Freundschaft schließen mit der Entgelttransparenz
Optimistische Prognosen trotz deutlicher Kritik
In Europa besteht ein Problem bei der Bezahlung von Arbeitnehmern, die gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichten, aber unterschiedlichen Geschlechtern angehören. Mit der Entgelttransparenz-Richtlinie (EU) 2023/970 hat der europäische Gesetzgeber strenge Vorgaben geschaffen, die bis Juni 2026 umgesetzt werden müssen und erhebliche Anpassungen des nationalen Entgelttransparenzgesetzes erforderlich machen. Insbesondere aus dem Arbeitgeberlager gibt es deutliche Kritik an der Richtlinie. Die mit ihr einhergehenden Mechanismen und Potenziale zur Förderung der Geschlechtergleichbehandlung in Deutschland sollten jedoch vom nationalen Gesetzgeber genutzt werden. Sowohl der Gesetzgeber als auch die Arbeitgeber sollten sich daher mit der Entgelttransparenzrichtlinie anfreunden.
Entgelttransparenzgesetz und Evaluation
Der deutsche Gesetzgeber hat 2017 zur Förderung der Gleichberechtigung der Geschlechter und im Sinne des Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG das Entgelttransparenzgesetz erlassen, um dem Problem der Entgeltzahlungslücke zwischen Mann und Frau zu begegnen. Grundsätzlich ist jede Benachteiligung aufgrund des Geschlechts im Hinblick auf das Entgelt verboten (§ 7 AGG; §§ 3, 7 EntgTranspG). Damit dieses Prinzip praktisch wirksam wird, enthält das Gesetz einen Auskunftsanspruch zugunsten des individuellen Beschäftigten in Betrieben mit mehr als 200 Beschäftigten (§ 10 EntgTranspG). Betriebe mit mehr als 500 Beschäftigten werden aufgefordert, betriebliche Verfahren zur Überprüfung und Herstellung von Entgeltgleichheit durchzuführen (§ 17 EntgTranspG). Ab einer solchen Größe sind zudem Berichtspflichten zur Gleichstellung im Betrieb vorgesehen (§ 21 EntgTranspG). Das Entgelttransparenzgesetz enthält zudem Regelungen, die sowohl kleine und mittlere Unternehmen als auch tarifgebundene Arbeitgeber privilegieren, um deren Belastung durch die gesetzlichen Anforderungen zu verringern.
Die Bundesregierung konnte dem Entgelttransparenzgesetz nur eine begrenzte Wirksamkeit nachweisen, als sie das Gesetz im August 2023 zum zweiten Mal evaluierte: Der Auskunftsanspruch werde nur zurückhaltend in Anspruch genommen und habe keinen signifikanten Effekt auf die Entgeltlücke. Nur etwa 30 Prozent der Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten hätten ihre Entgeltstrukturen seit 2019 freiwillig überprüft, wobei die Ergebnisse in Ermangelung einheitlicher Instrumente und Methoden schwer auszuwerten seien. Nur ein geringer Teil der zur Berichterstattung verpflichteten Unternehmen kam ihrer Berichtspflicht tatsächlich nach – laut Bericht lag die Umsetzungsquote im niedrigen zweistelligen Prozentbereich. Die Nichtbeachtung der Berichtspflichten ist nicht mit Sanktionen belegt. Für die Zukunft verweist das Evaluationsgutachten auf die Vorgaben der Entgelttransparenzrichtlinie, die eine Anpassung der Instrumente nach dem Entgelttransparenzgesetz erfordern und Sanktionen verpflichtend vorsehen.
Regelungen nach der Entgelttransparenzrichtlinie
Mit der im Mai 2023 in Kraft getretenen Entgelttransparenzrichtlinie hat der europäische Gesetzgeber mindestharmonisierende Regelungen zur Förderung der Entgelttransparenz geschaffen.
Das erste Kapitel beginnt mit dem Gegenstand der Richtlinie, der Stärkung der Anwendung des „Grundsatzes des gleichen Entgelts bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit für Männer und Frauen“ (Art. 1). Der Geltungsbereich erfasst Arbeitgeber in öffentlichen und privaten Sektoren (Art. 2). Der Grundsatz des gleichen Entgelts ist keine neue Erfindung der Kommission, sondern in der europäischen Rechtsgeschichte angelegt und die Mitgliedstaaten sind insbesondere nach Art. 157 Abs. 1 AEUV bereits primärrechtlich an ihn gebunden. In den Begriffsdefinitionen bemüht sich die Richtlinie, die zentralen Begriffe „gleiche“ und „gleichwertige“ Arbeit auszufüllen. Der Begriff „gleiche Arbeit“ ermöglicht einen entgeltbezogenen Vergleich identischer Tätigkeiten. „Gleichwertige Arbeit“ hingegen bezieht sich auf Tätigkeiten, die zwar verschiedenartig, aber hinsichtlich des Werts der Arbeit vergleichbar sein sollen.
Bei der Wahl der Instrumente und Methoden zur Bewertung von Tätigkeiten müssen Arbeitgeber von den Mitgliedstaaten unterstützt werden. Die Wertschätzung einer Tätigkeit muss sich dabei insbesondere an vier Beurteilungsfaktoren knüpfen: Kompetenzen, Belastungen, Verantwortung und Arbeitsbedingungen (Art. 4).
Die Transparenzmechanismen des zweiten Kapitels unterteilen sich in proaktive Informationspflichten (Art. 5, 6), subjektive Auskunftsrechte zur Fremdkontrolle (Art. 7) und Berichtspflichten (Art. 9) sowie eine daran anknüpfende gemeinsame Entgeltbewertung zur Eigenkontrolle (Art. 10). Die Informationspflichten setzen bei bewerbenden Personen an, die vom Arbeitgeber über das erwartbare Entgelt oder die Entgeltspanne informiert werden müssen, innerhalb derer sie für die angestrebte Position verhandeln können. Verhindert werden soll eine Informationsasymmetrie, die die Verhandlungsposition der Bewerber schwächen könnte. Um die Kenntnis zum Zeitpunkt der Verhandlung zu garantieren, kommen zum Beispiel Angaben zum erwartbaren Entgelt oder zur Entgeltspanne in der Stellenausschreibung oder in der Einladung zum Bewerbungsgespräch in Betracht. Bereits beschäftigte Arbeitnehmer müssen über die Kriterien informiert werden, die für die Festlegung ihres Entgelts verwendet werden. Zusätzlich zu den proaktiven Informationspflichten sieht die Richtlinie ein subjektives Auskunftsrecht vor. Auskunft muss sowohl über das eigene individuelle als auch über die durchschnittlichen Entgelthöhen erteilt werden, aufgeschlüsselt nach Geschlecht und für Gruppen, die gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichten. Arbeitnehmer können das Auskunftsbegehren auch durch Arbeitnehmervertreter oder über eine öffentliche, hierfür einzurichtende Gleichbehandlungsstelle verlangen. Mit den Berichtspflichten werden Unternehmen ab 100 Arbeitnehmern verpflichtet, über das geschlechtsspezifische Entgeltgefälle im Betrieb zu berichten. Die Häufigkeit und der Beginn der Berichtspflicht richtet sich nach der Betriebsgröße. Große Arbeitgeber mit 250 und mehr Beschäftigten sind ab Juni 2027 verpflichtet, jährlich Berichte vorzulegen. Als zentraler Indikator dient das geschlechtsspezifische Entgeltgefälle, das die Differenz zwischen den durchschnittlichen Entgelthöhen von männlichen und weiblichen Beschäftigten erfasst. Berichtspflichtige Arbeitgeber sind unter bestimmten Voraussetzungen verpflichtet, eine gemeinsame Entgeltbewertung durchzuführen, die zusammen mit Arbeitnehmervertretern erfolgt. Diese Verpflichtung greift, wenn folgende drei Voraussetzungen erfüllt sind: 1. Das geschlechtsspezifische Entgeltgefälle übersteigt fünf Prozent; 2. es kann nicht durch objektive, geschlechtsneutrale Faktoren gerechtfertigt werden; 3. eine Korrektur wurde innerhalb von sechs Monaten seit der Beurteilung nicht vorgenommen. Ungerechtfertigte Entgeltunterschiede müssen festgestellt, korrigiert und verhindert werden.
Für den Fall der Verletzung des Grundsatzes des gleichen Entgelts sieht die Richtlinie in ihrem dritten Kapitel einen Schadensersatzanspruch vor (Art. 16). Die Mitgliedstaaten müssen sicherstellen, dass Betroffene durch Gleichbehandlungsstellen, Arbeitnehmervertreter und entsprechende Organisationen vertreten und unterstützt werden können (Art. 15). Soweit Betroffene Tatsachen geltend machen können, die eine Diskriminierung vermuten lassen, trifft die Beweislast den beklagten Arbeitgeber (Art. 18). Die Mitgliedstaaten werden verpflichtet, wirksame Sanktionen und insbesondere Geldbußen für die Nichtbeachtung der Rechte und Pflichten zu implementieren, die die Richtlinie vorsieht (Art. 23).
Kritik
Unter Unternehmen und Arbeitgeberverbänden hat die Entgelttransparenzrichtlinie nur wenige Freunde gefunden. Durch die Berichte und Pressemitteilungen zieht sich deutliche Kritik: Die Kommission verkenne das Problem, indem sie an falschen statistischen Annahmen anknüpfe und die strukturellen Unterschiede zwischen verschiedenen Branchen und Berufen ignoriere, die für die Entgeltzahlungslücke verantwortlich seien. Zudem müsse ein unterschiedliches Berufswahlverhalten zwischen den Geschlechtern beachtet werden, das durch fehlende Betreuungsmöglichkeiten und familienbedingte Abwesenheiten verstärkt werde und nur durch entsprechende Förderungen zu kompensieren sei. Auch der Aufgabe der Sozialpartner werde nicht ausreichend Rechnung getragen. Arbeitgeber und Arbeitnehmer könnten am Verhandlungstisch interessengerecht über die Bewertung von Tätigkeit entscheiden. Die Vergütung nach Tarifverträgen erfolge tätigkeitsbezogen und deshalb geschlechtsneutral, weshalb strenge Regeln und die dazugehörige judikative Kontrolle die Autonomie der Sozialpartner unterlaufen würde. Im Kontrast zum Entgelttransparenzgesetz falle zudem auf, dass viele der Verpflichtungen für alle Unternehmen gelten würden und nur wenige Privilegierungen für kleine Betriebe vorgesehen seien. Ohne weitere Ausnahmen überfordere die Richtlinie insbesondere kleine und mittlere Unternehmen, die durch eine Zunahme bürokratischer Hürden belastet würden. Mit den vorgesehenen Auskunftsansprüchen, der proaktiven Information der Beschäftigten und den verpflichtenden Berichten ab einer Beschäftigtenzahl von 100 Arbeitnehmern erhöhe die Richtlinie die bürokratischen Lasten, denen sich Unternehmen in Europa ohnehin bereits ausgesetzt sehen.
Mechanismen, Folgewirkungen und Potenziale
Der deutsche Gesetzgeber ist durch die Richtlinie und den Förderungsauftrag in Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG verpflichtet, auf eine wirksame Umsetzung der Richtlinie hinzuarbeiten. Der Kritik zum Trotze enthält die Entgelttransparenzrichtlinie eine Reihe von Aspekten, die bei einer progressiven Umsetzung kurz- und langfristige Verbesserungen erwarten lassen.
Zum Ersten handelt es sich bei den Transparenzmechanismen um eine Weiterentwicklung bereits bestehender Ansätze, wie sie das Entgelttransparenzgesetz und die Gleichbehandlungsrichtlinie vorsehen. Der persönliche Anwendungsbereich des Auskunftsanspruchs wird im Vergleich zur nationalen Ausgestaltung erheblich erweitert, indem alle Arbeitgeber und nicht nur solche mit mehr als 200 Beschäftigten auskunftspflichtig werden. Nationale Form- und Fristgebote entfallen nach der Richtlinie. Vertretungsmöglichkeiten senken die Hemmschwelle, den Auskunftsanspruch tatsächlich geltend zu machen. Anstatt freiwilliger Überprüfungsverfahren und sanktionsloser Berichtspflichten für große Unternehmen ab 500 Beschäftigten sieht die Richtlinie klare Berichts- und Bewertungsmechanismen vor, die ab 100 Arbeitnehmern im Betrieb greifen und durch wirksame Sanktionen flankiert werden müssen. Auch die Gleichbehandlungsrichtlinie vermag nicht vollständig zufriedenzustellen: Bisher mangelt es den Entgeltsystemen an Transparenz, der Begriff der gleichwertigen Arbeit lässt sich nicht rechtssicher definieren und von Diskriminierung Betroffene sehen sich Verfahrenshindernissen ausgesetzt. Dem setzt die Entgelttransparenzrichtlinie etwas entgegen: Ihr namensgebender Kernbestandteil sind Maßnahmen zur Förderung von Entgelttransparenz. Sie enthält vollharmonisierende Begriffsdefinitionen und Ansätze, um den Begriff der gleichwertigen Arbeit auszufüllen. Die Bewertung individueller Tätigkeiten ist eine Tatsachenfrage, die immer Potential für Rechtsstreitigkeiten mit sich bringt. Die Richtlinie greift jedoch die bestehende Judikatur auf und verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Unterstützung bei der Bewertung von Tätigkeiten. Zuletzt werden Verfahrenshindernisse über Vertretungsmöglichkeiten und Beweislastverschiebungen genommen.
Zum Zweiten hat die Entgelttransparenzrichtlinie einen mittelbaren Effekt, der die Leistungsgerechtigkeit zwischen verschiedenen Tätigkeiten stärkt, ohne dass es dabei auf das Geschlecht ankommt. Der Grundsatz des gleichen Entgelts bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit soll für eine faire Bezahlung sorgen, bei der das Geschlecht kein konstituierendes Kriterium bildet. Selbst wenn ein Ersatzanspruch immer nur zwischen Angehörigen verschiedener Geschlechter anerkannt wird, muss sich das Entgeltgefälle langfristig einpendeln, wobei das einzig relevante Kriterium die Wertigkeit der Arbeit sein kann. Ein Beispiel bildet der Vergleich einer weiblichen Beschäftigten mit Beruf A mit einem männlichen Beschäftigten mit Beruf B. Kommt man zu dem Schluss, dass die Berufe A und B gleichwertig sind, kann die weibliche Beschäftigte Anpassung ihres Gehalts verlangen, wenn der männliche Beschäftigte besser entlohnt wird. Die unmittelbare Diskriminierung wird so beseitigt. Im Verhältnis der weiblichen Beschäftigten mit Beruf A zu einem weiteren männlichen Kollegen des Berufs A ist nun wiederum eine nicht zu rechtfertigende Entgeltdiskriminierung entstanden. Die männlichen Kollegen der diskriminierten Beschäftigten werden in Folge der isolierten Korrektur diskriminiert und können ebenfalls eine Korrektur nach oben verlangen. Derselbe Mechanismus funktioniert auch in die andere Richtung, denn Unternehmen könnten eine Diskriminierung privatautonom beseitigen, indem sie das Gehalt des bessergestellten Beschäftigten des Berufs B reduzieren.
Zum Dritten hat die Richtlinie das Potenzial für Kettenreaktionen, indem sie einerseits mit bestehenden Tabus bricht und andererseits vorhandene Entgeltsysteme verbessert. Durch die Informationspflichten könnte es zur Norm werden, dass in zukünftigen Stellenausschreibungen neben einem Anforderungsprofil auch konkrete Einstiegsgehälter genannt werden. Hierfür spricht, dass Unternehmen, wenn sie an einer Stelle zur Implementierung gezwungen werden, aus Gründen der Wirtschaftlichkeit häufig ein System breit standardisieren. Haben moderne Unternehmen erstmal arbeitnehmerfreundliche Maßstäbe geschaffen, steigt der Druck auf die Konkurrenz. Die Zeiten, in denen Arbeitgeber den Informationsvorteil im Verhandlungsgespräch haben und das Gehalt im Betrieb praktisch Verschlusssache ist, könnten so enden. Aber auch bestehende tarifvertragliche Entgeltsysteme müssen überprüft werden, denn es ist nicht zu erwarten, dass die Einstufungen verschiedener Tätigkeiten sicher diskriminierungsfrei erfolgt sind. Die Literatur hat an der einen oder anderen Stelle festgestellt, dass viele Systeme den Begründungsanforderungen nach der Richtlinie nicht genügen werden. Außerdem ist besonders die Wertigkeit solcher Berufe beachtlich, die von einem Geschlecht dominiert werden. Hier könnte eine höhere Wertschätzung hauswirtschaftlicher Berufe sowie Berufen in den Bereichen Erziehung und Pflege erforderlich sein. Werden Entgeltstufen für solche geschlechtsspezifisch dominierten Berufe festgesetzt, beeinflusst dies das Entgeltgefälle zwischen den Geschlechtern. Um sicherzustellen, dass Arbeits- und Leistungsbewertungen tatsächlich rein tätigkeitsbezogen erfolgen, müssen die Bewertungskriterien diskriminierungsfrei sein. Damit bildet die Richtlinie sowohl einen Anlass als auch eine Chance, die Wertschätzung weiblich dominierter Berufe nachhaltig zu steigern.