Freiheitsrechte ade?
Die Rechtswidrigkeit der Ausgangssperre in der oberpfälzischen Stadt Mitterteich
Am gestrigen Mittwoch, den 18.03.2020 hat das Landratsamt Tirschenreuth (Oberpfalz) eine Allgemeinverfügung erlassen, die für das Stadtgebiet der Stadt Mitterteich eine Ausgangssperre bis einschließlich 02.04.2020 vorsieht, um das Corona-Virus einzudämmen. Der Maßnahme mangelt es nicht nur an einer hinreichenden Rechtsgrundlage, sondern sie ist auch unverhältnismäßig. Sie ist Ausdruck der allgemeinen Panik und der offenkundigen Ratlosigkeit der Politik im Umgang mit dem Corona-Virus. Ebenso wie eine bloße laissez faire-Strategie fehl am Platze wäre, darf in die Freiheitsrechte der Bürger trotz der Krise nicht in verfassungswidriger Weise eingegriffen und auf diese Weise eine faktische Entmündigung der Bevölkerung vorgenommen werden.
I. Verhängung einer Ausgangssperre in der Stadt Mitterteich
Die Allgemeinverfügung stützt sich auf § 28 Abs. 1 S. 2 u. S. 1 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) in Verbindung mit § 65 Satz 1 der Zuständigkeitsverordnung (ZustV) und untersagt das Verlassen der häuslichen Unterkunft ohne triftigen Grund. Ausgenommen von diesem Verbot sind nach Ziff. 2 der Allgemeinverfügung zehn näher bezeichnete Ortsteile der Stadt Mitterteich. Ausnahmsweise erlaubt sind folgende Tätigkeiten:
- Hin- und Rückweg zur jeweiligen Arbeitsstätte mit Bescheinigung des Arbeitgebers
- Einkäufe für den Bedarf des täglichen Lebens innerhalb des Stadtgebiets Mitterteich
- Besuche von Arztpraxen, Sanitätshäusern, Optiker, Hörgeräteakustiker und Gesundheitspraxen (z.B. Physiotherapieeinrichtungen)
- Apothekenbesuche innerhalb des Stadtgebiets Mitterteich
- Besuche von Filialen der Deutschen Post
- Tanken an Tankstellen
- Geldabheben bei Banken
- Hilfeleistungen für Bedürftige
- Feuerwehrkräfte und Rettungskräfte auf dem Weg zum Stützpunkt oder Einsatzort
- Notwendiger Lieferverkehr
- Abgabe von Briefwahlunterlagen
- Unabdingbare Versorgungen von Haustieren
Nach Ziff. 4 der Allgemeinverfügung kann in begründeten Fällen eine Ausnahme beim Landratsamt Tirschenreuth beantragt werden. Zuwiderhandlungen gegen die Allgemeinverfügung sind nach Maßgabe von § 75 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 IfSG strafbewehrt; in concreto droht eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder eine Geldstrafe. Die Allgemeinverfügung wurde für sofort vollziehbar erklärt.
II. Zulässigkeit der Anordnung einer Ausgangssperre auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes
Das Landratsamt Tirschenreuth hat die Allgemeinverfügung auf § 28 Abs. 1 S. 2 sowie auf § 28 Abs.1 S. 1 IfSG gestützt. § 28 Abs. 1 S. 2 IfSG gestattet bestimmte Maßnahmen gegenüber der Allgemeinheit, u.a. die Anordnung gegenüber Personen, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht zu verlassen, bis die notwendigen Schutzmaßnahmen durchgeführt worden sind (§ 28 Abs. 1 S. 2 2. HS. IfSG). Die Ausgangssperre fällt als Anordnung, das eigene zu Hause nicht zu verlassen, tatbestandsmäßig grundsätzlich unter diese Vorschrift. Indes hat die Norm, wie Anika Klafki zu Recht herausgearbeitet hat, lediglich vorübergehende Fälle im Blick, etwa die Anordnung, ein Flugzeug oder ein Passagierschiff nicht zu verlassen, bis notwendige Vorkehrungen getroffen wurden, um ansteckungsverdächtige Personen zu isolieren. Die Kurzfristigkeit der Maßnahmen impliziert schon die Formulierung „bis die notwendigen Schutzmaßnahmen durchgeführt worden sind“. Eine allgemeine zweiwöchige Ausgangssperre geht über eine solche vorübergehende Maßnahme, um andere Vorkehrungen treffen zu können, weit hinaus.
Die Allgemeinverfügung kann auch nicht auf § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG gestützt werden. Die Vorschrift enthält eine Generalklausel, die es erlaubt, beim Auftreten von Kranken, Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen oder Ausscheidern generell, die „notwendigen Schutzmaßnahmen“ zu erlassen. Nach der Gesetzesbegründung zur Vorgängervorschrift des § 34 BSeuchG (BT-Drs. 8/2468, S. 24) wollte der Gesetzgeber damit auch Maßnahmen gegenüber Nichtstörern ermöglichen, etwa Krankenbesuche verbieten. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass die Vorschrift dazu dienen sollte, eine allgemeine Ausgangssperre zu legitimieren. Außerdem wäre es vor dem Hintergrund des aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Bestimmtheitsgrundsatzes verfehlt, die sehr eingriffsintensive Maßnahme einer Ausgangssperre auf die Generalklausel des § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG zu stützen, die die zuständige Stelle zu nicht näher definierten „notwendigen Schutzmaßnahmen“ ermächtigt.
Die Ausgangssperre ist auch keine allgemeine Quarantäneanordnung i.S.v. §§ 28 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 30 Abs. 1 S. 2 IfSG, da hierfür erforderlich wäre, dass sämtliche der von der Allgemeinverfügung betroffenen Personen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Krankheitserreger aufgenommen haben (BVerwGE 142, 205 ff.). Dies ist trotz steigender Zahlen von mit dem Corona-Virus Infizierten im Stadtgebiet von Mitterteich (insgesamt ca. 7000 Einwohner) bei bislang 26 Fällen jedoch nicht anzunehmen. Damit hat das Landratsamt Tirschenreuth seine Allgemeinverfügung nicht auf eine taugliche Rechtsgrundlage gestützt.
III. Polizei- und Sicherheitsrecht bzw. Katastrophenschutzrecht als Rechtsgrundlage
Auch außerhalb des Infektionsschutzgesetzes existiert keine taugliche Rechtsgrundlage für die Allgemeinverfügung. Im Polizeirecht sieht Art. 16 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 lit. b) des Bayerischen Polizeiaufgabengesetzes (PAG) lediglich ein Aufenthaltsgebot vor, das jedoch nur als Ermächtigungsgrundlage für Maßnahmen der Polizei, nicht jedoch des Landratsamts als Rechtsgrundlage dienen kann und überdies auch nur vorübergehende Maßnahmen erlaubt. Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 des Landesstraf- und Verordnungsgesetzes (LStVG) kommt ebenfalls nicht als Rechtsgrundlage in Betracht, da eine derart eingriffsintensive Maßnahme wie eine Ausgangssperre nicht auf die sicherheitsrechtliche Generalklausel gestützt werden kann, zumal dadurch das ausdifferenzierte Sonderregime des Infektionsschutzgesetzes als lex specialis umgangen würde. Schließlich findet sich auch im Katastrophenschutzgesetz keine hinreichende Rechtsgrundlage für eine derartige Ausgangssperre. Die Allgemeinverfügung des Landratsamts ist so schon wegen des Fehlens einer gesetzlichen Grundlage rechtswidrig.
IV. Unverhältnismäßiger Eingriff in Freiheitsrechte
Daneben ist die Ausgangssperre aber auch deshalb rechtswidrig, weil sie in unverhältnismäßiger Weise in die Freiheitsrechte der betroffenen Bewohner eingreift. Dies gilt insbesondere für die Grundrechte der körperlichen Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG), der persönlichen Freiheit (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG), der Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) sowie der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG), aber selbstredend auch für die Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) sowie für die Freizügigkeit (Art. 11 Abs. 1 GG).
Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG
Eine Ausgangssperre führt notwendigerweise dazu, dass die Zahl der sozialen Kontakte drastisch reduziert wird, was nach Einschätzung von Virologen die Ausbreitung des Corona-Virus verlangsamt und damit Leib und Leben von besonders anfälligen Personengruppen (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) schützen kann. Die vom Landratsamt Tirschenreuth nunmehr angeordnete Maßnahme erweist sich jedoch im Hinblick auf die körperliche Unversehrtheit der betroffenen Stadtbewohner (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) als nicht verhältnismäßig. Eine allgemeine Ausgangssperre ist nach Ansicht von führenden deutschen Virologen schon medizinisch nicht indiziert. Ganz im Gegenteil, durch die Ausgangssperre werden die Menschen gezwungen, die überwiegende Zeit in ihren Wohnungen zu verbringen. Dies wird sich nicht nur positiv auf den Gesundheitszustand der Bevölkerung auswirken, da längere Aufenthalte an der frischen Luft, die etwa vom Virologen Christian Drosten zur Stärkung der Immunabwehr ausdrücklich empfohlen werden, nunmehr nicht mehr möglich sind. Dadurch kann es passieren, dass man die Widerstandsfähigkeit der Bevölkerung durch eine Maßnahme, die sie eigentlich schützen soll, erst schwächt. Außerdem besteht die Gefahr, dass durch die zweiwöchige Ausgangssperre die psychische Gesundheit stark leidet. Dies gilt insbesondere für Personen, die zu Depressionen neigen und die durch die Ausgangssperre in ihrer psychischen Gesundheit sogar soweit beeinträchtigt werden, dass Suizidgefahr besteht. Zu bedenken ist dabei insbesondere, dass nicht alle Wohnungen über mehrere Räume verfügen, in denen sich Menschen zumindest eingeschränkt bewegen können.
Nach dem Wortlaut der Allgemeinverfügung ist es sogar untersagt, dass Eltern ihr Baby im Kinderwagen an die frische Luft bringen, solange sie dies nicht zu Einkaufszwecken etc. tun. Wenn demgegenüber die Versorgung von Haustieren als Ausnahme vom Verbot ausdrücklich normiert ist, fehlt es augenscheinlich nicht nur an der Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, sondern auch an der korrekten Anwendung des Gleichheitssatzes. Wenn das Verlassen der Wohnung zur Versorgung von Haustieren ausnahmsweise gestattet ist, müsste dies doch erst recht für die Versorgung von Mitmenschen, in diesem Fall von Kleinkindern, gelten! Dazu jedoch schweigt die Allgemeinverfügung. Der Passus, wonach in begründeten Fälle eine Ausnahme beim Landratsamt beantragt werden könne, ändert daran wenig, da kaum vorstellbar ist, dass alle Eltern von Kleinkindern an das Landratsamt schreiben sollen mit der Bitte um die Erlaubnis für einen Spaziergang mit Kinderwagen auch zu Zeiten, in denen die Lebensmittelmärkte vielleicht geschlossen haben.
Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG
Auch in die Freiheit der Person nach Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG greift die Ausgangssperre intensiv ein, und zwar mittels einer Freiheitsbeschränkung. Diese ist in dieser Form jedenfalls nicht angemessen, da gerade Menschen in einer 1-Zimmer-Wohnung sich nunmehr auf engstem Raum aufhalten müssen, ohne ihre Wohnung für einen nennenswerten Teil des Tages verlassen zu können. Hinzu kommt, dass die Anordnung für zwei Wochen gilt, also nicht gerade für einen geringfügigen Zeitraum. Schließlich ist auch in diesem Zusammenhang zu betonen, dass eine Maßnahme, die aus medizinischer Sicht schon nicht empfohlen wird, einen derart intensiven Grundrechtseingriff, der – worauf Pierre Thielbörger und Benedikt Böhlert im Zusammenhang mit vergleichbaren Maßnahmen hinweisen – möglicherweise den Wesensgehalt des Grundrechts (Art. 19 Abs. 2 GG) antastet, nicht rechtfertigen kann.
Art. 6 Abs. 1 GG
Des Weiteren ist das Recht aus Art. 6 Abs. 1 GG, also der besondere Schutz von Ehe und Familie, tangiert, indem die Allgemeinverfügung etwa Eheleuten, die im Stadtgebiet nicht in einer gemeinsamen Wohnung wohnen, verbietet, einander aufzusuchen. Ob das Landratsamt diesen Fall als Ausnahmefall im Blick hatte, darf zumindest bezweifelt werden, zumal nicht näher definiert wird, was als begründete Ausnahme nach Ziff. 4 der Allgemeinverfügung anerkannt werden kann. Die Problematik stellt sich in ähnlicher Weise, wenn getrennt lebende oder geschiedene Ehepartner, die beide in dem betroffenen Gebiet wohnen, das gemeinsame Sorgerecht für die gemeinsamen Kinder besitzen und die Kinder sich gegenwärtig bei einem Elternteil aufhalten. Besuche der Kinder beim anderen Ehepartner wären nach der Allgemeinverfügung nunmehr grundsätzlich untersagt. Während Besuchsverbote in Krankenhäusern und Alten- und Pflegeheimen zum Schutz besonders gefährdeter Personengruppen selbst vor dem Hintergrund von Art. 6 Abs. 1 GG durchaus verhältnismäßig sein können, ist dies bei einem allgemeinen Kontaktverbot für sämtliche Bevölkerungsgruppen, dessen medizinischer Nutzen zudem höchst umstritten ist, nicht der Fall.
Art. 12 Abs. 1 GG
Daneben ist insbesondere auch die Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG betroffen, wobei eine Berufsausübungsregelung vorliegt. Zwar lässt die Allgemeinverfügung den Hin- und Rückweg zur Arbeitsstätte ausnahmsweise zu, doch muss hierfür die Bescheinigung des jeweiligen Arbeitgebers vorgelegt werden. Was gilt jedoch im Fall von Selbständigen? Zu denken ist etwa an Freiberufler, die außerhalb ihrer Wohnung einen Büroraum angemietet haben, z.B. als Einzelanwältin. Eine Bescheinigung des Arbeitgebers kann in diesem Fall schon nicht vorgelegt werden, allenfalls ein Nachweis über die Ausübung der Tätigkeit sowie die Anmietung entsprechender Räumlichkeiten außerhalb der Wohnung. Ob dies nach der Allgemeinverfügung ausreichend wäre, ist unklar. Zudem ist nicht absehbar, wie derartige Konstellationen in der Praxis gehandhabt werden und welche bürokratischen Hürden für die Betroffenen gegebenenfalls errichtet werden. In einer Stadt mit knapp 7000 Einwohnern mag insoweit noch eine pragmatische Handhabung möglich sein, bei Ausgangssperren auch in größeren Städten oder sogar landesweiten Ausgangssperren, wie sie der Bayerische Ministerpräsidenten Markus Söder ins Spiel bringt, wird dies kaum mehr der Fall sein.
Art. 8 Abs. 1 GG, Art. 11 Abs. 1 GG
Dass die Ausgangssperre auch in die Grundrechte der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) und der Freizügigkeit (Art. 11 Abs. 1 GG) eingreift, liegt auf der Hand. Für die Freizügigkeit sieht Art. 11 Abs. 2 GG explizit einen Gesetzesvorbehalt für Maßnahmen zur Bekämpfung von Seuchengefahr vor, doch müssen sich auch diese Maßnahmen am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz messen lassen. Im Hinblick auf die Versammlungsfreiheit sind Versammlungsverbote im Verhältnis zu einer Ausgangssperre ein milderes, gleich wirksames Mittel, das vorrangig zur Anwendung kommen sollte und das bereits praktiziert wird.
V. Das Virus eindämmen – im Einklang mit dem Grundgesetz
Angesichts der Corona-Pandemie neigen Politik und zuständige Behörden dazu, die Freiheitsrechte der Bürger stark einzuschränken. Als Akutmaßnahme gegen die Ausbreitung des Virus mögen bestimmte Maßnahmen wie etwa das Verbot von Versammlungen oder die Schließung von Cafés und Restaurants sowie von Schulen und Kindergärten sinnvoll sein, die aktuelle Lage darf jedoch nicht dazu führen, dass sämtliche Freiheitsrechte mit einem Federstrich außer Kraft gesetzt werden. Zu Recht warnt Hans Michael Heinig vor der Gefahr, dass sich unser Gemeinwesen „von einem demokratischen Rechtsstaat in kürzester Frist in einen faschistoid-hysterischen Hygienestaat“ verwandeln könnte.
Bei der Corona-Pandemie handelt es sich um eine lang andauernde Bedrohung, bei der gerade auch die langfristigen Auswirkungen entsprechender Maßnahmen bedacht werden müssen, die sich naturgemäß sehr stark von der Wirkung punktueller Einschnitte unterscheiden. Unser Rechtssystem ist jedenfalls für derartige Bedrohungen nicht vorbereitet. Daher obliegt es dem Gesetzgeber, eine entsprechende Rechtsgrundlage im Infektionsschutzgesetz in Form einer Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen zu schaffen. Sie muss nicht nur entsprechende Notfallmaßnahmen ermöglichen, sondern auch den betroffenen Freiheitsrechten hinreichend Rechnung tragen. Dafür braucht es jedoch eine gesamtgesellschaftliche Diskussion, die die Mitverantwortung der einzelnen Bürgerinnen und Bürger ernst nimmt, nicht nur aktionistische Notstandsmaßnahmen der Politik. Wir sind als Gesellschaft dazu aufgerufen, dafür Sorge zu tragen, dass nicht nur das Corona-Virus bestmöglich eingedämmt wird, sondern auch, dass das die Grundrechte des Grundgesetzes möglichst „Corona-resistent“ bleiben.
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faschistoid-hysterischen Hygienestaat
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Wanderer kommst du ins Spa, verkündige dorten, dass ich mir die Hände wusch, wie das Gesetz es befahl.
“Wir sind als Gesellschaft dazu aufgerufen, dafür Sorge zu tragen, dass nicht nur das Corona-Virus bestmöglich eingedämmt wird, sondern auch, dass das die Grundrechte des Grundgesetzes möglichst „Corona-resistent“ bleiben.”
Es funktioniert nur schlicht nicht. Man braucht nur in jeder beliebigen Großstadt in den letzten Tagen in die Cafés und Restaurants zu blicken und sieht überall Leute dich gedrängt in der Sonne sitzen. Auf abgesperrten Spielplätzen tummeln sich die Kinder und ihre Eltern. Wenn es auch in Deutschland zu Ausgangssperren kommt, haben wir uns das als Gesellschaft selbst zuzuschreiben.
Darf denn der Souverän nicht unvernünftig sein, lieber Pontifex? Ist schon klar, dass die Leute den Café-Besuch mal lieber sein lassen sollten – aber hat die Exekutive denn die rechtsstaatliche Legitimität, die Bürger derart zu zwingen?
Das ist die entscheidende Frage. Allerdings geht es nicht nur um reine Unvernunft, sondern auch um die Gefährdung anderer, insbesondere um potentielle Lebensgefahren für Risikogruppen.
Danke für diesen Artikel. Ich hatte schon die ganzen letzten Tage ein beklemmendes Gefühl dabei, dass solche weitreichende Ausgehverbote einfach mir nichts dir nichts umgesetzt werden, dieser Artikel legt nahe, dass die rechtliche Grundlage zumindest hinterfragt werden kann/sollte. Ich persönlich fühle mich als Alleinstehende Person, die bei einem Ausgehverbot wie aktuell in Bayern gültig faktisch mehrere Wochen in “Einzelhaft” geschickt würde, stark in meiner persönlichen Freiheit eingeschränkt. Ob das noch verhältnismäßig ist, wenn ich meine Kontakte bereits stark reduziert habe, aber nicht mal mehr meine beste Freundin sehen kann um nicht nach ein paar Wochen alleine durchzudrehen, während andere noch zu jeder Arbeit, egal wie sinnlos diese ist, fahren dürfen, frage ich mich wirklich… Aber das nur am Rande.
Genau richtig! Jetzt bitte noch Fahrverbote im selben Ausmaß um der Klimakrise Herr zu werden!
Die Bevölkerung hatte ja 30 Jahre Zeit sich von selbst vernünftig zu verhalten.
Der Beitrag geht m.E. erstmalig auf die durch Zwangsmaßnahmen zu erwartenden Kollateralschäden ein. Sicherlich sind zusätzliche Opfer aufgrund ausgelöster Ordnungsmaßnahmen von den verantwortlichen Stellen nicht beabsichtigt. Allerdings sollten derartige Komplikationen in ein vollständiges Risikomanagement mit einfließen und auch kommuniziert werden müssen, da sie essentiell für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Grundrechteeinschränkungen sind.
In einigen Punkten geht mir der Beitrag in seiner Kritik zu weit:
– Dass der Gesetzgeber eine solch schwere Epidemie bei Erlass des IfSG und der Vorgängervorschriften nicht bedacht hat, scheint mir ziemlich offenkundig [In einem Bericht an den Bundestag beschreibt die Bundesregierung interessanterweise ein Szenario, dass dem aktuellen sehr ähnelt, das etwa alle 100-1000 Jahre vorkomme (BT-Drs. 17/12051, S. 55ff.)]. In solchen Situationen dürfte es der gefahrenabwehrrechtlichen Rspr des BVerfG (vgl. Beschluss vom 8.11.2012 – 1 BvR 22/12) entsprechen, dass besonders schwerwiegende Grundrechtseingriffe nur vorübergehend auf die Generalklausel gestützt werden dürfen, der Gesetzgeber also in den nächsten Monaten nachjustieren müsste.
– Ich bin erstaunt, wie klar für viele Kommentator*innen zur Zeit die Gefahrenprognose und die Wirksamkeit etwaiger Gegenmaßnahmen (bringt gar nix! unbedingt notwendig!) ist. Selbst der hier ins Feld geführte Drosten ist in seiner Argumentation ja stets bemüht zu betonen, wie unsicher die Annahmen sind, wie komplex und unübersichtlich die Lage ist usw. Zu Recht wird in diesem Zusammenhang betont, dass es eine politische Entscheidung ist, ob wir solche Maßnahmen wollen. Gerichtlich dürfte nur kontrollierbar sein, inwieweit die fachliche Einschätzung zumindest plausibel ist, und auch hier müsste das Parlament im Laufe der Zeit Maßstäbe vorgeben (vgl. Beschluss vom 23.10.2018 – 1 BvR 2523/13 u.a.)
– die Ausführung zu Art. 8 GG verstehe ich nicht. Wenn Versammlungen sowieso verboten sind, worin liegt die Eingriffswirkung einer Ausgangssperre?
Viel wichtiger scheint mir, sich die Ausgestaltung genau anzuschauen. Die Beispiele der getrennt lebenden Ehegatten und Freiberufler*innen sind zu gewichtig, für alle auf die Ausnahmeklausel zu verweisen und eine Ermessensreduktion auf Null anzunehmen. Hinzu kommen andere Konstellationen, wie sie andernorts beschrieben sind (https://www.juwiss.de/29-2020/), die zur Unverhältnismäßigkeit der Ausgangssperre führen. Mir scheint, dass rechtliche Problem darin besteht, dass die mitunter kraftmeierischen Maßnahmen (insbesondere aus Bayern) eine sorgfältige Abwägung vermissen lassen.
Ich danke Ihnen sehr für die kluge und differenzierte Darstellung.
Ich war schon völlig verzweifelt, ob des Mangels an Widerspruch und kritischem Geist, mit dem Bevölkerung, aber auch Opposition und Medien jedwede Beschränkung ihrer Grundrechte hinnehmen.
Die Tendenz Freiheit gegen ein Sicherheitsversprechen einzutauschen und das paternalistische Staatsverständnis von Markus Söder, Jens Spahn und anderen Politikern, die ein nicht existentes “Supergrundrecht” auf Sicherheit behaupten, hinter das alle anderen Rechte zurücktreten, ist seit langem zu beobachten.
Mir machen diese Entwicklungen große Angst, obwohl ich bislang immer auf die Wehrhaftigkeit unserer Demokratie und die Weisheit des Bundesverfassungsgerichts geglaubt habe.
Ich hoffe wir erleben hier nicht das Ende, unserer freiheitlich, demokratischen Grundordnung.
Hoffentlich melden sich noch viele kritische Stimmen, auch wenn sie momentan leider kaum Gehör finden.
Liebe Frau Weber,
auch mir bereitet eher Sorge, wie bereitwillig offenbar ein Großteil das Wichtigste von allem – die Entscheidung über ihre Freiheit – in der die Gesundheit begründet ist – aus der Hand geben.
Ein Jurastudent lernt bereits früh im Studium, dass das Leben ein undisponibles Rechtsgut ist.
Wie kann es dann sein, dass eine Regierung in einem “Federstrich” darüber disponiert und jeden Einzelnen faktisch entmündigt?
Wenn die Menschen wegen Freiheit schon mit der Freiheit bestraft werden können, sind wir zu weit.
Es bleibt zu hoffen, dass die Entmündigten nie über die Mündigen entscheiden, sondern nur jeder über und für sich selbst.
Sonst ist das ein Anfang von Verboten bei denen wir nicht vergessen werden können, wie viel wir mal “durften”.
Die Ironie liegt vor allem darin, dass – wie oben offenbar von einem Juristen ausgeführt – es für diese Verbote nicht einmal eine Rechtsgrundlage gibt, für den Widerstand dagegen aber schon (Art. 20 IV GG) und sich dennoch kaum eine Stimme mehr erhebt..
Danke auch für Ihren Beitrag.
Die Verfasserin fordert eine Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen. Allerdings ist in § 32 IfSG eine Ermächtigung der Landesregierungen zum Verordnungserlass verankert worden. Die sich auf dieser Grundlage erhebende Frage ist dann aber, ob diese Regelung und die damit verknüpften (unklaren) tatbestandlichen Voraussetzungen eigentlich durch Allgemeinverfügungen in Wahrheit normativen Charakters unterlaufen werden dürfen oder die Behörden darauf verwiesen sind, Regelungen auf Basis einer (ggf. auch delegierten) VO-Ermächtigung zu treffen.
Gut, dass Frau Edenharter derzeit keine Verantwortung für das Leben von Millionen von Menschen trägt, sondern lediglich einen Lehrstuhl für folgenlose Rechtsdogmatik an einer (ironischerweise: Fern-) Universität besetzt.
Na klar, und wer diese Verantwortung trägt, darf Grundrechte auf unverhältnismäßige Art und Weise einschränken? Gut, dass nicht alle einen Lehrstuhl für Rechtsdogmatik bekleiden… (sorry, ist nicht persönlich gemeint)
Ich empfehle eine Klage gegen das Covid-19-Virus.
Es schränkt die Freiheitsrechte der Bürger in unzulässiger Weise ein und handelt rechtswidrig.
Grüße in den Elfenbeinturm, der hoffentlich virendicht ist.
Virendicht ist der Elfenbeinturm vielleicht nicht, aber angstfrei. Außerhalb scheint zu gelten: Angst essen Freiheitsrechte auf…
Das Virus schränkt die Freiheitsrechte der Bürger*innen nicht ein. Es tut dies ebensowenig wie z.B. der Feinstaub aus den Kraftfahrzeugen, der womöglich für mehr Todesfälle verantwortlich ist als das Virus, dessentwegen wir aber durchaus nicht derart maximal tutioristische Maßnahmen ergreifen. Es ist primär unsere gesellschaftlich-poilitsche Verantwortung, wie wir mit derartigen Bedrohungen umgehen wollen.
Im Fall des Coronavirus müsste zumindest plausibel gemacht werden können, dass Maßnahmen, die derart gravierend in Grundrechte eingreifen wie eben eine generelle Ausgangssperre, deren Ende zudem aufgrund der langfristigen Bedrohung (das RKI spricht von bis zu zwei Jahren) nicht abzusehen ist, eine signifikant höhere Schutzwirkung entfalten, als stärker differenzierte und zielgerichtetere Maßnahmen (wie Versammlungs- oder, aktuell in Freiburg, Betretungsverbote). Dies erscheint zumindest zweifelhaft und kann durch den gegenwärtigen Erkenntnisstand, sofern man den hierzu sehr zurückhaltenden bis ablehnenden Stellungnahmen von Expert*innen folgt, nicht belegt werden.
Vielen Dank für diesen fundierten Beitrag. Es ist traurig, dass in unserer Gesellschaft für viele die Freiheitsrechte schon zur Selbstverständlichkeit verkommen sind und entsprechend gering geschätzt werden. Diese Rechte wurden mit viel Blut und mehr Menschenleben erkämpft als Corona je fordern könnte. Diese Menschen leben in einer Traumwelt, wo der Staat ihr Bestes will, sie schützen und behüten will.
Begreifen sie doch nicht, das jeder Staat letztlich nur nach Kontrolle giert, um sich zu zementieren und zu erhalten. Corona ist nach 9.11. der nächste Türöffner, die Bürgerrechte noch weiter mit repressiver Gesetzgebung auszuhöhlen. Die “Bürger” klatschen in ihrer geradezu dümmlich anmutenden Panik vor Husten und Schnupfen noch Beifall und schaffen sich selbst ab. Aber bis das Lieschen Müller und der Hans-Peter zwischen DSDS und Tatort begriffen haben und endlich wach werden, ist es möglicherweise zu spät. Gute Nacht!
Notstandsgesetze !
Ich bin froh, dass sich meine laienhafte und rein aus dem Bauch heraus empfundene Unverhältnismäßigkeit solcher angedrohter(!) Maßnahmen auch rechtlich belegen lässt.
Vielen Dank für den guten Artikel. Leider scheint die Bevölkerung sich gerade in zwei Lager zu spalten: Die, die unvernünftig in riesigen Menschentrauben in der Sonne sitzen und die große Gruppe derer, die aus lauter Panik am besten möchten, dass alle erstmal für die nächsten Monate eingekerkert werden.
Ich hoffe, dass sich im Fall einer Ausgangssperre schnell ein paar wehrhafte Juristen finden die diesem Treiben schnell ein Ende setzen. Mir persönlich macht diese Entrechtung und Aggressivität unserer Politik und Teilen der Gesellschaft viel mehr Sorgen als das Virus.
Was ist denn eigentlich mit Besuchen bei Behörden (z.B. zwecks Eheschließung oder Petitionsvorbringen) Gerichten- oder Rechtsanwälten?
Ist eine Ausgangssperre in Deutschland erforderlich?
“Nur” drei Verstorbene in Italien ohne Vorerkrankung, d.h.” reine Corona- Opfer” – von über 3400 Todesopfern, die chronisch krank oder vorbelastet waren!
Die außergewöhnlich starke Grippewelle 2017/18 hat nach Schätzungen rund 25.100 Menschen in Deutschland das Leben gekostet.
An der Influenza sind in dieser Saison in Deutschland nachweislich bereits rund 200 Menschen gestorben. Das geht aus den jüngsten Daten der Arbeitsgemeinschaft Influenza am Robert-Koch-Institut (RKI) hervor.
Im “Vergleich” hierzu stehen wir bei Corona derzeit “nur” bei fast 15000 Infizierten und 45 Toten.
Schaut man nach Italien und sieht die Anzahl an Opfern, so könnte man Angst bekommen – mit 3405 Todesopfern hat Italien am Donnerstag China als das Land mit den meisten Opfern des Coronavirus abgelöst. Offiziell sind mehr als 41 000 Menschen infiziert – Experten gehen von weitaus mehr aus.
Bei genauerem Hinsehen kommt allerdings heraus, daß das Durchschnittsalter der Opfer in Italien bei 79,5 Jahren liegt. Unterhalb der 50 Jährigen Opfer sind nahezu ausnahmslos chronisch Kranke oder vorbelastete Patienten.
“48,5 Prozent der Patienten hatten laut ISS mindestens drei Vorerkrankungen. 25,6 Prozent weitere litten an zwei chronischen Krankheiten. Nur bei drei der Verstorbenen war dem Institut zufolge keine Vorerkrankung bekannt. Dies entspricht 0,8 Prozent aller in Italien registrierten Todesfälle.” Tagesspiegel19.03.2020
Jeder mag nun die Ausgangsfrage für sich selbst entscheiden.
Eine Grippe-Saison dauert deutlich länger, mehrere Monate. „Derzeit“ ist kein guter Rat, wenn es schnell mehr werden. Wenn ich aus einem Hochhaus springe, und am 3. Stock vorbeikomme, kann ich auch sagen „derzeit geht es mir gut“.
Deshalb braucht man für die Einschätzung der Lage auch Prognosen.
Das mit den Vorerkrankungen ist ziemlich irrelevant. Ja, natürlich, so ein Virus ist ein Stresstest für den Körper. Ohne Vorerkrankungen besteht man den. Nur gilt das Recht auf Leben aber nicht nur für kerngesunde Leute, ganz im Gegenteil.
Eine Triage im militärischen Sinne (Leichtverletzte sich selbst heilen lassen, mittelschwer Verletzte bergen und schnell wieder an die Front bringen, schwer Verletzt sterben lassen) ist mit Artikel 1 GG nur schwer vereinbar, und nur in einer absolut unvermeidlichen Notfallsituation möglich.
D.h. eine Situation, bei der eine Triage wie in Bergamo erforderlich ist, ist bereits Staatsversagen, wenn sie durch Maßnahmen vorher, die weniger stark in Grundrechte eingreifen, als Leute einfach ohne Beatmungsgerät sterben lassen, vermieden werden kann.
Ja, der Gesetzgeber hat wohl da nicht vorgebaut, und im Grundgesetz auch keinen Gesundheitsnotstand. Das kann man aus juristischer Sicht natürlich kritisieren, genauso wie man aus epidemiologischer Sicht das zögerliche Handeln kritisieren muss.
Die fehlende Zielvorgabe bei den aktuellen Maßnahmen muss auch kritisiert werden. Wenn man wie Zhong Nanshan (der Virologe, der den Lockdown in Wuhan koordiniert hat) einfach sagt „Wir besiegen das Virus, und dann sind die Maßnahmen beendet“, dann hat man ein klares Ziel. So ein halbes Ziel von „Das Virus wird bleiben“ geht nicht. Es gibt überhaupt keinen Grund, warum das Virus bleiben muss.
Ist eine Ausgangssperre in Deutschland erforderlich?
“Nur” drei Verstorbene in Italien ohne Vorerkrankung, d.h.” reine Corona- Opfer” – von über 3400 Todesopfern, die chronisch krank oder vorbelastet waren!
Die außergewöhnlich starke Grippewelle 2017/18 hat nach Schätzungen rund 25.100 Menschen in Deutschland das Leben gekostet.
An der Influenza sind in dieser Saison in Deutschland nachweislich bereits rund 200 Menschen gestorben. Das geht aus den jüngsten Daten der Arbeitsgemeinschaft Influenza am Robert-Koch-Institut (RKI) hervor.
Im “Vergleich” hierzu stehen wir bei Corona derzeit “nur” bei fast 15000 Infizierten und 45 Toten.
Schaut man nach Italien und sieht die Anzahl an Opfern, so könnte man Angst bekommen – mit 3405 Todesopfern hat Italien am Donnerstag China als das Land mit den meisten Opfern des Coronavirus abgelöst. Offiziell sind mehr als 41 000 Menschen infiziert – Experten gehen von weitaus mehr aus.
Bei genauerem Hinsehen kommt allerdings heraus, daß das Durchschnittsalter der Opfer in Italien bei 79,5 Jahren liegt. Unterhalb der 50 Jährigen Opfer sind nahezu ausnahmslos chronisch Kranke oder vorbelastete Patienten.
“48,5 Prozent der Patienten hatten laut ISS mindestens drei Vorerkrankungen. 25,6 Prozent weitere litten an zwei chronischen Krankheiten. Nur bei drei der Verstorbenen war dem Institut zufolge keine Vorerkrankung bekannt. Dies entspricht 0,8 Prozent aller in Italien registrierten Todesfälle.”
Jeder mag nun die Ausgangsfrage für sich selbst entscheiden.
Menschen mit Vorerkrankungen können sich nicht selbst vor einer Erkrankung schützen.
Wenn jeder Mensch durch Einschränkung sozialer Konktakte dafür sorgen kann, dass diese Menschen geschützt sind, dann muss dies getan werden. Kommt dies in den Köpfen nicht an, muss der Staat die Menschen eben dazu zwingen.
Oder sind diese 3400 italienischen Todesopfer Ihrer Meinung nach weniger wert, weil sie bereits eine Vorerkrankung hatten? Ihre Differenzierung zwischen Todesopfern mit und ohne Vorerkrankung lässt genau das vermuten.
Mit dieser Einschätzung zielen Sie aber ebenfalls über das Ziel hinaus. Menschenleben dürfen nicht gegeneinander abgewogen werden und insoweit gibt es auch keine Unterscheidung zwischen “lebenswerten” und “nicht lebenswerten” Menschen. Das Problem mit den aktuellen Zahlen ist, dass sich diese im Moment exponentiell nach oben bewegen und bei einer ungestörten Verbreitung schwere Beeinträchtigungen unseres Gesundheitssystems drohen. Und damit in der Folge auch mögliche Tote über die Risikogruppen hinaus. Eine Verharmlosung ist damit genau so fehl am Platz wie die derzeitige Hysterie. Wir müssen als Gesellschaft mit den Fachleuten über die Maßnahmen diskutieren und diese auch hinterfragen, dass es allerdings Maßnahmen geben muss, steht außer Frage.
Über die Verhältnismäßigkeit einer Maßnahme lässt sich bei komplexen Fragestellungen immer streiten. Bekanntermaßen bewegt sich der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz haarscharf an der Trennlinie zwischen Recht und Politik (wie sich aktuell z.B. auch in der Diskussion um den Mietendeckel zeigt – bei dem das Ergebnis der Verhältnismäßigkeitsprüfung auch vom individuellen Vorverständnis abhängen dürfte).
Was mich aber doch sehr befremdet, ist der auch hier z.T. zu beobachtende Reflex, nunmehr wieder gleich den Rechtsstaat in Gefahr zu sehen (diesmal wohl eher von “links”). Es handelt sich um eine Jahrhundert-Krise. Und es geht darum, das Leben einer Vielzahl von, v.a. älteren, Menschen zu schützen. Der Vergleich mit 9/11 ist – mit Verlaub – abwegig. Es kann doch niemand ernsthaft glauben, die handelnden politischen Akteure wollten in der gegenwärtigen Situation dauerhaft das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit neu justieren. Auch von “Hysterie” zu reden, scheint mir eher nicht angebracht (s. Italien).
Lieber Herr Rau, wenn man, wie viele die hier lesen und kommentieren, sich schon eine Weile mit der Innenpolitik in Bund und Ländern auseinandersetzt, weiß man, dass es gar nicht wenige Politiker und Politikerinnen gibt, die durchaus das Verhältnis von Sicherheit und Freiheit neu justieren wollen. Jetzt anzunehmen, diese würden in der Krise ausgerechnet dieses Motiv, dieses Ziel fairerweise (?) hintanstellen wäre wirklich naiv.
Beispiele lassen sich schon jetzt finden, z.B. die in dieser Phase der Ausbreitung des Virus vollkommen überflüssigen Grenzschließungen von Deutschland in Richtung Frankreich oder der Einsatz von Bereitschaftspolizei (sicherlich garantiert COVID-19-frei…) gegen Zweitwohnungsinhaber auf Norderney. Wenn Sie von Hysterie reden wollen, reden Sie darüber.
Ich halte eine Ausgangssperre nicht für unverhältnismäßig. Es kommt wie so oft auf ihre konkrete Ausgestaltung an. Natürlich ist es absurd, mit dem Hund vor die Tür gehen zu dürfen, aber nicht mit dem Kind. Dasselbe gilt für die von der Autorin kritisierte Nachweispflicht von Arbeitnehmer*innen. Diese Einzelfall-Bewertung führt aber nicht dazu, dass sämtliche Ausgangssperren unverhältnismäßig sind.
Es ist gut, dass hier ein Bewusstsein dafür geschärft wird, welch nachhaltige Konsequenzen eine solch gravierende Einschränkung unserer Freiheitsrechte haben kann und wohl auch wird. Dieses Bewusstsein muss in die Köpfe der Menschen getragen werden, damit die sich gegen zu weitgehende Einschränkungen wehren können.
Der Verzicht auf einen Grillabend im Park ist jedoch nicht zu weitgehend, wenn das bedeutet, dass ich Menschen schützen kann, die sich wegen ihres Alters oder einer Vorerkrankung nicht selbst schützen können.
Bayern bastelt sich bereits sein eigenes Infektionsschutzgesetz. Kostprobe? “Das Recht auf körperliche Unversehrtheit und die Freizügigkeit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1, Art. 11 des Grundgesetzes, Art. 109 der Verfassung) können auf Grund dieses Gesetzes eingeschränkt werden.“ https://www.bayern.landtag.de/www/ElanTextAblage_WP18/Drucksachen/Basisdrucksachen/0000004500/0000004860.pdf
Ich habe für solche Meinungen keinerlei verständniss. Eine ausganssperre ist unabdingbar durch die Unvernunft der Bevölkerung und den Egoismus der Menschen.
Niemand würde versuchen einen Hausbrand mit einem Glas Wasser zu löschen.
Massive Maßnahmen sind erforderlich um eine solche Pandemie einzuschränken und das Gesundheitssystem, die Krankenhäuse, Ärzte und Pflegepersonal nicht zu überfordern.
Ich befürworte das Handeln der Regierung in diesem Fall und sehe eher ein zu schwaches und zaghaftes Handeln als ein übertriebenes Handeln. China hat es richtig gemacht. Dort haben die Menschen auch die entsprechende systemische Disziplin. Was man von den Europäern leider nicht sagen kann.
Nun Herr Sprater: Taiwan und Singapore haben ohne Einsperren des Volkes die Krise in den Griff bekommen, ebenso Japan!
Ein brennendes Haus löschen Sie nicht mit einem Glas Wasser, eine Kerze allerdings auch nicht mit einem Feuerwehrschlauch.
Und wem das Unverständnis über Coronaparties recht ist, dem muss das Unverständnis über Gewalt gegen “in der Öffentlichkeit Hustende”, wie Der Spiegel am 18.03. über einen Vorfall in Weimar berichtete, billig sein!
Andere Metapher: Sperren Sie bei Grippe alle anderen Personen in einem Zimmer ihrer Wohnung ein und verbieten den Zugang zum Rest, außer für den Gang zum WC und in die Küche, unter Strafandrohung beim nicht lebensnotwendigen Blick in den Garderobenspiegel im Flur?
Sehr geehrte Frau Kollegin,
ich stimme Ihnen vorbehaltlos zu.
Natürlich müssen strenge Maßnahmen ergriffen werden, aber in unserem Rechtsstaat muß es dann auch rechtsstaatlich zugehen.
Eine “allgemeine” Ausgangssperre bedarf einer besonderen Rechtsgrundlage wg. ihrer hohen Eingriffsintensität in Grundrechte, derzeit sehe ich die nicht.
Der Gesetzgeber sollte jetzt schnell tätig werden, um die Unsicherheiten zu beenden, Mitterteich ist ein schlechtes Beispiel.
Ergänzend noch: vielleicht erlangt das Wort “vorübergehend” in diesen Zeiten auch eine neue Deutung.
Ich wünsche mir eine kurzfristige juristische Klarstellung, vielleicht auch griffige Verfahren, die Entscheidungen schnellstmöglich zu überprüfen, etwa durch einstweilige Verfügungen.Gleichheitsgrundsatz heißt ja nicht Gleichmacherei von Sachverhalten, die unterschiedlich sind. Beispiel: Ein Verbot, die Wohnung aus privaten Gründen zu verlassen, mag in urbaner Umgebung sinnvoll sein. Aber außerhalb von Ballungsräumen, muss so eine Vorschrift abgemildert werden.
Wer treibt das Thema jetzt, um Klarstellungen zu erreichen?
Mir scheint, dass die Meisten die der im Artikel geäußerten Kritik hier applaudieren nicht einsehen wollen, dass die Güterabwegung in der jetztigen Situation so dynamisch seien muss wie die Entwicklung der Pandemie.
Eine allgemeine Ausgangssperre mag JETZT unverhältnismäßig wirken, relevant ist das Verhalten im JETZT aber für die Zukunft! Vulgo, es müssen in der Gegenwart subjektiv unverhältnismäßige Maßnahmen getroffen werden, um eine gravierend verschlechterte Lage (Triage etc.) in ein bis zwei Wochen zu verhindern.
Orientierungspunkt für eine Verhältnismäßigkeitsprüfung darf daher nicht die Gegenwart, sondern muss der wissenschaftliche anizipierbare Zustand in der Zukunft sein.
……..
Man kann sich hier ja gerne über eine contrarian position profilieren, ohne ein Midnesmaß an epidemiologischem Sachverstand ist ein Artikel wie der obige aber wohlfeil und ohne Realitätsbezug.
Ich weiß nicht, wen Sie da außer Herrn Drosten noch als epidemiologischen Zeugen haben möchten. Dieser hat es aber in seinem Podcast schon ziemlich klar gesagt: Eine allgemeine Ausgangssperre ist epidemiologisch gesehen derzeit nicht angezeigt, im Gegenteil soll man ruhig mal an die frische Luft gehen.
Epidemiologisch gesehen ist es so: Wir müssen die Zahl der Neuansteckungen senken, so dass eine infizierte Person ihrerseits weniger als eine weitere Person ansteckt. Dafür müssen wir die Kontakte miteinander signifikant verringern (nicht: minimieren!). Das sind Durchschnittswerte, es müssen also nicht alle in Quarantäne, wichtig ist dass die Kontakte insgesamt runtergehen. Mit dem Verbot von Veranstaltungen und Versammlungen und der Schließung weiter Bereiche unseres kulturellen und wirtschaftlichen Lebens (Kino, Fußball, Theater, Cafés) haben wir die Kontaktdichte der Bevölkerung schon erheblich verringert. Was aktuell darüber hinaus geht, in Form von Ausgangssperren u.ä., ist eben keine Entscheidung von Epidemiologen, sondern eine POLITISCHE Entscheidung, und als diese wird sie hier auch diskutiert und kritisiert.
Bei der Diskussion über den Einsatz von Polizei wird im Übrigen aktuell vollkommen vernachlässigt, dass diese Kräfte zum einem selbst im Risiko stehen, infiziert zu werden, insbesondere wenn sie in größeren Verbänden eingesetzt werden oder nach wie vor in Kasernen untergebracht sind. Zum zweiten wird auch das Risiko DURCH Polizei überhaupt nicht reflektiert, wenn z.B. ein Kontrollpunkt infiziert ist und diese Infektion an die zu Kontrollierenden weiter gibt.
Wenn wir Kontakte vermeiden wollen, dann gilt das auch für Kontakte mit der Polizei! Es ist nichts gewonnen, wenn wir durch erhöhte Kontrollen hinten mit dem Arsch einreißen, was wir vorne mit den Händen aufbauen.
Und wie sieht’s nun damit aus? Wahrscheinlich eine ähnliche Einschätzung?
https://www.bayern.de/service/informationen-zum-coronavirus/vorlaeufige-ausgangsbeschraenkung-anlaesslich-der-corona-pandemie/
Ein sehr interessanter Artikel. Leider habe ich momentan unzureichende Möglichkeiten, die Aussagen zur mangelnden Rechtsgrundlage zu überprüfen. Wie die Rechtsgrundlage kritisch zu hinterfragen ist, ist aber auch Kritik an dieser genauso kritisch zu hinterfragen.
Ich halte die Maßnahme momentan für gerechtfertigt und bin mir sicher, dass eine hinreichende Rechtsgrundlage gerade problemlos von einer breiten Mehrheit geschaffen werden könnte (wenn eben die momentane sich als tatsächlich unzureichend herausstellen sollte).
Etwas fundierter kann ich meine Kritik bezüglich der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme vorbringen:
Mir fehlt im Artikel die Abwägung mit dem legitimen Zweck einer Ausgangssperre. Dieser besteht im Schutz von Leben und Gesundheit der Bevölkerung (vorrangig der Risikogruppen, aber auch der gesamten Bevölkerung – auch jeder andere Intensivpatient z.B. ist vom funktionierenden Gesundheitssystem abhängig!). Die Gefahr durch Covid-19 ist m.E. deutlich konkreter und größer, also mögliche Gesundheitsgefährdungen in Isolierung.
Meiner Meinung nach überwiegt dieser legitime Zweck auch alle anderen Grundrechte, sodass eine solche Maßnahme angemessen wäre. Eine solche Abwägung fehlt mir in diesem Artikel völlig. Es wird lediglich dargestellt, in welche Grundrechte eingegriffen wird. Eine Abwägung findet in der Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht statt.
Zu Art. 8 ergänzend: Versammlungsverbote sind zwar ein milderes Mittel, allerdings offensichtlich nicht gleich geeignet, sodass eine Ausgangssperre ebenfalls geeignet ist.
Immer wachsam auf die Gewährleistung der Freiheitsgrundrecht zu achten, ist essentiell für Bestand von Rechtsstaat und Demokratie. In der momentanen Lage ist es aber, denke ich, genauso und vielleicht noch wichtiger auch in unsere staatlichen Institutionen zu vertrauen. Denn der Staat funktioniert nur mit Vertrauen.
Ein solcher Artikel – mit teilweise dramatischer Wortwahl “faschistoid”(?!?) – ist in einer Situation mit kursierenden Fake-News und Verschwörungstheorien wenig hilfreich, wenn nicht sogar kontraproduktiv.
Es sollte jetzt erstmal alles Mögliche getan werden, um Verhältnisse wie in Italien zu verhindern! Das ist erste und oberste Priorität. Der Weg zur gerichtlichen Überprüfung der Maßnahmen steht danach immer noch offen.
Ein guter Beitrag. Zur Unterscheidung “Spazieren mit Kind/Tier” allerdings: Hunde müssen draußen ihr Geschäft erledigen – Kinder nicht. Das scheint mir ein legitimer Grund für eine Differenzierung zu sein.
Nur einer der vielen Punke, die mich etwas fassungslos machen: Punkt II, dritter Absatz – “[…] da hierfür erforderlich wäre, dass sämtliche der von der Allgemeinverfügung betroffenen Personen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Krankheitserreger aufgenommen haben. Dies ist trotz steigender Zahlen von mit dem Corona-Virus Infizierten im Stadtgebiet von Mitterteich (insgesamt ca. 7000 Einwohner) bei bislang 26 Fällen jedoch nicht anzunehmen.” Diese Fallzahl spiegelt den Stand von vor sieben Tagen wieder (symptomfreie Zeit, Testdauer von eiigen Tagen), Bei derzeitiger Verdopplung alle 2,5 Tage und einer offenkundig hohen Dunkelziffer ungetesteter Fälle sind wir eher bei 500 Betroffenen. Eine Woche weitere Untätigkeit, und der Tatbestand wäre erfüllt – und die Anordnung überflüssig. Und so läßt sich zu vielen Punkten etwas anmerken. Das sag ich als eingefleischter Bürgerrechtler.
Ich bin sehr froh darüber, dass endlich jemand die Problematik einmal aus juristischer Sicht aufgreift und vielleicht eine Diskussion in Fachkreisen zustande kommt. Man kann sicher in vielen Punkten unterschiedlicher Meinung sein – wie fast immer im Recht. Dass die ganzen Beschränkungen und Eingriffe in elementare Freiheitsrechte nicht unproblematisch sind, drängt sich aber jedem Juristen auf – oder sollte es jedenfalls. Man gewinnt leider von Tag zu Tag immer mehr den Eindruck, dass der Zweck jedes Mittel rechtfertigt und die unbedingt notwendige strenge Abwägung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in den Hintergrund tritt. Gerade bei der Frage einer “Ausgangssperre”, die meiner Ansicht nach schon gar nicht ins Vokabular eines rechtsstaatlichen Demokraten gehört, liegt auf der Hand, dass vorrangig alle milderen Mittel ausgeschöpft werden müssen und sie die absolute ultima ratio bleiben muss. Die Leute rennen wegen jeder Bagatelle zu Gericht (was ich als Richter gut beurteilen kann!), nur hier schweigt die Mehrheit und fügt sich in jede Maßnahme. Das kann dem Rechtsstaat auf lange Sicht nicht gut tun.
Hallo und vielen Dank für den Beitrag! In der Tat hochinteressant und er trifft sich mit meinem Verständnis des GG und der Freiheitsrechte, deren Einschränkung in der Tat den höchsten Hürden unterworfen sein muss.
Ich würde hier gerne noch auf Baden Württemberg hinweisen:
[https://www.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/dateien/PDF/Coronainfos/200320_Verordnung_zur_Aenderung_der_CoronaVO.pdf]
***
Vom 20. März 2020:
…
§ 3
Verbot des Verweilens im öffentlichen Raum und von Versammlungen,
sonstigen Veranstaltungen und Ansammlungen
(1) Ein Verweilen auf öffentlichen Plätzen und im öffentlichen Straßenraum ist für
Gruppen von mehr als drei Personen nicht gestattet, es sei denn, dies ist unvermeidbar.
…
***
Das ganze bezieht sich auf:
***
Auf Grund von § 32 in Verbindung mit den § 28 Absatz 1 Satz 1 und 2 und
§ 31 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S.
1045), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 10. Februar 2020
(BGBl. I S. 148) geändert worden ist, wird verordnet:
***
Wirklich spannend finde ich nun aber § 56 Entschädigung des Infektionsschutzgesetz – IfSG:
***
“Wer auf Grund dieses Gesetzes als Ausscheider, #Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne von § 31 Satz 2 Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und dadurch einen Verdienstausfall erleidet, erhält eine Entschädigung in Geld. ….. [viel weiterer Text zum Verdienstausfall!]
***
Meine Frage ist nun: Muss auf Grund der von der Landesregierung erlassenen Verordnung (wobei irrelevant, ob als verfassungswidrig oder nicht zu klassifizieren) nicht genau von dieser der Verdienstausfall bezahlt werden?
Wie Caspar ausführte, fehlt leider eine Prüfung der Rechtfertigung des Eingriffs. So hätten das Grundrecht auf Gesundheit und Leben der gefährdeten und potentiellen Opfer von Covid 19, in die Verhältnismäßigkeitsprüfung eingestellt werden müssen. Insofern trifft den Staat eben auch eine objektive Schutzpflicht.
Was die Geeignetheit einer Ausgangssperre anbelangt, so mag man sich vielleicht darauf einigen können, dass deren Wirksamkeit unsicher ist, aber jedenfalls nicht abwegig oder von vornherein ungeeignet ist. Dann aber kommt der öffentlichen Gewalt die Einschätzungsprärogative zu.
Dass eine Ausgangssperre nicht erforderlich sei angesichts von Versammlungsverboten usw,erscheint fraglich. So zeigen Coronapartys und treffen von Gruppen, dass mildere Maßnahmen als Ausgangssperren nicht gleich geeignet sind. Schon wegen weniger strengen Möglichkeiten zur Kontrolle. Überdies kommt auch bei der Einschätzung, was erforderlich ist, dem Staat Spielraum zu. Wie sollte auch ein Gericht solch prognostische Einschätzungen besser beurteilen können?
Warum die Freiheit der Person ihrem Wesen nach “möglicherweise” angetastet sein soll, erschließt sich nicht. Etwa weil in diese eingegriffen wird? Das kann nicht ernstlich gemeint sein. So stellt eine Ausgangssperre schon per se keinen starken Eingriff in den Schutzbereich dar: Es wird eine Ausnahmen zulassende, zeitlich beschränkte und räumlich vergleichsweise offene Beschränkung auferlegt. Es klingt beinahe so als würde zeitlich unbeschränkt und anlasslos eine Fünfpunktfixierung angeordnet. Davon sind wir weit entfernt.
Dass die konkrete Allgemeinverfügung im Einzelnen schlecht verfasst ist und in dieser Form bei einer grundrechtsfeindlichen Auslegung (wenngleich sich eine solche verbietet, es sind ja keine AGB, insofern ist eine solche ohnehin verfehlt) auch rechtswidrig sein könnte:geschenkt.
Bezogen auf die eigentliche Frage: Ob Ausgangssperren Verfassungsgemäß erlassen werden können, ist die Rechtmäßigkeit der Verfügung aus Tirschenreuth ohne Belang.
Schlussendlich soll mit Blick auf das einfache Recht ein systematisches Argument zu 28 I 2 HS 2 IfSG beigesteuert werden: Indem es heißt, dass “sie [die Behörde] […] auch Personen verpflichten [kann], den Ort, an dem sie sich befinden, nicht zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte nicht zu betreten, bis die notwendigen Schutzmaßnahmen durchgeführt worden sind”, und dies die Kurzfristigkeit der Maßnahmen impliziere wie Edenhofer schreibt, ist dem systematisch entgegenzusetzen, dass die in Bezug genommenen Schutzmaßnahmen gem 28 I 1 IfSG zu treffen sind, ” solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist”. Wenn aber die von der Aufenthaltsanordnung gem. 28 I 2 HS 2 IfSG in Bezug genommenen Maßnahmen ausdrücklich zeitlich unbeschränkt sind, dann kann für die Aufenthaltsanordnung nichts anderes gelten. Vielmehr ist diese den Schutzmaßnahmen akzessorisch.
All die kritischen Stimmen bitte ich für den Moment sich solidarisch zu zeigen und Einschränkungen hinzunehmen, es könnte auch eure Eltern mit Vorerkrankung sein, die mangels Kapazitäten nicht beatmet werden und sterben, obwohl dies vermeidbar gewesen wäre.
Gleichzeitig möchte ich den kritischen Blick auf den Schutz grundrechtlicher Freiheit loben. Der Schutz von Freiheit ist ein überragend wichtiges Gut. Dass der Staat nicht alles, was erforderlich ist zur Zweckerreichung, tun darf, sondern das Grundgesetz ihm zu Recht unverrückbare Grenzen setzt, ist ein Segen und stets Wert zu verteidigen.
Sollten also massive Grundrechtseingriffe fortdauern, so seht auch bestärkt darin, die Gerichte anzurufen und die Maßnahmen einer Überprüfung zuzuführen.
Auch von mir Danke für die juristische Aufarbeitung der gegenwärtigen Zustände. Teilweise entsteht in Deutschland demnächst auch ein unüberschaubarer Flickenteppich, weil jeder “Lokalfürst” sich anmaßt, selbst darüber zu entscheiden, umfangreiche Ausgangssperren zu erlassen (ohne Einbeziehung des Stadtrats oder Kreistags).
Obwohl bspw. in Rheinland-Pfalz das zuständige Ministerium in einer gestern erlassenen Verordnung (in § 3) geregelt hat, dass die unteren Behörden Allgemeinverfügungen nur im Einvernehmen mit dem Ministerium erlassen werden dürfen, hat die Landrätin des Kreis Südwestpfalz am gleichen Tag wissentlich eine Allgemeinverfügung erlassen, die deutlich über die Inhalte der Landesverordnung hinausgeht.
Es wäre dringend an der Zeit, dass selbst betroffene, juristisch befähigte Bürgerrechtler Eilanträge vor dem Bundesverfassungsgericht einreichen. Dieser Entwicklung müsste m. E. auch juristisch dringend Einhalt geboten werden.
Besonders zynisch ist übrigens, dass die Begründung für die Allgemeinverfügung nicht ins Netz gestellt wurde; die darf man sich nur vor Ort ansehen. Was ja leider verboten ist…
Vielen Danbk für die exzellente rechtliche Ausarbeitung. Als Rechtsanwältin und Richter stehen wir fassungslos vor den beabsichtigten Maßnahmen der Ausgangssperre nun auch in Baden-Württemberg an diesem Wochenende (21.03.2020). Zum einen ist das Infektionsschutzgesetz aufgrund des Parlementsvorbehalts und der Wesentlichkeitstheorie keine ausreichende Rechtsgrundlage für die geplanten Notstandsversorndungen der Landesregierung. Zum anderen geben die von der Presse und selbst vom RKI veröffentlichenten Fallzahlen keine Veranlassung, solche, in unsere hart erkämpften Freiheitsrechte, einschneidenden Maßnahmen zu erlassen. Nach den offiziellen Angaben des RKI sind die Infiziertenzahlen ohnehin um einen Faktor 11-20 zu niedrig, dementsprechend ist die Letalitätsrate um einen Faktor von bis zu 20 zu teilen. Man darf sich also fragen, weshalb eine solche Hysterie zu diesen verfassungswidrigen Eingriffen führen kann. Wir überlegen uns, ob man nicht gegen diese Ausgangssperren im Wege der einstweiligen Verfügung vor das Verwaltungsgericht ziehen sollte. Ich meine, wir sind als Juristen dazu aufgefordert.
Ich darf Ihnen sagen, dass Ihr Plan, eine einstweilige Verfügung [sic!] vor dem Verwaltungsgericht erstreiten zu wollen, angesichts Ihrer Profession Fragezeichen beim Gericht verusachen wird.
Eine einstweilige Verfügung [sic!] gibt es gem. der VwGO nicht. Sie meine eine einstweilige Anordnung iSv. § 123 VwGO. Diese ist aber nur möglicht, wenn es nicht um die Suspendierung eines VA geht, denn dann wäre § 80 V VwGO anwendbar. § 80 V VwGO ist aber nur anwendbar, wenn es sich um einen VA handelt. Sofern man die Maßnahme in BaWü als Allgemeinverfügung § 35 Satz 2 LVwVfG ansehen mag, wäre also § 80 V VwGO möglich.
Selbst wenn man § 123 VwGO für einschlägig hält, dürfte es keine Vorwegnahme der Hauptsache geben, § 123 III iVm. ZPO. Eine solche ist jedoch nur z.B. in existenzbedrohnden Lagen denkbar. Eine solche hätten Sie m.E. nachzuweisen/vorzutragen. Dass eine Ausgangssperre mit den Ausnahmen Ihre Existenz bedroht, erscheint fragwürdig.
MfkG
Die Auffassung, die Maßnahme könne nicht auf die Generalklausel des IfSG gestützt werden, lässt die höchstrichterliche Rechtsprechung unbeachtet. Dies betrifft sowohl die Autorin hier als auch die Quelle, auf die sie sich bezieht.
So führt das BVerfG, Beschluss vom 08. November 2012 – 1 BvR 22/12 – RdNr. 25 aus:
Der Sache nach verstehen sie damit die polizeiliche Generalklausel dahingehend, dass sie es den Behörden ermöglicht, auf unvorhergesehene Gefahrensituationen auch mit im Grunde genommen näher regelungsbedürftigen Maßnahmen vorläufig zu reagieren, und ermöglichen so dem Gesetzgeber, eventuelle Regelungslücken zu schließen. Dies ist – bei Beachtung strenger Verhältnismäßigkeitsanforderungen – verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Es liegt dann in der Verantwortung des Gesetzgebers hierauf zu reagieren oder in Kauf zu nehmen, dass solche Maßnahmen von den Gerichten auf Dauer als von der geltenden Rechtslage nicht als gedeckt angesehen werden.
Das BVerwG (BVerwGE 115, 189, 195 f.) führt zur (polizeilichen) Generalklausel aus:
Mit ihren unbestimmten Rechtsbegriffen ist sie zwar in besonderem Maße der Auslegung und Konkretisierung bedürftig. Sie ist aber in jahrzehntelanger Entwicklung durch Rechtsprechung und Lehre nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend präzisiert, in ihrer Bedeutung geklärt und im juristischen Sprachgebrauch verfestigt.
Der Gesetzgeber mag mit dem IfSG ein Gesetz zur Bekämpfung von Seuchen erlassen haben, wie sich bereits aus den Namen der Vorgängerregelung ergibt (ehem. BSeuchG), so wird er in angesichts der technischen, medizinischen und wissenschaftlichen Entwicklung nicht damit gerechnet haben, dass eine solche Entwicklung überhaupt in Europa bzw. Deutschland eintreten könnte. Insofern wird er auch mit keiner spezielleren Regelung bisher aufwarten könnnen. Daher erscheint die Generalklausel des § 28 I 1 IfSG durchaus als Rechtsgrundlage für eine Maßnahme nach diesem Gesetz.
Nun mag man die Rspr. ablehnen. Jedoch sollte man sie bei eigenen Ausführungen bzw. Überlegungen aufnehmen und notfalls widerlegen. Daran fehlt es jedoch. Vielmehr wird pauschal die Nichtanwendbarkeit erklärt. Ein (solches) Ignorieren erscheint jedoch nicht wirklich professionell.
Ich entschuldige mich vorab, mein Beitrag wird ohne Zitate von Gesetzen, Verordnungen und Richtlinien auskommen müssen.
Vielen Dank für diesen Beitrag, nicht unbedingt für die fundierte, rechtliche Ausleuchtung – jedoch für das Anregen einer von mir schmerzlich vermissten Diskussion über die klaglose Hinnahme von Freiheitsbeschränkungen.
Danke auch dafür, dass der überwiegende Teil der Diskussionsteilnehmer hier ohne Polemik auskommen, um ihre, durch diverse Hintergründe gestützten Meinungen beizutragen. Das ist m.E. genau das, was ich als aktiver Teilnehmer an einer (in Gefahr geratenen?) Demokratie erwarte.
Das Thema ist offensichtlich vielschichtig. Es ist selbst ohne Vorwissen (wer hat denn genau dazu Vorwissen?) möglich, die aktuellen Erkrankungs-, Ansteckungs- und Todeszahlen in jede gewünschte Richtung auszulegen.
Auch ist es offensichtlich richtig, die auf wackligen Füßen stehenden und unzureichend formulierten und ertklärten Maßnahmen in Schutz zu nehmen, weil eine solche Bedrohung der Bevölkerung von den Gesetzgebern nicht bedacht worden sei.
Legitim ist es aber auch, darüber nachzudenken, was die Gesetzgeber in der Weimarer Republik nicht bedacht hatten?
Und natürlich löscht niemand einen Hausbrand mit einem Glas Wasser, jedoch repariert auch niemand eine tropfenden Wasserhahn mit dem Abstellen der kompletten Wasserversorgung.
Ich versuche täglich, meine Meinung zu diesem Thema weiter zu entwickeln, zu verdichten, für mich zu einem befriedigenden Ergebnis zu bringen.
Solange das anhand für mich nachvollziehbarer Rechtdarlegung nicht funktioniert, verzeihen sie mir bitte den Schritt zurück, ein wenig aus dem Thema heraus, auf eine zugegebenermaßen plakative Ebene:
Wer mir Freiheit verspricht, indem er mir Freiheit nimmt, der ist ungeeignet für mich zu entscheiden.
Bis dato gibt es in Bayern ca. 21 Tote aufgrund/mit/u.a.mit (Unterschied!) “mit Corona” Davon entfallen 8 auf eine verseuchte Pflegestation in Würzburg. Folglich ist in Bayern fast niemand daran gestorben, vorallem zu einem Vergleich mit einer Grippewelle bzw. immer wieder aufkommender Krankenhauskeime.Es ist zwar sehr traurig für die Angehörigen, aber wären diese Menschen nicht Wochen/Monate später, da über 80 Jahre alt, sowieso an ihren Vorerkrankungen gestorben? Genauso verhält es sich in Norditalien. Dort sterben leider zu 95 % alte Menschen mit Vorerkrankungen. Und diese Vorerkrankungen (Asthma, Lungenleiden) kommen von der saumäßigen Luft/Smog seit Jahrzehnten dort aufgrund der dortigen Industrie, dem Verkehr etc. (so eine Statistik in der Südd. Zeitung vom 20.03.2020), welche/welchen bis jetzt niemanden interessierte. Außer, wenn man damit Geld verdienen konnte.Nun kommen diese Vorerkrankten in die Krankenhäuser in Norditalien (Bergamo etc.), wo m.E. die gleiche Seuchengefahr, Verseuchtheit etc vorliegt, wie im Pflegeheim in Würzburg.Und letztlich müssen sie aufgrund der beschriebenen Umstände (Ansteckung etc.) leider versterben. Genauso wird es in Madrid sein…..Jedenfalls nimmt dies Herr Söder (vorallem) zum Anlass, welchen bis vor wenigen Wochen niemand ernst nahm (heute so, morgen so und übermorgen ganz anders), um das Grundgesetz aus den Angeln zu heben und vorallem die Freiheit jedes einzelnen rigoros zu beschränken. Dass letztlich auch Deutschland an die Wand gefahren wird, mit einer Arbeitslosenqote von 30 %, wird ebenfalls bald festzustellen sein. (Aussage ehemalige Zentralbankchefin aus Schweden) Nach alledem steht für mich fest, dass ich, als Rechtsanwalt, heute noch den einstweiligen Rechtsschutz suchen werde, falls in einigen Stunden ich nicht mehr vor die Türe gehen darf, weil Ministerpräsidenten endlich ihre Macht demontrieren können, für welche sie überhaupt die politische Karriere eingeschlagen haben.Sogar die Macht, am Telefon Grundrechte zu beseitigen. Gute Nacht.
Beachtenswert wäre auch noch folgender Aspekt:
Landesweit sind religiöse Zusammenkünfte verboten. Für einen Eingriff in die grundgesetzlich geschützte Religionsfreiheit nach Art. 4 GG liegt auf der Grundlage von § 32 IfSG meines Erachtens jedoch keine Berechtigung vor. Nach § 32 IfSG können insoweit “nur” die Grundrechte der Freiheit der Person (Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz), der Freizügigkeit (Artikel 11 Abs. 1 Grundgesetz), der Versammlungsfreiheit (Artikel 8 Grundgesetz), der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Abs. 1 Grundgesetz) und des Brief- und Postgeheimnisses (Artikel 10 Grundgesetz) eingeschränkt werden.
Als interessierter Laie würde mich im Kontext des hier diskutierten folgendes interessieren:
Wie passen die im §75 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) definierten Strafen zu dem Grundsatz, der bezüglich der Gefangenenselbstbefreiung angewendet wird:
“…. dass es ein in der allgemeinen Rechtsüberzeugung verwurzelter Grundsatz sei, das ein dem natürlichen Freiheitsdrang des Menschen entspringendes Verhalten nicht unter Strafandrohung gestellt werden solle.“
Zumindest in Fällen in denen jemand gegen eine „Ausgangssperre“ verstößt, der nachweislich nicht infiziert ist und somit keine Gefahr für andere darstellt, könnte man einen analogen Sachverhalt ableiten. Der natürliche Freiheitsdrang sollte insbesondere im Fall von länger andauernder Beschränkung als unabhängig vom Grund für die Beschränkung angenommen werden.
Sehr geehrte Frau Prof. Edenharter,
ich habe mir das von Ihnen angeführte Urteil des BVerwG (BVerwGE 142, 205 ff.) kurz angesehen. Darin heißt es in Rn. 36: “Ebenso wenig lagen die Voraussetzungen für eine Inanspruchnahme des Klägers als Nichtstörer vor. Das Schulbetretungsverbot erweist sich auch insoweit nicht als notwendige Schutzmaßnahme im Sinne von § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG.” Das bedeutet, dass das BVerwG nicht gesagt hat, dass über Satz 1 nur potentiell Kranke, also “Störer”, sondern darüber hinaus auch “Nichtstörer” in Anspruch genommen werden können. Insofern wäre es ja sehr wohl möglich, hier eine Maßnahme gegen eine Vielzahl von Nichtstörern zu stützen.
Mit freundlichen Grüßen
Toni Schuberl
Vielen Dank für diesen Artikel. Die Ermächtigungsgrundlage des Par. 28 Abs. 1 IfSG wurde heute durch Bundestagsbeschluss angepasst, um auch Ausgangssperren und Verbote von Menschenansammlungen klar zu als „notwendige Maßnahmen“ zu definieren und so die Angreifbarkeit der bisherigen gesetzlichen Eingriffsgrundlage zu beseitigen. Leider hat der Gesetzgeber es versäumt, strenge Voraussetzungen für die Verhängung von Ausgangssperren zu definieren. So entsteht die bleibende Gefahr, dass die zuständigen Behörden zukünftig selbst bei kleineren Ausbrüchen übertragbarer Krankheiten direkt Ausgangssperren verhängen. Zum Thema der Erforderlichkeit: die Tatsache, dass sich einzelne nicht an die bereits erlassenen Verbote halten, rechtfertigt nicht den Erlass von schärferen Maßnahmen gegen die rechtstreuen Bürgerinnen und Bürger. Außerdem dürfen schärfere Maßnahmen auch nicht allein zum Zweck der „Verwaltungserleichterung“ erlassen werden (Ausgangssperren dürfen also nicht allein deswegen verhängt werden, um die Kontrolle von Kontaktverboten zu erleichtern). Im Übrigen sehe ich die Würde des Menschen verletzt, wenn bei Ausgangssperren für „Gassigehen“ eine Ausnahme vorgesehen wird, während Kinder nicht mehr vor die Tür dürfen. Schließlich wäre auch einem Hundehalter zumutbar, das in der Wohnung verrichtete Geschäft seines Haustieres über die Toilette oder den Müll zu entsorgen.
Rückkehr zur Freiheit – Was wäre die Lösung?
Eine stufenweise Lockerung des “shutdown” birgt die latente Gefahr, dass dies in weiten Teilen der Gesellschaft faktisch auf ein Leben unter behördlichem „Genehmigungsvorbehalt“ hinausläuft.
Die Leopoldina zeigt in ihren Empfehlungen nicht wirklich auf, wie eine von ihr empfohlene stufenweise Lockerung praktisch umgesetzt werden soll, weil – wie sie selbst sagt – , jede Lockerung beständig darauf überwacht und überprüft werden muss, ob sie noch erforderlich, geeignet, angemessen und verhältnismäßig ist und sehr komplexe Blickwinkel zu berücksichtigen hat.
Wer in den öffentlichen Verwaltungen soll das leisten?
Ich fände sachgerechter und praktikabler, die Verantwortlichen in Gesellschaft, Institutionen, Unternehmen und Einrichtungen seitens der Politik einzuladen, für ihren jeweiligen Verantwortungsbereich ein gutes Risikomanagement für der erste Zeit nach dem 19.4. vorzuschlagen, das in möglichst weitgehender Eigenverantwortung (evtl. unter Hinzuziehung von Experten) umgesetzt und überwacht werden kann, idealerweise branchenintern abgestimmt. Dieses Risikomanagement könnte dann von den behördlichen Entscheidungsträgern akzeptiert, oder (mit Begründung) abgelehnt werden.
Wäre das nicht einer freiheitlichen Grundordnung eher angemessen?
Ich möchte eine eher allgemeine Frage in den Raum stellen, die mich beschäftigt: Ich habe den Eindruck, dass die deutsche Gesetzeslage, soweit sie vor der Corona-Krise bestand, einer Pandemie überhaupt nicht gewachsen war. Die Pandemiepläne die existierten waren soweit ich weiß alle spezifisch auf Influenza zugeschnitten und wurden in weiten Teilen nicht mal umgesetzt. Hätte man sie umgesetzt, hätte man einen angemessenen Vorrat an Masken und Desinfektionsmittel vorhalten müssen — um nur einen Punkt zu nennen.
Meine Frage also: Ist das deutsche Infektionsschut-Gesetz einer Pandemie eines unbekannten, neuartigen Virus (wie wir es jetzt erleben) überhaupt gewachsen?
Ist es nicht viel mehr so, dass man nach der Bewältigung der Corona-Krise den Maßnahmen-Katalog der in so einem Fall vertretbar ist, komplett überdenken bzw. überhaupt erst definieren muss?
Und noch eine Anmerkung zum Schluss: Ist es nicht eine bemerkenswerte gesellschaftliche Leistung, dass sich so viele Länder der Welt ohne lange Diskussion dazu entschlossen haben Minderheiten zu schützen? Ich finde das muss man mal lobend erwähnen.
[…] Dr. Andrea Edenharter […]