Hamburger Hafenrundfahrt im Regierungsviertel
Investitionskontrollrechtliche Überlegungen zur Übernahme eines Hamburger Terminals durch die chinesische Reederei COSCO
Der jüngste Streit um die geplante Beteiligung der chinesischen Reederei COSCO an einem Terminal im Hamburger Hafen hat die Investitionskontrolle (engl. investment screening) in den Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt. Während die Gegner der Beteiligung einen Ausverkauf kritischer Infrastruktur an die zunehmend aggressiv auftretende Volksrepublik China als systemischen Rivalen in der immer schärferen geoökonomischen Auseinandersetzung um die Vorherrschaft in der Welt sehen, betonen die Befürworter die Gefahr eines Bedeutungsverlusts des Hamburger Hafens, der ohnehin gegenüber seinen innereuropäischen Konkurrenten mit Nachteilen zu kämpfen hat. Wer am Ende die Oberhand behalten wird, oder ob es – wie am 25.10.2022 berichtet – zu einer Kompromisslösung mit einer bloßen Minderheitsbeteiligung kommt, bleibt abzuwarten. Das geltende Investitionskontrollrecht gibt hierfür die notwendigen Spielräume. Käme es zu einer Untersagung, so wäre auch kaum damit zu rechnen, dass diese erfolgreich auf dem Verwaltungsrechtsweg angegriffen werden könnten.
Wind of Change in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen
Die Kontrolle ausländischer Direktinvestitionen ist in Deutschland und Europa seit einigen Jahren im Aufwind. Ging man beim Abschluss des Vertrags von Maastricht vor dreißig Jahren, also am „Ende der Geschichte“ (Fukuyama), noch davon aus, dass freier Verkehr von Kapital – anders als alle anderen Grundfreiheiten – auch im Verhältnis zu Drittstaaten grundfreiheitlichen Schutzes bedürfe und diesen auch verdiene, haben sich die Zeiten seither stark gewandelt. Das vielleicht am stärksten vom wirtschaftlichen Liberalismus geprägte Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts fand in verschiedenen Währungskrisen ein jähes Ende, Initiativen zur weltweiten Liberalisierung des Kapitalverkehrs in IWF, OECD und WTO scheiterten. Die Jahrtausendwende wurde markiert durch das WTO-Gipfeldesaster von Seattle 1999, das Platzen der Dotcom-Blase im März 2000 und die Anschläge auf das World Trade Centre am 11. September 2001. In der WTO wurde Ende 2001 die Volksrepublik China aufgenommen, und es begann die Doha-Entwicklungsrunde, die bis heute nur sehr spärliche Einzelergebnisse eingebracht hat. Schon 2007 folgte die Weltfinanzkrise, ab 2010 dann die Euro-Krise, und „Whatever it takes“ (Mario Draghi, 2012) wurde zur bestimmenden wirtschaftspolitischen Doktrin, nach deren Logik auch die folgenden Krisen (Flüchtlingskrise 2015, Corona 2020, Ukrainekrieg und Energiekrise 2022) angegangen wurden – mit viel Wumms schaffen wir das!
Die Sicht auf die internationale wirtschaftliche Verflechtung hat dies alles nicht unberührt gelassen – gerade in Deutschland. Ablesen lässt sich dies in vielen Bereichen, darunter auch die Neuorientierung der Investitionsschutzpolitik – von einem maximalen Schutz deutscher Investoren im Ausland hin zu einem möglichst großen „right to regulate“ gegenüber Investoren im Inland; die Volten um die „Nachverhandlung“ von CETA sowie der anscheinend ebenfalls geplante Austritt aus dem Energiechartavertrag legen hier beredtes Zeugnis ab.
Stairway to Heaven? Der Aufstieg der Investitionskontrolle seit 2009
Die sich stetig ausweitende und verschärfende Investitionskontrolle ist nur ein weiterer Baustein dieses Politikwechsels. Bereits 2009 war der zuvor (seit 2004) bestehenden Kontrolle der Übernahme von Unternehmen der Rüstungsindustrie (sektorielle Kontrolle) eine sektorenübergreifende Investitionskontrolle zur Seite gestellt worden, die zwar grundsätzlich alle Sektoren erfasste, aber lediglich für Beteiligungen mit mind. 25% Kapitalanteil galt und zudem eine – eng an die EuGH-Rspr. zu „Golden Shares“ anknüpfende – strikte Gefährdungsprüfung vorsah. Zum damaligen Zeitpunkt stand eher die Sorge vor ausländischen Staatsfonds im Vordergrund. Das änderte sich insbesondere mit der von China 2015 verkündeten Made-in-China-2025-Initiative sowie der 2013 aus der Taufe gehobenen Belt-and-Road-Initiative. Dem gezielten Ausverkauf von Spitzentechnologie sowie der Kontrolle globaler Logistikketten wollte man in Berlin nicht untätig gegenüberstehen. Allerdings stand die Investitionskontrolle zu diesem Zeitpunkt mit einem stumpfen Schwert auf dünnem Eis, und als industriepolitisches Instrument durfte sie – eigentlich – ohnehin nicht genutzt werden. Schon die deutsche Rechtslage machte es nahezu unmöglich, in ausländische Übernahmeversuche erfolgreich einzugreifen, wie der Verkauf des Roboterherstellers Kuka an den chinesischen Mischkonzern Midea 2016 medienwirksam zeigte. Gleichzeitig stand zu befürchten, dass seit der Übertragung der ausschließlichen Kompetenz für „ausländische Direktinvestitionen“ durch den Vertrag von Lissabon (2009) mitgliedstaatliche Investitionskontrollregime unionsrechtlich nicht mehr zulässig sein könnten.
Hier schuf die – maßgeblich auch von Deutschland mitinitiierte Verordnung (EU) 2019/452 zur Schaffung eines Rahmens für die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen in der Union Abhilfe. Sie stellte klar, dass die Mitgliedstaaten ausländische Direktinvestitionen (aus Drittstaaten) kontrollieren dürfen (bis hin zu einer Rückabwicklung) und beinhaltete überdies Kriterien, anhand derer die Mitgliedstaaten feststellen können, ob eine „ausländische Direktinvestition die Sicherheit oder die öffentliche Ordnung voraussichtlich beeinträchtigt“ (Art. 4 Abs. 1 VO (EU) 2019/452). Auch auf die Erwerber abzielende Kriterien zur Feststellung der Gefährdereigenschaft wurden erstmals eingeführt, und überdies ein unionsweiter Kooperationsmechanismus zum Informationsaustausch. Die Verordnung verpflichtet zwar nicht zum Investment Screening, die Kommission kommuniziert aber klar und deutlich ihre diesbezügliche Erwartungshaltung. Bis auf zwei Mitgliedstaaten (Bulgarien und Zypern) befinden sich mittlerweile alle zumindest in einem Gesetzgebungsverfahren zur Einführung einer Investitionskontrolle.
In Deutschland wurde der von der Verordnung gegebene Spielraum zu einer umfassenden Reform der Investitionskontrolle genutzt und diese vollumfänglich an die Begrifflichkeiten der Verordnung angelehnt. Bereits davor war die Kontrolle mehrfach erweitert und verschärft worden. Mittlerweile greift sie in zahlreichen Sektoren bereits ab einer Beteiligungsschwelle von 10%. Absehbar war, dass die Zahl der Prüfverfahren zunehmen würde, und dass es dabei mit hoher Wahrscheinlichkeit auch zu harten Entscheidungen bis hin zu Verboten kommen würde. Im Jahr 2021 kam es zu 306 Prüfverfahren in Deutschland (2017 noch 66), davon 264 sektorübergreifend. In über einem Drittel der Fälle kamen die Investoren aus den USA, nur in etwas mehr als 10% aus China (37). In den Jahren 2017-2021 kam es dabei in 1% (2017) bis 12% (2018) der Fälle zu „erwerbsbeschränkenden Maßnahmen“, worunter neben Untersagungen auch Nebenbestimmungen oder öffentlich-rechtliche Verträge und Anordnungen zählen. Anfang 2022 machte erstmalig ein Gerichtsverfahren um die Übernahme der Münchner Siltronic AG durch die Taiwanische Globalwafers Schlagzeilen, weil Globalwafers (erfolglos) vor der Berliner Verwaltungsgerichtsbarkeit im Eilrechtsschutz die Fiktion der Genehmigung durch Fristablauf erstreiten wollte. Im April 2022 untersagte das BMWK sodann die Übernahme der Heyer Medical AG, eines Beatmungsgeräteherstellers, durch den chinesischen Aeonmed-Konzern.
Wer den Hafen nicht kennt, für den steht kein Wind günstig
Den meisten Juristen ist dieser Seneca zugesprochene Ausspruch, aus der Werbung eines kommerziellen Examensrepetitoriums geläufig. Häfen sind für die Seefahrt, Frachthäfen für den internationalen Handel, von größter Bedeutung. Ohne die Erfindung der Seecontainer durch Malcolm MacLean – erstmals 1956 eingesetzt – hätte die Globalisierung, wie wir sie kennen, niemals stattgefunden, und auch der Aufstieg Chinas zu einer der größten Wirtschaftsmächte der Welt wäre nicht möglich gewesen. Sichere und verlässliche Handelsrouten sind für China sowohl im Hinblick auf seine Energieversorgung als auch für seine Exporte von Waren aller Art von existenzieller Bedeutung.
Für Reedereien – die derzeit in Geld schwimmen – sind dabei vor allem verlässliche Be- und Entladekapazitäten strategisch wichtig, weil vor den Häfen wartende Containerschiffe nur Geld kosten, aber nichts einbringen. Beteiligungen an Häfen und Terminalgesellschaften sind daher eine verbreitete Geschäftsstrategie. Die China Ocean Shipping (Group) Company (COSCO) eine der weltgrößten Reedereien, ist da keine Ausnahme. COSCO hält an zahlreichen europäischen Hafenterminals Anteile, darunter die Mehrheitsbeteiligung am griechischen Hafen Piräus, der – als nächstgelegener europäischer Hafen nach dem Suez-Kanal – einen zentralen Logistikknotenpunkt der BRI bildet. Dass Griechenland den Hafen nicht zuletzt wegen seiner Schuldenkrise und damit zusammenhängender Konsolidierungsauflagen und -bemühungen an COSCO zunächst verpachtete und dann später verkaufte ist nur eine ironische Randnotiz.
Die Übernahme von Häfen durch ausländische Betreiber wird weltweit kritisch gesehen. Bereits in den Jahren 2005 und 2006 kam es in den USA zu einer intensiven politischen Debatte um den Einstieg von Dubai Ports World, einem Staatsunternehmen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, in das Management von sechs amerikanischen Hafengesellschaften. Schlussendlich scheiterte der Deal an einem Veto des amerikanischen Kongresses, und DP World transferierte sein diesbezügliches Geschäft in Gänze in die USA.
Happy End oder Havarie an der Waterkant?
Wie ist nun der geplante Einstieg COSCOs in einen Teil des Hamburger Hafens, die HHLA Container Terminal Tollerort GmbH, juristisch zu bewerten? Konkret geht es um eine geplante 35%-Beteiligung COSCOs am HHLA-Terminal Tollerort, die 2021 vereinbart wurde.
Nach § 4 Abs. 1 Nr. 4a AWG können im Außenwirtschaftsverkehr durch Rechtsverordnung Rechtsgeschäfte und Handlungen beschränkt oder Handlungspflichten angeordnet werden, um die öffentliche Ordnung Deutschlands oder eines anderen Mitgliedstaats der EU zu gewährleisten. Die näheren Bestimmungen zur sektorübergreifenden Kontrolle finden sich in den §§ 55 ff. AWV.
Bei Hafenlogistikbetreibern handelt es sich um „kritische Infrastrukturen“ i.S.v. § 2 Abs. 10 BSIG i.V.m. § 8 Abs. 3 und Anlage 7, Teil 1 Ziff. 1. 1.25), Teil 3 Ziff. 1.3.5 BSI-KritisV, sofern diese einen Frachtumschlag von mind. 3,27 Mio. Tonnen/Jahr aufweisen. Ob dieser Schwellenwert durch Tollerort erreicht wird, ließ sich nicht ohne Weiteres feststellen, darf aber wohl unterstellt werden. Bei einem Unternehmen, das kritische Infrastrukturen betreibt, führt bereits der Erwerb von 10% der Stimmrechte zur Möglichkeit einer Prüfung durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (die AWV spricht noch von Wirtschaft und Energie), nach §§ 55 Abs. 1, 55a Abs. 1 Ziff. 1, 56 Abs. 1 Ziff. 1 AWV. Nach § 55 Abs. 4 AWV ist der Abschluss des schuldrechtlichen Unternehmenskaufvertrags in diesen Fällen meldepflichtig. Die Pflicht trifft den unmittelbaren Erwerber, § 55 Abs. 5 AWV. Die Meldung löst den Fristlauf für das Prüfverfahren nach § 14a Abs. 1 AWG aus, § 14a Abs. 3 AWV. Danach muss das Prüfverfahren binnen zwei Monaten nach Kenntniserlangung (durch die Meldung) eröffnet werden und innerhalb vier Monaten nach Eingang der vollständigen Unterlagen, zu deren Übermittlung der Erwerber verpflichtet ist, abgeschlossen werden. Ansonsten dürfen keine Beschränkungen oder Handlungspflichten mehr auferlegt werden, § 14a Abs. 1 AWG, § 59 Abs. 1 AWV. Die Prüfpflicht kann allerdings vom BMWK um drei Monate verlängert werden, wenn der Fall besondere Schwierigkeiten aufweist, § 14a Abs. 4 AWG. Der Fristlauf ist gehemmt, solange vom BMWK – wie häufig in der Praxis – nachgeforderte Unterlagen noch nicht vollständig vom Erwerber übermittelt worden sind, § 14a Abs. 6 AWG. Die Feststellung, dass die vorgenannten Fristen abgelaufen seien hatte Globalwafers im Eilrechtsschutz erstreiten wollen. Bis zum Abschluss der Investitionsprüfung ist das schuldrechtliche Erwerbsgeschäft schwebend unwirksam, § 15 Abs. 3 AWG.
Nach Medienberichten – von offizieller Seite hört man über Investitionskontrollverfahren regelmäßig wenig bis gar nichts – droht am 31.10.2022 die maßgebliche Frist für den Abschluss des Prüfverfahrens abzulaufen. Alle beteiligten Ministerien sollen sich für eine Untersagung ausgesprochen haben, genauso wie die EU-Kommission im Rahmen des EU-Kooperationsmechanismus. Das Bundeskanzleramt habe die Entscheidung über eine Untersagung hingegen nicht auf die Tagesordnung des Kabinetts setzen wollen.
Die Zustimmung der Bundesregierung, d.h. ein dahingehender Kabinettsbeschluss, ist nach § 13 Abs. 3 S. 1 AWG für die Untersagung eines Erwerbs allerdings erforderlich. Gemäß § 15 Abs. 1 e) der GeschOBReg wiederum sind der Bundesregierung alle Angelegenheiten, für die ein Gesetz dies vorschreibt, zur Beratung und Beschlussfassung zu unterbreiten. Die vorherige Beratung (§ 16 GeschOBReg) zwischen den beteiligten Ministerien (Auswärtiges Amt, das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, das Bundesministerium der Verteidigung sowie das Bundesministerium der Finanzen, vgl. § 13 Abs. 3 S. 1 AWG) hat hier – soweit ersichtlich – stattgefunden. So wie es Sache des Bundesministers für Wirtschaft und Klimaschutz ist, die der Federführung seines Hauses unterliegende Beschlussvorlage rechtzeitig bei dem Staatssekretär des Bundeskanzlers einzureichen (§ 21 GeschOBReg), so ist es unzweifelhaft die Rechtspflicht des Bundeskanzlers, den nach dem AWG erforderlichen Regierungsbeschluss herbeizuführen. Für ein politisches Ermessen, wie es ihm ansonsten bei der Frage der Kabinettsbefassung zukommen mag, ist in Fällen des drohenden Fristablaufs in einer Sache, bei der es um die Wahrung der „Sicherheit und öffentlichen Ordnung“ Deutschlands geht, schlechterdings kein Raum.
Allerdings ist es schwer vorstellbar, dass ein dahingehender Streit innerhalb des Verfassungsorgans Bundesregierung tatsächlich rechtlich ausgetragen wird. Dem BMWK bliebe insoweit nur, durch eine Nachforderung von Unterlagen von Seiten COSCOs den Fristlauf erneut zu hemmen; nachdem der wahre Grund für dieses Spiel auf Zeit allerdings ja nun hinreichend der Öffentlichkeit bekannt ist, liefe das BMWK Gefahr, dass eine Klage auf Feststellung des Fristablaufs – und damit der Unangreifbarkeit der Übernahme – erfolgreich wäre, zumal zu erwarten ist, dass COSCO die notwendige Geduld für ein Hauptsacheverfahren mitbringen dürfte. Sollte sich die Bundesregierung zu einer Untersagung entschließen, so dürfte es angesichts der weiten Beurteilungsspielräume und in Rede stehenden staatlichen Belange hingegen schwerfallen, diese erfolgreich anzugreifen.
Der Streit um den – in der Sache vielleicht doch nicht so bedeutsamen – Einstieg COSCOs am Hamburger Hafen zeigt ist, wie schwer sich Deutschland nach wie vor mit der Umstellung von seinem rein am außenwirtschaftlichen Erfolg orientierten Politikmodell hin zu einem geopolitischen Realpolitikkurs tut. Auch wenn der Fall kaum mit den durch billiges Erdgas aus Russland über Jahre erzeugten Abhängigkeiten vergleichbar ist, so darf doch nicht übersehen werden, dass Agenda und Politik der Volksrepublik China – Stichworte: Xinjiang und Taiwan – es zunehmend wahrscheinlicher machen, dass es zu Störungen in den Wirtschaftsbeziehungen kommt. Mit weniger Abhängigkeiten, soviel ist sicher, wird man diese besser aushalten können.