Gehört der Islam zu Deutschland? Beyond Böckenförde
Der Islam gehöre nicht zu Deutschland, posaunt Horst Seehofer in der Bild-Zeitung, und die Diskussion geht wieder los. Auch Markus Söder sagt nun, der Islam gehöre “ kulturgeschichtlich nicht zu Deutschland”, obwohl er 2012 sage, zu Bayern gehöre er schon.
Gehört also Bayern nicht mehr zu Deutschland? Alexander Dobrindt legt noch einen drauf: der Islam gehöre nicht zu Deutschland, „egal in welcher Form“. Und die AfD schreit Plagiat: der Satz, dass der Islam nicht zu Deutschland gehöre, habe Seehofer wörtlich aus ihrem Grundsatzprogramm kopiert (dort Punkt 7.6.1).
Das ist, natürlich, schlimme Hetze und muss kritisiert werden. Solche Kritik ist leicht. Schwieriger, aber mindestens ebenso wichtig, ist es, genauer zu analysieren, wie sich Seehofers Position zum liberalen Staat verhält, so wie wir ihn heute verstehen. Das soll hier geschehen, mit Schwerpunkt auf das Werk von Ernst Wolfgang Böckenförde, das für das deutsche Selbstverständnis in diesen Fragen prägend ist.
Was soll das eigentlich heißen: der Islam gehört, oder gehört nicht, zu Deutschland? Dass der Islam nicht Staatsreligion ist, anders als in einigen anderen Ländern? Das versteht sich von selbst, gilt aber auch für andere Religionen wie das Christentum. Dass andererseits der Islam nicht ausgeübt werden darf? Auch das kann nicht gemeint sein; die Religionsfreiheit gilt auch für den Islam. Und alle, von Seehofer bis Dobrindt, machen die selbe Differenzierung: anders als der Islam gehörten (einige) Muslime selbstverständlich zu Deutschland — jedenfalls dann, wenn sie sich an die Gesetze halten. Besser macht es das nicht: an die Gesetze muss sich jeder halten (auch der Christ). Und die Idee, man könne zwischen Muslimen und ihrem Glauben trennen, ist ganz widersinnig: wenn Muslime zu Deutschland gehören, dann notwendig auch der Islam, dem sie anhängen und den sie ausüben.
Nein, gemeint ist hier offenbar eine Leitkultur, wie sie zuletzt Thomas de Maizière vor einem Jahr formuliert hat, übrigens damals auch schon in der Bildzeitung. Diese Leitkultur ist vor allem dadurch gekennzeichnet ist, was sie nicht ist. “Wir sind nicht Burka”, titelte die Bildzeitung, und auch sonst zog sich durch de Maizières Thesen vor allem eine Abgrenzung von einem stereotypischen Islam, mit Burka, Sharia-Recht und Ehrenmord — und eine explizite Berufung der christlichen Prägung des Landes. Der Freistaat (!) Bayern verleiht dieser explizit christlichen Leitkultur jetzt in seinem skurrilen Integrationsgesetz Gesetzeskraft und will Migranten (warum eigentlich nur die?) zur „unabdingbaren Achtung“ dieser Leitkultur verpflichten. In diesem Zusammenhang steht wohl auch das bayrische Burkaverbot von 2017.
Solche Umsetzung einer als Leitkultur verbrämten Islamophobie in das Recht ist nun verfassungsrechtlich problematisch; SPD und Grüne haben beim bayrischen Verfassungsgerichtshof beantragt, das bayrische Integrationsgesetz für verfassungswidrig zu erklären. Sie ist aber auch schwer vereinbar mit dem Selbstverständnis des liberalen Staates. Insbesondere liberale Kritiker halten einer solcherart gesetzlich verankerten Leitkultur gerne das sogenannte Böckenförde-Theorem entgegen, 1964 formuliert und seitdem zum Verfassungsmantra des modernen liberalen Staates aufgestiegen. Auch wenn es bekannt ist, soll es hier zur Gänze zitiert werden:
„Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist. Als freiheitlicher Staat kann er einerseits nur bestehen, wenn sich die Freiheit, die er seinen Bürgern gewährt, von innen her, aus der moralischen Substanz des einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft, reguliert. Anderseits kann er diese inneren Regulierungskräfte nicht von sich aus, das heißt mit den Mitteln des Rechtszwanges und autoritativen Gebots zu garantieren suchen, ohne seine Freiheitlichkeit aufzugeben und – auf säkularisierter Ebene – in jenen Totalitätsanspruch zurückzufallen, aus dem er in den konfessionellen Bürgerkriegen herausgeführt hat.“
Für Böckenförde selbst ergab sich aus diesem Grundsatz die Notwendigkeit einer weitreichenden Religionsfreiheit, der gewährleistet, dass die notwendige Voraussetzung einer relativen kulturellen Homogenität in der Gesellschaft entstehen kann. Diese Religionsfreiheit genießt nicht nur das Christentum, sondern auch Islam; Böckenförde selbst hat sich früh, entgegen vielen Konservativen, etwa für die Toleranz des Hidschab ausgesprochen. Insofern erscheint es folgerichtig, wenn das Böckenförde-Theorem auch regelmäßig gegen die Verordnung einer Leitkultur angeführt wird.
Aber das ist vorschnell. Es mag überraschen, aber Böckenförde steht im Streit auf der Seite Seehofers und nicht auf der seiner Kritiker. Als der damalige Bundespräsident Wulff 2010 erklärte, auch der Islam gehöre „inzwischen“ auch zu Deutschland, gehörte Böckenförde zu denjenigen, die ihn dafür kritisierten, und zwar mit derselben Differenzierung, die auch heute gemacht wird: Muslime gehören zu Deutschland, der Islam aber nicht (Interview, Frankfurter Rundschau, 2.11.2010). Für die Ungleichbehandlung von Christentum und Islam nannte er zwei Gründe: erstens habe der Islam historisch nicht die deutsche Kultur geprägt, zweitens sei der Islam, anders als das Christentum, nicht bereit, den liberalen säkularen Staat anzuerkennen. Für Böckenförde hatte diese Position weitreichende Folgen: Einen EU-Beitritts der Türkei lehnte er 2004 ab, um den Zufluss von Muslims zu begrenzen. Auch die Einwanderungspolitik müsse sorgfältig darauf achten, dass Muslime in einer Minderheitenposition verbleiben. Mit anderen Worten: nicht so weit von der CSU.
Seehofers Polemik lässt sich als Populismus abtun. Mit Böckenförde tut man sich schwerer. Wie geht das zusammen — liberaler säkulare Staat mit weitreichender Religionsfreiheit auch für Muslime einerseits, islamophobe Positionen andererseits? Das Problem liegt im Böckenförde-Theorem selbst. Formuliert wurde es, in der Zeit vor dem vatikanischen Konzil, um den damals noch staatskritischen Katholiken ein Angebot zu machen: Wenn sie den liberalen Staat anerkannten, würde dieser ihnen nicht nur im Gegenzug die Religionsfreiheit gewähren. Weiter noch, der liberale Staat bliebe angewiesen auf die kulturellen Werte, die er selbst nicht garantieren kann, und die daher weiter geprägt blieben durch die historische Tradition.
Man versteht Böckenförde falsch, wenn man ihm vorwirft, damit gewissermaßen heimlich das Christentum doch zum Träger des Staates zu machen. Böckenförde selbst weist darauf hin, dass selbst die abendländische Tradition sich nicht auf das Christentum beschränkt — Aufklärung und Menschenrechte gehören auch dazu — und dass die Grundlagen sich auch wandeln können. Erforderlich ist lediglich, aber auch immerhin, eine gewisse Homogenität. Den Begriff Leitkultur lehnt Böckenförde zwar ab, die Idee aber ist ihm wichtig, um das für ihn unabdingbare „Wir-Gefühl“ zu erzeugen.
Dieses „Wir-Gefühl“ als Grundlage der Nation ist nun aber seinerseits problematisch. Das Wir-Gefühl hat nämlich ein Inneres und ein äußeres: Es kreiert relative Homogenität nach innen, zusammen mit relativer Abgrenzung nach außen. Meist betont Böckenförde den inneren Aspekt. Aber die Abgrenzung nach außen ist untrennbarer Bestandteil: „Das Eigene, was Zusammengehörigkeit und Gemeinsamkeit ausmacht, wird stets nicht nur positiv in sich, sondern auch in der Abgrenzung zu einem Gegenüber erfahren und bestärkt sich darin.“ (Böckenförde, Staat Nation Europa, 2. Aufl. 2000, S. 111). Und die Andersheit kann sich „aufsteigern, auch emotional aufladen und wird dann leicht zu einer aggressionsbesetzten Fremdheit und schließlich zu aggressiver Ablehnung und Feindlichkeit.“ (ebda.)
Die Position dieses Gegenüber des nationalen Wir-Gefühls füllt nun heute der Islam aus. Die aggressive Ablehnung und Feindlichkeit erlebt er ebenfalls. Was beunruhigt, ist, wie offenbar ein gewisses Maß an Islamophobie nicht nur kompatibel mit dem liberalen säkularisierten Staat Böckenförde‘scher Prägung ist, sondern sogar notwendig, um die relative Homogenität hervorzubringen, die der Staat allein nicht schaffen kann, die aber auch die Gesellschaft nicht erreichen kann, ohne sich gegen ein Gegenüber abzugrenzen. Insofern, als Gegenüber, ist der Islam Teil Deutschlands geworden.
Wohlgemerkt: Es ist, ironischerweise, gerade die Schwäche des Staates, die zur aggressiven Ablehnung führt – weil der liberale Staat die Kultur nicht kontrollieren kann, muss er hoffen, dass die Kultur ihrerseits das Andere ablehnt. Wenn also zwei Drittel der Deutschen Seehofer zustimmen darin, dass der Islam nicht zu Deutschland gehöre, so ist das in dieser Logik, perverserweise, ein Schritt zur Herstellung relativer Homogenität, inklusive Abgrenzung.
Das ist nun ausgesprochen unattraktiv. Auflösen lässt es sich in zweierlei Richtungen. Die eine ist die, die sich im bayrischen Integrationsgesetz ausdrückt: Der Staat kann, in Anbetracht der (vermeintlichen oder wirklichen) Bedrohung durch den Islam, auf seinen liberalen Charakter verzichten oder diesen wenigstens zurückfahren. Böckenförde selbst erwägt das durchaus zur „Selbstverteidigung“ des liberalen Staates. Dagegen hilft es nur bedingt, darauf hinzuweisen, dass die meisten Muslime dem westlichen Staat gegenüber ja keineswegs so feindlich sind, wie es Böckenförde und andere dem Islam zusprechen, sie also zu dem „wir“ gezählt werden können, wie das Wolfgang Schäuble 2016 betont hat. Denn damit ist das Freund-Feind-Denken nicht aufgehoben, sondern nur verschoben: Man trennt jetzt eben zwischen „guten“ und „schlechten“ Muslimen und braucht die letzteren weiterhin zur Abgrenzung. Das ist das Problem des Liberalismus, der auf Homogenität besteht.
Aus diesem Grund erscheint die andere Richtung vorzugswürdig: nämlich, die Idee der relativen Homogenität aufzugeben oder zumindest zu relativieren. Nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs mag es notwendig gewesen sein, das identitätsstiftende Kriterium von der Rasse zur Kultur zu verschieben, dabei aber die Idee der nationalen Identität selbst aufrecht zu erhalten. Aber diese Idee, zumal als Idee der Homogenität, ist ja ihrerseits eine Entdeckung der Neuzeit, und der weltweite Anstieg des Nationalismus ist vielleicht eher ein Zeichen der Schwäche denn der Stärke des über Identität definierten Nationalstaats. In der heutigen, pluralisierten Gesellschaft ist es doch eher risikoreich, sich auf ein Nationalgefühl zu verlassen, das über einen Verfassungspatriotismus, also eine aktive Zustimmung zum geltenden System in seinen Grundlagen, hinausgeht.
Die amerikanische Philosophin Danielle Allen hat darauf hingewiesen, dass wir uns einer Herausforderung gegenüber sehen, die neu ist: einen modernen liberalen Staat aufzubauen, ohne uns auf eine kulturelle Mehrheit verlassen zu können. Ihre Antwort heißt difference without domination — eine egalitäre connected society, in der Unterschiede zwischen Gruppen überbrückt werden, ohne dass Hierarchieverhältnisse entstehen. Eine Utopie? Vielleicht. Aber angesichts der bestehenden Realität eine, die ernst genommen werden sollte. Auf das Böckenförde-Theorem allein werden wir die pluralistische Gesellschaft nicht gründen können.
Dem Autor sei eine etwas intensivere Beschäftigung mit dem Islam und dessen Rechtsordnung empfohlen. Zumindest in der gegenwärtigen vorherrschenden Auslegung ist der Islam mit allem, was einem freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat auch nur nahe kommt, unverträglich. Nachweisbar wurde bisher in keiner islamischen Mehrheitsgesellschaft eine an den allgemeinen Menschenrechten orientierte Gesellschaftordnung etabliert.
Ich will Ralf Michaels gar nicht unbedingt im Ergebnis widersprechen, möchte aber doch darauf hinweisen, dass man ggf. zwischen dem Theorem und der nachträglichen Interpretation durch seinen Verfasser unterscheiden muss. Mich hat der Artikel jedenfalls noch nicht überzeugt, dass eine Abgrenzung nach außen eine notwendige Konsequenz des Böckenförde-Diktum darstellt. Ich habe dessen Bedeutung vor allem immer darin gesehen, deutlich zu machen, dass im Rechtsstaat die notwendigen Grundüberzeugungen jedenfalls nicht durch Zwang herstellbar sind – nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Insofern vielleicht als Ergänzung interessant:
https://makroskop.eu/2018/01/zur-gretchenfrage-eines-linken-kommunitarismus/
https://www.juwiss.de/40-2015/
Gute Analyse! Der Links-Schmittianer in Böckenförde war eben doch nicht so liberal. Skeptische Prognose: Allein der notwendige Verfassungspatriotismus wird es nicht richten. Hinzukommen muss zwar keine Identitätspolitik für alle möglichen Mehr- und Minderheiten, wohl aber eine Kohäsionspolitik, vor allem in der Wirtschaft – auch wenn die Verfassung diese in der Tat nicht garantiert. Zufriedenheit macht tolerant.
Marcus Hieber empfehle ich ebenfalls eine etwas intensivere Beschäftigung mit „dem“ Islam. Und ich wünsche ihm die Erkenntnis, dass der Islam kein homogene Weltanschauung darstellt. Und dass er den Kräften zuhört, die sich gegen eine faschistische Auslegung des Korans wehren.
https://www.nzz.ch/feuilleton/das-beruehrt-die-grundfesten-des-islam-ld.1365477
Der Beitrag zeigt, was im Zuge des Weimarer Methodenstreits und in der Bundesrepublik mit Ernst Fraenkel erkannt wurde, aber immer wieder vergessen wird: Das alte, leere Pluralismusargument, auch reforumuliert als „difference without domination“, bleibt eine oberflächliche gesellschaftliche Deskription, die nichts zu normativen Grundlagen politischer Gemeinschaftsbildung beiträgt. Verschiedenheit braucht einen sie moderierenden Rahmen, der selbst nicht maßstabsfrei sein kann. Die Allgemeinheit des Gesetzes braucht Verhandlung, Interessenabwägung und Inverhältnissetzung, in der sich nicht alle Interessen gleich durchsetzen können, weshalb notwendigerweise manche zurücktreten oder den Vorzug erhalten. Dass dieser Rahmen sich nicht in einem verfassungspatriotischen Wertekanon erschöpft, zeigt die Unterschiedlichkeit allein der westlichen Staatengemeinschaft, die sich auf dieselben Verfassungswerte beruft.
Die Staatengemeinschaft hat, inklusive der mit gesellschaftlicher Diversität versehenen Staaten, denn auch eine andere Antwort im Völkerrecht gegeben: Die Pflege der nationalen Mehrheitskultur ist ebenso völkergewohnheitsrechtlich anerkannt und völkervertraglich vereinbart wie es die Offenheit und das Belassen von Entfaltungsspielräumen für andere Kulturen ist (dazu zuletzt etwa Baade, Die Identität der Mehrheit und die Grenzen ihres Schutzes, AöR 142 (2017), 566 (586)).
Da individuelle Identität immer im Verhältnis zu kollektiver Identität entsteht und sich entwickelt/fortbildet, bleibt der moderne liberale Verfassungsstaat ohne Mehrheitskultur genau so Utopie, wie die substanziell-homogene Gesellschaft immer ein geschichtsfreies Schreibtischprodukt war.
Wie Benjamin Rusteberg würde auch ich vorschlagen, die theoretischen Positionen Böckenfördes von ihrer Auslegung zu trennen – auch zwar auch durch ihren Urheber. Bezogen auf die Zuwanderung aus muslimisch geprägten Gesellschaften könnte man vielleicht sogar für ein sanftes »mit Böckenförde gegen Böckenförde« plädieren. Zentral für dessen verfassungsrechtliches Denken scheint mir die hohe Sensibilität für die vorstaatlichen Bedingungen der demokratisch organisierten Staatlichkeit. Böckenförde ist in all seinen mir bekannten Texten immer auch merklich Historiker. Er verbindet die operative Geschlossenheit des Denkens in Rechtsbegriffen mit einem für Juristen ungewöhnlich wachen Bewusstsein für historische Kontingenz, kulturelle Vielfalt und soziale Wirklichkeit. Als Historiker, der oft an der Begriffsarmut des eigenen Fachs leidet, werden mir Böckenfördes Texte gerade dadurch zum Genuss, dass die scharfen Begriffe immer auf etwas Unscharfes verweisen. Dabei ist er niemals unpräzise. Im Gegenteil, er weiß nur sehr genau, dass die vielzitierten »Voraussetzungen« des säkularen Staates sich nicht theoretisch oder gar definitorisch einholen lassen. Darum nähert er sich ihnen tastend, umschreibend und – wenn ich richtig sehe – nur als Privatperson so konkret wie im Fall des Islams. Der von Michaels zitierte Vortrag behandelt das Thema – ich paraphrasiere – »sense of belonging als Demokratievoraussetzung« jedenfalls ganz im Geiste des Historikers, der um die Vielfalt und Wandelbarkeit des unverzichtbaren Minimums an »relativer Homogenität« weiß. Besonders interessant und zukunftsweisend erscheint mir dabei die Möglichkeit einer »Toleranzkultur als Homogenitätsgrundlage« (S. 114), und zwar gerade in Abweichung von der in Deutschland traditionellen Berufung auf Volk, Nation und christliche Kultur. Böckenförde weist allerdings auch immer wieder darauf hin, wie langsam solche Wandlungsprozesse vonstatten gehen. Wenn er also an anderer Stelle Vorbehalte gegen die Zuwanderung von Muslimen hegt, dann scheint es mir überinterpretiert, darin eine quasi dogmatische Festlegung auf ein »Fremdes« zu sehen. Wenn dieser Theoretiker des liberalen Staates konkret wird, spricht er als immer als konservativer Skeptiker und ja, auch als Christ. Aber er wäre sicher der erste, der zugäbe, dass man auch mit ganz anderen Hintergründen konkret werden und es entsprechend anders sehen kann. Die Umstellung von der relativen Homogenität in ethnisch-kultureller Hinsicht auf eine relative Homogenität der Pluralisten hält Böckenförde jedenfalls für möglich, genauso wie die Entstehung eines europäisches Nationalgefühls. Takes just time.
Die geforderte Beschäftigung mit dem Islam dauert bei mir an. Letzte Woche habe ich der Muslima Lale Akgün zugehört. Die sagte mir, dass die moderaten Muslime in Deutschland es aus schierer Angst nicht mehr wagen sich gegen die Orthodoxen zu wenden. Den anwesenden Islamophilen in der Kategorie des Autors wurde dabei erkennbar schwindlig. Bassam Tibi stellt schon 2016 fest, dass der Euro-Islam gescheitert ist. Tariq Ramadan, ein Vordenker des Euro-Islams, sitz seit drei Monaten wegen mehreren Vergewaltigungsvorwürfen in französischer Untersuchungshaft (#hetoo).
Am Ende wird – wenn es ganz gut läuft – dann doch die schmerzhafte Erkenntnis stehen, dass es schwer fälltt, Liberalismus mit Illiberalen, Demokratie mit Theokraten und Justiz mit Klerikern zu betreiben.
Nichts gegen Utopien, aber gäbe es zur vorgesch