Gibt es eine Sauberkeitsvermutung für völkerrechtlich legitimierte Konflikte?
Wenn ein Krieg mit Mandat des UN-Sicherheitsrats oder im “Konsens der internationalen Gemeinschaft” geführt wird, dann kann man ganz ruhig davon ausgehen, dass dabei keine Kriegsverbrechen begangen werden.
So sieht das heute der EuGH in seinem Urteil Sheperd.
Kann man?
In dem Fall geht es um den US-Soldaten André Sheperd, der aus Angst, im Irak zur Teilnahme an Kriegsverbrechen gezwungen zu werden, 2007 aus der Armee desertierte und in Deutschland Asyl beantragte. Das VG München fragte beim EuGH an, wie die Anerkennungsrichtlinie in einem solchen Fall zu verstehen sei. Unter anderem wollte das Gericht wissen, welche Rolle es bei der Anerkennung spielt, dass der Einsatz, vor dem der Asylbewerber geflohen ist, “von der internationalen Gemeinschaft sanktioniert ist oder auf einem Mandat des UN-Sicherheitsrats fußt”.
Die Generalanwältin Eleanor Sharpston hatte in ihren Schlussanträgen mit dieser Frage nicht viel anfangen können. Für eine Prognose, ob ein Soldat in einem Einsatz zu Kriegsverbrechen gezwungen sein wird oder nicht, sei die völkerrechtliche Basis dieses Einsatzes ohne Belang.
Dem widerspricht jetzt der Gerichtshof mit großem Nachdruck. Für ihn ist klar,
dass eine bewaffnete Intervention, die auf der Grundlage einer Resolution des Sicherheitsrats durchgeführt wird, grundsätzlich alle Garantien dafür bietet, dass bei ihrer Durchführung keine Kriegsverbrechen begangen werden; das Gleiche gilt grundsätzlich für eine Operation, über die ein internationaler Konsens besteht.
Das ist doch mal eine Ansage. Die UN-Resolution 1368 bietet also “grundsätzlich alle Garantien” dafür, dass in Baghram niemand gefoltert wird – richtig? Toll. Was das Völkerrecht alles kann.
Jetzt muss ich die Völkerrechtler um ein bisschen Geduld mit mir bitten. Vielleicht habe ich das nur nicht kapiert – aber geht es bei so einer Sicherheitsratsresolution nicht eigentlich um das allgemeine Gewaltverbot? In dem Sinn, dass man das Gewaltverbot nicht verletzt, wenn man mit UN-Mandat ein anderes Land angreift? Ist das nicht gemeint, wenn man einen bestimmten Krieg als “völkerrechtlich legitimiert” bezeichnet – das und nur das? Soll sich diese legitimierende Wirkung jetzt auf alles, was im Laufe eines solchen Krieges passiert, erstrecken? Wo nimmt der EuGH diese quasi generalabsolvierende Wirkung einer UN-Resolution her?
Oder ist das empirisch gemeint? Also als tatsächliche Aussage, dass Kriege, die als solche nicht gegen das Gewaltverbot verstoßen, generell sauberer verlaufen als andere? Wenn ja – wo steht das? Gibt es dafür einen Beleg? Wie misst man das überhaupt?
Und “das Gleiche” soll gelten, wenn es sich um einen Krieg handelt, der im “internationalen Konsens” geführt wird. (An was der Gerichtshof da wohl denkt? Kosovo? Libyen? ISIS?) Auch hier: wir sind alle sehr dafür, dass Kriege, wenn überhaupt, dann lieber mit mehr als mit weniger Zustimmung in der internationalen Staatengemeinschaft geführt werden. Aber was heißt “Konsens” – zwischen wem? Und wie genau korreliert die Größe des Bündnisses mit der Unwahrscheinlichkeit von Misshandlungen von Zivilisten?
Das alles ist dem Urteil nicht zu entnehmen. Sehr verwirrend das Ganze.
So dunkel die Herkunft dieser Regel bzw. Empirie, so klar ist ihre Wirkung: Sie erspart, wenn ich das richtig sehe, den Asylbehörden und Verwaltungsgerichten auf das Angenehmste, ihrer Regierung diplomatischen Ärger mit Amerika einzuhandeln, jedenfalls bei deren “guten” Kriegen (wozu ja dann offenbar sogar der Irakkrieg zählt). Wenn einer abhaut, weil er bei einem solchen Krieg nicht mitmachen will, braucht man gar nicht mehr groß zu prüfen, mit welcher Wahrscheinlichkeit der Soldat in Kriegsverbrechen verwickelt worden wäre. Dass es die nicht geben kann, dafür leistet ja schon die völkerrechtliche Basis für den Angriff “grundsätzlich alle Garantien”. Das ist sehr schön für alle, die sich um das transatlantische Klima sorgen, und überhaupt um das Funktionieren von Diplomatie mit diesen oder mit anderen Mitteln.
Nur für Herrn Sheperd ist das nicht schön. Und auch nicht für alle, die es interessiert hätte, was das VG München sich zur Wahrscheinlichkeit von Kriegsverbrechen durch US-Apache-Helikopter im Irak 2007 und 2008 für eine Meinung gebildet hätte.
Das ist doch ganz einfach: der EuGH hat eine europarechtliche Beweisregel aufgestellt, dass es keine Kriegsverbrechen gibt in Konflikten an denen EU-Staaten beteiligt sind.
Es sieht tatsächlich ganz danach aus, als ob der EuGh das ius ad bellum mit dem ius in bello verwechselt hat bzw. sich eines Unterschiedes nicht bewusst war. Während das Gewaltverbot (ius ad bellum) Staaten als solche schützt, schützt das humanitäre Völkerrecht (ius in bello) das Individuum, unabhängig davon, ob der “Krieg” rechtmäßig ist oder nicht. Es kann also auch in einem an sich rechtmäßigem Verstoß gegen das Gewaltverbot (z.B. eine rechtfertigende Selbstverteidigung) zu Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht kommen, und im Ergebnis ein Kriegsverbrechen darstellen. Einen zwingenden Zusammenhang gibt es aber nicht!
(Hinweis: im einzelnen ist umstritten, wie sich die beiden Rechtsregime zueinander verhalten, z.B. ob viele Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht eine Selbstverteidigungshandlung unverhältnismäßig machen können. Das der EuGH da macht wird aber meines Wissens nach nicht vertreten)
Der EuGH macht das, was man im Gewerbeaufsichtsrecht auch macht. Ständige Rechtsverstöße des Wirts begründen seine Unzuverlässigkeit. Der Wirt verliert dann die Schankerlaubnis.
–> Ständige völkerrechtswidrige Angriffskriege begründen die Unzuverlässigkeit eines Staates. Er verliert dann den Schutz der Vermutung, dass er sich an die Regeln des humanitären Völkerrechts hält.
@Bepartofit
Was aber nicht die Frage beantwortet, woher diese Vermutung in the first place kommt.
Die Vermutung wird fast jeder bestätigen. Frage jemanden, ob ein Krieg einer Seite gerechtfertigt ist und dann ob es Kriegsverbrechen dieser Seite gibt.
Ich habe das EuGH-Urteil zwar noch nicht gelesen, aber dass die völkerrechtliche Legitimation nicht vor Verbrechen schützt, sollte feststehen. Dies zeigen z. B. verschiedene Fälle von Vergewaltigungen im Rahmen von Friedenssicherungsmissionen, etwa in der Elfenbeinküste (Mission auf Grundlage von Kapitel VII UN-Charta). Man kann jetzt darüber streiten, ob es sich dabei schon um Kriegsverbechen handelt.
http://www.independent.co.uk/news/world/politics/dark-side-of-peacekeeping-95444.html
@JCF48
Es sind keine Kriegsverbrechen, zu denen man gezwungen wird und die ein Asylrecht begründen. Sheperd wird wohl eher an kriegsverbrecherische Kampfeinsätze denken.