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Wie die Omnibus-Vereinfachungen die Durchsetzung der Europäischen Lieferkettenrichtlinie gefährden
Am 26. Februar 2025 hat die Europäische Kommission das erste Omnibus-Paket zur Vereinfachung von EU-Vorschriften im Nachhaltigkeitsbereich veröffentlicht. Die in dem Paket enthaltenen Vorschläge sind Teil eines umfassenden Vereinfachungspakets der Kommission, das darauf abzielt, Bürokratie innerhalb der EU abzubauen und die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen zu stärken. Nach Schätzungen der Kommission würden die Omnibus-Vereinfachungen jährliche Verwaltungskosten einsparen, Komplexität reduzieren und kleine und mittlere Unternehmen entlasten. Dieser Beitrag zeigt, dass die geplanten Änderungen allerdings zugleich weitreichende Konsequenzen für die Durchsetzung der Europäischen Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) hätten. Vor allem mit der Streichung der zivilrechtlichen Haftungsnorm in Art. 29 CSDDD würde die Richtlinie einen großen Teil ihrer Durchsetzungskraft verlieren.
Hintergrund
Die Europäische Lieferkettenrichtlinie trat am 25. Juli 2024 in Kraft. Sie verpflichtet die von ihr erfassten Unternehmen, menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten entlang ihrer „Aktivitätskette“ einzuhalten. In den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen gem. Art. 2 Abs. 1 lit. a CSDDD Unternehmen, die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates gegründet wurden und die in zwei aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren bestimmte Schwellenwerte in Bezug auf Beschäftigtenzahl (mehr als 1.000 Beschäftigte) und weltweiten Nettojahresumsatz (mehr als 450 Millionen Euro) überschreiten. Drittstaatsunternehmen, die einen bestimmten Nettojahresumsatz in der EU erzielen, oberste Muttergesellschaften einer Unternehmensgruppe, Franchise- und Lizenzgeber fallen unter bestimmten Voraussetzungen ebenfalls unter den Anwendungsbereich der CSDDD (siehe Art. 2 Abs. 1 lit. b und c, Abs. 2 lit. a, b und c CSDDD).
Die wirksame Durchsetzung der Sorgfaltspflichten bezeichnet die Europäische Kommission im CSDDD-Gesetzesentwurf als „von entscheidender Bedeutung für die Verwirklichung der Ziele der Initiative“ (S. 21). Hierfür sieht der Entwurf eine Kombination aus behördlicher und privater Rechtsdurchsetzung (Zwei-Säulen Modell) vor, die sich auch in der endgültigen Fassung der CSDDD befindet: Zum einen müssen die Mitgliedstaaten gem. Art. 24 Abs. 1 CSDDD Aufsichtsbehörden benennen, die die Einhaltung der Verpflichtungen überwachen sollen und die gem. Art. 25 bis 27 CSDDD mit bestimmten Ermittlungs- und Sanktionsbefugnissen auszustatten sind (Public Enforcement). Zum anderen enthält die CSDDD in Art. 29 CSDDD eine zivilrechtliche Haftungsregel, die die Mitgliedstaaten verpflichtet, eine Schadensersatzhaftung für Verletzungen der zentralen Sorgfaltspflichten (Prävention und Abhilfe, Art. 10 und 11 CSDDD) vorzusehen (Private Enforcement).
Dieses Modell droht jetzt zu kippen. Die Europäische Kommission hat für das Jahr 2025 drei „Omnibus-Vereinfachungs-Pakete“ angekündigt. Hintergrund der Vereinfachungen ist der Ende 2024 erschienene Draghi-Bericht zur Zukunft der Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union. Dem Bericht zufolge stellen die EU-Vorschriften zur Nachhaltigkeitsberichterstattung und die Europäische Lieferkettenrichtlinie eine große regulatorische Belastung für die europäischen Unternehmen dar. Die Vorschriften seien sehr komplex, ihr Verhältnis zueinander unklar und die Zeitpläne für die unterschiedlichen, aber miteinander verbundenen Berichterstattungsanforderungen nicht harmonisiert (siehe Bericht, Teil B, S. 318 f.). Gerade die nachhaltigkeitsbezogenen Berichtspflichten brächten erhebliche Kosten mit sich. All dies beeinträchtige die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen (siehe Bericht, Teil B, S. 317 ff.).
Das nun veröffentlichte erste Omnibus-Paket besteht aus mehreren Gesetzesvorschlägen, die sich zum einen auf Vereinfachungen der EU-Nachhaltigkeitsvorschriften (Omnibus I), zum anderen auf die Erschließung von Investitionsmöglichkeiten (Omnibus II) beziehen. Die Omnibus I-Vorschläge betreffen die EU-Vorschriften zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD und EU-Taxonomie-VO), zum CO2-Grenzausgleichssystem (Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM) sowie zu den Sorgfaltspflichten im Nachhaltigkeitsbereich (Europäische Lieferkettenrichtlinie, CSDDD). Die geplanten Änderungen der Europäischen Lieferkettenrichtlinie (siehe die Kommissionsvorschläge hier und hier) betreffen unter anderem auch die zivilrechtliche Haftungsvorschrift des Art. 29 CSDDD.
Die geplanten Änderungen für Art. 29 CSDDD
Artikel 29 Abs. 1 CSDDD verpflichtet die Mitgliedstaaten bisher, eine einheitliche zivilrechtliche Haftung für Sorgfaltspflichtverstöße einzuführen. Ein Schadensersatzanspruch setzt nach Art. 29 Abs. 1 CSDDD voraus, dass (i) das Unternehmen vorsätzlich oder fahrlässig gegen die Pflichten zur Prävention oder Beendigung negativer menschenrechtlicher oder umweltbezogener Auswirkungen (Art. 10 und 11 CSDDD) verstoßen hat, (ii) die anspruchsstellende Person vom Schutzzweck des betroffenen Rechts oder Verbots erfasst ist und (iii) durch den Verstoß ein Schaden für ein nach nationalem Recht geschütztes Interesse der betroffenen Person entstanden ist. Außerdem darf die Haftung nicht gem. Art. 29 Abs. 1 S. 2 CSDDD ausgeschlossen, der Schaden also nicht nur von einem Geschäftspartner des Unternehmens verursacht worden sein.
Der Omnibus-Vorschlag der Kommission will diesen zentralen zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch nun abschaffen. Werden Unternehmen dennoch nach nationalem Recht für einen Schaden haftbar gemacht, der einer Person durch die Nichteinhaltung der in der CSDDD vorgesehenen Sorgfaltspflichten entstanden ist, legt der Änderungsvorschlag fest, dass die Mitgliedstaaten das Recht dieser Personen auf vollen Schadenersatz gewährleisten, gleichzeitig die Unternehmen aber vor einer Überkompensierung schützen müssen. Anders als bisher müssen die Mitgliedstaaten den Haftungsanspruch aber nicht mehr kollisionsrechtlich als Eingriffsnormen ausgestalten, damit dieser auch in Fällen mit Drittstaatsbezug anwendbar ist (bisher Art. 29 Abs. 7 CSDDD). Zudem sollen die Mitgliedstaaten nicht mehr verpflichtet sein, Vorschriften vorzusehen, wonach die mutmaßlich Geschädigten eine Gewerkschaft, eine nichtstaatliche Menschenrechts- oder Umweltorganisation oder eine sonstige Nichtregierungsorganisation mit Sitz in einem Mitgliedstaat ermächtigen können, Klagen zur Durchsetzung ihrer Rechte zu erheben (bisher Art. 29 Abs. 3 lit. d CSDDD).
Die Kommission begründet die Streichung des Art. 29 Abs. 1 CSDDD in dem Begleitdokument zum Omnibus-Gesetzesvorschlag damit, Haftungsrisiken für die Unternehmen begrenzen zu wollen. Statt einer einheitlichen zivilrechtlichen Haftungsvorschrift soll sich die Frage der Haftung bei Verstößen gegen die CSDDD nun nach dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten richten. Da die Unternehmen mit diesen Regelungen bereits vertraut seien, führe dies zu mehr Rechtssicherheit (Omnibus-Kommissionsvorschlag, S.8).
Bedeutung für die Durchsetzung der CSDDD
Eine Streichung der zivilrechtlichen Haftungsvorschrift hätte aber zur Folge, dass das Zwei-Säulen-Modell, auf dem die Durchsetzung der Europäischen Lieferkettenrichtlinie beruht, an Schlagkraft verliert. Dabei ist gerade das Zwei-Säulen-Modell für die effektive Durchsetzung der CSDDD essenziell.
Das Nebeneinander von Public und Private Enforcement bringt den Vorteil mit sich, dass sich die Durchsetzungsmechanismen im Sinne „wechselseitiger Auffangordnungen” gegenseitig ergänzen.1) Defizite der behördlichen Durchsetzung können jedenfalls zum Teil durch die zusätzliche zivilrechtliche Haftung ausgeglichen werden. Beispielsweise werden die Aufsichtsbehörden personell und finanziell nicht in der Lage sein, sämtliche Verstöße gegen die Sorgfaltspflichten zu erfassen und zu verfolgen.2) Tritt das Private Enforcement als weiteres Durchsetzungsinstrument hinzu – wie bei der CSDDD – können die Aufsichtsbehörden entlastet und Verwaltungskosten gespart werden. Das Private Enforcement erfordert weniger personelle Kapazitäten, da es selbstdurchsetzend ist. Zwar entstehen auch hier Kosten durch die Einbindung der Zivilgerichte. Diese können jedoch im Falle des Public Enforcement ebenfalls anfallen, wenn gegen Maßnahmen der Aufsichtsbehörden der Verwaltungsrechtsweg beschritten wird.3)
Darüber hinaus sind die Ermittlungsbefugnisse der Aufsichtsbehörden territorial auf das Inland beschränkt.4) Im Bereich unternehmerischer Lieferkettenverantwortung, wo ein großer Teil der Sorgfaltspflichtverstöße außerhalb Europas eintritt, kann diese territoriale Begrenztheit die behördliche Durchsetzung der Sorgfaltspflichten hindern.5) Die mutmaßlich Geschädigten sowie Menschenrechts- und Umweltorganisationen sind dagegen in ihren Ermittlungen nicht an territoriale Grenzen gebunden und haben gleichzeitig einen starken Anreiz, Ersatz für erlittene Schäden zu erstreiten. Mit der zivilrechtlichen Klage aus Art. 29 CSDDD lassen sich ihre Motivation und Erkenntnisse für die Durchsetzung der Lieferkettenverantwortung nutzen.6)
All das zeigt, wie wichtig die Kombination von Public und Private Enforcement für die effektive Durchsetzung der CSDDD ist. Die Europäische Kommission hat sich deshalb im CSDDD-Gesetzesvorschlag zu einer zivilrechtlichen Haftungsregelung entschieden, die neben das Public Enforcement der Art. 24 bis Art. 27 CSDDD treten soll. Dabei spielten auch die Ergebnisse eines Berichts über die Umsetzung der Europäischen Holzhandelsverordnung eine große Rolle: Die Europäische Holzhandelsverordnung (European Timber Regulation, EUTR) setzt zur Durchsetzung der in ihr enthaltenen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung illegaler Holzgewinnung auf ein reines Public Enforcement (siehe Art. 7, 10, 19 EUTR). Der von der Kommission in den Begleitdokumenten zum CSDDD-Gesetzesvorschlag zitierte Bericht zur Umsetzung der EUTR wies darauf hin, dass die Durchsetzung der EUTR durch die mitgliedstaatlichen Behörden aus verschiedenen Gründen (z.B. zu wenige Untersuchungen, zu wenig Personal in den Behörden) nicht ausreichend war, um die Unternehmen zur Entwicklung eines stringenten Due-Diligence-Systems zu motivieren (siehe Bericht über die Umsetzung der EUTR, S. 22, 34).
Diesem Bericht stellte die Kommission die französische loi de vigilance gegenüber, deren Durchsetzung auf einer zivilrechtlichen Haftung beruht und den ersten Berichten zufolge eine Einhaltung der Sorgfaltspflichten wirksam gefördert hatte (siehe CSDDD Impact Assessment Report, Teil 2/2, S. 186). Die Kommission kam deshalb zu dem Ergebnis, dass eine zivilrechtliche Haftung notwendig sei, um zusätzlich zum Public Enforcement der Art. 24 bis Art. 27 CSDDD die Durchsetzung der CSDDD angemessen zu regeln (CSDDD Impact Assessment Report, Teil 2/2, S. 186).
Mit dem Omnibus-Vorschlag setzt sich die Kommission nun in Widerspruch zu diesen Erwägungen. Wenn die Mitgliedstaaten nicht mehr verpflichtet sind, eine einheitliche zivilrechtliche Haftung für Verstöße gegen die CSDDD einzuführen, hängt die Durchsetzung der CSDDD mittels Private Enforcement stark von der Ausgestaltung der mitgliedstaatlichen Haftungsregime ab. Die CSDDD ließe sich dann nur noch im Wege des Public Enforcement einheitlich durchsetzen. Ohne eine einheitliche zivilrechtliche Haftung als zweite Durchsetzungssäule aber stünde die effektive Durchsetzung der CSDDD auf dem Spiel.
Wie es weitergeht
Bisher handelt es sich bei dem Omnibus-Paket nur um einen Gesetzesvorschlag, dem sowohl das Europäische Parlament als auch der Rat noch zustimmen müssen. Die Kommission hat zwar beide in einer Mitteilung dazu aufgerufen, den Vorschlag möglichst schnell zu behandeln, ohne andere Teile des Gesetzes neu zu öffnen. Dies kann jedoch lange dauern, gerade weil für die Annahme der Omnibus-Regelung im Rat eine qualifizierte Mehrheit erforderlich ist. Während Deutschland und Frankreich die Omnibus-Vereinfachungen begrüßen, haben sich beispielsweise Spanien und Italien gegenüber Teilen der Vereinfachungen kritisch geäußert.
Die Kritik ist nachvollziehbar. Denn noch haben viele Mitgliedstaaten nicht einmal die CSDDD umgesetzt und es gibt keine praktische Erfahrung mit ihrer Anwendung. Der Omnibus-Vorschlag stellt jetzt den zweijährigen Aushandlungsprozess der CSDDD in Frage. Von Menschenrechts- und Umweltorganisationen kommt zudem die Kritik, dass sich die Sorgfaltspflichten der CSDDD nach dem Omnibus-Vorschlag zu einem großen Teil nur noch auf direkte Geschäftspartner beziehen sollen, Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden jedoch fast immer zu Beginn der Lieferkette, also gerade nicht in den direkten Zuliefererbeziehungen auftreten (siehe die gemeinsame Presseerklärung verschiedener französischer Nichtregierungsorganisationen hier).
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass das wesentliche Ziel der Omnibus-Vorschläge die Reduzierung von Berichtspflichten ist. So hat der Europäische Rat, basierend auf den Beobachtungen des Draghi-Berichts, eine „Vereinfachungsrevolution“ angekündigt und die Kommission dazu aufgefordert, konkrete Vorschläge zur Verringerung der Berichtspflichten um mindestens 25 % zu machen. Die CSDDD enthält aber keine zusätzlichen Berichtspflichten. Die Fraktion der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament (S&D) hat deshalb erklärt, jede Einbeziehung der CSDDD in die Omnibus-Vorschläge abzulehnen.
Und schließlich steht bei den Omnibus-Änderungen weit mehr auf dem Spiel: Werden jetzt grundlegende EU-Vorschriften im Nachhaltigkeitsbereich – wie die CSDDD – derart weitreichend geändert, könnte das einen Präzedenzfall schaffen und den Weg für die Revision weiterer EU-Nachhaltigkeitsvorschriften ebnen. Ein Brief von über 150 Expert*innen aus dem Bereich Wirtschaft und Menschenrechte warnt bereits davor, dass ein solches Vorgehen auch die Ziele des Europäischen Green Deals erheblich gefährden könnte.
References
↑1 | Zur Idee der „wechselseitigen Auffangordnungen“ siehe Schmidt-Aßmann, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.): Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, S. 7 ff. |
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↑2 | Poelzig, KlimaRZ 2023, 244, 246; Hübner, KlimaRZ 2023, 238, 241. |
↑3 | Wagner, ZEuP 2023, 517, 523. |
↑4 | Poelzig, KlimaRZ 2023, 244, 246. |
↑5 | Hübner, KlimaRZ 2023, 238, 241 |
↑6 | Hübner, KlimaRZ 2023, 238, 242; Wagner, ZEuP 2023, 517, 523. |