27 January 2023

Ein bisschen kleinlich

Zum jüngsten Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Sachen Parteienfinanzierung

Nachdem es um die Parteienfinanzierung bald dreißig Jahre schon fast verdächtig still geworden war, hat das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil vom Dienstag dieser Woche erneut ein Ausrufezeichen gesetzt. Das Gericht kippte den Aufschlag, den der Gesetzgeber den Parteien mit dem Gesetz zur Änderung des Parteiengesetzes und anderer Gesetze vom 10. Juli 2018 genehmigt hatte; dadurch war das Gesamtvolumen der staatlichen Zuwendungen nach § 18 II PartG von 165 auf 190 Millionen Euro erhöht worden. Das Ergebnis war von meisten Beobachtern und auch von den Parteien selbst, die sich schon vorsorglich auf mögliche Rückzahlungsansprüche eingestellt hatten, so vorhergesehen worden, aber die Begründung fiel am Ende doch anders aus als noch vor der mündlichen Verhandlung erwartet. Nur beim Echo war es im Wesentlichen wie immer: ganz überwiegend lebhafter Beifall, der „Selbstbedienung“ oder „Vollkaskomentalität“ der Parteien wieder einmal ein Riegel vorgeschoben, nur einmal gab es Kritik, das Gericht habe hier doch „arg schulmeisterlich“ geurteilt. Gerade dies könnte freilich die Entscheidung am besten charakterisieren.

1. Die „absolute Obergrenze“ als Wunder der Auslegungskunst

Die zentrale und letztlich einzige Frage des Verfahrens war, ob die vorgesehene Erhöhung des Gesamtvolumens der staatlichen Zuwendungen an die Parteien auf nunmehr 190 Mio. Euro gegen die „absolute Obergrenze“ der Parteienfinanzierung verstieß, die das BVerfG in seiner Grundsatzentscheidung aus dem Jahre 1992 selbst eingeführt hatte. Damals hatte es in Abkehr von seiner früheren Rechtsprechung und einem der seltenen Fälle, in denen eine solche Abkehr einmal explizit ausgewiesen wird, einerseits erklärt, der Staat sei von Verfassungs wegen nicht gehindert, die Parteien für ihre allgemeine Tätigkeit zu finanzieren. Andererseits hatte es den möglichen Umfang der Finanzierung in zweifacher Hinsicht begrenzt, nämlich sowohl im Verhältnis zu den Eigeneinnahmen der Parteien als auch in der Gesamtsumme. Die Einführung dieser Begrenzungen ist damit ein anschauliches Beispiel dafür, wie sich einfach die Menge des Verfassungsrechts im Laufe der Zeit vermehrt hat und noch immer weiter vermehrt: Aus dem aus sich heraus ziemlich nebulösen Satz „Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit“ sind nun immer neue und andere Verfassungsätze entwickelt und abgeleitet worden, auf einer mittleren Ebene zunächst das Postulat einer hinreichenden Verwurzelung der Parteien in der Gesellschaft sowie ein „Grundsatz der Staatsfreiheit“, aus dem zuvor auf der untersten Stufe der Konkretisierung noch gefolgert worden war, die Parteien dürften abgesehen von der Erstattung der Wahlkampfkosten überhaupt keine Gelder vom Staat erhalten. Heute wird diese unterste Stufe bestimmt durch die beiden Sätze aus der Grundsatzentscheidung von 1992, zunächst durch den Satz „Das Gesamtvolumen […] staatlicher Zuwendungen an eine Partei darf die Summe ihrer selbsterwirtschafteten Einnahmen (vgl. § 24 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 und 8 PartG) nicht überschreiten (‚relative Obergrenze‘)“ und sodann durch den weiteren Satz, der sich aus den Zuwendungen der Jahre 1989 bis 1992 als Mittelwert für ein Jahr ergebende Betrag bilde das „Gesamtvolumen staatlicher Mittel, die den Parteien von Bund und Ländern insgesamt zugewendet werden dürfen (‚absolute Obergrenze‘)“.

Gerade an diesem letzten Satz wurde damals einige Kritik geübt: Wie kommt man angesichts der textlich ganz offenen Ausgangslage eigentlich auf diesen – und genau diesen – Betrag? Gegen frühere Festsetzungen dieser Art hatte schon Ernst Forsthoff eingewandt, mit keinem Mittel induktiver oder deduktiver Logik könne ein ziffernmäßiger Wert als der allein richtige ausgewiesen werden; seine Bestimmung sei Sache der Erfahrung und der politischen Überlegung. Darin wird man ihm kaum widersprechen können. Aber es gibt Festsetzungen dieser Art, die sich im Nachhinein als klug und weise herausstellen, weil sie sich einfach praktisch bewährt haben, was vielleicht nicht von allen, die sie damals – der Verfasser dieser Zeilen eingeschlossen – kritisiert haben, gesehen worden ist: Es war nicht zuletzt die Festsetzung dieser Obergrenze, die zusammen mit einigen weiteren Konkretisierungen – etwa zum Ausschluss der Spenden juristischer Personen von jeder steuerlichen Begünstigung – dazu beigetragen hat, ein so notorisch skandalträchtiges Gebiet wie die Parteienfinanzierung für nun fast drei Jahrzehnte einigermaßen zu befrieden. Gerade im Ausland blickt deshalb mancher neidvoll auf die Problemlösungen, die man aus diesen Grundsätzen nach einer langen Geschichte von Irrungen und Wirrungen bei uns entwickelt und festgeschrieben hat. Mit Rechts-Interpretation im üblichen Sinne hat das – anders als es das Gericht nun in Rn. 116 nach außen darstellt (und auch darstellen muss, um seine eigene Legitimität nicht zu beschädigen) – zwar immer noch nichts zu tun, aber das heißt vielleicht nur, dass Rechts-Interpretation nicht der richtige Begriff ist, um das, was das Gericht tatsächlich tut, angemessen zu beschreiben.

2. Die sachliche Berechtigung der Erhöhung

So gesehen gab es in der Sache durchaus gute Gründe, an der absoluten Obergrenze festzuhalten und sie auch gegen ihre qualitative Relativierung zugunsten der relativen Obergrenze zu verteidigen, wie es die Bundesregierung im Verfahren versuchte (vgl. Rn. 148). Andererseits war gerade die absolute Obergrenze schon damals entwicklungsoffen konzipiert, weil niemand ernsthaft davon ausgehen konnte, dass die Verhältnisse zwischen 1989 und 1992, an denen ihre Bemessung orientiert war, auf ewig so bleiben würden, wie sie damals waren; ihre Festlegung war deshalb ausdrücklich unter den Vorbehalt gestellt, dass diese Verhältnisse „keine einschneidende Veränderung erfahren“. Die Frage war dann, ob eine solche Veränderung hier angenommen werden konnte und wodurch sie konkret bedingt wäre.

An dieser Stelle beginnt das Problem der Entscheidung, weil nämlich die beiden zentralen Gründe, aus denen die Erhöhung seinerzeit vorgenommen wurde, in der Sache vom BVerfG gar nicht beanstandet wurden: Sowohl die Erweiterung der Kommunikationsmöglichkeiten im Zuge der Digitalisierung als auch der verstärkte Einsatz innerparteilicher Partizipationsinstrumente stellten, führt der Senat aus, eine einschneidende Änderung der Verhältnisse dar, die eine Anhebung der absoluten Obergrenze rechtfertigten; für nicht tragfähig hielt er lediglich den – ersichtlich nur ergänzend gemeinten – Verweis auf erhöhte Transparenz- und Rechenschaftspflichten sowie den weiteren Hinweis in der Gesetzesbegründung, die zwischenzeitlich erfolgte Anhebung der maßgeblichen Bemessungsgrößen für die Finanzierung liefe bei fehlender Anhebung der absoluten Obergrenze ins Leere. Tatsächlich hatte auch die Anhörung der Sachverständigen sowie der Schatzmeister in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar ergeben, dass gerade die Digitalisierung nicht nur Einsparpotentiale biete, sondern – etwa in Gestalt des Aufbaus entsprechender Stäbe – gerade für die Parteien erhebliche Zusatzkosten verursache, was im Urteil weitgehend zustimmend referiert wird (Rn. 142 ff.). Dies reichte dem BVerfG aber nicht, weil im Gesetzgebungsverfahren seinerzeit nicht ausreichend dargelegt und entsprechend „dokumentiert“ worden sei, dass dies eine Anhebung auf den nun festgesetzten Betrag von 190 Mio. Euro erfordere. Aus diesem Grund verwarf der Senat auch die erst im Verfahren erfolgte Berufung auf gestiegene Plakatkosten sowie einen Rückgang des ehrenamtlichen Engagements; dies sei angesichts der Begründungspflicht des Gesetzgebers „ein unzulässiges Nachschieben von Gründen“ (Rn. 149). Auch hier könnten also mögliche Rechtfertigungen für eine Anhebung liegen, man hätte es nur vorher hinreichend belegen müssen.

Um zu diesem Ergebnis zu kommen, hätte es freilich keiner mündlichen Verhandlung bedurft, die über weite Strecken gerade der Aufklärung der Tatsachengrundlage gewidmet war. So aber kann man sich in etwa vorstellen, was demnächst passieren wird: Die Schatzmeister der Parteien weisen ihre Leute an, Berechnungen anzustellen und vorzulegen, die nun unter Berücksichtigung der Vorgaben des BVerfG ziemlich genau auf den Betrag – oder vielleicht aus Anstandsgründen etwas weniger – hinauslaufen, den man im nun aufgehobenen Gesetz gerade festgelegt hatte; möglicherweise werden dabei auch die gestiegenen Plakatierungskosten näher erklärt. Diese Berechnungen werden dann über die Fraktionen oder möglicherweise auch die Ministerialverwaltungen in das Gesetzgebungsverfahren eingeführt und fließen dort in die Begründung eines Gesetzentwurfs ein, der kurz darauf vom Bundestag mit einer mehr oder weniger großen Mehrheit als Gesetz beschlossen wird. Nur die Grünen und die FDP als Mitglieder der Regierungskoalition könnte das in argumentative Schwierigkeiten bringen, weil sie zusammen mit der Linkspartei das nun entschiedene Normenkontrollverfahren als – damals noch – Opposition selbst mit auf den Weg gebracht und seinerzeit vorgetragen hatten, es bestehe gar kein Anhebungsbedarf. Wenn sie diesen nun plötzlich doch sehen, trägt ihnen das leicht den Vorwurf ein, sie seien wieder einmal umgefallen und letztlich seien die Parteien doch alle gleich, wenn es ums Geld gehe. Möglicherweise unterbleibt die Anhebung dann aus Angst vor der öffentlichen Reaktion, obwohl ein Bedarf dafür erkennbar besteht und sie genau durch die sachlichen Gründe geboten wäre, die das BVerfG nun ausdrücklich als solche anerkannt hat. War es das alles wert?

3. Gesetzgebung im Modus der Verwaltung

Der Grund für die Nichtigerklärung der Neuregelung liegt insofern nicht in ihrem Inhalt, sondern in der Verletzung eines „Prozeduralisierungsgebots“, das das BVerfG nun auch für die Parteienfinanzierung – ebenso wie schon in anderen Bereichen – als einen weiteren Verfassungssatz aufstellt. Als Gegenbegriff zur Materialisierung verweist der Begriff ursprünglich auf eine sinnvolle Strategie, um die Dichte der inhaltlichen Vorgaben, mit denen das BVerfG die Verfassung im Laufe der Zeit angereichert hat, stückweise zu reduzieren und den Ball stattdessen in die Politik zurückzuspielen, die für die nähere Konkretisierung auch an erster Stelle zuständig wäre. In diesem Sinne ist Prozeduralisierung vom früheren Vizepräsidenten des Gerichts, Winfried Hassemer, vor Jahren einmal in die Debatte geworfen worden. Sie wird aber hier nicht zur Rückführung der materiellen Vorgaben, sondern mit ihnen zusammen und gerade als Mittel ihrer größtmöglichen Umsetzung und Realisierung eingesetzt; die Anforderungen an das, was als einschneidende Änderung der Verhältnisse gegenüber dem Maßstabszeitraum 1989 – 1992 angesehen werden kann, werden ja noch einmal durch drei weitere Unteranforderungen ausbuchstabiert (Rn. 121 ff.). Die primär geforderte Dokumentation hat in diesem Sinne vor allem den Zweck, dem BVerfG die Überprüfung zu erleichtern, ob die so noch einmal nachverdichteten Anforderungen auch eingehalten werden (Rn. 129). Die Explikation und das Verhandeln der Gründe in einer politischen Öffentlichkeit und gegenüber einem Publikum von Staatsbürgern, aber auch im Parlament selbst treten demgegenüber in ihrer Bedeutung zurück; wichtig ist vor allem die bestmögliche Sicherung der gerichtlichen Kontrolle.

Man kann dies speziell im Bereich der Parteienfinanzierung durch die Erwägung rechtfertigen, dass der politische Wettbewerb hier tendenziell ausfällt, weil die Parteien in dieser Frage üblicherweise keine gegenläufigen, sondern gleichgerichtete Interessen vertreten. Es führt aber für das Gesetzgebungsverfahren zu einer eigenartigen Schieflage, indem nun dessen politischer Kern in den Hintergrund tritt und stattdessen Elemente wichtiger werden, wie man sie eher aus dem Verwaltungsrecht kennt. In den Entscheidungsgründen zeigt sich das anschaulich in der Behandlung der Frage, ob das Verfahren hier nicht viel zu kurz und undurchsichtig war, um eine so heikle Materie wie diese angemessen zu regeln (Rn. 91 ff.). Das war in der Tat ein Punkt, unter dem man die Anhebung der Obergrenze seinerzeit berechtigterweise kritisieren konnte: Das Gesetz wurde im Hauruck durch das Parlament gepeitscht und segelte zudem im Windschatten der Fußball-Weltmeisterschaft, die einen Großteil der öffentlichen Aufmerksamkeit absorbierte. Dass dies durchaus „Fragen aufwirft“, sieht ausdrücklich auch das BVerfG (vgl. Rn. 97). Es lässt sie aber am Ende offen, weil es darauf für die Entscheidung letztendlich nicht ankommt, wenngleich das seitenlange Ausführungen dazu nicht verhindert. Am Ende zählt aber eben nur die Verletzung des Prozeduralisierungsgebots, das wesentlich als ein Darlegungs- und Dokumentationsgebot entfaltet wird.

Dieses unterscheidet sich zuletzt auch noch einmal von der bloßen Begründungspflicht, wie sie auch für Gesetze gelegentlich und mit Argumenten, die sich hören lassen, gefordert wird: Begründet hatte der Gesetzgeber seine Entscheidung hier ja, er hatte nur versäumt, die Gründe nun aber auch hieb- und stichfest und möglichst mit entsprechenden Zahlen zu unterlegen. Unterworfen wird er damit einem Anforderungsprofil, das lange Zeit der Kontrolle der Verwaltungsbehörden durch die Verwaltungsgerichte vorbehalten war. Das wird beiläufig an der Stelle erkennbar, wo das BVerfG, möglicherweise in einer Freudschen Fehlleistung, die erstmalige Einführung eines im Gesetzgebungsverfahren nicht zur Sprache gekommenen Gesichtspunkts als „unzulässiges Nachschieben von Gründen“ zurückweist. Das ist bekanntlich eine Figur aus dem Verwaltungsprozessrecht, das ein solches Nachschieben seit jeher argwöhnisch beobachtet (vgl. § 114 VwGO); erfasst sind mit ihr etwa Fälle, in denen eine Behörde das Abschleppen eines Pkw aus einem bestimmten Grund angeordnet hat, dann aber bemerkt, dass sie mit diesem vor Gericht wahrscheinlich nicht durchkommt, und deshalb rasch einen neuen Grund hinzukonstruiert. Das geht so natürlich nicht. Aber ist damit auch der Kern von Gesetzgebung angemessen begriffen?

Man kann das alles etwas kleinlich finden.


SUGGESTED CITATION  Volkmann, Uwe: Ein bisschen kleinlich: Zum jüngsten Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Sachen Parteienfinanzierung, VerfBlog, 2023/1/27, https://verfassungsblog.de/ein-bisschen-kleinlich/, DOI: 10.17176/20230130-202701-0.

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