Ein Hoffnungsschimmer, aber kein grünes Licht für Vergesellschaftung Berliner Wohnungsunternehmen
Die Expert:innenkommission zur Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit einer möglichen Vergesellschaftung bzw. Sozialisierung der in Berlin ansässigen Wohnungsunternehmen hat am 15. Dezember ihren ersten Zwischenbericht veröffentlicht. Schon eine Woche zuvor lag der Bericht mehreren Zeitungen vor und sorgte für entsprechende Schlagzeilen. Von Befürworter:innen wurde der Bericht bereits vor Veröffentlichung als „Zwischenerfolg“ gefeiert, die Kommission gebe „grünes Licht“ für Vergesellschaftungen. Der Bausenator, Andreas Geisel (SPD) kommentierte das Ergebnis hingegen damit, die Kommission habe festgestellt, dass die Vergesellschaftung „offensichtlich nicht gesetzes- oder verfassungskonform“ sei – ob es sich dabei um eine juristische Einschätzung handelte, blieb im Rahmen des Interviews allerdings unklar. Der Vorsitzende der FDP-Fraktion, Sebastian Czaja, zog hingegen schon das Gremium an sich als „Aktivistenkommission“ in Zweifel. Tatsächlich räumt der Zwischenbericht mit nur wenigen der bisher umstrittenen Fragen auf, sondern gibt im Wesentlichen bereits Bekanntes wieder, ohne sich deutlich für eine der beiden Richtungen zu entscheiden.
Hintergrund
Die Expert:innenkommission sorgte wie auch die politischen Vorgänge um die Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen!“ als Ganzes immer wieder für überregionale Aufmerksamkeit, um danach weitgehend aus dem Blick der Öffentlichkeit abseits von Berlin zu verschwinden. Die Initiative rekrutierte sich 2018 mit dem Ziel, auf direktdemokratischem Wege zu einer Vergesellschaftung sämtlicher Wohnungsunternehmen in Berlin mit mehr als 3000 Wohneinheiten zu gelangen. Dazu fand gemeinsam mit der Bundestagswahl und der Wahl des Berliner Abgeordnetenhauses im September 2021 ein Volksentscheid statt, der mit 57 % der Stimmen angenommen wurde. Von den schwerwiegenden Fehlern bei der Wahl war der Volksentscheid nicht oder nicht maßgeblich betroffen, sodass dieser trotz des jüngsten Urteils des Berliner Verfassungsgerichtshofes weiterhin Bestand hat. Als sog. Beschlussvolksentscheid i.S.d. Art. 62 I 2 VvB führte er allerdings nicht zum Erlass eines entsprechenden Gesetzes, sondern verpflichtete das Abgeordnetenhaus lediglich, sich damit inhaltlich auseinanderzusetzen. Infolgedessen setzte der Senat trotz tiefgreifender Skepsis der SPD eine Expert:innenkommission ein, die ein Gutachten über die Verfassungsmäßigkeit der Vergesellschaftung erstellen sollte. Nun veröffentlichte das hochkarätig besetzte Gremium seinen ersten Zwischenbericht. Das finale Gutachten soll im Frühsommer 2023 verabschiedet werden.
Wenig Neues, viele Unklarheiten
Nach etwa acht Monaten weitgehend nichtöffentlicher Arbeit, in der lediglich einige wenig aussagekräftige Protokolle veröffentlicht wurden, wurde der Zwischenbericht mit Spannung erwartet. Von der Möglichkeit, ein Mehrheits- und ein Minderheitsvotum zu verfassen, hat die Kommission bislang noch keinen Gebrauch gemacht. Vielmehr handelt es sich um einen Arbeitsbericht, der die Problemfelder systematisch gliedert und Meinungsverschiedenheiten dokumentiert, ohne Auskunft über die Stärke der jeweiligen Strömungen zu geben. Kern des Berichts bilden die Rechtsfragen zu Art. 15 GG, während Überlegungen zum europäischen oder internationalen Recht nur am Rande behandelt werden. Einigkeit ließ sich bis jetzt nur an wenig umstrittenen Punkten erzielen, weshalb die ersten überschwänglichen Presseberichte den Tenor des Berichts wohl verfehlten. Trotz der Vielzahl der juristischen Fragestellungen bestehen die für das Ergebnis relevantesten Meinungsverschiedenheiten wie erwartet bei der Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf Art. 15 GG sowie einer möglichen Sperrwirkung der Landesverfassung über Art. 142 GG.
10 Jurist:innen – 11 Meinungen: Die Anwendbarkeit der Verhältnismäßigkeit
Ihren Höhepunkt erreicht die Meinungspluralität innerhalb der Kommission in der Frage, ob und wie eine Vergesellschaftung am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu messen wäre; eine Frage, die bekanntlich die rechtswissenschaftliche Literatur spaltet, nun aber von der Kommission in interessanter Art und Weise ausdifferenziert wird. Das Meinungsspektrum reicht dabei von vollständiger Anwendbarkeit über diverse Formen der Modifizierung bis hin zu einer gänzlichen Ablehnung. Mit welcher Begründung die Anwendbarkeit ganz oder teilweise abgelehnt wird, bedarf einer Erklärung der grundlegend verschiedenen Ausgangspunkte zweier Schulen in Bezug auf Art. 15 GG, mit der auch der Zwischenbericht beginnt.
Art. 15 GG ermöglicht seinem Wortlaut nach, Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel in Gemeineigentum zu überführen, und erinnert damit an eine klassische Ermächtigungsgrundlage. Systematisch befindet er sich indes im Grundrechteteil des Grundgesetzes, unmittelbar folgend auf den Eigentumsschutz in Art. 14. Mit der klassischen Grundrechtsdogmatik sieht eine Ansicht darin eine Eingriffsmöglichkeit in das Eigentum, gewissermaßen einen „Art. 14 Abs. 4 GG“, der Inhalts- und Schrankenbestimmung sowie Enteignung um das Rechtsinstitut der Sozialisierung ergänzt. Die Sozialisierung wird also als staatlicher Eingriff in das in Art. 14 geschützte Recht auf Eigentum aufgefasst, der dann wie auf nahezu alle Grundrechtseingriffe verhältnismäßig sein müsste, also geeignet, erforderlich und angemessen, um seinen Zweck zu erfüllen. Im Unterschied zur Enteignung nach Art. 14 Abs. 3 konkretisiere Art. 15 GG lediglich den Zweck der Maßnahme, die möglichen Sozialisierungsgegenstände sowie das Ergebnis in Form der gemeinwirtschaftlichen Bewirtschaftung.
Die Gegenansicht setzt jenseits der hergebrachten Dogmatik individueller Freiheitsrechte an. Sie sieht in Art. 15 GG weniger eine Eingriffsermächtigung, sondern vielmehr eine „Offenhaltungsnorm“ bzw. ein kollektives Grundrecht auf Sozialisierung. Als spezieller Ausfluss des Sozialstaatsprinzips diene es der Durchsetzung der Interessen der Bevölkerung in Form einer Demokratisierung der Wirtschaft. Durch den insoweit grundsätzlich unterschiedlichen Regelungscharakter lasse sich der in Bezug auf Abwehrrechte entwickelte Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auf diese Norm nicht ohne Weiteres übertragen. Dafür spreche auch der Wortlaut des Art. 15 GG, der Sozialisierungen nur „zum Zwecke der Vergesellschaftung“ zulässt. Zweck der Sozialisierung könne damit nur die Sozialisierung selbst sein, da es gerade darum gehe, den Wirtschaftsbereich der privatwirtschaftlichen Nutzung zu entziehen.
Innerhalb dieser Sichtweise ergeben sich wiederum zwei Unteransichten: Teilweise wird eine Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vollständig abgelehnt, während Andere die Prüfung auf den Zweck der Vergesellschaftung begrenzen. Freilich wäre eine Sozialisierung stets geeignet und als einziges Mittel auch erforderlich und angemessen, den Zweck zu erfüllen. Die Verhältnismäßigkeit wäre lediglich zu verneinen, wenn die Maßnahme nicht dem Zweck der Vergesellschaftung dienen würde, d.h. wenn die zukünftige Bewirtschaftung nicht gemeinwirtschaftlichen Maßstäben genügt.
Nach der an der klassischen Grundrechtsdogmatik orientierten Ansicht beschränke sich die Verhältnismäßigkeitsprüfung zwar nicht auf den Zweck der Vergesellschaftung, sei aber dennoch zu modifizieren. Teilweise wird auf die Merkmale der Geeignetheit und Erforderlichkeit verzichtet, während umgekehrt nach einer anderen Ansicht die Prüfung der Angemessenheit entfallen soll. Der Bericht hebt ausdrücklich hervor, dass kein Mitglied eine Anwendbarkeit ohne jegliche Modifikation vertrete. Mit welcher Begründung allerdings auf einzelne Merkmale verzichtet werden soll, geht aus dem Dokument nicht hervor und findet auch in der bisherigen Literatur keinen Anknüpfungspunkt.
Hierbei wird es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um eine Kernfrage handeln, die den Tenor des finalen Gutachtens maßgeblich beeinflussen wird. Daher ist besonders interessant, dass eine uneingeschränkte Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bereits jetzt ausgeschlossen wird. Darüber hinaus zeigt sich aber auch, wie weit das Meinungsspektrum in der Kommission auseinandergeht. Dass sich die beiden Schulen hier auf eine einheitliche Ansicht einigen können, bleibt unwahrscheinlich – zu unterschiedlich sind die Grundannahmen. Wenn allerdings auch die klassisch liberale Schule von der Notwendigkeit von Modifikationen ausgeht, erscheint zumindest im Ergebnis eine Einigung erreichbar.
Die Lösung abseits des Grundgesetzes?
Das zweite potenzielle Verfassungshindernis für eine Vergesellschaftung befindet sich außerhalb des Grundgesetzes, nämlich in der Berliner Landesverfassung, die selbst keine Sozialisierungsvorschrift kennt.
In der medialen Berichterstattung stand die Bestätigung einer Gesetzgebungskompetenz des Landes aus Art. 74 I Nr. 15 GG im Mittelpunkt. Das eigentlich entscheidende föderale Problem liegt allerdings anders als bei dem Berliner Mietendeckel nicht bei der Gesetzgebungskompetenz. Schon in seinem für ein evangelisches Wohnungsunternehmen erstellten Gutachten hat Christian Waldhoff aus dem Fehlen eines Artikels zur Sozialisierung in der Berliner Landesverfassung eine Sperre für die Landesgesetzgebung geschlussfolgert, welche er nun auch als Kommissionsmitglied vertritt. Damit habe der Berliner Verfassungsgeber 1995 einen engeren Eigentumsschutz als im Grundgesetz bezwecken wollen, was gem. Art. 142 GG eine Ausnahme vom Vorrang des Bundesrechts darstelle, sodass eine Sozialisierung durch den Landesgesetzgeber (landes-)verfassungswidrig wäre.
Die Gegenansicht lehnt einen Vorrang der Landesverfassung mit unterschiedlicher Begründung ab. Teilweise wird vertreten, dass Art. 142 GG zwar Grundrechte mit weiteren Schutzbereichen in Landesverfassungen ermögliche, aber keine Modifizierung von Eingriffen in die Grundrechte des Grundgesetzes zulasse. Die Landesverfassung könne demnach den Eingriff der Sozialisierung gerade nicht ausschließen. Eine andere Begründungslinie will strengere Eingriffsbestimmungen nur dann als von Art. 142 GG erfasst ansehen, soweit das Grundgesetz nicht bereits selbst – wie bei Art. 15 GG – besondere Eingriffsmöglichkeiten definiere. Die bisherige Literatur, etwa vertreten durch das Gutachten Joachim Wielands, stützte sich stattdessen auf das Argument, dass der Eigentumsschutz in Art. 23 VvB mit dem des Grundgesetzes identisch sei, die Möglichkeit der Sozialisierung darüber hinaus als selbstverständlich angenommen worden sei. Ferner ermögliche Art. 15 GG die Möglichkeit struktureller Änderungen des Grundgesetzes, sodass es sich nicht bloß um das Weglassen einer Eingriffsmöglichkeit handle. Für diese Ansicht ist Art. 142 GG also schon deshalb nicht einschlägig, weil es sich bei Art. 15 GG nicht primär um einen Eingriff in Art. 14 GG, sondern um ein eigenständiges Grundrecht auf Sozialisierung handle. Indem die Landesverfassung keine entsprechende Vorschrift enthalte, gewährleiste sie gerade weniger Grundrechte als das Grundgesetz.
Hier scheint sich die Argumentationslinie in Richtung der liberalen Auffassung verändert zu haben. Im Gegensatz zu den früheren Begründungsansätzen wird nicht mehr auf die hoch umstrittene Grundsatzfrage des Regelungscharakters zurückgegriffen, sondern unmittelbar mit Art. 142 GG argumentiert. Insoweit besteht an dieser Stelle zumindest die Möglichkeit, zu einer einheitlichen Lösung zu gelangen, ohne dass eine Seite ihre Grundauffassung aufgeben muss.
Einigkeit und tatsächliche Fragestellungen
Trotz der zentralen Unterschiede in Einzelfragen und Grundauffassungen kam die Kommission in mehreren Fragen bereits zu einheitlichen Antworten. So gehen alle Mitglieder von der Gesetzgebungskompetenz des Landes aus, sehen die Grundstücke als von Art. 15 GG (Grund und Boden) erfasst an, gehen davon aus, dass eine Anstalt des öffentlichen Rechts eine geeignete Trägerin wäre. Einigkeit besteht außerdem dahingehend, dass Art. 12 I GG keine engeren Maßstäbe begründet als Art. 14 I GG und Art. 15 GG, dass die Entschädigung auch unterhalb dem Verkehrswert liegen kann und schließlich, dass ein Eingriff in die unionsrechtliche Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit ebenso wie Art. 1 I ZP EMRK weniger strenge Maßstäbe begründe als das Grundgesetz. Auch lehnt die gesamte Kommission eine Sperrwirkung gegenüber dem Begriff der Produktionsmittel ab. Zuvor wurde vertreten, dass Produktionsmittel gegenüber dem Begriff der wirtschaftlichen Unternehmen wie in Art. 156 WRV gerade den Dienstleistungssektor ausschließen solle, woraus eine Sperrwirkung gegenüber von Dienstleistungsunternehmen wirtschaftlich genutztem Grund und Boden folge.
Das Ergebnis des Gutachtens wird aber nicht ausschließlich von den verfassungsrechtlichen Fragen abhängen, sondern vor allem von der Einschätzung der wohnungswirtschaftlichen Lage in Berlin und von den Erfolgsaussichten einer Sozialisierung. Hier wird auch die Höhe und Berechnungsgrundlage der Entschädigung gem. Art. 15 S. 2 i.V.m. Art. 14 Abs. 3 S. 3 GG zu komplexen Praxisfragen führen. Des Weiteren wird die Verfassungsmäßigkeit von der Begründung abhängen, weshalb in der Festlegung des Grenzwertes von 3000 Wohneinheiten keine willkürliche Ungleichbehandlung besteht. Auch zur Höhe der Entschädigung sowie zur Festlegung der Rechtfertigungsmäßstäbe in Bezug auf Art. 3 Abs. 1 GG werden in der Kommission unterschiedliche Ansichten vertreten, jedoch dürfte das Ergebnis in beiden Punkten stärker von den präsentierten Zahlen und Fakten abhängen als von den rechtlichen Meinungsverschiedenheiten.
Insgesamt bedeutet der Zwischenbericht für keine der beiden Seiten den Erfolg, als der er politisch stilisiert wird. Der Bericht wiederholt weitgehend die bekannten Argumentationslinien und bietet Neuerungen nur in der im Detail veränderten Argumentation. Während sich so in Bezug auf die Sperrwirkung der Landesverfassung sogar die Möglichkeit einer Einigung ergibt, deutet sich bei der Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zumindest ein im Ergebnis größerer Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers an. Beide Entwicklungen können also dennoch als kleiner Zwischenerfolg für die Befürworter:innen verbucht werden. Von „grünem Licht“ kann allerdings noch keine Rede sein.