02 September 2024

Für trans*Menschen geht es um alles

Rechte Kräfte in den USA, Polen und Ungarn führen in Echtzeit vor, was trans*Menschen auch in Deutschland drohen könnte, wenn die AfD an die Regierung käme. In Ungarn ist es inzwischen unmöglich, den rechtlichen Geschlechtseintrag oder vergeschlechtlichte Vornamen im Laufe des Lebens zu ändern, also irgendeine Veränderung der staatlich erfassten Informationen über das eigene Geschlecht zu bewirken. Im US-Bundesstaat Idaho wurde dieses Jahr ein Gesetz verabschiedet, das rechtlich definiert, dass es bei Menschen ausschließlich die beiden Geschlechter Männer und Frauen gäbe und dieses Geschlecht bereits vor oder bei der Geburt erkennbar sei. Dasselbe Gesetz enthält eine Legaldefinition von „weiblich“: Personen, deren Körper Eizellen produzieren, produziert haben oder produzieren werden – Frauen werden also wieder als Gebärmaschinen imaginiert, The Handmaid’s Tale lässt grüßen. Im US-amerikanischen Bundesstaat Alabama wurden Universitäten und Hochschulen verpflichtet, Toilettennutzung nur noch gemäß dem bei Geburt zugewiesenen Geschlecht zu gestatten. In Missouri sollten gar Lehrer*innen bestraft werden, wenn sie Schüler*innen Informationen über trans*Menschen und Transitionen geben. Dieser letzte Versuch blieb zum Glück vorerst erfolgslos.

Diesem Drehbuch will auch die AfD folgen, wenn sie an die Macht käme.

Biologistische Geschlechtervorstellungen und Leugnung der Existenz von trans*Personen

Die AfD vertritt in ihrem Europa-Wahlprogramm ähnlich wie in dem Gesetz aus Idaho, dass es ausschließlich zwei Geschlechter gäbe und dies eine biologische Tatsache sei. Bislang fordert die AfD in Deutschland (noch) nicht, dass trans*Menschen ihr rechtlich registriertes Geschlecht gar nicht mehr ändern dürfen. Die AfD-Bundestagsfraktion setzt sich stattdessen für ein Verfahren ein, bei dem ein dreiköpfiges Gremium entscheiden soll, ob eine Person ihren rechtlichen Geschlechtseintrag ändern darf. Nach dem jüngst verabschiedeten Selbstbestimmungsgesetz bedarf es für die Änderung des Geschlechtseintrags aber gerade keiner Dritten mehr, maßgeblich ist allein die Auskunft der Person selbst.

Eine AfD-Mehrheit im Bundestag könnte dieses einfache Gesetz zu Grabe tragen. Mindestens wäre damit zu rechnen, dass die AfD die Voraussetzungen für eine Personenstands- und Namensänderung verschärfen würde und die Gesetzeslage möglicherweise noch hinter den Stand des vielfältig für verfassungswidrig erklärten Transsexuellengesetzes aus dem Jahr 1980 zurückfiele. So könnte die AfD den Vorbildern anderer rechtsautoritärer Regierungen nacheifern und die Möglichkeit, das rechtlich registrierte Geschlecht zu ändern, vollständig abschaffen.

Das wäre unzweifelhaft verfassungswidrig, war es doch gerade das Bundesverfassungsgericht, das 1978 die Korrekturmöglichkeit als verfassungsrechtlich geboten einforderte. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrecht (EGMR) sieht eine solche Korrekturmöglichkeit spätestens seit 2002 als menschenrechtlich geboten an (Christine Goodwin). Zudem wäre die Abschaffung der Korrekturmöglichkeit unionsrechtswidrig, allein durch die Akzessorietät des Unionsrechts zur EMRK (Art. 6 Abs. 3 EUV, Art. 52 Abs. 3 GRCh) und möglicherweise wegen eines Verstoßes gegen die Freizügigkeit (Art. 21 AEUV; dazu jüngst Audrey M. Plan). Der EuGH erkennt zudem bereits seit 1996 an, dass das Verbot der Geschlechtsdiskriminierung auch ein Verbot der Diskriminierung wegen Transidentität umfasst, und zwar unabhängig vom rechtlichen Geschlechtseintrag (P gegen S und Cornwall County Council). Zu bedenken ist freilich, dass das Unionsrecht nominell auch in Ungarn gilt – dennoch ist die Situation für trans*Menschen dort inzwischen nahezu unerträglich geworden (Amnesty International 2020; Human Rights Watch 2023; ILGA Europa 2023; Trans Rights Map 2024).

Wenn die AfD schreibt, dass es nur zwei Geschlechter gäbe und dies als biologische Tatsache präsentiert, stellt sie eine kontrafaktische Natürlichkeitsbehauptung auf, die die Wandelbarkeit des Geschlechts im Laufe des Lebens negiert. In diesem Weltbild erscheinen trans*Menschen und inter*Menschen als Abweichung von der „Normalität“ (vgl. etwa die tendenziöse Anfrage der AfD-Bundestagsfraktion BT-Drs. 20/12187). Mit ihren Aussagen über Geschlecht stellt sich die AfD nicht nur in bewussten Widerspruch zum Geschlechterverständnis des Bundesverfassungsgerichts in der Entscheidung zur „Dritten Option“ von 2017und in der Jahrzehnte zurückreichenden, 1978 beginnenden Rechtsprechungslinie zu Rechten von trans*Personen. Das binäre und biologistische Geschlechterbild der AfD ist eng mit ihrem Volksbegriff verknüpft: Die heterosexuelle Familie mit Kindern erscheint als Herzstück der „Volksgemeinschaft“, in unheilvoller Tradition nationalsozialistischer, rassistischer Vorstellungen (ausf. Wildt, Volk, Volksgemeinschschaft, AfD, 2017, S. 113 ff.).

In vielfältigen Formen schießt die AfD gegen das, was sie abfällig als „Gender-Ideologie“ bezeichnet, und versucht, Geschlechterforschung zu unterdrücken (AfD-Bürgerschaftsfraktion Hamburg 2024; AfD-Bundestagsfraktion 2020). Es ist freilich diese Forschung, die – naturwissenschaftlich belegt – die biologistische Natürlichkeitsbehauptung der AfD widerlegt (etwa SFB 1665 Sexdiversity mit 17 Teilprojekten, u.a. aus Genetik, Endokrinologie, Pharmakologie).

Rechtliche Transition als Bedingung gesellschaftlicher Teilhabe

Könnten trans*Personen das ihnen bei Geburt fremd zugewiesene, staatlich registrierte Geschlecht und vergeschlechtlichte Vornamen nicht ändern, so hätte dies erhebliche Konsequenzen: Sie wären vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen. Stimmen rechtliches und wahrgenommenes Geschlecht nicht überein, können sich trans*Menschen nur noch mit Ausweisdokumenten ausweisen, die andere unter Umständen als vollkommen unpassend und daher als falsch wahrnehmen. Menschen, die eine medizinische Transition durchlaufen haben, sind phänotypisch vielfach überhaupt nicht mehr dem ihnen bei Geburt zugewiesenen Geschlecht zuzuordnen: Ein trans*Mann ohne sichtbare Brüste, dafür aber mit Bart, erscheint Dritten einfach als Mann. Kann er weder seinen Vornamen noch seinen Geschlechtseintrag anpassen, sehen Dritte einen Mann, der versucht, sich mit den Dokumenten einer Frau auszuweisen. Kaum eine*r wird ihm glauben, dass er seinen eigenen Ausweis zeigt. Alltagsgeschäfte werden dann unmöglich: ein Paket im Paketshop abzuholen, in einen Club zu kommen, Alkohol oder Zigaretten zu kaufen, ein Online-Ticket bei der Bahn zu kaufen und zu nutzen. Auch besonders wichtige Rechtshandlungen werden so erschwert: ein Bankkonto zu eröffnen, ein Studium aufzunehmen, einen Mietvertrag abzuschließen. Im schlimmsten Fall drohen Arbeitslosigkeit, Wohnungslosigkeit und Armut. Besteht der trans*Mann darauf, dass er sehr wohl seinen eigenen Ausweis zeigt, outen ihn der rechtliche Geschlechtseintrag und der vergeschlechtlichte Vorname als trans*Mann. In jeder dieser Situationen ist er der Gefahr ausgesetzt, trans-feindlich diskriminiert oder gar physisch angegriffen zu werden (2023: Anstieg von Hasskriminalität wegen geschlechtsbezogener Diversität um 105 %, Fallzahlen des BKA: Politisch Motivierte Kriminalität 2023, S. 11).

Lebensgefährliche Verbote medizinischer Versorgung

In ihrem Europawahl-Programm will die AfD geschlechtsaffirmative Operationen zunächst für Jugendliche verbieten und Hormonbehandlungen massiv einschränken. Im Thüringischen Landtag arbeitet die AfD bereits an der Umsetzung dieser Pläne: Sie will die Landesregierung bewegen, sich für solche Verbote auf Bundesebene einzusetzen. Würden medizinische Transitionen umfassend verboten, gäbe es offiziell kein Auseinanderfallen von Körpern und staatlich registriertem Geschlecht (jedoch weiterhin zwischen Identität und staatlich registriertem Geschlecht). Die Einschränkung der medizinischen Versorgung von trans*Kindern und Jugendlichen als Bundesthema verfolgt die AfD auch auf Landesebene. Mit diesen Verbotsplänen eifert die AfD internationalen Vorbildern nach: Als erster US-Bundesstaat verbot Arkansas 2021geschlechtsaffirmative medizinische Versorgung für trans*Jugendliche. Zwei Jahre später erklärte ein Bundesgericht das Gesetz in Arkansas für verfassungswidrig.

Medizinische Transitionsleistungen wie Hormonbehandlungen und Operationen zu verbieten, gefährdet die Leben von trans*Menschen. Das Suizidrisiko ist bei ihnen höher als bei der cisgeschlechtlichen Bevölkerung. Geschlechtsaffirmierende medizinische Behandlungen können dieses Risiko senken. Geschlechtsaffirmierende Hormontherapien führen zu mehr Zufriedenheit und besserer psychischer Gesundheit bei trans*Jugendlichen, Depressionen und Angstzustände nehmen ab. Wird trans*Kindern und trans*Jugendlichen eine medizinische Transition verwehrt, entwickelt sich ihre psychische Gesundheit hingegen negativ. Medizinische Expert*innen sprechen sich (im Gegensatz zum AfD-Wahlprogramm) daher dafür aus, auch bei antizipiertem Leidensdruck behandeln zu dürfen. Ein Verbot von geschlechtsanpassenden medizinischen Behandlungen von Kindern und Jugendlichen nimmt Suizide billigend in Kauf. Daran wird deutlich, dass es der AfD nicht um die Gesundheit und das Überleben von Kindern und Jugendlichen geht.

Vor dem Verbot geschlechtsaffirmativer Operationen käme es in Deutschland wohl zu einer Verschlechterung der aktuellen Versorgungssituation. Hier bietet sich ein Einfallstor für die transfeindliche Politik der AfD, weil der Zugang zu medizinischen Transitionsleistungen bereits jetzt unzureichend ist. Medizinische Transitionsleistungen für nicht-binäre trans*Personen werden derzeit nicht von den Krankenkassen bezahlt. Angesichts ihrer offenen Einschränkungspläne für die medizinische Versorgung von trans*Kindern und Jugendlich, würde die AfD einen solchen Zugang auch für nicht-binäre Erwachsene wohl kaum einführen. Im zweigeschlechtlichen Weltbild der AfD existieren nicht-binäre Menschen gar nicht. Wahrscheinlicher ist, dass die AfD die Kostenübernahme auch für binäre trans*Personen streichen würde. Ein solcher Schritt würde die Behandlung nicht gänzlich verbieten, aber zu einer Diskriminierung aufgrund des sozio-ökonomischen Status führen: Werden medizinische Transitionsleistungen nicht mehr von der Solidargemeinschaft getragen, können reiche trans*Menschen diese Behandlungen privat bezahlen. Arme trans*Personen hingegen verlieren ihren Zugang zu Transitionsleistungen oder müssen auf eine riskante Versorgung mit Hormonen über den Schwarzmarkt zurückgreifen. Auch das Sterberisiko würde sich dann ungleich verteilen. Denn wie oben ausgeführt: Medizinische Transitionen können Leben retten.

Trans*Kinder und Jugendliche auch auf Landesebene im Fokus

Die Angriffe der AfD auf trans*Kinder und Jugendliche beschränken sich keineswegs auf die Bundesebene. Im Falle einer Regierungsbeteiligung der AfD in Thüringen könnte die Partei die Rechte von jungen trans*Menschen insbesondere im Kontext Schule beschneiden, als