Gegen den Verschärfungsstrom?
Anmerkungen zum Bremer Polizeigesetz (Teil 1)
In den letzten Jahren haben zahlreiche Länder ihre Polizeigesetze (PolG) geändert, und das hieß: Verschärft. Die Mittel der Polizei wurden durch waffentechnische Aufrüstung und die Einführung neuer Gefahrenbegriffe bei gleichzeitiger Herabsetzung der Eingriffsschwelle stark erweitert. Die rot-grün-rote Koalition in Bremen geht einen anderen Weg.
Der nunmehr vorliegende Vorschlag für ein neues PolG wird von der Opposition als „Antipolizeigesetz“ kritisiert und lässt sich wohl eher mit dem Berliner Entwurf vergleichen: Zwar sollen einerseits der Polizei mehr Befugnisse eingeräumt, auf der anderen Seite jedoch auch Einschränkungen vorgenommen und wesentliche Kontrollmechanismen eingeführt werden. Der vorliegende Beitrag gibt einen schlaglichtartigen Überblick über die geplanten Änderungen.
Datenverarbeitung: Ausweitung der Befugnisse
Hervorzuheben ist zunächst, was sich im neuen PolG nicht ändert: Das Verbot von „Staatstrojanern“. Es darf weiterhin weder eine Online-Durchsuchung noch eine Quellen-TKÜ zu präventiven Zwecken durchgeführt werden – anders als dies beispielsweise in Bayern, Hessen, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz der Fall ist.
Dennoch normiert der dritte Abschnitt des Entwurfs nunmehr eine Ausweitung der Befugnisse zur Verarbeitung personenbezogener Daten. Dabei gibt § 34 BremPolG nF (§§ ohne Gesetzesangaben sind im Folgenden solche des Entwurfs) wieder, welche besonderen Mittel und Methoden zur Datenerhebung gestattet sind. Bereits seit 2009 ist die Polizei durch § 33 BremPolG aF zur akustischen Überwachung außerhalb und innerhalb der Wohnung ermächtigt. Dies stellt einen der intensivsten Grundrechtseingriffe dar und bleibt, mit einigen redaktionellen Änderungen, auch weiterhin enthalten. Neu hinzugekommen sind hingegen die Telekommunikationsüberwachung (TKÜ, § 41), die Verkehrs- und Nutzungsdatenauskunft (§ 42 Abs. 1), die Ermittlung der Geräte- und Anschlusserkennung (§ 42 Abs. 2 Nr. 1), die Standortfeststellung (§ 42 Abs. 2 Nr. 2) und die Bestandsdatenauskunft (§ 43, ohne Richter*innenvorbehalt). Nicht mitumfasst ist die Erhebung weiterer Inhaltsdaten. Die Erweiterungen werden insbesondere mit der rasanten Entwicklung der Technologie und der weltweiten Vernetzung begründet. So könne die präventive Polizeiarbeit gerade in den Bereichen der Organisierten Kriminalität und bei politisch motivierten Taten mit den entsprechenden Befugnissen deutlich effektiver durchgeführt werden.
Klar ist: Auch das neue bremischen PolG weitet die Möglichkeiten aus, personenbezogene Daten zu erheben (insb. §§ 41 ff.). Im Vergleich zu den Regelungen in anderen Ländern, gegen die teilweise Verfassungsbeschwerden anhängig sind, fallen diese Änderungen jedoch moderat aus. Es ist deutlich zu erkennen, dass versucht wurde, eine Ausweitung der Befugnisse im Rahmen der Verhältnismäßigkeit und unter den Gesichtspunkten des Datenschutzes auszugestalten. Die Regierungskoalition war an dieser Stelle um Zurückhaltung und klare Grenzen bemüht. Dies ist auch, gerade mit Blick auf die neu eingeführten §§ 41 ff., gelungen. Nun wurde der Polizei mit der TKÜ auch ein milderes Mittel zur akustischen Überwachung an die Hand gegeben, welches es vor der Anordnung einer solchen Überwachung zu berücksichtigen gilt.
Auch die Videoüberwachung, die bisher teilweise in § 29 BremPolG aF geregelt war, soll in den §§ 32, 33 ausgeweitet werden. So sind gem. § 32 nicht mehr nur Bild- und Tonaufzeichnungen von Veranstaltungen und Ansammlungen, die nicht dem Versammlungsgesetz unterliegen, gestattet – Abs. 3 enthält zudem eine Ermächtigung zur Aufzeichnung verschiedener Orte und Anlagen. Hierzu gehören gem. § 32 Abs. 3 Nr. 3 auch Jahrmärkte und andere Großveranstaltungen. § 33 sieht eine erhebliche Ausweitung der Befugnisse zur Bildübertragung und -aufzeichnung in Bezug auf polizeilich genutzte Räume und Fahrzeuge vor, „wenn dies zum Schutz der Betroffenen, zum Schutz der Bediensteten oder zur Verhütung von Straftaten […] erforderlich ist.“
Die Ausweitung der Videoüberwachung unter anderem auf Großveranstaltungen wie den Bremer Freimarkt, wird mit dem Sicherheitsgefühl der Bürger*innen legitimiert. So hätten Massenschlägereien und sexuelle Übergriffe wie in der Silvesternacht 2015 in Köln zu einem Verlust von öffentlichen Räumen zur freien Entfaltung geführt. Die Ausweitung von Befugnissen mit einem vermeintlichen Sicherheitsbegehr zu begründen, das aus einem bereits fünf Jahre zurückliegenden Ereignis hervorgehen soll, vermag allerdings kaum zu überzeugen. Vielmehr findet sich der Entwurf deutlich zu schnell mit den gängigen (Leer-)Formeln zur angespannten Haushalts- und Personalsituation mit der Videoüberwachung ab.
Prävention bei häuslicher Gewalt
Der Entwurf sieht ferner eine Stärkung des Schutzes vor häuslicher Gewalt vor. Die in diesem Zusammenhang in § 12 eröffneten Möglichkeiten der Wohnungsverweisung und des Rückkehrverbots von gewalttätigen Personen zum Schutz der Opfer sind dabei nicht neu – anders als die Herabsetzung der Gefahrenschwelle. Bisher musste eine „gegenwärtige“ Gefahr vorliegen, bei der die zeitliche Dringlichkeit ein sofortiges polizeiliches Einschreiten erforderte. In der Praxis hätte das – so die Entwurfsbegründung – zu erheblichen Begründungsproblemen geführt, gerade weil Täter*innen in Anwesenheit des Polizeivollzugsdienstes zunächst oftmals hätten beruhigt werden können, womit die akute Gefahrenlage entfallen sei. Dies hätte aber nicht verhindert, dass Täter*innen nach Abzug der Polizeikräfte erneut gewalttätig geworden seien (Gesetzesentwurf, S. 105 f.). Ein Einschreiten ist durch die Streichung des Wortes „gegenwärtig“ nunmehr auch dann zulässig, wenn zu erwarten ist, dass zu einem späteren Zeitpunkt Gewalthandlungen aufgenommen oder fortgeführt werden.
Zur längerfristigen Prävention häuslicher Gewalt soll § 54 Abs. 4 dienen. Er erlaubt die Kontaktdatenübermittlung von gewalttätigen und den von ihnen gefährdeten Personen an Interventions- bzw. Beratungsstellen. Eine Ausnahme soll für Betroffene gelten, die sich „vehement“ gegen eine Datenübermittlung wehren. Wie das genau aussehen soll und ob sich nur die Opfer oder auch die Täter*innen einer Kontaktübermittlung entziehen können, ist der Entwurfsbegründung nicht zu entnehmen. Anderorts existieren solche spezialgesetzlichen Befugnisse nicht, teilweise werden sie auf Regelungen zur Datenübermittlung an Personen oder Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs gestützt (z.B. § 44 NPOG). Die Aufnahme des Erstkontaktes mit den betroffenen Personen durch die Beratungsstellen selbst soll vorrangig die Stärkung der Opfer durch langfristige Unterstützung bewirken; es soll darauf hingewirkt werden, dass Täter*innen Verantwortung für ihr Handeln übernehmen und lernen, Beziehungskonflikte gewaltfrei zu lösen. Die automatische Datenweitergabe sei vor allem notwendig, weil das Einholen schriftlicher Einverständniserklärungen in der Praxis häufig scheiterte. Auch die Bremer Interventionsstelle gegen Beziehungsgewalt „Neue Wege“ forderte eine solche Gesetzesänderung schon länger, gerade weil Betroffene in ihrer Ausnahmesituation nur schwer aus eigener Initiative Hilfe suchen würden. Eine Stärkung der Frauen – sie sind besonders häufig Opfer häuslicher Gewalt – in Form der Zusammenarbeit mit geeigneten Beratungsstellen scheint ein wichtiger Schritt, wenn er auch entmündigend wirken kann. Eine finanzielle Absicherung von Frauenhäusern, Ursachenbekämpfung und eine Perspektiverweiterung auf die Probleme der Kinder, die Gewalt ihrer Eltern miterleben, dürfen dabei aber nicht unter den Tisch fallen.
Ausstiegsberatung wider Willen?
Nach § 54 Abs. 5 können auch Daten sog. Gefährder*innen zum Zweck der Ausstiegsberatung an „geeignete“ Beratungsstellen wie Exit weitergegeben werden. Sie kritisieren eine derartige Kooperation mit Sicherheitsbehörden jedoch, weil sich Aktivitäten hinter dem Rücken von Personen in der Praxis nicht bewährt hätten. Eine Unterstützung von Personen, die z.B. der rechtsextremen Szene angehören, kann schließlich nur gelingen, wenn sie dem Milieu auch den Rücken kehren und die Ausstiegshilfe annehmen wollen.
Höchstdauer beim Gewahrsam
Während in Bayern (potentiell zeitlich unbegrenzter Gewahrsam) und Brandenburg (höchstens ein Monat) der präventive Polizeigewahrsam zeitlich ausgeweitet wurde, beschränkt § 16 die maximale Dauer der Ingewahrsamnahme auf 96 Stunden. Eine Wiederholung oder Verlängerung ist nicht möglich, spätestens nach 96 Stunden muss ein Haftbefehl erlassen, oder der*die Betroffene entlassen werden. Außerdem soll bei einer richterlichen Anordnung des Gewahrsams von mehr als 24 Stunden ein Rechtsbeistand beigeordnet werden.
Diese Regelung ist zu begrüßen, da sie Entgrenzungen, wie sie insbesondere im BayPAG angelegt sind, wo die Präventivhaft nunmehr eher „der aus der Gemeingefährlichkeit eines Individuums legitimierten Sicherungsverwahrung als den herkömmlichen Spielarten des Polizeigewahrsams ähnelt“, (Kuch, DVBl. 2018, S. 447 ff.) verhindern. Menschen können nur bei Vorliegen eines dringenden Tatverdachts und der zusätzlichen Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft und eben nicht wegen ihrer prognostizierten Gefährlichkeit länger als 96 Stunden in Gewahrsam behalten werden. Wobei Berlin noch einen Schritt weitergegangen ist und den Gewahrsam von zuvor 96 auf nun 48 Stunden abgesenkt hat. Es ist nicht ersichtlich, warum Bremen diesem Beispiel nicht gefolgt ist, da die Ingewahrsamnahme zur Verhinderung unmittelbar bevorstehender Straftaten zulässig ist und zur Erreichung dieses Zwecks 48 Stunden ausreichend sind.
Fixierungen: Nur ausnahmsweise zulässig
§ 106 regelt die Fixierung von Personen. Sie wird nicht als ein Unterfall der Fesselung (§ 105) aufgefasst, sondern als eine besondere Sicherungsmaßnahme eigener Art. Nach der Legaldefinition des § 106 Abs. 1 liegt eine Fixierung vor, wenn durch die Fesselung die Bewegungsfreiheit vollständig aufgehoben wird: Die Person liegt auf dem Rücken und wird mittels spezieller Gurte an das Bett, die Liege o.ä. gefesselt. Eine solche Fixierung ist nur im Fall der gegenwärtigen erheblichen Gefahr von Gewalttätigkeiten gegen Personen, der Selbsttötung oder -verletzung zulässig, wenn sie zur Abwehr dieser Gefahr unerlässlich ist.
Im Grundsatz wird hier das BVerfG-Urteil zur Fixierung umgesetzt, in welchem die Richter*innen davon ausgehen, dass die Maßnahme als Freiheitsentzug iSd Art. 104 Abs. 2 GG einzuordnen ist, weshalb sie nicht von einer richterlichen Unterbringungsanordnung gedeckt, sondern eine gesonderte gesetzliche Grundlage erforderlich ist. Auch die Unterscheidung des BVerfG zwischen kurzfristigen (weniger als 30 Minuten) und längeren Fixierungen wird aufgenommen; für letztere besteht ein Richter*innenvorbehalt. Durch die Neuregulierung wurde nun eine verfassungskonforme Gesetzeslage geschaffen. Nicht geregelt sind nach wie vor alle Fixierungen, die zur Ermöglichung anderer Maßnahmen eingesetzt werden, diese fallen unter die Anwendung unmittelbaren Zwangs gem. § 101. Vor dem Hintergrund der Gefährlichkeit der Fixierung bäuchlings durch mehrere Personen, die schwere körperliche Schäden hervorrufen kann und im schlimmsten Fall zum sog. lagebedingten Erstickungstod führt, hätte darüber nachgedacht werden können, hier eine neue eigene Eingriffsregelung zu schaffen, die eine höhere Eingriffsschwelle und höhere Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit stellt.
Regelungen gegen racial profiling bleiben hinter Rechtsprechung zurück
Der geänderte § 27 schränkt die Möglichkeiten der Identitätsfeststellung an sogenannten gefährlichen Orten ein. Anders als früher ist hierfür nicht mehr die bloße Anwesenheit an einem derartigen Ort ausreichend; hinzutreten muss, dass die „Maßnahme auf Grund von auf die Person bezogenen Anhaltspunkten erforderlich ist“. Diese Anhaltspunkte dürfen nach Abs. 1 Nr. 4 nicht „alleine auf das äußere Erscheinungsbild einer Person zurückgeführt werden“. Die Änderungen sollen racial profiling, das nach Berichten von Betroffenen und Polizist*innen auch in Bremen gängige Praxis ist und durch die Befugnis zur anlasslosen Kontrolle begünstigt wird, einen Riegel vorschieben. Mit der Einschränkung der Kontrollbefugnisse an gefährlichen Orten hebt sich Bremen von den Polizeirechtsreformen anderer Länder in jüngerer Zeit ab, welche die Möglichkeit der Polizei zu anlasslosen Kontrollen erweitert hatten (etwa Art. 13 Abs. 1 Nr. 2 c PAG/BY für Asylbewerber*innenunterkünfte, Kritik hier; § 12a PolG/NRW, Kritik