19 März 2020

Freiheitsrechte ade?

Die Rechtswidrigkeit der Ausgangssperre in der oberpfälzischen Stadt Mitterteich

Am gestrigen Mittwoch, den 18.03.2020 hat das Landratsamt Tirschenreuth (Oberpfalz) eine Allgemeinverfügung erlassen, die für das Stadtgebiet der Stadt Mitterteich eine Ausgangssperre bis einschließlich 02.04.2020 vorsieht, um das Corona-Virus einzudämmen. Der Maßnahme mangelt es nicht nur an einer hinreichenden Rechtsgrundlage, sondern sie ist auch unverhältnismäßig. Sie ist Ausdruck der allgemeinen Panik und der offenkundigen Ratlosigkeit der Politik im Umgang mit dem Corona-Virus. Ebenso wie eine bloße laissez faire-Strategie fehl am Platze wäre, darf in die Freiheitsrechte der Bürger trotz der Krise nicht in verfassungswidriger Weise eingegriffen und auf diese Weise eine faktische Entmündigung der Bevölkerung vorgenommen werden.

I. Verhängung einer Ausgangssperre in der Stadt Mitterteich

Die Allgemeinverfügung stützt sich auf § 28 Abs. 1 S. 2 u. S. 1 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) in Verbindung mit § 65 Satz 1 der Zuständigkeitsverordnung (ZustV) und untersagt das Verlassen der häuslichen Unterkunft ohne triftigen Grund. Ausgenommen von diesem Verbot sind nach Ziff. 2 der Allgemeinverfügung zehn näher bezeichnete Ortsteile der Stadt Mitterteich. Ausnahmsweise erlaubt sind folgende Tätigkeiten:

  • Hin- und Rückweg zur jeweiligen Arbeitsstätte mit Bescheinigung des Arbeitgebers
  • Einkäufe für den Bedarf des täglichen Lebens innerhalb des Stadtgebiets Mitterteich
  • Besuche von Arztpraxen, Sanitätshäusern, Optiker, Hörgeräteakustiker und Gesundheitspraxen (z.B. Physiotherapieeinrichtungen)
  • Apothekenbesuche innerhalb des Stadtgebiets Mitterteich
  • Besuche von Filialen der Deutschen Post
  • Tanken an Tankstellen
  • Geldabheben bei Banken
  • Hilfeleistungen für Bedürftige
  • Feuerwehrkräfte und Rettungskräfte auf dem Weg zum Stützpunkt oder Einsatzort
  • Notwendiger Lieferverkehr
  • Abgabe von Briefwahlunterlagen
  • Unabdingbare Versorgungen von Haustieren

Nach Ziff. 4 der Allgemeinverfügung kann in begründeten Fällen eine Ausnahme beim Landratsamt Tirschenreuth beantragt werden. Zuwiderhandlungen gegen die Allgemeinverfügung sind nach Maßgabe von § 75 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 IfSG strafbewehrt; in concreto droht eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder eine Geldstrafe. Die Allgemeinverfügung wurde für sofort vollziehbar erklärt.

II. Zulässigkeit der Anordnung einer Ausgangssperre auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes

Das Landratsamt Tirschenreuth hat die Allgemeinverfügung auf § 28 Abs. 1 S. 2 sowie auf § 28 Abs.1 S. 1 IfSG gestützt. § 28 Abs. 1 S. 2 IfSG gestattet bestimmte Maßnahmen gegenüber der Allgemeinheit, u.a. die Anordnung gegenüber Personen, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht zu verlassen, bis die notwendigen Schutzmaßnahmen durchgeführt worden sind (§ 28 Abs. 1 S. 2 2. HS. IfSG). Die Ausgangssperre fällt als Anordnung, das eigene zu Hause nicht zu verlassen, tatbestandsmäßig grundsätzlich unter diese Vorschrift. Indes hat die Norm, wie Anika Klafki zu Recht herausgearbeitet hat, lediglich vorübergehende Fälle im Blick, etwa die Anordnung, ein Flugzeug oder ein Passagierschiff nicht zu verlassen, bis notwendige Vorkehrungen getroffen wurden, um ansteckungsverdächtige Personen zu isolieren. Die Kurzfristigkeit der Maßnahmen impliziert schon die Formulierung „bis die notwendigen Schutzmaßnahmen durchgeführt worden sind“. Eine allgemeine zweiwöchige Ausgangssperre geht über eine solche vorübergehende Maßnahme, um andere Vorkehrungen treffen zu können, weit hinaus.

Die Allgemeinverfügung kann auch nicht auf § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG gestützt werden. Die Vorschrift enthält eine Generalklausel, die es erlaubt, beim Auftreten von Kranken, Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen oder Ausscheidern generell, die „notwendigen Schutzmaßnahmen“ zu erlassen. Nach der Gesetzesbegründung zur Vorgängervorschrift des § 34 BSeuchG (BT-Drs. 8/2468, S. 24) wollte der Gesetzgeber damit auch Maßnahmen gegenüber Nichtstörern ermöglichen, etwa Krankenbesuche verbieten. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass die Vorschrift dazu dienen sollte, eine allgemeine Ausgangssperre zu legitimieren. Außerdem wäre es vor dem Hintergrund des aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Bestimmtheitsgrundsatzes verfehlt, die sehr eingriffsintensive Maßnahme einer Ausgangssperre auf die Generalklausel des § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG zu stützen, die die zuständige Stelle zu nicht näher definierten „notwendigen Schutzmaßnahmen“ ermächtigt.

Die Ausgangssperre ist auch keine allgemeine Quarantäneanordnung i.S.v. §§ 28 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 30 Abs. 1 S. 2 IfSG, da hierfür erforderlich wäre, dass sämtliche der von der Allgemeinverfügung betroffenen Personen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Krankheitserreger aufgenommen haben (BVerwGE 142, 205 ff.). Dies ist trotz steigender Zahlen von mit dem Corona-Virus Infizierten im Stadtgebiet von Mitterteich (insgesamt ca. 7000 Einwohner) bei bislang 26 Fällen jedoch nicht anzunehmen. Damit hat das Landratsamt Tirschenreuth seine Allgemeinverfügung nicht auf eine taugliche Rechtsgrundlage gestützt.

III. Polizei- und Sicherheitsrecht bzw. Katastrophenschutzrecht als Rechtsgrundlage

Auch außerhalb des Infektionsschutzgesetzes existiert keine taugliche Rechtsgrundlage für die Allgemeinverfügung. Im Polizeirecht sieht Art. 16 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 lit. b) des Bayerischen Polizeiaufgabengesetzes (PAG) lediglich ein Aufenthaltsgebot vor, das jedoch nur als Ermächtigungsgrundlage für Maßnahmen der Polizei, nicht jedoch des Landratsamts als Rechtsgrundlage dienen kann und überdies auch nur vorübergehende Maßnahmen erlaubt. Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 des Landesstraf- und Verordnungsgesetzes (LStVG) kommt ebenfalls nicht als Rechtsgrundlage in Betracht, da eine derart eingriffsintensive Maßnahme wie eine Ausgangssperre nicht auf die sicherheitsrechtliche Generalklausel gestützt werden kann, zumal dadurch das ausdifferenzierte Sonderregime des Infektionsschutzgesetzes als lex specialis umgangen würde. Schließlich findet sich auch im Katastrophenschutzgesetz keine hinreichende Rechtsgrundlage für eine derartige Ausgangssperre. Die Allgemeinverfügung des Landratsamts ist so schon wegen des Fehlens einer gesetzlichen Grundlage rechtswidrig.

IV. Unverhältnismäßiger Eingriff in Freiheitsrechte

Daneben ist die Ausgangssperre aber auch deshalb rechtswidrig, weil sie in unverhältnismäßiger Weise in die Freiheitsrechte der betroffenen Bewohner eingreift. Dies gilt insbesondere für die Grundrechte der körperlichen Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG), der persönlichen Freiheit (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG), der Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) sowie der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG), aber selbstredend auch für die Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) sowie für die Freizügigkeit (Art. 11 Abs. 1 GG).

Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG

Eine Ausgangssperre führt notwendigerweise dazu, dass die Zahl der sozialen Kontakte drastisch reduziert wird, was nach Einschätzung von Virologen die Ausbreitung des Corona-Virus verlangsamt und damit Leib und Leben von besonders anfälligen Personengruppen (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) schützen kann. Die vom Landratsamt Tirschenreuth nunmehr angeordnete Maßnahme erweist sich jedoch im Hinblick auf die körperliche Unversehrtheit der betroffenen Stadtbewohner (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) als nicht verhältnismäßig. Eine allgemeine Ausgangssperre ist nach Ansicht von führenden deutschen Virologen schon medizinisch nicht indiziert. Ganz im Gegenteil, durch die Ausgangssperre werden die Menschen gezwungen, die überwiegende Zeit in ihren Wohnungen zu verbringen. Dies wird sich nicht nur positiv auf den Gesundheitszustand der Bevölkerung auswirken, da längere Aufenthalte an der frischen Luft, die etwa vom Virologen Christian Drosten zur Stärkung der Immunabwehr ausdrücklich empfohlen werden, nunmehr nicht mehr möglich sind. Dadurch kann es passieren, dass man die Widerstandsfähigkeit der Bevölkerung durch eine Maßnahme, die sie eigentlich schützen soll, erst schwächt. Außerdem besteht die Gefahr, dass durch die zweiwöchige Ausgangssperre die psychische Gesundheit stark leidet. Dies gilt insbesondere für Personen, die zu Depressionen neigen und die durch die Ausgangssperre in ihrer psychischen Gesundheit sogar soweit beeinträchtigt werden, dass Suizidgefahr besteht. Zu bedenken ist dabei insbesondere, dass nicht alle Wohnungen über mehrere Räume verfügen, in denen sich Menschen zumindest eingeschränkt bewegen können.

Nach dem Wortlaut der Allgemeinverfügung ist es sogar untersagt, dass Eltern ihr Baby im Kinderwagen an die frische Luft bringen, solange sie dies nicht zu Einkaufszwecken etc. tun. Wenn demgegenüber die Versorgung von Haustieren als Ausnahme vom Verbot ausdrücklich normiert ist, fehlt es augenscheinlich nicht nur an der Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, sondern auch an der korrekten Anwendung des Gleichheitssatzes. Wenn das Verlassen der Wohnung zur Versorgung von Haustieren ausnahmsweise gestattet ist, müsste dies doch erst recht für die Versorgung von Mitmenschen, in diesem Fall von Kleinkindern, gelten! Dazu jedoch schweigt die Allgemeinverfügung. Der Passus, wonach in begründeten Fälle eine Ausnahme beim Landratsamt beantragt werden könne, ändert daran wenig, da kaum vorstellbar ist, dass alle Eltern von Kleinkindern an das Landratsamt schreiben sollen mit der Bitte um die Erlaubnis für einen Spaziergang mit Kinderwagen auch zu Zeiten, in denen die Lebensmittelmärkte vielleicht geschlossen haben.

Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG

Auch in die Freiheit der Person nach Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG greift die Ausgangssperre intensiv ein, und zwar mittels einer Freiheitsbeschränkung. Diese ist in dieser Form jedenfalls nicht angemessen, da gerade Menschen in einer 1-Zimmer-Wohnung sich nunmehr auf engstem Raum aufhalten müssen, ohne ihre Wohnung für einen nennenswerten Teil des Tages verlassen zu können. Hinzu kommt, dass die Anordnung für zwei Wochen gilt, also nicht gerade für einen geringfügigen Zeitraum. Schließlich ist auch in diesem Zusammenhang zu betonen, dass eine Maßnahme, die aus medizinischer Sicht schon nicht empfohlen wird, einen derart intensiven Grundrechtseingriff, der – worauf Pierre Thielbörger und Benedikt Böhlert im Zusammenhang mit vergleichbaren Maßnahmen hinweisen – möglicherweise den Wesensgehalt des Grundrechts (Art. 19 Abs. 2 GG) antastet, nicht rechtfertigen kann.

Art. 6 Abs. 1 GG

Des Weiteren ist das Recht aus Art. 6 Abs. 1 GG, also der besondere Schutz von Ehe und Familie, tangiert, indem die Allgemeinverfügung etwa Eheleuten, die im Stadtgebiet nicht in einer gemeinsamen Wohnung wohnen, verbietet, einander aufzusuchen. Ob das Landratsamt diesen Fall als Ausnahmefall im Blick hatte, darf zumindest bezweifelt werden, zumal nicht näher definiert wird, was als begründete Ausnahme nach Ziff. 4 der Allgemeinverfügung anerkannt werden kann. Die Problematik stellt sich in ähnlicher Weise, wenn getrennt lebende oder geschiedene Ehepartner, die beide in dem betroffenen Gebiet wohnen, das gemeinsame Sorgerecht für die gemeinsamen Kinder besitzen und die Kinder sich gegenwärtig bei einem Elternteil aufhalten. Besuche der Kinder beim anderen Ehepartner wären nach der Allgemeinverfügung nunmehr grundsätzlich untersagt. Während Besuchsverbote in Krankenhäusern und Alten- und Pflegeheimen zum Schutz besonders gefährdeter Personengruppen selbst vor dem Hintergrund von Art. 6 Abs. 1 GG durchaus verhältnismäßig sein können, ist dies bei einem allgemeinen Kontaktverbot für sämtliche Bevölkerungsgruppen, dessen medizinischer Nutzen zudem höchst umstritten ist, nicht der Fall.

Art. 12 Abs. 1 GG

Daneben ist insbesondere auch die Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG betroffen, wobei eine Berufsausübungsregelung vorliegt. Zwar lässt die Allgemeinverfügung den Hin- und Rückweg zur Arbeitsstätte ausnahmsweise zu, doch muss hierfür die Bescheinigung des jeweiligen Arbeitgebers vorgelegt werden. Was gilt jedoch im Fall von Selbständigen? Zu denken ist etwa an Freiberufler, die außerhalb ihrer Wohnung einen Büroraum angemietet haben, z.B. als Einzelanwältin. Eine Bescheinigung des Arbeitgebers kann in diesem Fall schon nicht vorgelegt werden, allenfalls ein Nachweis über die Ausübung der Tätigkeit sowie die Anmietung entsprechender Räumlichkeiten außerhalb der Wohnung. Ob dies nach der Allgemeinverfügung ausreichend wäre, ist unklar. Zudem ist nicht absehbar, wie derartige Konstellationen in der Praxis gehandhabt werden und welche bürokratischen Hürden für die Betroffenen gegebenenfalls errichtet werden. In einer Stadt mit knapp 7000 Einwohnern mag insoweit noch eine pragmatische Handhabung möglich sein, bei Ausgangssperren auch in größeren Städten oder sogar landesweiten Ausgangssperren, wie sie der Bayerische Ministerpräsidenten Markus Söder ins Spiel bringt, wird dies kaum mehr der Fall sein.

Art. 8 Abs. 1 GG, Art. 11 Abs. 1 GG

Dass die Ausgangssperre auch in die Grundrechte der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) und der Freizügigkeit (Art. 11 Abs. 1 GG) eingreift, liegt auf der Hand. Für die Freizügigkeit sieht Art. 11 Abs. 2 GG explizit einen Gesetzesvorbehalt für Maßnahmen zur Bekämpfung von Seuchengefahr vor, doch müssen sich auch diese Maßnahmen am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz messen lassen. Im Hinblick auf die Versammlungsfreiheit sind Versammlungsverbote im Verhältnis zu einer Ausgangssperre ein milderes, gleich wirksames Mittel, das vorrangig zur Anwendung kommen sollte und das bereits praktiziert wird.

V. Das Virus eindämmen – im Einklang mit dem Grundgesetz

Angesichts der Corona-Pandemie neigen Politik und zuständige Behörden dazu, die Freiheitsrechte der Bürger stark einzuschränken. Als Akutmaßnahme gegen die Ausbreitung des Virus mögen bestimmte Maßnahmen wie etwa das Verbot von Versammlungen oder die Schließung von Cafés und Restaurants sowie von Schulen und Kindergärten sinnvoll sein, die aktuelle Lage darf jedoch nicht dazu führen, dass sämtliche Freiheitsrechte mit einem Federstrich außer Kraft gesetzt werden. Zu Recht warnt Hans Michael Heinig vor der Gefahr, dass sich unser Gemeinwesen „von einem demokratischen Rechtsstaat in kürzester Frist in einen faschistoid-hysterischen Hygienestaat“ verwandeln könnte.

Bei der Corona-Pandemie handelt es sich um eine lang andauernde Bedrohung, bei der gerade auch die langfristigen Auswirkungen entsprechender Maßnahmen bedacht werden müssen, die sich naturgemäß sehr stark von der Wirkung punktueller Einschnitte unterscheiden. Unser Rechtssystem ist jedenfalls für derartige Bedrohungen nicht vorbereitet. Daher obliegt es dem Gesetzgeber, eine entsprechende Rechtsgrundlage im Infektionsschutzgesetz in Form einer Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen zu schaffen. Sie muss nicht nur entsprechende Notfallmaßnahmen ermöglichen, sondern auch den betroffenen Freiheitsrechten hinreichend Rechnung tragen. Dafür braucht es jedoch eine gesamtgesellschaftliche Diskussion, die die Mitverantwortung der einzelnen Bürgerinnen und Bürger ernst nimmt, nicht nur aktionistische Notstandsmaßnahmen der Politik. Wir sind als Gesellschaft dazu aufgerufen, dafür Sorge zu tragen, dass nicht nur das Corona-Virus bestmöglich eingedämmt wird, sondern auch, dass das die Grundrechte des Grundgesetzes möglichst „Corona-resistent“ bleiben.


SUGGESTED CITATION  Edenharter, Andrea: Freiheitsrechte ade?: Die Rechtswidrigkeit der Ausgangssperre in der oberpfälzischen Stadt Mitterteich, VerfBlog, 2020/3/19, https://verfassungsblog.de/freiheitsrechte-ade/, DOI: 10.17176/20200320-003047-0.

56 Comments

  1. Jens Do 19 Mrz 2020 at 15:27 - Reply

    „““
    faschistoid-hysterischen Hygienestaat
    „““

    Wanderer kommst du ins Spa, verkündige dorten, dass ich mir die Hände wusch, wie das Gesetz es befahl.

  2. Maximus Pontifex Do 19 Mrz 2020 at 17:09 - Reply

    „Wir sind als Gesellschaft dazu aufgerufen, dafür Sorge zu tragen, dass nicht nur das Corona-Virus bestmöglich eingedämmt wird, sondern auch, dass das die Grundrechte des Grundgesetzes möglichst „Corona-resistent“ bleiben.“

    Es funktioniert nur schlicht nicht. Man braucht nur in jeder beliebigen Großstadt in den letzten Tagen in die Cafés und Restaurants zu blicken und sieht überall Leute dich gedrängt in der Sonne sitzen. Auf abgesperrten Spielplätzen tummeln sich die Kinder und ihre Eltern. Wenn es auch in Deutschland zu Ausgangssperren kommt, haben wir uns das als Gesellschaft selbst zuzuschreiben.

    • Law as Integrity Do 19 Mrz 2020 at 22:24 - Reply

      Darf denn der Souverän nicht unvernünftig sein, lieber Pontifex? Ist schon klar, dass die Leute den Café-Besuch mal lieber sein lassen sollten – aber hat die Exekutive denn die rechtsstaatliche Legitimität, die Bürger derart zu zwingen?

      • Maximus Pontifex Fr 20 Mrz 2020 at 08:56 - Reply

        Das ist die entscheidende Frage. Allerdings geht es nicht nur um reine Unvernunft, sondern auch um die Gefährdung anderer, insbesondere um potentielle Lebensgefahren für Risikogruppen.

      • Frankfurterin Sa 21 Mrz 2020 at 22:23 - Reply

        Danke für diesen Artikel. Ich hatte schon die ganzen letzten Tage ein beklemmendes Gefühl dabei, dass solche weitreichende Ausgehverbote einfach mir nichts dir nichts umgesetzt werden, dieser Artikel legt nahe, dass die rechtliche Grundlage zumindest hinterfragt werden kann/sollte. Ich persönlich fühle mich als Alleinstehende Person, die bei einem Ausgehverbot wie aktuell in Bayern gültig faktisch mehrere Wochen in „Einzelhaft“ geschickt würde, stark in meiner persönlichen Freiheit eingeschränkt. Ob das noch verhältnismäßig ist, wenn ich meine Kontakte bereits stark reduziert habe, aber nicht mal mehr meine beste Freundin sehen kann um nicht nach ein paar Wochen alleine durchzudrehen, während andere noch zu jeder Arbeit, egal wie sinnlos diese ist, fahren dürfen, frage ich mich wirklich… Aber das nur am Rande.

    • Ashe Fr 20 Mrz 2020 at 09:35 - Reply

      Genau richtig! Jetzt bitte noch Fahrverbote im selben Ausmaß um der Klimakrise Herr zu werden!
      Die Bevölkerung hatte ja 30 Jahre Zeit sich von selbst vernünftig zu verhalten.

  3. Achim Schaper Do 19 Mrz 2020 at 17:30 - Reply

    Der Beitrag geht m.E. erstmalig auf die durch Zwangsmaßnahmen zu erwartenden Kollateralschäden ein. Sicherlich sind zusätzliche Opfer aufgrund ausgelöster Ordnungsmaßnahmen von den verantwortlichen Stellen nicht beabsichtigt. Allerdings sollten derartige Komplikationen in ein vollständiges Risikomanagement mit einfließen und auch kommuniziert werden müssen, da sie essentiell für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Grundrechteeinschränkungen sind.

  4. Peter Madjarov Do 19 Mrz 2020 at 18:17 - Reply

    In einigen Punkten geht mir der Beitrag in seiner Kritik zu weit:
    – Dass der Gesetzgeber eine solch schwere Epidemie bei Erlass des IfSG und der Vorgängervorschriften nicht bedacht hat, scheint mir ziemlich offenkundig [In einem Bericht an den Bundestag beschreibt die Bundesregierung interessanterweise ein Szenario, dass dem aktuellen sehr ähnelt, das etwa alle 100-1000 Jahre vorkomme (BT-Drs. 17/12051, S. 55ff.)]. In solchen Situationen dürfte es der gefahrenabwehrrechtlichen Rspr des BVerfG (vgl. Beschluss vom 8.11.2012 – 1 BvR 22/12) entsprechen, dass besonders schwerwiegende Grundrechtseingriffe nur vorübergehend auf die Generalklausel gestützt werden dürfen, der Gesetzgeber also in den nächsten Monaten nachjustieren müsste.
    – Ich bin erstaunt, wie klar für viele Kommentator*innen zur Zeit die Gefahrenprognose und die Wirksamkeit etwaiger Gegenmaßnahmen (bringt gar nix! unbedingt notwendig!) ist. Selbst der hier ins Feld geführte Drosten ist in seiner Argumentation ja stets bemüht zu betonen, wie unsicher die Annahmen sind, wie komplex und unübersichtlich die Lage ist usw. Zu Recht wird in diesem Zusammenhang betont, dass es eine politische Entscheidung ist, ob wir solche Maßnahmen wollen. Gerichtlich dürfte nur kontrollierbar sein, inwieweit die fachliche Einschätzung zumindest plausibel ist, und auch hier müsste das Parlament im Laufe der Zeit Maßstäbe vorgeben (vgl. Beschluss vom 23.10.2018 – 1 BvR 2523/13 u.a.)
    – die Ausführung zu Art. 8 GG verstehe ich nicht. Wenn Versammlungen sowieso verboten sind, worin liegt die Eingriffswirkung einer Ausgangssperre?

    Viel wichtiger scheint mir, sich die Ausgestaltung genau anzuschauen. Die Beispiele der getrennt lebenden Ehegatten und Freiberufler*innen sind zu gewichtig, für alle auf die Ausnahmeklausel zu verweisen und eine Ermessensreduktion auf Null anzunehmen. Hinzu kommen andere Konstellationen, wie sie andernorts beschrieben sind (https://www.juwiss.de/29-2020/), die zur Unverhältnismäßigkeit der Ausgangssperre führen. Mir scheint, dass rechtliche Problem darin besteht, dass die mitunter kraftmeierischen Maßnahmen (insbesondere aus Bayern) eine sorgfältige Abwägung vermissen lassen.

  5. Anna Weber Do 19 Mrz 2020 at 19:55 - Reply

    Ich danke Ihnen sehr für die kluge und differenzierte Darstellung.

    Ich war schon völlig verzweifelt, ob des Mangels an Widerspruch und kritischem Geist, mit dem Bevölkerung, aber auch Opposition und Medien jedwede Beschränkung ihrer Grundrechte hinnehmen.

    Die Tendenz Freiheit gegen ein Sicherheitsversprechen einzutauschen und das paternalistische Staatsverständnis von Markus Söder, Jens Spahn und anderen Politikern, die ein nicht existentes „Supergrundrecht“ auf Sicherheit behaupten, hinter das alle anderen Rechte zurücktreten, ist seit langem zu beobachten.

    Mir machen diese Entwicklungen große Angst, obwohl ich bislang immer auf die Wehrhaftigkeit unserer Demokratie und die Weisheit des Bundesverfassungsgerichts geglaubt habe.

    Ich hoffe wir erleben hier nicht das Ende, unserer freiheitlich, demokratischen Grundordnung.

    Hoffentlich melden sich noch viele kritische Stimmen, auch wenn sie momentan leider kaum Gehör finden.

    • Pablo Mino Fr 20 Mrz 2020 at 09:01 - Reply

      Liebe Frau Weber,

      auch mir bereitet eher Sorge, wie bereitwillig offenbar ein Großteil das Wichtigste von allem – die Entscheidung über ihre Freiheit – in der die Gesundheit begründet ist – aus der Hand geben.

      Ein Jurastudent lernt bereits früh im Studium, dass das Leben ein undisponibles Rechtsgut ist.
      Wie kann es dann sein, dass eine Regierung in einem „Federstrich“ darüber disponiert und jeden Einzelnen faktisch entmündigt?

      Wenn die Menschen wegen Freiheit schon mit der Freiheit bestraft werden können, sind wir zu weit.

      Es bleibt zu hoffen, dass die Entmündigten nie über die Mündigen entscheiden, sondern nur jeder über und für sich selbst.
      Sonst ist das ein Anfang von Verboten bei denen wir nicht vergessen werden können, wie viel wir mal „durften“.

      Die Ironie liegt vor allem darin, dass – wie oben offenbar von einem Juristen ausgeführt – es für diese Verbote nicht einmal eine Rechtsgrundlage gibt, für den Widerstand dagegen aber schon (Art. 20 IV GG) und sich dennoch kaum eine Stimme mehr erhebt..

      Danke auch für Ihren Beitrag.

  6. Th. Koch Do 19 Mrz 2020 at 20:45 - Reply

    Die Verfasserin fordert eine Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen. Allerdings ist in § 32 IfSG eine Ermächtigung der Landesregierungen zum Verordnungserlass verankert worden. Die sich auf dieser Grundlage erhebende Frage ist dann aber, ob diese Regelung und die damit verknüpften (unklaren) tatbestandlichen Voraussetzungen eigentlich durch Allgemeinverfügungen in Wahrheit normativen Charakters unterlaufen werden dürfen oder die Behörden darauf verwiesen sind, Regelungen auf Basis einer (ggf. auch delegierten) VO-Ermächtigung zu treffen.

  7. MK Do 19 Mrz 2020 at 21:14 - Reply

    Gut, dass Frau Edenharter derzeit keine Verantwortung für das Leben von Millionen von Menschen trägt, sondern lediglich einen Lehrstuhl für folgenlose Rechtsdogmatik an einer (ironischerweise: Fern-) Universität besetzt.

    • Law as Integrity Do 19 Mrz 2020 at 22:30 - Reply

      Na klar, und wer diese Verantwortung trägt, darf Grundrechte auf unverhältnismäßige Art und Weise einschränken? Gut, dass nicht alle einen Lehrstuhl für Rechtsdogmatik bekleiden… (sorry, ist nicht persönlich gemeint)

  8. Achim Stelzer Do 19 Mrz 2020 at 22:02 - Reply

    Ich empfehle eine Klage gegen das Covid-19-Virus.
    Es schränkt die Freiheitsrechte der Bürger in unzulässiger Weise ein und handelt rechtswidrig.

    Grüße in den Elfenbeinturm, der hoffentlich virendicht ist.

    • Law as Integrity Do 19 Mrz 2020 at 22:33 - Reply

      Virendicht ist der Elfenbeinturm vielleicht nicht, aber angstfrei. Außerhalb scheint zu gelten: Angst essen Freiheitsrechte auf…

    • Homo politicus Fr 20 Mrz 2020 at 01:57 - Reply

      Das Virus schränkt die Freiheitsrechte der Bürger*innen nicht ein. Es tut dies ebensowenig wie z.B. der Feinstaub aus den Kraftfahrzeugen, der womöglich für mehr Todesfälle verantwortlich ist als das Virus, dessentwegen wir aber durchaus nicht derart maximal tutioristische Maßnahmen ergreifen. Es ist primär unsere gesellschaftlich-poilitsche Verantwortung, wie wir mit derartigen Bedrohungen umgehen wollen.

      Im Fall des Coronavirus müsste zumindest plausibel gemacht werden können, dass Maßnahmen, die derart gravierend in Grundrechte eingreifen wie eben eine generelle Ausgangssperre, deren Ende zudem aufgrund der langfristigen Bedrohung (das RKI spricht von bis zu zwei Jahren) nicht abzusehen ist, eine signifikant höhere Schutzwirkung entfalten, als stärker differenzierte und zielgerichtetere Maßnahmen (wie Versammlungs- oder, aktuell in Freiburg, Betretungsverbote). Dies erscheint zumindest zweifelhaft und kann durch den gegenwärtigen Erkenntnisstand, sofern man den hierzu sehr zurückhaltenden bis ablehnenden Stellungnahmen von Expert*innen folgt, nicht belegt werden.

  9. Emanuel Do 19 Mrz 2020 at 22:32 - Reply

    Vielen Dank für diesen fundierten Beitrag. Es ist traurig, dass in unserer Gesellschaft für viele die Freiheitsrechte schon zur Selbstverständlichkeit verkommen sind und entsprechend gering geschätzt werden. Diese Rechte wurden mit viel Blut und mehr Menschenleben erkämpft als Corona je fordern könnte. Diese Menschen leben in einer Traumwelt, wo der Staat ihr Bestes will, sie schützen und behüten will.
    Begreifen sie doch nicht, das jeder Staat letztlich nur nach Kontrolle giert, um sich zu zementieren und zu erhalten. Corona ist nach 9.11. der nächste Türöffner, die Bürgerrechte noch weiter mit repressiver Gesetzgebung auszuhöhlen. Die „Bürger“ klatschen in ihrer geradezu dümmlich anmutenden Panik vor Husten und Schnupfen noch Beifall und schaffen sich selbst ab. Aber bis das Lieschen Müller und der Hans-Peter zwischen DSDS und Tatort begriffen haben und endlich wach werden, ist es möglicherweise zu spät. Gute Nacht!

  10. Rechtsanwältin Brigitte Draudt Do 19 Mrz 2020 at 23:28 - Reply

    Notstandsgesetze !

  11. Thomas Fr 20 Mrz 2020 at 00:49 - Reply

    Ich bin froh, dass sich meine laienhafte und rein aus dem Bauch heraus empfundene Unverhältnismäßigkeit solcher angedrohter(!) Maßnahmen auch rechtlich belegen lässt.

    Vielen Dank für den guten Artikel. Leider scheint die Bevölkerung sich gerade in zwei Lager zu spalten: Die, die unvernünftig in riesigen Menschentrauben in der Sonne sitzen und die große Gruppe derer, die aus lauter Panik am besten möchten, dass alle erstmal für die nächsten Monate eingekerkert werden.

    Ich hoffe, dass sich im Fall einer Ausgangssperre schnell ein paar wehrhafte Juristen finden die diesem Treiben schnell ein Ende setzen. Mir persönlich macht diese Entrechtung und Aggressivität unserer Politik und Teilen der Gesellschaft viel mehr Sorgen als das Virus.

  12. XXX Fr 20 Mrz 2020 at 01:03 - Reply

    Was ist denn eigentlich mit Besuchen bei Behörden (z.B. zwecks Eheschließung oder Petitionsvorbringen) Gerichten- oder Rechtsanwälten?

  13. Jochen Bauer Fr 20 Mrz 2020 at 03:58 - Reply

    Ist eine Ausgangssperre in Deutschland erforderlich?

    „Nur“ drei Verstorbene in Italien ohne Vorerkrankung, d.h.“ reine Corona- Opfer“ – von über 3400 Todesopfern, die chronisch krank oder vorbelastet waren!

    Die außergewöhnlich starke Grippewelle 2017/18 hat nach Schätzungen rund 25.100 Menschen in Deutschland das Leben gekostet.

    An der Influenza sind in dieser Saison in Deutschland nachweislich bereits rund 200 Menschen gestorben. Das geht aus den jüngsten Daten der Arbeitsgemeinschaft Influ­enza am Robert-Koch-Institut (RKI) hervor.

    Im „Vergleich“ hierzu stehen wir bei Corona derzeit „nur“ bei fast 15000 Infizierten und 45 Toten.

    Schaut man nach Italien und sieht die Anzahl an Opfern, so könnte man Angst bekommen – mit 3405 Todesopfern hat Italien am Donnerstag China als das Land mit den meisten Opfern des Coronavirus abgelöst. Offiziell sind mehr als 41 000 Menschen infiziert – Experten gehen von weitaus mehr aus.

    Bei genauerem Hinsehen kommt allerdings heraus, daß das Durchschnittsalter der Opfer in Italien bei 79,5 Jahren liegt. Unterhalb der 50 Jährigen Opfer sind nahezu ausnahmslos chronisch Kranke oder vorbelastete Patienten.

    „48,5 Prozent der Patienten hatten laut ISS mindestens drei Vorerkrankungen. 25,6 Prozent weitere litten an zwei chronischen Krankheiten. Nur bei drei der Verstorbenen war dem Institut zufolge keine Vorerkrankung bekannt. Dies entspricht 0,8 Prozent aller in Italien registrierten Todesfälle.“ Tagesspiegel19.03.2020

    Jeder mag nun die Ausgangsfrage für sich selbst entscheiden.

    • Bernd Paysan Sa 21 Mrz 2020 at 20:43 - Reply

      Eine Grippe-Saison dauert deutlich länger, mehrere Monate. „Derzeit“ ist kein guter Rat, wenn es schnell mehr werden. Wenn ich aus einem Hochhaus springe, und am 3. Stock vorbeikomme, kann ich auch sagen „derzeit geht es mir gut“.

      Deshalb braucht man für die Einschätzung der Lage auch Prognosen.

      Das mit den Vorerkrankungen ist ziemlich irrelevant. Ja, natürlich, so ein Virus ist ein Stresstest für den Körper. Ohne Vorerkrankungen besteht man den. Nur gilt das Recht auf Leben aber nicht nur für kerngesunde Leute, ganz im Gegenteil.

      Eine Triage im militärischen Sinne (Leichtverletzte sich selbst heilen lassen, mittelschwer Verletzte bergen und schnell wieder an die Front bringen, schwer Verletzt sterben lassen) ist mit Artikel 1 GG nur schwer vereinbar, und nur in einer absolut unvermeidlichen Notfallsituation möglich.

      D.h. eine Situation, bei der eine Triage wie in Bergamo erforderlich ist, ist bereits Staatsversagen, wenn sie durch Maßnahmen vorher, die weniger stark in Grundrechte eingreifen, als Leute einfach ohne Beatmungsgerät sterben lassen, vermieden werden kann.

      Ja, der Gesetzgeber hat wohl da nicht vorgebaut, und im Grundgesetz auch keinen Gesundheitsnotstand. Das kann man aus juristischer Sicht natürlich kritisieren, genauso wie man aus epidemiologischer Sicht das zögerliche Handeln kritisieren muss.

      Die fehlende Zielvorgabe bei den aktuellen Maßnahmen muss auch kritisiert werden. Wenn man wie Zhong Nanshan (der Virologe, der den Lockdown in Wuhan koordiniert hat) einfach sagt „Wir besiegen das Virus, und dann sind die Maßnahmen beendet“, dann hat man ein klares Ziel. So ein halbes Ziel von „Das Virus wird bleiben“ geht nicht. Es gibt überhaupt keinen Grund, warum das Virus bleiben muss.

  14. Jochen Bauer Fr 20 Mrz 2020 at 04:26 - Reply

    Ist eine Ausgangssperre in Deutschland erforderlich?

    „Nur“ drei Verstorbene in Italien ohne Vorerkrankung, d.h.“ reine Corona- Opfer“ – von über 3400 Todesopfern, die chronisch krank oder vorbelastet waren!

    Die außergewöhnlich starke Grippewelle 2017/18 hat nach Schätzungen rund 25.100 Menschen in Deutschland das Leben gekostet.

    An der Influenza sind in dieser Saison in Deutschland nachweislich bereits rund 200 Menschen gestorben. Das geht aus den jüngsten Daten der Arbeitsgemeinschaft Influ­enza am Robert-Koch-Institut (RKI) hervor.

    Im „Vergleich“ hierzu stehen wir bei Corona derzeit „nur“ bei fast 15000 Infizierten und 45 Toten.

    Schaut man nach Italien und sieht die Anzahl an Opfern, so könnte man Angst bekommen – mit 3405 Todesopfern hat Italien am Donnerstag China als das Land mit den meisten Opfern des Coronavirus abgelöst. Offiziell sind mehr als 41 000 Menschen infiziert – Experten gehen von weitaus mehr aus.

    Bei genauerem Hinsehen kommt allerdings heraus, daß das Durchschnittsalter der Opfer in Italien bei 79,5 Jahren liegt. Unterhalb der 50 Jährigen Opfer sind nahezu ausnahmslos chronisch Kranke oder vorbelastete Patienten.

    „48,5 Prozent der Patienten hatten laut ISS mindestens drei Vorerkrankungen. 25,6 Prozent weitere litten an zwei chronischen Krankheiten. Nur bei drei der Verstorbenen war dem Institut zufolge keine Vorerkrankung bekannt. Dies entspricht 0,8 Prozent aller in Italien registrierten Todesfälle.“

    Jeder mag nun die Ausgangsfrage für sich selbst entscheiden.

    • rasche Fr 20 Mrz 2020 at 08:59 - Reply

      Menschen mit Vorerkrankungen können sich nicht selbst vor einer Erkrankung schützen.

      Wenn jeder Mensch durch Einschränkung sozialer Konktakte dafür sorgen kann, dass diese Menschen geschützt sind, dann muss dies getan werden. Kommt dies in den Köpfen nicht an, muss der Staat die Menschen eben dazu zwingen.

      Oder sind diese 3400 italienischen Todesopfer Ihrer Meinung nach weniger wert, weil sie bereits eine Vorerkrankung hatten? Ihre Differenzierung zwischen Todesopfern mit und ohne Vorerkrankung lässt genau das vermuten.

    • Ernst Hagen Fr 20 Mrz 2020 at 10:20 - Reply

      Mit dieser Einschätzung zielen Sie aber ebenfalls über das Ziel hinaus. Menschenleben dürfen nicht gegeneinander abgewogen werden und insoweit gibt es auch keine Unterscheidung zwischen „lebenswerten“ und „nicht lebenswerten“ Menschen. Das Problem mit den aktuellen Zahlen ist, dass sich diese im Moment exponentiell nach oben bewegen und bei einer ungestörten Verbreitung schwere Beeinträchtigungen unseres Gesundheitssystems drohen. Und damit in der Folge auch mögliche Tote über die Risikogruppen hinaus. Eine Verharmlosung ist damit genau so fehl am Platz wie die derzeitige Hysterie. Wir müssen als Gesellschaft mit den Fachleuten über die Maßnahmen diskutieren und diese auch hinterfragen, dass es allerdings Maßnahmen geben muss, steht außer Frage.

  15. Markus Rau Fr 20 Mrz 2020 at 07:41 - Reply

    Über die Verhältnismäßigkeit einer Maßnahme lässt sich bei komplexen Fragestellungen immer streiten. Bekanntermaßen bewegt sich der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz haarscharf an der Trennlinie zwischen Recht und Politik (wie sich aktuell z.B. auch in der Diskussion um den Mietendeckel zeigt – bei dem das Ergebnis der Verhältnismäßigkeitsprüfung auch vom individuellen Vorverständnis abhängen dürfte).

    Was mich aber doch sehr befremdet, ist der auch hier z.T. zu beobachtende Reflex, nunmehr wieder gleich den Rechtsstaat in Gefahr zu sehen (diesmal wohl eher von „links“). Es handelt sich um eine Jahrhundert-Krise. Und es geht darum, das Leben einer Vielzahl von, v.a. älteren, Menschen zu schützen. Der Vergleich mit 9/11 ist – mit Verlaub – abwegig. Es kann doch niemand ernsthaft glauben, die handelnden politischen Akteure wollten in der gegenwärtigen Situation dauerhaft das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit neu justieren. Auch von „Hysterie“ zu reden, scheint mir eher nicht angebracht (s. Italien).

    • Vee Lafayette Mo 23 Mrz 2020 at 10:58 - Reply

      Lieber Herr Rau, wenn man, wie viele die hier lesen und kommentieren, sich schon eine Weile mit der Innenpolitik in Bund und Ländern auseinandersetzt, weiß man, dass es gar nicht wenige Politiker und Politikerinnen gibt, die durchaus das Verhältnis von Sicherheit und Freiheit neu justieren wollen. Jetzt anzunehmen, diese würden in der Krise ausgerechnet dieses Motiv, dieses Ziel fairerweise (?) hintanstellen wäre wirklich naiv.

      Beispiele lassen sich schon jetzt finden, z.B. die in dieser Phase der Ausbreitung des Virus vollkommen überflüssigen Grenzschließungen von Deutschland in Richtung Frankreich oder der Einsatz von Bereitschaftspolizei (sicherlich garantiert COVID-19-frei…) gegen Zweitwohnungsinhaber auf Norderney. Wenn Sie von Hysterie reden wollen, reden Sie darüber.

  16. rasche Fr 20 Mrz 2020 at 08:45 - Reply

    Ich halte eine Ausgangssperre nicht für unverhältnismäßig. Es kommt wie so oft auf ihre konkrete Ausgestaltung an. Natürlich ist es absurd, mit dem Hund vor die Tür gehen zu dürfen, aber nicht mit dem Kind. Dasselbe gilt für die von der Autorin kritisierte Nachweispflicht von Arbeitnehmer*innen. Diese Einzelfall-Bewertung führt aber nicht dazu, dass sämtliche Ausgangssperren unverhältnismäßig sind.

    Es ist gut, dass hier ein Bewusstsein dafür geschärft wird, welch nachhaltige Konsequenzen eine solch gravierende Einschränkung unserer Freiheitsrechte haben kann und wohl auch wird. Dieses Bewusstsein muss in die Köpfe der Menschen getragen werden, damit die sich gegen zu weitgehende Einschränkungen wehren können.

    Der Verzicht auf einen Grillabend im Park ist jedoch nicht zu weitgehend, wenn das bedeutet, dass ich Menschen schützen kann, die sich wegen ihres Alters oder einer Vorerkrankung nicht selbst schützen können.

  17. Andreas Sichelstiel Fr 20 Mrz 2020 at 08:46