05 September 2024

Finanzielle Nachwirkungen einer politischen Trennung

Ein Stadtratsabgeordneter verlässt seine langjährige politische Heimat Die Linke, um gemeinsam mit Frau Dr. Wagenknecht und ihren Gefährten das verheißungsvolle Land der Vernunft und Gerechtigkeit zu finden. Der Kreisverband – über den Austritt wenig erfreut – macht nun sog. Mandatsträgerbeiträge auch nach dem Ende der Parteimitgliedschaft gerichtlich geltend – und zwar auf Grundlage einer beidseitig unterzeichneten, vorformulierten „Abrede über die Abführung von Mandatsträger*innen-Beiträgen“ sowie kaskadenartiger Verweisungen in Satzungen der verschiedenen Gliederungsebenen. Es dürfte kaum bei diesem Einzelfall bleiben. Schließlich wähnt sich die Die Linke über alle politischen Ebenen im föderalen Bundesstaat hinweg als Opfer eines „Mandate-Klaus“. Wir argumentieren, dass weder eine vertragliche Vereinbarung über die Ausgestaltung von Mandatsträgerbeiträgen noch eine vertragliche Verpflichtung über das Ende der Parteimitgliedschaft hinaus rechtlich zulässig sind.

Verfassungsrechtlich gebotener Parteitagsvorbehalt?

Die Mandatsträgerbeitragspflicht als solche entspringt der Bundessatzung der Linken. Sie ist demnach eine mitgliedschaftliche Pflicht derjenigen Mitglieder, die ein Mandat innehaben. Für die Modalitäten wird in die Bundesfinanzordnung verwiesen – eine Nebenordnung i. S. d. § 9 Abs. 3 PartG, die wiederum auf vertragliche Vereinbarungen zwischen den Mandatsträgern und den Vorständen der jeweiligen Gliederungsebene der Partei verweist. Die im vorliegenden Fall maßgebliche Klausel lautet:

„Die/der Mandatsträger*in führt 50 Prozent der regelmäßigen Bezüge, die sie/er als pauschale Entschädigung für das Ehrenamt erhält […], an den Kreisverband ab. […]“

Ist eine solche Praxis, an deren Ende ein Vertrag steht, rechtlich zulässig? Oder muss die Ausbuchstabierung der in Rede stehenden mitgliedschaftlichen Pflicht nicht der Satzung oder zumindest einem Parteitagsbeschluss vorbehalten sein?

Dazu zunächst ein Blick ins BGB: Als Idealverein ohne Rechtspersönlichkeit sind die Bestimmungen über Vereine auf die Partei entsprechend anzuwenden. Sie hat sich also eine zumindest formlose Satzung zu geben, die die Grundentscheidungen über Organisation und Mitgliedschaft enthält. Das betrifft – mit einem Seitenblick auf § 58 Nr. 2 BGB – auch das „Ob“ sowie die Art der Mitgliedsbeiträge. Weitere Modalitäten, insb. die Höhe der Beiträge, sind nach stRspr. des BGH aufgrund betriebswirtschaftlicher Praktikabilitätserwägungen im Vereinsinteresse regelmäßig nicht als Grundentscheidung von Vereinsverfassungsrang zu klassifizieren. Es führe zu einem unnötigen, unzumutbaren und vermeidbare Registereintragungskosten verursachenden Aufwand, wegen der Anpassung des regelmäßig zu zahlenden Beitrags die Satzung Jahr für Jahr zu ändern.Ausnahmen können sich jedoch in einer Abwägung aus Gründen des (Minderheiten-)Mitgliederschutzes ergeben.

Genau an dieser Stelle bricht nun das Verfassungs- und Parteienrecht ein, indem es das privatrechtliche Verhältnis von Partei und Mitglied überformt. Dies folgt aus dem verfassungsmäßigen Auftrag zur Mitwirkung an der demokratischen Willensbildung gem. Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG sowie dem Gebot innerparteilicher Demokratie nach Satz 3: Wenn man den Parteien die Willensbildung anvertraut, dann darf man nicht vor den Toren der Partei stehen bleiben und dahinter ein „Führerprinzip“ schalten und walten lassen. Vielmehr wirkt das Demokratieprinzip – selbstverständlich unter Beachtung einer privatrechtlich adäquaten Lesart – über die Parteimauern hinweg fort. In der Parteifestung muss ein freies und gleiches „Parteivolk“ leben und seine Willensbildung „bottom-up“ organisieren.

Zu klären ist daher, ob das Gebot innerparteilicher Demokratie dazu zwingt, die Modalitäten der Mandatsträgerbeiträge als vereinsrechtliche Grundentscheidung einzustufen – und wie und wo dieses materielle Satzungsrecht zu regeln wäre. Dreh- und Angelpunkt ist die Gleichheit der Mitglieder. Das ebenfalls aus Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG abgeleitete Gebot innerparteilicher Gleichbehandlung verlangt, dass die Parteimitglieder chancengleich an der innerparteilichen Willensbildung mitwirken können. Mitwirkungsrechte, wie beispielsweise das Stimm-, Rede- und Antragsrecht, müssen demnach gleich verteilt und angewendet werden. Das geht weit über den Inhalt des allgemeinen vereinsrechtlichen Gleichbehandlungsgebots hinaus, das lediglich ein Willkürverbot enthält. Ergeht eine Ungleichbehandlung der Vereinsmitglieder jedoch auf Grundlage einer Regelung in der Satzung, ist diese grundsätzlich gerechtfertigt. Schließlich hat man sich ihr als Vereinsmitglied bei Eintritt freiwillig unterworfen.

So liegt der Fall: Die vertragliche Regelung der Modalitäten von Beiträgen, welche die Gefahr einer verdeckten Ungleichbehandlung der Mandatsträger birgt, findet ihren Grund in der Satzung. Die Satzung delegiert die Entscheidung an das individuelle Verhandlungsgeschick. Es hilft demnach nur ein Rückgriff auf das besondere parteirechtliche Gebot der Gleichbehandlung. Dessen Anwendung gilt es jedoch zu begründen, da vorliegend kein mitgliedschaftliches Mitwirkungsrecht, sondern eine mitgliedschaftliche Pflicht in Rede steht. Das Risiko, dass die Mandatsträgerbeiträge verdeckt ungleich ausgestaltet sein könnten, müsste also Spillover-Effekte auf die innerparteiliche Mitwirkung zeitigen. In unseren Augen sind die Gefahren, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, folgende: Finanziell potentere Mitglieder „bezahlen“ mit höheren Mandatsträgerbeiträgen für besondere, konkrete Unterstützungsleistungen im Rahmen des Wahlkampfs oder der Mandatsausübung. Sie verschaffen sich einen Vorsprung gegenüber den parteiinternen Konkurrenten. Finanzielle Macht übersetzt sich dann in politische Bedeutung und verzerrt die Chancen innerparteilicher Interessendurchsetzung. Ferner könnten Parteieliten sich selbst Besserbehandlungen aushandeln oder unliebsame Querulanten mittels erhöhter Beiträge sanktionieren. Kommen letztere der Zahlungspflicht nicht bei, kann sogar der Parteiausschluss drohen. Das gilt zumindest dann, wenn die Satzung die Nichtzahlung als Ausschlussgrund regelt. Die Konsequenz wäre eine Reproduktion von Parteieliten, die Ausdruck einer in der Parteienforschung von dem Soziologen Robert Michels schon früh erkannten „Tendenz zur Oligarchie“ ist. Dabei sollte man die Bedeutung von Mandatsträgerbeiträgen für Die Linke innerhalb der Parteienfinanzierung im Hinterkopf behalten: Im Jahr 2022 handelte es sich mit immerhin 17,19 % um den drittgrößten Posten. On top kommt: Nicht nur, dass die Gefahr einer Ungleichbehandlung besteht, sie bliebe in Fällen vertraglicher Vereinbarungen auch unbemerkt und damit also demokratischer Kontrolle entzogen. Daher kann auch eine Regelung mittels vorformulierter, standardisierter Klauseln nicht ausreichen, die allein einer Ungleichbehandlung beikommen würden. Und auch das erscheint aufgrund fehlender Verwendungspflichten, Änderungsmöglichkeiten etc. kaum zufriedenstellend.

Nach unserem Dafürhalten folgt daraus, dass die Modalitäten der Mandatsträgerbeitragspflicht den verfassungsrechtlich aufgeladenen Teil der Mitgliedschaft betreffen. Mithin handelt es sich um eine vereinsrechtliche Grundentscheidung.1) Dies gilt umso mehr, als die tragenden Erwägungen des BGH zur vereinsrechtlichen Einstufung von Modalitäten von Mitgliedsbeiträgen für Idealvereine iSd § 54 Abs. 1 S. BGB nicht gleichermaßen gelten: Es bedarf keiner aufwändigen Eintragung von Satzungsänderungen in ein Register.

Folglich darf die Vereinbarung der tatsächlichen Beiträge nicht auf Verträge ausgegliedert werden. Die Rechtsfolge: Eine solche vertragliche Regelung der Modalitäten ist nichtig. Laut BVerfG ist Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG unmittelbar anwendbar und beinhaltet als lex perfecta auch die zivilrechtliche Rechtsfolgenanordnung. Ein Rückgriff auf § 134 BGB ist demnach nicht erforderlich.

Eine Ausgestaltung in einer Nebenordnung dürfte hingegen ausreichen, um eine Gleichbehandlung zwischen Mandatsträgern und hinreichende Transparenz nach innen zu gewährleisten. Diese unterfiele damit dem Parteitagsvorbehalt des § 9 Abs. 3 PartG und könnte in der Finanz- oder Beitragsordnung ihren Platz finden.

Nichtmitgliedschaftliche Mandatsträgerbeiträge?

Die vorformulierte Vereinbarung enthält folgende weitere Klausel:

„Die Vereinbarung gilt für alle Bezüge, die die/der Mandatsträger*in in der Wahlperiode 2020 bis 2025 von der Kommune oder einer kommunalen Gesellschaft oder einer von der Kommune verwalteten Einrichtung erhält. Sie endet zum Ende des jeweiligen Amtes oder Mandates. […].“

Nach Lesart der Linken folgt hieraus zu ihren Gunsten eine Zahlungsverpflichtung des Mandatsträgers über die Dauer seine Mitgliedschaft hinaus. Aber ist eine solche nichtmitgliedschaftliche Mandatsträgerbeitragspflicht rechtlich zulässig?

Der BGH entschied im letzten Jahr den nahezu inversen Fall: Ein CDU-Mitglied errang, ohne als deren Kandidat aufgestellt gewesen zu sein, das Amt des ehrenamtlichen Bürgermeisters. Er wurde also Mandatsträger, aber nicht für die CDU. Im hiesigen Fall ist die Person weiterhin Mandatsträger, aber nicht mehr für Die Linke. Der für die rechtliche Bewertung entscheidende Unterschied steckt aber in der Frage, ob eine Mitgliedschaft besteht. Der ehrenamtliche Bürgermeister war schon Parteimitglied, als er das Mandat errang, und trat lediglich als unabhängiger Kandidat an. Aus der mitgliedschaftlichen Mandatsträgerbeitragspflicht folge laut BGH ein zivilrechtlich durchsetzbarer Anspruch gegen ihn. Die Auslegung der konkreten Satzung ergab nämlich, dass ein solcher kraft Mitgliedschaft bestehe und auch nicht mit einer konkreten Gegenleistung – etwa in Form von bspw. Wahlkampfhilfen – verknüpft sei. Der BGH hielt eine solche satzungsrechtliche Ausgestaltung auch für (verfassungs-)rechtlich zulässig.

Die Mitgliedschaft eröffne die allgemeine Möglichkeit der Nutzung des Parteiapparates, also dessen ökonomischen und sozialen Kapitals. Es gilt demnach keine Logik des do ut des, sondern der Solidarität. Verlängert man die Mandatsträgerbeitragspflicht nun aber über die Mitgliedschaft hinaus, entfällt auch diese nur abstrakte Möglichkeit vollständig.

Zudem besteht die Gefahr, dass Mitglieder ungleich durch den Parteiapparat unterstützt werden. Die Partei könnte willkürlich entscheiden, ob sie ein Mitglied nach Unterzeichnung der Vereinbarung weiterhin fördert, ohne dass ihre Entscheidung gegen eine solche Unterstützung und den damit verbundenen Aufwand für sie finanzielle Konsequenzen hätte. Weil auch hier die Mitwirkungsrechte betroffen sind, gelten die strengen verfassungsrechtlichen Maßstäbe und es bedarf der Rechtfertigung. Die sofortige Austrittsmöglichkeit des Mitglieds, die der BGH zu diesem Zweck als Instrument informeller Sanktion der Verletzung des geltenden Solidaritätsprinzips hervorgehoben hat (vgl. Rn. 51), existiert in diesem Fall nicht.

Auf diese Weise wird auch der Austritt erschwert. Dabei verbürgt § 10 Abs. 2 S. 3 PartG: „Das Mitglied ist jederzeit zum sofortigen Austritt aus der Partei berechtigt.“ Denn der Austritt ist nicht selten mit dem Beitritt in eine andere Partei verbunden. Nun sind Mandatsträgerbeiträge gängige Praxis. Verpflichtet die Satzung der neuen Partei ebenfalls zur Zahlung von Mandatsträgerbeiträgen, besteht eine Doppelbelastung. Von dieser Beitragsverpflichtung kann die neue Partei mit Blick auf das Gebot zur Gleichbehandlung ihrer Mitglieder auch nicht einfach absehen. Das Ende vom Lied: Die Entschädigung des Mandatsträgers wird zur Entschädigung der Ex-Partei.

Zur etwas vertrackteren Rechtsfolge: Trotz Vorformulierung ist eine AGB-Kontrolle nach § 310 Abs. 4 BGB vorliegend ausgeschlossen. Schließlich steht die Gestaltung des Mitgliedschaftsverhältnis in Rede. Eine Inhaltskontrolle eröffnet der BGH in vergleichbaren Fällen aber dennoch über § 242 BGB. Die Grundgedanken der §§ 305c Abs. 1 und 307 Abs. 1 S. 1 BGB werden in diesem Zusammenhang fruchtbar gemacht. Das Parteimitglied ächzt unter der oben aufgezeigten einseitigen Belastung, dabei ist seine Mitgliedschaft in diesem Fall zusätzlich verfassungs- und parteirechtlich aufgeladen. Das gilt es bei der Anwendung der Generalklausel (§ 242 BGB) zugunsten des Mitglieds zu beachten. Hinzu kommt das Überraschungsmoment in Anlehnung an § 305c Abs. 1 BGB: Ein Parteimitglied kann berechtigterweise davon ausgehen, dass mit Austritt aus der Partei ex nunc alle Pflichten und Rechte erlöschen. In der Literatur kennt man allenfalls Pflichten, Unterlagen herauszugeben oder Auskünfte zu erteilen, aber keinesfalls Äquivalente zu zentralen Mitgliedschaftspflichten. Als Konsequenz kann eine entsprechende Klausel entweder für unwirksam erklärt oder dahingehend ausgelegt werden, dass sie nur für die Zeit der Mitgliedschaft gilt.

Keine Verlegenheit

Das Sammelsurium der Parteisatzungen und zugehöriger Finanzordnungen zeigt ein buntes Bild hinsichtlich der Regelung von Mandatsträgerbeiträgen. Das gilt schon allein für die Linkspartei: Teilweise enthalten Satzungen resp. Finanzordnungen auf Landesebene Konkretisierungen hinsichtlich der Höhe der Mandatsträgerbeiträge (SH, NRW, MV), teilweise delegieren sie die Entscheidung an andere Organe (BE, NI, RP). In den meisten Fällen wird auf Landesebene aber auch schlicht ex- oder implizit auf die Bundessatzung bzw. -finanzordnung verwiesen oder deren Wortlaut wiederholt (BB, BW, BY, HB, HE, HH, SL, SN, ST, TH). Dass diese dann ihrerseits weiter auf vertragliche Vereinbarungen verweisen, ist nach unserem Dafürhalten rechtlich unzulässig. Und in den übrigen Fällen stellt sich die Frage, ob es genügt, die Regeln auf Landesebene zu konkretisieren, oder ob nicht ein Parteitagsvorbehalt auf Bundesebene gilt. Nach unserer Ansicht überwiegen die Interessen der Mitglieder die Finanzautonomie der Gliederungsebenen. Vorbildhaft ist deshalb die Bundesfinanzordnung des neuen BSW. Dort ist festgehalten, dass die Mandatsträgerbeiträge 10 % der von dem Mandatsträger erhaltenen Aufwandsentschädigung bzw. Brutto-Bezüge betragen.

Es liegt also einiges im Argen. Und Die Linke selbst kommt in Verlegenheit; zumindest der Landesverband Niedersachsen. Auf dessen 9. Parteitag war der Satzungsänderungsantrag S4 überschrieben mit: „Mandatsträger*innenabgaben […] konkretisieren und gerichtsfest […] machen“. Grund für die Verlegenheit: Die nicht ganz einfache Verschränkung von Zivil- und Verfassungsrecht.

Damit nicht auch die Zivilgerichte in Verlegenheit kommen, braucht es schon jetzt die Rechtsmaterien integrierende, rechtswissenschaftliche Vorarbeit.

References

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