsch – Grundrechte bieten nicht Schutz gegen “fremdbestimmte Entscheidungen”, sondern – und davon gehen Sie ja nun offenbar auch aus – zunächst nur gegen solche, die dem Staat zugerechnet werden können.
Deswegen ist auch Ihr Folgeeinwand zur Antithetik von Demokratisierung und Grundrechten nicht überzeugend, denn Demokratisierung bedeutet durchaus keine staatliche Institutionalisierung – gerade nicht im Falle der Sozialisierung – und Grundrechte sollen ja auch Ihrer Meinung nach im Horizontalverhältnis nicht verbindlich sein.
„Vielmehr muss eine Überführung in Gemeineigentum stattfinden (Deutsch Wohnen & Co. enteignen schlägt hier meines Wissens nach eine Körperschaft des öffentlichen Rechts vor, einschlägige Art. 15 GG Kommentierungen geben viele weitere Beispiele für Unternehmensformen an, u.a. auch genossenschaftliche Formen).“
Wer kommt jetzt für die Entschädigungszahlungen auf damit RWE in Gemeineigentum überführt werden kann? Und wer bestimmt in der K.d.ö.R. die Entscheidungsträger? Und wer kontrolliert diese Entscheidungsträger? Bei einer AG ist mir das halbwegs klar. Bei einer solchen K.d.ö.R. nicht. Nach welchen Kriterien werden freie Wohnungen vergeben? An den Knappheitsverhältnissen ändert sich durch die Überführung in Gemeineigentum zunächst nichts. Sollen Unternehmen der Gemeinwirtschaft günstiger mit Strom beliefert werden als Rüstungsunternehmen?
Privatwirtschaftliche bzw. gemeinnützige Wohnungsunternehmen sind möglicherweise nicht sonderlich technologiegetrieben. In energiewirtschaftlichen Unternehmen, die andere technologische Herausforderungen zu stemmen haben als Unternehmen der Wohnungswirtschaft, ist mir nicht klar, wie über solche Prozesse in angemessener Zeit entscheiden soll. Ob Stromkunden in einem Binnenmarkt einen gemeinnützigen Anbieter wählen oder einen kostengünstigen Anbieter bleibt auch noch abzuwarten.
“Und wer bestimmt in der K.d.ö.R. die Entscheidungsträger? Und wer kontrolliert diese Entscheidungsträger? Bei einer AG ist mir das halbwegs klar. Bei einer solchen K.d.ö.R. nicht.”
Wieso, das steht doch klar und deutlich in der Satzung?
Um es mal ganz konkret an einem Beispiel zu machen: die AOK Nordost ist eine KdöR. Die Organe sind Verwaltungsrat und Vorstand, wobei der Verwaltungsrat den Vorstand wählt. Die 30 Mitglieder des Verwaltungsrates setzen sich aus je 15 Vertreter:innen der Versicherten und der Arbeitgeber:innen zusammen. Der Verwaltungsrat ist neben den Kerngeschäften unter anderem auch für die Kontrolle des Vorstandes verantwortlich. Der Vorstand wiederum prüft die Betriebs- und Rechnungsführung der AOK.
Das ist doch eigentlich denkbar transparent. Oder habe ich was vergessen? Und anbei: wer bestimmt und kontrolliert eigentlich bei einer AG die Entscheidungsträger:innen?
“Nach welchen Kriterien werden freie Wohnungen vergeben?”
Auch das ergibt sich aus der Satzung. Im Beispiel der AOK Nordost ergibt sich die Zuteilung von Leistungen etwa aus den §§ 6ff deren Satzung.
Mir ging es weniger darum, wo die Satzungsorgane geregelt werden, sondern mehr darum, wer die Satzungsorgane bestimmt. Bei der AG werden die Aufsichtsratsmitglieder, so weit sie nicht in den Aufsichtsrat entsandt werden, in der Hauptversammlung von den Aktionären gewählt (§ 101 AktG). Und der Aufsichtsrat bestellt dann die Vorstandsmitglieder (§ 84 AktG). Bei der Krankenkasse wählen in der Sozialwahl die Versicherten ihre Vertreter, diese den Verwaltungsrat und dieser den Vorstand. Aber wer entscheidet über den „Verwaltungsrat“ bzw. „Vorstand“ des gemeinnützigen Wohnungsunternehmens oder des gemeinnützigen Stromversorgungsunternehmens? Da es hier um Vergesellschaftung und nicht um Verstaatlichung geht, wer steht am Anfang der Entscheidungskette: alle EÜ-Bürger über 16? Nur Mieter? Oder auch Eigentümer? Alle Haushaltskunden des Stromversorgungsgebietes? Oder auch Sonderabnehmer?
Auch die Frage nach den Kriterien für eine Wohnungsvergabe bezog sich nicht auf den Ort, wo dies geregelt ist, sondern darauf, wie dies geregelt ist. Bei einer Krankenkasse erfolgt die Leistungserbringung grundsätzlich gleichmäßig bei allen Versicherten (sofern die Leistung im Leistungskatalog enthalten ist). Bei Wohnungen, die knapp sind, dürfte es gerade darum gehen Berechtigungsbescheide und eben auch Ablehnungsbescheide zu erlassen. Aber nach welchen Kriterien?
“Aber wer entscheidet über den „Verwaltungsrat“ bzw. „Vorstand“ des gemeinnützigen Wohnungsunternehmens oder des gemeinnützigen Stromversorgungsunternehmens?”
Nun, das wird sich eben in concreto aus einer noch zu schaffenden Satzung ergeben, die ihrerseits Gegenstand eines politischen Deliberationsprozesses ist. Über das Ausmaß der Gestaltungsbeschränkung aus Art. 15 GG besteht da auch nicht im Einzelnen Klarheit; gesichert dürfte nur die gemeinwirtschaftliche Zweckbestimmung der Sozialisierungsgegenstände sein. Ipsen in dem oben von Freiß zitierten Tagungsband fordert auf S. 106 darüber hinaus noch eine “Mehr- (Plural, Mit-)Herrschaft, kraft deren bislang von der Eigentümerherrschaft ausgeschlossene soziale Gruppen künftig an ihr beteiligt werden”.
Wie sähen denn eine gute Gestaltung und gute Kriterien Ihrer Meinung nach aus?
Staatliches Handeln steht für mich zunehmend im Zeichen von Hybris, Wurstigkeit und Dysfunktionalität (Wahl in Berlin, Bundesbahn, Bundeswehr, Klimawende etc. etc. etc.). Hier geht es zwar um Vergesellschaftung und nicht um Verstaatlichung. Trotzdem sind Begriffe wie „Gemeinwohl“ oder „zum Wohle der Allgemeinheit“ für mich erst einmal leere Hülsen. Von daher haben für mich diejenigen, die einer Vergemeinschaftung das Wort reden, eine Bringschuld: Nach welchen Kriterien soll im Einzelnen das Handeln in der K.d.ö.R. erfolgen? Wer hat in der K.d.ö.R. das Sagen? Und dass Entscheidungsträger in einer K.d.ö.R ihr Handeln mehr an Gesetz und Satzung ausrichten als Entscheidungsträger in einer AG ist für mich auch nicht ausgemacht.
@Weichtier
Sie sagen “leere Hülsen”, aber das ist nun wirklich nichts ungewöhnliches, Stichwort unbestimmte Rechtsbegriffe. Die Anforderungen eines legitimen Zwecks iRd Verhältnismäßigkeitsprüfung ist nach diesem Maßstab ja dann eine noch leerere Hülse. Trotzdem wird sie seit Jahrzehnten erfolgreich operationalisiert.
Im Übrigen kann ich mich nur wiederholen: wie die Satzung einer AöR im Einzelnen ausgestaltet wird, ist eine im Wesentlichen politische Entscheidung. Daher würde mich ja mal interessieren, wie Ihr Gestaltungsvorschlag aussähe? Gibt es besondere Kompetenzbereiche, die Ihnen herausragend wichtig erscheinen und daher eine besonders sensible Regelung erfahren sollten?
Den compliance-Einwand kann ich leider nur begrenzt nachvollziehen. Es wurde ja an keiner Stelle behauptet, eine AöR sei im Vergleich zu AG besonders rechtstreu – auch wenn mir prima facie kein Grund einfällt, weshalb es dort ein Gefälle geben sollte. Jedenfalls kann es nicht als Gegenargument zur Vergesellschaftung in Stellung gebracht werden, die ja erst einmal überhaupt erst die Bedingung dafür schafft, dass Entscheidungsträger:innen der AöR bei Ungemach demokratisch kontrolliert, auch abgewählt werden können. Das ist einem genuin plutokratischen Kontrollsystem wie der Hauptversammlung einer AG ja gerade nicht gewährleistet.
Vielen Dank für diesen Beitrag.
Wenn Sie eine Frage erlauben: Woher kommt Ihr Vertrauen in den Staat? Ich verstehe unsere Verfassung als ein Dokument des Misstrauens gegenüber dem Staat (Grundrechte als Abwehrrechte gegen den Staat; subjektive Rechte des Bürgers gegenüber dem Staat).
Welche Beispiele der bundesrepublikanischen Geschichte können Sie nennen, die vermuten lassen, eine “demokratisierung” der Wirtschaft wäre ein Erfolgsmodell?
Danke
“Ich verstehe unsere Verfassung als ein Dokument des Misstrauens gegenüber dem Staat.”
Da haben Sie offenbar aber das Grundgesetz etwas zu hastig überflogen. Freilich enthalten die Artt. 1 bis 19 GG und noch ein paar weitere verstreute Stellen Abwehrrechte gegenüber dem Staat, aber im Übrigen besteht die Verfassung weitgehend aus Staatsorganisationsrecht – als Staatsverfassung eben, und damit klar staatsaffirmativ.
“Welche Beispiele der bundesrepublikanischen Geschichte können Sie nennen, die vermuten lassen, eine „demokratisierung“ der Wirtschaft wäre ein Erfolgsmodell?”
ZB die Genossenschaften – wenngleich dort durchaus in einigen Fällen Nachholbedarf in Sachen Binnendemokratisierung besteht.
Zu Ihrem Kommentar bzgl. “staatsaffirmativ”.
Also auch Abwehrrechte gegen den Staat setzen voraus, dass dieser Staat existiert und sich (intern) organisiert/Kompetenzen zuweist. Deshalb auch die Existenz des Staatsorganisationsrecht. Damit haben Sie mein Argument leider in keinster Weise widerlegt.
Bitte helfen Sie mir auf die Sprünge. Welches Ihres Argument meinen Sie genau? Ich kann da nur die Aussage entdecken, die Verfassung sei “ein Dokument des Misstrauens gegenüber dem Staat”.
Mal davon abgesehen: Sozialisierung bedeutet ja gerade nicht Verstaatlichung, also die Überführung eines Gegenstandes in die unmittelbare Verfügungsbefugnis des Staates. Ihr Frage an den Autor, woher denn sein Vertrauen “in den Staat” komme, ist also nicht recht nachvollziehbar.
Sind denn die Unterschiede zwischen einer Überführung in die unmittelbare Verfügungsbefugnis des Staates und der Verstaatlichung wirklich so gross?
Das Argument dafür, dass die Verfassung ein Dokument des Misstrauens gegenüber dem Staat ist, war u.a. die Feststellung, dass Grundreche Abwehrreche gegenüber eben diesem sind. Dieses Argument haben Sie nicht entkräftet.
@Marx Glättli: Nein, das war nicht als Gegensatzpaar gedacht, sondern als abgrenzender Spezifikation von der Sozialisierung. Sozialisierung nach Art. 15 GG ist etwas kategorisch anderes als eine Enteignung nach Art. 14 Abs. 3 GG. Die Sozialisierung ist eben kein bloßer Transfer einer Eigentumsposition von private in staatliche Verfügungsgewalt – so die Enteignung -, sondern eine Umgestaltung der Eigentumsverfassung der Sozialisierungsobjekte. Das kann, muss aber nicht mit einer Expropriation einhergehen, sondern kann sich hinsichtlich konkreten Eigentumsverhältnisse auch in einer – entschädigungslos hinzunehmenden – Inhalts- und Schrankenbestimmung im Charakter von Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG erschöpfen. Entscheidender ist vielmehr der Modus der Bewirtschaftung nach dem Sozialisierungsakt (“…oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft…”).
@Edward: Ich glaube, da haben wir uns falsch verstanden. Natürlich ist die Verfassung auch ein Dokument des Misstrauens, wie Sie unter Verweis auf den Grundrechtsteil auch richtig sehen. Aber die Verfassung als solche ist eben nicht nur das, sondern auf Staatlichkeit überhaupt erst angewiesen, je nach Theorie sogar staatsbegründend.
Schon die Einleitung beginnt mit der tendenziösen Unterstellung, es ginge um “mehr Rekordgewinne für RWE und die Aktionärsdividende”. Schon hier ist der politische Ton für die weitere “Begutachtung” gesetzt.
“RWE würde die Kohle sofort für Null weggeben, obwohl da auch Gewinne dranhängen”, ist Hoymann überzeugt. Der Konzern wäre froh, wenn er dieses Kapitel endlich schließen könnte. Für RWE gebe es gute Gründe, sich eher früher als später von der Kohle zu trennen.
https://www.tagesschau.de/wirtschaft/unternehmen/rwe-kohle-luetzerath-aktie-esg-101.html
Aber die Geschichte der bösen RWE verkauft sich eben besser.
Der von ihnen zitierte Artikel eignet sich kaum, um ein mangelndes Interesse RWEs am Kohlestrom herbeizureden: “ RWE selbst rechnet für das Gesamtjahr 2022 mit einem positiven operativen Ergebnis der Sparte Kohle/Kernenergie von 650 bis 750 Millionen Euro.” Es lässt sich bezweifeln, dass hier kein Interesse an einer (temporären) Fortsetzung des Geschäfts liegt. Im Übrigen wird es heute kein Energiekonzern mehr geben, der nicht die Dringlichkeit des Klimawandels berücksichtigt. Dennoch hat man natürlich eine eigene, der wirtschaftlichen Rationalität entsprechende Konzeption, die sich meist nicht mit denen der ambitionierteren ökologisch-politischen Rationalität vereinbaren lässt.
Die Vergesellschaftung eines Unternehmens (Demokratisierung ist ja ein hübscher Begriff, der aber rein gar nichts mit der Sache zu tun hat) greift massiv in die Grundrechte der Betroffenen (des Unternehmens, der AN, der Aktionäre) ein. Solche Grundrechtseingriffe müssen gerechtfertigt und dafür insbesondere verhältnismäßig sein. Art. 15 GG mag kollidierendes Verfassungsrecht darstellen, entbehrt aber nicht von der Prüfung der VHM. Das gilt für diese, wie für alle anderen Normen des GG auch. Das BVerfG hat in unzähligen Entscheidungen herausgehoben, dass der VHMGrundsatz zentraler Maßtab für Eingriffshandeln ist. Dass hier ernsthaft das Gegenteil vertreten wird, lässt tief blicken.
> Demokratisierung ist ja ein hübscher Begriff, der aber rein gar nichts mit der Sache zu tun hat
Eine durch nichts belegte Behauptung, und das glatte Gegenteil ist wohl eher richtig. Sie können ja mal bei Ipsen im Band 10 der VVdSRL auf S. 106 nachlesen.
> greift massiv in die Grundrechte der Betroffenen (des Unternehmens, der AN, der Aktionäre)
Was soll denn diese Emotionalisierung argumentativ bewirken? Die Behauptung ist in ihrer Generalität auch einfach nicht haltbar, Stichwort nicht-expropriative Vergesellschaftung.
> Art. 15 GG mag kollidierendes Verfassungsrecht darstellen, entbehrt aber nicht von der Prüfung der VHM. Das gilt für diese, wie für alle anderen Normen des GG auch.
Beweis durch Behauptung. Dem Text und insbesondere auch der dort zitierten Sekundärliteratur können Sie leicht entnehmen, dass es eine ernstzunehmende Gegenmeinung gibt, die sogar mit Argumenten aufwarten kann.
> Das BVerfG hat in unzähligen Entscheidungen herausgehoben, dass der VHMGrundsatz zentraler Maßtab für Eingriffshandeln ist. Dass hier ernsthaft das Gegenteil vertreten wird, lässt tief blicken.
Das hat das BVerfG im Kontext von Art. 15 GG gerade eben noch nicht entschieden. Dass hier ernsthaft das pauschale Gegenteil vertreten wird, lässt tief blicken.