Der Preis der Deeskalation
Die EU-Verfassungsordnung und der US-Zollkompromiss
Mitten in einer transatlantischen Zollschlacht hat die Europäische Union einem US-Handelsdiktat zugestimmt, das einen drohenden Handelskrieg abwendet – und zugleich fundamentale verfassungsrechtliche Fragen aufwirft. Was als Rettungsschirm für Europas Wirtschaft verkauft wird, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Stresstest für die EU-Verfassungsordnung. Hat Brüssel aus Notwendigkeit seine Prinzipien preisgegeben? Oder beweist der Deal die bemerkenswerte Elastizität des EU-Verfassungsraums unter äußerem Zwang? Zwar schafft das Abkommen kurzfristig Stabilität, langfristig aber lotet es die Grenzen von Kompetenzen, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der EU aus – eine Gratwanderung zwischen Souveränität und Submission.
Handelspakt unter Druck
Der neue Handelspakt – „Cooperation Agreement on Reciprocal, Fair and Balanced Trade“ – wurde unter beispiellosem Druck geschnürt. Nur wenige Monate nach Amtsantritt verhängte US-Präsident Donald Trump abermals Strafzölle auf Stahl, Aluminium und Autos aus der EU. Die EU sah sich mit der Androhung eskalierender Tarife – bis zu 50 % auf alle Waren – konfrontiert. Um eine wirtschaftliche Katastrophe abzuwenden, lenkte Brüssel ein. Am 27. Juli 2025 einigten sich Trump und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Schottland auf einen Kompromiss: Die USA erheben fortan einen einheitlichen Importzoll von 15 % auf die meisten EU-Waren – halb so viel wie zunächst angedroht. Im Gegenzug streicht die EU praktisch alle Zölle auf US-Industriegüter und verpflichtet sich zu milliardenschweren Käufen und Investitionen in den Vereinigten Staaten. So wird die EU bis 2028 zusätzliche 600 Mrd. $ in Amerika investieren und 750 Mrd. $ an US-Energie importieren. Bestimmte strategische Güter – etwa Flugzeugteile, ausgewählte Chemikalien und kritische Rohstoffe – bleiben gegenseitig zollfrei, während auf europäischem Stahl und Aluminium weiterhin schmerzliche 50 % US-Zoll lasten. Für Wein, Spirituosen, Pharmazeutika und Halbleiter sind indes Sonderkonditionen noch Verhandlungssache. Mit anderen Worten: Der sogenannte „Deal“ ist ein asymmetrischer Kuhhandel. Die EU liefert weitreichende Marktöffnungen und finanzielle Zusagen – die USA gewähren lediglich eine Deckelung ihres eigenen Zoll-Niveaus auf immer noch protektionistische 15 %.
Brüssel bemühte sich dennoch, den Pakt als Erfolg zu verkaufen. Von der Leyen sprach von einem guten Geschäft, das Stabilität und Vorhersehbarkeit in den transatlantischen Handel zurückbringe. Sie räumte jedoch ein, 15 % seien „nicht zu unterschätzen“, aber „das Beste, was wir erreichen konnten“. Bundeskanzler Friedrich Merz sekundierte, das Abkommen wahre die europäischen Kerninteressen und verhindere „eine unnötige Eskalation“ der Handelsbeziehungen. Tatsächlich hatte die EU indes ursprünglich auf höchstens 10 % Zölle gehofft.
Ungarns Premier Viktor Orbán ätzte, Trump habe Ursula von der Leyen „zum Frühstück verspeist“ – der Deal sei schlechter als derjenige, den das Vereinigte Königreich zuvor erzielt hatte (London handelte offenbar 10 % aus). Frankreichs Premierminister François Bayrou sagte, ein Bündnis freier Völker begebe sich „à la soumission“ (in Unterwerfung).
Die Polemik verdeutlicht: Der EU-US-Deal mag einen Handelskrieg abgewendet haben, doch er stellt die europäische Verhandlungsmacht und -willigkeit in Frage. Aus der Perspektive des EU-Verfassungsrechts drängt sich vor allem die Prüfung auf, wie dieser Pakt zustande kam und was er für die innere Rechtsordnung bedeutet.
EU-Kompetenzen und demokratische Kontrolle
Außenhandelsabkommen dieser Tragweite berühren das institutionelle Gefüge der EU. Formal fiel der Deal in den Anwendungsbereich der Gemeinsamen Handelspolitik (Art. 207 AEUV) – einem Gebiet, das seit Lissabon fast vollständig EU-exklusiv ist. Spätestens mit dem Gutachten 2/15 zum EU-Singapur-Abkommen hat der EuGH nämlich klargestellt, dass die Union Freihandelsabkommen grundsätzlich eigenständig abschließen darf, ohne alle 27 nationalen Parlamente befassen zu müssen. Die Luxemburger Richter gaben den EU-Institutionen ausdrücklich grünes Licht für EU-only-Abkommen, sofern problematische Kapitel – wie hier Investorenschutz oder Portfoliokapital – ausgeklammert werden.
Im vorliegenden transatlantischen Pakt hat Brüssel genau diese Option gezogen: Man vermied heikle Themen wie Investitionsschiedsgerichte oder umfassende regulatorische Angleichungen, um das Abkommen allein auf EU-Ebene ratifizieren zu können. Nationale Ratifizierungen, die ein gemischtes Abkommen erfordern würde, sind de jure nicht vorgesehen. Dies erspart langwierige parlamentarische Hürden in den Mitgliedstaaten – man denke an das Drama um CETA und das Walloner Veto seinerzeit. Der Preis ist allerdings ein demokratisches Legitimationsdefizit:
Zwar folgt der Abschluss formal dem Verfahren des Art. 218 AEUV: Der Rat (die Regierungen) autorisiert die Unterzeichnung und schließt das Abkommen, mit anschließender Zustimmung des Europäischen Parlaments. Doch in der Praxis blieb kaum Zeit für vertiefte parlamentarische Mitwirkung. Die Kommission verhandelte unter Zeitdruck hinter verschlossenen Türen. Als das Rahmenabkommen verkündet wurde, standen das Parlament und die Öffentlichkeit vor vollendeten Tatsachen – eine provisorische Anwendung liegt nahe, um die Frist bis zur Zollsenkung am 1. August zu wahren. Das Europäische Parlament sieht sich damit faktisch vor die Wahl gestellt, den ausgehandelten Pakt abzusegnen oder die transatlantische Krise wieder aufflammen zu lassen. Diese Zwickmühle wirft Fragen nach der demokratischen Kontrolle der EU-Außenpolitik auf. Kann von echter parlamentarischer Zustimmung die Rede sein, wenn diese unter der Drohkulisse eines Handelskriegs erfolgt?
Hier zeigt sich, was sich „erweiterte Exekutivführung“ nennen lässt: In einer Notlage bündeln Kommission und Europäischer Rat (die Staats- und Regierungschefs) de facto enorme Macht, während die Legislative nur nachträglich nicken darf. Das EU-Verfassungsrecht kennt zwar Eilkompetenzen im Inneren (etwa Art. 352 AEUV), aber im Außenhandel offenbart sich hier eine Lücke: Die rasche Reaktionsfähigkeit geht zulasten der demokratischen Deliberation.
Aus EU-verfassungsrechtlicher Sicht bleibt festzuhalten: Der Transatlantik-Pakt schöpft die nach Lissabon erweiterten EU-Kompetenzen maximal aus. Das beschleunigt die Entscheidungsfindung, stellt aber die Frage, ob die demokratische Rückkopplung Schritt halten kann. Eine Lehre aus Gutachten 2/15 ist, dass das Primärrecht zwar große Freiheiten für EU-only-Abkommen gibt, die politische Akzeptanz solcher Alleingänge aber keineswegs garantiert ist – was die aktuelle Debatte illustriert.
Prinzipien auf dem Prüfstand
Nebst institutionellen Fragen berührt das Abkommen zentrale Werte der EU. Denn die Union verpflichtet sich durch Art. 2 EUV und Art. 21 EUV ausdrücklich zu Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechten, nachhaltiger Entwicklung und Multilateralismus – dies bestätigt die Rechtsprechung, etwa in Commission v. Hungary, wo der EuGH Art. 2 EUV als unmittelbar rechtlich bindend beurteilte und Verstöße unmittelbar sanktionierte. Doch der vorliegende Deal erweckt den Eindruck eines erzwungenen Kuhhandels, der eher Machtpolitik als Rechtsstaatlichkeit verkörpert. Ist die EU ihren eigenen Maximen treu geblieben?
Kritiker wie François Bayrou meinen: nein. In der Tat stellt sich die normative Frage, ob ein unter wirtschaftlichem Zwang abgeschlossenes Abkommen den hohen Ansprüchen der EU an eine wertebasierte Außenpolitik genügt. Der Deal enthält – soweit bekannt – keine substanziellen Kapitel zu Nachhaltigkeit oder Menschenrechten, wie sie heute in EU-Abkommen üblich sind.
Ein Verweis auf das Pariser Klimaschutzabkommen oder soziale Standards wurde öffentlich nicht thematisiert. Stattdessen verpflichtet sich die EU, gigantische Mengen fossiler Brennstoffe aus den USA zu kaufen – eine Konzession, die quer zur ambitionierten EU-Klimapolitik steht. Europas Green Deal und das verbindliche CO2-Neutralitätsziel bis 2050 werden herausgefordert, wenn nun langfristige Gas- und Ölimporte festgeschrieben werden.
Freilich verfolgt die EU damit auch ein strategisches Ziel: die Diversifizierung weg von russischen Energielieferungen. Dennoch bleibt die normative Spannung: Inwieweit darf die EU ihre Klimaziele und Umweltstandards flexibilisieren, um ökonomischen Schaden abzuwenden? Ein transatlantischer Deal, der womöglich zu höheren Emissionen führt, müsste zumindest nunmehr intern durch zusätzliche Klimaschutzanstrengungen ausgeglichen werden, um mit dem European Climate Law im Einklang zu stehen.
Weiterhin berührt das Abkommen das Rechtsstaatsprinzip, insofern die EU zugesagt hat, bestimmte nicht-tarifäre Handelshemmnisse abzubauen. Denn darunter dürften regulatorische Anforderungen fallen – etwa Sicherheitsstandards, technische Zulassungen oder Kontingente. Hier droht ein Konflikt mit dem bewährten EU-Prinzip, nur solche Erleichterungen zu gewähren, die mit dem Schutzniveau der europäischen Gesetzgebung vereinbar sind. Jede Anpassung von Standards (etwa im Lebensmittelbereich, siehe früherer TTIP-Streit um Chlorhühnchen) wird sorgfältig rechtlich zu prüfen sein. Die EU darf im Eifer des Gefechts eigentlich nicht ihre Vorsorgeprinzipien und Verbraucherschutznormen aushöhlen.
In der Schlussphase der Verhandlungen wird es daher heikel: Brüssel muss Verbesserungen für die USA bieten, ohne das eigene Rechtssystem zu untergraben. Gelingt dies nicht, drohen EuGH-Klagen oder gar ein Scheitern im Europäischen Parlament. Bereits jetzt mehren sich warnende Stimmen, das Abkommen sei unausgewogen und dauerhaft nicht tragfähig. Das Spannungsverhältnis zwischen kurzfristiger Stabilisierung und langfristiger Wertewahrung könnte zum Bumerang werden: Sollte etwa eine Seite ihre Zusagen missachten, steht sogar der Rechtsbruch im Raum.
Denn Trump ließ sich vertraglich die Möglichkeit offenhalten, die Zölle wieder zu erhöhen, falls die EU-Investitionen hinter den Versprechen zurückbleiben. Eine solche Sanktionsklausel ist ungewöhnlich und aus EU-Sicht problematisch, denn sie ist de facto ein einseitiges Druckmittel der USA. Aus völkerrechtlicher Sicht mag dies als auflösende Bedingung eines Vertrags zwar zulässig sein; im Lichte des EU-Rechts (und seines Gleichberechtigungsanspruchs in Verträgen) wirkt es allerdings demütigend. Hier zeigt sich ein normativer Zielkonflikt:
Der rule-of-law-Ansatz der EU – Verträge auf Augenhöhe, eingehalten aus beiderseitiger Treuepflicht – prallt auf eine Machtlogik, die Compliance mit Strafandrohung erzwingt. Die EU hat diesem Ansatz zugestimmt, um Schlimmeres zu verhindern. Verfassungsrechtlich bleibt ein mulmiges Gefühl zurück, ob das Prinzip der Gegenseitigkeit und freiwilligen Bindung, das dem EU-Vertragsverständnis innewohnt, nicht beschädigt wurde.
WTO und völkerrechtliche Implikationen
Das Abkommen ist nicht im luftleeren Raum entstanden, sondern vor dem Hintergrund der Krise des Multilateralismus. Unter normalen Umständen hätten sich solche Handelskonflikte vor der Welthandelsorganisation (WTO) ausgetragen lassen. Doch die WTO-Streitbeilegung wird seit Jahren blockiert – ironischerweise durch die USA.
Trump hat die Strafzölle unter dem Vorwand der nationalen Sicherheit verhängt (GATT Art. XXI), was WTO-Klagen der EU zwar auslösen, aber mangels funktionierendem Appellationsorgan nicht zum Erfolg führen konnte. In dieser Lage hat die EU auf klassische völkerrechtliche Gegenschritte gesetzt: Vergeltungszölle und die Androhung weiterer Maßnahmen in Höhe von 72 Mrd. €. Es entstand ein Machtpoker am Rande der Legalität, denn beide Seiten bewegten sich außerhalb der üblichen WTO-Spielregeln.
Dass am Ende eine bilaterale Vereinbarung steht, ist Zeichen und Symptom dieses Systemversagens. Die EU – sonst Hüterin des regelbasierten Welthandels – hat sich gezwungen gesehen, in einen Deal außerhalb des WTO-Systemgefüges einzuwilligen. Das wirft freilich die Frage auf, ob dieser Vertrag WTO-konform ist. Immerhin gewähren EU und USA einander Zollpräferenzen (bzw. begrenzen neue Barrieren) ohne diese Vorteile ipso facto allen WTO-Mitgliedern einzuräumen (Verstoß gegen das Meistbegünstigungsprinzip, GATT Art. I). Solche Abweichungen sind nur zulässig, wenn ein umfassendes Freihandelsabkommen nach Art. XXIV GATT vorliegt – also im Wesentlichen der gesamte Handel liberalisiert wird. Genau daran bestehen Zweifel.
Der EU-US-Pakt lässt z. B. den Agrarsektor teils unberührt und ist mehr ein Rüstungs- und Energiedeal als ein klassisches Freihandelsabkommen. Zwar könnte man argumentieren, es handle sich um ein zulässiges Interimsabkommen auf dem Weg zu einem vollen Freihandelsabkommen. Doch ob WTO-Partner dieser Einschätzung folgen, bleibt abzuwarten. Drittstaaten – etwa Kanada oder China – könnten sich benachteiligt fühlen.
Völkerrechtlich heikel ist zudem der Umgang mit dem „national security“-Vorwand: Die USA haben mit Verweis auf die nationale Sicherheit globale Zölle erhöht und dann einzelnen Partnern (Japan zuvor, nun der EU) vergünstigte Konditionen angeboten. De facto entsteht ein exklusiver Klub – skeptische Stimmen sprechen von einer Renationalisierung des Welthandels. Ein Signal, dass am Ende doch die stärkere Macht diktiert – ein Rückschritt gegenüber dem Regelmodell der WTO.
Bewährungsprobe in Deutschland
Wie geht es nun weiter? Eine Rückkehr zur Eskalation würde insbesondere die deutsche Exportwirtschaft ins Mark treffen. Zunächst wird Deutschland genau auf die Einhaltung der US-Seite schauen. Sollte Washingtons Kongress oder Gerichte Trumps Zollkompetenz infrage stellen (einige Klagen dazu laufen bereits), könnte der schöne Deal schnell Makulatur werden. Das Bundeswirtschaftsministerium wie auch die EU-Kommission werden Szenarien planen, was im Falle eines Scheiterns passiert.
Und nicht zuletzt steht die verfassungsrechtliche Aufarbeitung an: Kritische Stimmen im Parlament könnten prüfen, ob der Pakt mit höherrangigem Recht kollidiert. Eine Verletzung des ultra-vires-Vorbehalts oder der Verfassungsidentität Deutschlands ist zwar unwahrscheinlich – doch wenn, dann läge sie im möglichen Verstoß gegen unabdingbare Grundsätze, etwa den Parlamentsvorbehalt bei weitreichenden Haushaltsmitteln. Immerhin impliziert die EU-Zusage, 600 Mrd. $ in den USA zu investieren, wobei ein Teil davon immerhin öffentliche Mittel oder gelenkte Investitionen sein könnten. Sollte Deutschland hier substanzielle Zahlungen leisten müssen, wäre der Bundestag gefragt. Bislang ist aber unklar, wie diese Summen aufgebracht werden – wahrscheinlich sind es primär Privatunternehmen und marktgetriebene Käufe. In Karlsruhe wird man also vermutlich kein neues „Handelsverfassungsurteil“ fällen müssen.
Abschließend bleibt festzuhalten – die wahre Bewährungsprobe steht erst bevor: Hält der fragile Frieden, und kann Europa aus der Defensive finden? Nur wenn die EU es schafft, ihre Integration durch Rechtsstaatlichkeit, statt Macht auch in stürmischen Zeiten aufrechtzuerhalten, wird dieser erzwungene Kompromiss im Rückblick mehr als ein Pyrrhussieg sein. Die nächsten Schritte – vom parlamentarischen Verfahren bis zur Umsetzung der Zusagen – werden zeigen, ob dieser transatlantische Handelspakt die EU dauerhaft schwächen oder stärken kann.
Lieber Herr Wegner, Ihre Analyse zum „Cooperation Agreement on Reciprocal, Fair and Balanced Trade“ beschreibt nun die aktuellen Spannungen. Nur: Wie ließe sich denn normativ verhindern, dass künftige Krisen erneut demokratische Verfahren und rechtsstaatliche Standards der EU aushöhlen – bräuchte es hierfür nicht ganz neue, andere verfassungsrechtliche Sicherungen?
Sehr geehrter Dr. Rybak,
Ihre Frage trifft einen zentralen Punkt. Denn derzeit sehen weder Art. 207 Abs. 3 AEUV noch die Rechtsprechung des EuGH eine frühzeitige Mitsprache des Europäischen Parlaments (EP) bei wesentlichen Verhandlungsinhalten vor. Diese Lücke gilt es zu schließen.
Allerdings meine ich: Die verfassungsrechtlichen Sicherungen bestehen bereits im Verborgenen:
Erstens verpflichtet Art. 207 Abs. 3 UAbs. 3 Satz 2 AEUV – frei nach Calliess – die Kommission zwar „nur“, Parlament und „207er-Ausschuss“ regelmäßig über den Verhandlungsstand zu informieren. Die Norm belegt aber zumindest: Die Mitgliedstaaten wollen Kommissions-Alleingänge verhindern. Das neue Informationsrecht des Parlaments fällt formal schwächer aus als die Beteiligung des 207er-Ausschusses. Eigentlich ärgerlich. Denn mit dem Ausschuss verhandelt die Kommission „im Benehmen“, während sie das Parlament lediglich informiert. Doch praktisch stärkt das die Rolle des Parlaments erheblich (!): Das Parlament – vor allem sein INTA-Ausschuss – begleitet Verhandlungen anders als Spitzenbeamte zwar kaum operativ, aber in den regelmäßigen Berichtstreffen signalisiert es der Kommission klar, unter welchen Bedingungen es später zustimmen wird. Das sichert die demokratische Legitimation.
Zweitens lassen sich ungleiche Investitionszusagen, wie im aktuellen US-Abkommen, durch Finanzinstrumente entschärfen: „Equity Credit Guarantees“ nach Vorbild des EU-Japan-Abkommens gelten formal als Investitionen, binden jedoch keine unmittelbaren Haushaltsmittel. Dieses Verfahren schafft Gleichgewicht und vermeidet i. E. einseitige Zahlungspflichten der Union.
Drittens sollten – und werden – vertragliche Sicherungsklauseln fest vereinbart werden. Solche Klauseln verhindern, dass externe Akteure, wie derzeit die US-Regierung, einseitige Sanktionsmechanismen anwenden. Sie sichern die Grundprinzipien des EU-Vertragsrechts gegen machtpolitische Eingriffe effektiv ab.
Und viertens ist mit Schutzklauseln im Abschlussdokument zu rechnen, ähnlich denen beim Brexit-Abkommen. Damit wird verhindert, dass regulatorische Standards und Verbraucherrechte unter wirtschaftlichem Druck ausgehebelt werden. Ausdrückliche Nichtabsenkungsklauseln schützen die europäische Ordnung.
Diese Mechanismen in Gänze sichern – und ermöglichen zugleich eine verhandlungsstarke Außenpolitik.
Mit freundlichen Grüßen
Arne P. Wegner
Sehr geehrter Herr Wegner,
haben Sie vielen Dank für diese europarechtliche Einordnung des neuesten US-EU-Deals.
Gehe ich recht in der Annahme, dass es bislang kein (veröffentlichtes) Vertragsdokument gibt, sondern nur Presseerklärungen und -berichte.
Wie sieht das weitere Prozedere aus (Abstimmung im Rat und im EP)? Wann ist mit der Vorlage des zur Abstimmung gestellten Vertragstexts zu rechnen?
Danke für Ihre Antwort
Elke Schenk
Liebe Frau Schenk, gestatten Sie mir eine Antwort in zwei Schritten:
I. Genau: Es existiert kein veröffentlichtes Vertragsdokument, sondern nur ein Factsheet. Offen bleibt, ob einzelne Kapitel wie Barriers for Digital Trade endgültig verhandelt sind (USA) oder ob die Liste „offener Punkte“ fortbesteht (EU). Kritiker bemängeln nun sogar, dass (i) das Abkommen bislang nicht in Gesetzesform kodifiziert wurde, (ii) unklar ist, wer es durchsetzt, (iii) der genaue Inhalt unbekannt bleibt, (iv) Änderungen jederzeit möglich sind, (v) die US-Seite neue Forderungen stellen könnte und (vi) die EU sich Gegenmaßnahmen vorbehält. Danach hätten wir gar keinen “Deal”. Das ist aber ein Missverständnis:
II. Den zweitens liegt rechtlich dennoch ein Abkommen vor. Eine solche Erklärung geht weit über eine bloße Absichtserklärung hinaus und steht regelmäßig am Ende, nicht am Beginn von Verhandlungen (vgl. auch preliminary agreement und EU-US Critical Minerals Agreement). Der unionsrechtliche Ablauf folgt Art. 208 iVm 218 AEUV.:
(1) Zunächst entscheidet der Rat auf Grundlage von Art. 37 EUV, ob der Hohe Vertreter oder die Kommission verhandlungsführend ist. (2) Er beschließt sodann das Mandat, legt Verhandlungsrichtlinien fest, ernennt den Verhandlungsführer und setzt einen Sonderausschuss ein. (3) Anschließend ermächtigt er diesen nach Art. 218 Abs. 5 AEUV zur Unterzeichnung; häufig wird zugleich die vorläufige Anwendung beschlossen (hier befinden wir uns!), bei gemischten Abkommen gilt jedoch das Trennungsgebot. (4) Der Abschluss selbst erfolgt durch Beschluss des Rates nach Art. 218 Abs. 6 AEUV auf Vorschlag des Verhandlungsführers. (5) Eine Veröffentlichung im Amtsblatt ist nicht vorgeschrieben (! vgl. arg-ex aus Art. 218 AEUV, Genehmigungsbeschluss nach Art. 297 Abs. 1 AEUV und insb. ABl. 1998 Nr. L 127/11), aber bisher zumindest unionsrechtliche Praxis. Für alle Ratsbeschlüsse gilt nach Art. 218 Abs. 8 AEUV in der Regel die qualifizierte Mehrheit. (6) Das Parlament ist weder bei der Mandatserteilung noch bei der Unterzeichnung beteiligt, muss jedoch nach Art. 218 Abs. 10 AEUV in allen Phasen umfassend unterrichtet werden (arg. „in allen Phasen des Verfahrens“), um seine demokratische Kontrollfunktion ausüben zu können.
Die amerikanische Handelswut ist nicht vom Himmel gefallen, sondern Ergebnis jahrzehntelanger riesiger Defizite der USA im internationalen Handel. Deutschland hat die dazugehörigen riesigen Überschüsse gemacht. Und das nicht, weil wir ja so viel produktiver oder toller sind als die USA, sondern weil wir jahrzehntelang Protektionismus betrieben haben mit unserer Lohnmoderation und der internen realen Abwertung in der Währungsunion. Daher wirkt es immer etwas absurd, wenn man sich aus Deutschland über Protektionsmus beklagt. Sind wir mal ehrlich: Donald Trump hätte Deutschland auch vor die Welthandelsorganisation ziehen und Europa mit hoher Aussicht auf Erfolg verklagen können. Das hätte allerdings Jahre gedauert und hätte wahrscheinlich erst nach Trump Lebensende zu etwas geführt. Zudem hält er ja von multilateralen Verträgen sowieso wenig.
In der medialen Betrachtung kommt die Selbstreflexion aber auf jeden Fall wieder viel zu kurz. Deutschland hat die vergangenen zwanzig bis dreißig Jahre fast kein anderes politisches Ziel gekannt als seine Wettbewerbsfähigkeit zulasten anderer zu erhöhen und Überschüsse im Außenhandel zu erzielen. Jetzt kommt die Rechnung. Wer sich auf unfaire Art und Weise Handelsvorteile verschafft, muss damit rechnen, dass eines Tages die unfair behandelten Länder zurückschlagen. Und noch mehr muss er damit rechnen, dass seine Glaubwürdigkeit damit erheblich sinkt und er auch trotz zahlreicher Lippenbekenntnisse zum Freihandel nicht mehr ernst genommen werden kann. Deutschland mag zwar viel verlieren mit dem Trump-Deal, aber eigentlich verliert es nur das, was es sich niemals hätte ergaunern dürfen. Und jetzt leiden aufgrund der Währungsunion auch noch Länder darunter, die eigentlich gar nichts falsch gemacht haben.
Bis heute hat leider kaum jemand in Deutschland verstanden, wie eine Währungsunion funktioniert, und wie Deutschland mit seiner merkantilistischen Wirtschaftspolitik gegen alle Regeln der Vernunft verstoßen hat. Wir haben die WTO schon lange vor Trump zu Grabe getragen und waren schon lange genug der „Stärkere“, der die Kleinen vor sich herschubst. Das rächt sich jetzt. Da nützt dann auch die schönste Verfassung nichts, wenn jemand zurückschlägt. Und es werden noch einige weitere folgen, die zurückschlagen.
Lieber Herr Schulz,
als Autor dieses Artikel entgegne ich gerne Ihrer Darstellung in vier Punkten:
1. Ursachen der US-Handelsdefizite? Es greift zu kurz, die amerikanische „Handelswut“ schlicht auf deutsche Exportüberschüsse zurückzuführen. Die USA weisen vielmehr seit den 1970er Jahren chronisch Handelsdefizite auf – ein strukturelles Phänomen mit vielfältigen Ursachen. Deutschlands Überschüsse sind dabei Ergebnis von Angebot und Nachfrage auf Weltmärkten. So erklärt selbst die Bundesregierung objektive Gründe: die Qualität deutscher Produkte, ein für Deutschland vorteilhafter Euro-Wechselkurs und niedrige Preise für importierte Rohstoffe. Mit anderen Worten: Deutsche Exporterfolge sind nicht „vom Himmel gefallen“. Sie spiegeln reale Wettbewerbsfähigkeit wider.
Und hohe US-Defizite rechtfertigen keinesfalls regelwidrige Vergeltungszölle – das WTO-Regelwerk kennt kein Sonderrecht zur Selbsthilfe bei Ungleichgewichten. Der pauschale Verweis auf Defizite als Entschuldigung für amerikanischen Protektionismus verkennt deshalb die Handelsregeln.
2. Die Behauptung, Deutschlands Überschuss resultiere nicht aus Produktivität, sondern jahrelangem Protektionismus (etwa Lohnmoderation und „interner Abwertung“), hält einer sachlichen Prüfung nicht stand. Richtig ist doch (?): In den 2000er-Jahren wurden Löhne in Deutschland maßvoll entwickelt, was die preisliche Wettbewerbsfähigkeit steigerte. Doch Protektionismus im handelsrechtlichen Sinn ist das nicht.
Klassischer Protektionismus bedeutet Handelshemmnisse wie Zölle oder Importquoten, die ausländische Waren diskriminieren – dergleichen hat Deutschland nicht betrieben. Niedrige Lohnstückkosten oder interne Anpassungen verstoßen gegen kein WTO-Abkommen und keine EU-Regel. Vielmehr erfolgten sie im Rahmen des gemeinsamen Euro-Marktes, ohne gegen das Prinzip der offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb zu verstoßen (Art. 119 AEUV). Deutsche Unternehmen sind zudem tatsächlich innovativ und produktiv – die Exportüberschüsse blieben sogar bestehen, als der Euro zeitweise deutlich stärker war. Zwar kritisieren Ökonomen die deutsche Lohnzurückhaltung mitunter als „Lohndumping“. Doch selbst dieser interne Wettbewerbsvorteil ist kein verbotenes Handelsinstrument, sondern Bestandteil der innerhalb der Währungsunion erlaubten Wirtschaftspolitik. Ihn pauschal als „Protektionismus“ abzustempeln, vermengt zulässige binnenwirtschaftliche Maßnahmen mit echtem Handelsunrecht – ein m. E. kategorialer Fehler.
3. Die Aussage, Trump hätte Deutschland vor der WTO verklagen können und mit „hoher Aussicht auf Erfolg“ gewinnen, entbehrt m. E. einer fundierten Grundlage. Im WTO-System muss ein konkreter Verstoß gegen Handelsabkommen geltend gemacht werden – ein solcher war hier nicht ersichtlich. Worin sollte die “Anklage” bestehen? Ein Exportüberschuss an sich verletzt kein WTO-Abkommen. Lohnmoderation oder ein unterbewertter Euro sind kein justiziabler Tatbestand vor der WTO. Weder verbietet die WTO niedrige Löhne noch kann sie ein Land zwingen, weniger wettbewerbsfähig zu sein. Tatsächlich hat die US-Regierung niemals eine WTO-Klage gegen die EU/Deutschland wegen Überschüssen eingereicht – ein deutliches Indiz, dass man selbst keine erfolgversprechende Rechtsgrundlage sah.
Stattdessen griff Präsident Trump zu unilateralem Zollkampf. Doch genau das ist völkerrechtswidrig: Nach Artikel 23 des WTO-Streitbeilegungsübereinkommens sind WTO-Mitglieder verpflichtet, Streitigkeiten ausschließlich nach den WTO-Verfahren beizulegen und keine einseitigen Vergeltungsmaßnahmen zu ergreife . Trumps Vorgehen – eigenmächtig „Strafe“ zu verhängen, ohne Urteil einer WTO-Instanz – verletzte dieses fundamentale Prinzip der Rechtsordnung . Der Verweis, ein WTO-Verfahren dauere Jahre, ändert daran nichts. Rechtsbruch wird nicht dadurch legitim, dass der Rechtsweg Zeit kostet. Im Übrigen hat gerade die Trump-Administration durch Blockade des WTO-Berufungsorgans Verfahren künstlich verzögert. Kurzum: Ein WTO-Klageweg gegen deutsche Wirtschaftspolitik wäre aussichtslos gewesen – und wer ernsthaft an Rechtsdurchsetzung interessiert war, hätte den mühsamen, aber gebotenen Rechtsweg beschreiten müssen statt das Faustrecht des Zollschwerts zu wählen.
4. Der Vorwurf mangelnder Selbstkritik in Deutschland übersieht, dass die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse sehr wohl Gegenstand intensiver Debatten waren, oder? Seit gut anderthalb Jahrzehnten weisen internationale Institutionen – von EU-Kommission bis IWF – auf die Risiken der Ungleichgewichte hin. So stellt die EU-Kommission seit 2014 jährlich fest, dass Deutschlands anhaltend hoher Überschuss ein makroökonomisches Ungleichgewicht darstellt, und empfiehlt mehr Binnennachfrage. Auch der IWF monierte, der deutsche Überschuss sei erheblich höher als durch Fundamentaldaten gerechtfertigt. Diese Kritik wurde in Deutschland registriert: Regierung und Sachverständige diskutieren seit Jahren darüber, durch Investitionen und höhere Löhne gegenzusteuern. Bundeswirtschaftsministerien haben explizit eingeräumt, dass ein Überschuss von ~8% des BIP problematisch ist, und begrüßen etwa jüngste Lohnsteigerungen, um die Binnennachfrage zu stärken. Von „kein anderes politisches Ziel als Wettbewerbsfähigkeit zulasten anderer“ kann also keine Rede sein – Deutschland hat in dieser Zeit auch andere Ziele verfolgt (z.B. Haushaltskonsolidierung, Arbeitsmarktreformen) und durchaus begonnen, Überschüsse zu verringern.
Freilich lag der politische Fokus stark auf Wettbewerbsfähigkeit; das war aber in den 2000ern eine Reaktion auf die zuvor hohe Arbeitslosigkeit und „kranke Mann Europas“-Phase. Die Perspektive, Deutschland habe bewusst eine merkantilistische Strategie „zulasten“ seiner Partner betrieben, greift zu kurz. Vieles an den Überschüssen ergab sich aus marktwirtschaftlichen Prozessen im Euroraum (z.B. Kapitalströme in die Peripherie, die dort Konsum boosten und hier Exporte). Gleichwohl ist die Kritik nicht verstummt – und das zu Recht: Überschüsse in dieser Höhe sind ökonomisch ungesund für die Währungsunion. Aber die angemessene Reaktion hierauf ist koordinierte Wirtschaftspolitik innerhalb der EU, nicht ein Handelskrieg von außen.