05 July 2021

Im selben Boot

Das Potential eines WTO-Fischerei­subventions­abkommens für den Erhalt der marinen Biodiversität

Den Weltmeeren geht das Leben aus. Würden sich düstere Vorhersagen bewahrheiten, wären die Ozeane im Jahr 2048 leergefischt. Zur Überfischung tragen auch staatliche Subventionen bei. Am 15. Juli 2021 könnten sich die Mitgliedstaaten der Welthandelsorganisation (WTO) auf den Abschluss eines Abkommens über das Verbot von Fischereisubventionen einigen, um dieses Problem anzugehen. Ein Vertragsentwurf liegt seit dem 11. Mai 2021 vor. Das neue Abkommen wäre nicht nur ein lange erwartetes Vitalzeichen der WTO, sondern auch eine entscheidende Wegmarke im Wandlungsprozess zu einem grüneren Welthandelsrecht. Doch der Teufel steckt wie üblich im Detail: Beim näheren Hinsehen offenbart der Entwurf Schwachstellen, die Zweifel daran aufwerfen, ob das Subventionsverbotsregime dem Leben unter Wasser spürbar dienen wird.

Fischereisubventionen als Regelungslücke im geltenden WTO-Recht

Weltweit sind zahllose Fischbestände und andere maritime Arten seit Jahrzehnten rückläufig. Die Weltbank geht davon aus, dass die globalen Fischereiaktivitäten mittlerweile um fast die Hälfte reduziert werden müssten, damit sich die Bestände wieder erholen können (Weltbank 2017). Dennoch fließen jedes Jahr schätzungsweise 22 Mrd. US-Dollar als Subventionen in die Fischerei, obgleich diese längst nicht mehr rentabel ist. Die vier größten Fördertöpfe stellen die USA, Japan, China und die EU bereit, um ihre Fangflotten in die noch entlegensten Winkel der Ozeane zu schicken. Das Fischereisubventionsabkommen könnte dieser gefährlichen Überfinanzierung nun einen Riegel vorschieben.

Fischereisubventionen beschäftigen die WTO seit Beginn der Doha-Runde im Jahr 2001. Das bestehende Subventionsregime erfasst sie nicht. Sie unterfallen nicht, wie man zunächst annehmen könnte, dem WTO-Landwirtschaftsübereinkommen, denn Art. 2 AoA iVm Annex 1 schließt sie explizit aus dem Anwendungsbereich des Abkommens aus (vgl. hierzu WTO, Staff Working Paper ERSD-2021-12, Rdn. 3.1ff.). Um Fischereisubventionen WTO-rechtlich einzuhegen, müsste stattdessen auf das Übereinkommen über Subventionen und Ausgleichsmaßnahmen (Agreement on Subsidies and Countervailing Measures – SCM) zurückgegriffen werden. Der Regelungszweck des WTO-Subventionsrechts besteht in der Verhinderung von Handelsverzerrungen. Obgleich sich die Überfischung der Meere nachweislich nachteilig auf die Fischbestände und damit auch auf die Fischereiindustrien auswirkt, werden diese Auswirkungen vom SCM-Übereinkommen nicht hinreichend erfasst. Bei den meisten Fischereisubventionen handelt es sich zwar um spezifische Beihilfen im Sinne des Art. 2.1. SCM-Übereinkommens, da sie ihrer Natur nach industriebezogen sind, um als anfechtbare Subventionen im Sinne der Art. 5ff SCM-Übereinkommen zu gelten, wären aber wiederum messbare, nachteilige Auswirkungen auf die Interessen anderer WTO-Mitglieder erforderlich. Dieser Nachweis ist praktisch kaum zu führen (wenngleich theoretisch nicht ausgeschlossen, vgl. Chang 2003, S. 901ff). Die negativen Effekte der Überfischung auf die Fischereiwirtschaft, die durch die Subventionierung entstehen, lassen sich nicht einfach spiegelbildlich dem erlangten Vorteil gegenüberstellen. Das wichtigste Gegeninstrument des SCM-Übereinkommens – die Erhebung von Ausgleichszöllen – verliert dadurch erheblich an Schlagkraft, da in der Regel weder die Höhe der Zölle noch der Kreis der betroffenen Waren eindeutig und abschließend bestimmt werden kann.

SDG-Target 14.6 als Referenzrahmen

Diese Regelungslücke zu schließen, war zunächst das Anliegen der WTO-Mitglieder (vgl. WT/MIN(01)/DEC/1 v. 20.11.2001, Rdn. 28). Erst in den folgenden Jahren drängte das Problem der Überfischung in den Vordergrund und damit auch Aspekte des Umweltschutzes und der Nachhaltigkeit. Ein wichtiger Anstoß hierfür waren die sogenannten Aichi-Ziele, denen sich die 196 Vertragsstaaten der UN-Biodiversitätskonvention im Jahr 2010 verschrieben haben, darunter auch das Ziel, bis zum Jahr 2020 biodiversitätsschädliche Subventionen abzuschaffen (Aichi-Ziel 3). Den entscheidenden Ausschlag für die Nachhaltigkeitsorientierung der Verhandlungen gab aber im Jahr 2015 die UN-Agenda 2030. Das UN-Nachhaltigkeitsziel 14 ist dem „Leben unter Wasser“ gewidmet. Target 14.6 bezieht sich konkret auf die andauernden WTO-Verhandlungen zu Fischereisubventionen und setzt das Ziel „[to] prohibit certain forms of fisheries subsidies which contribute to overcapacity and overfishing, eliminate subsidies that contribute to illegal, unreported and unregulated fishing and refrain from introducing new such subsidies“.1) Die Staatengemeinschaft erachtete dieses Ziel als so dringlich, dass es schon bis 2020 erreicht sein sollte – eine Dekade früher als die meisten anderen Zielsetzungen der Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals – SDG). Target 14.6 bildet den Referenzrahmen für das neue WTO-Abkommen. In diesem Sinne wurde es auch auf der 11. WTO-Ministerkonferenz 2017 bestätigt und das weitere Verhandlungsmandat hieran ausgerichtet.

Arten von verbotenen Subventionen im Entwurfstext

Die Grundlage für die finalen Verhandlungen bildet nun der Vertragsentwurf vom Mai 2021. Der Entwurfstext beinhaltet ganz im Sinne des Target 14.6 sowohl ein Verbot der Subventionen für die illegale, nicht gemeldete und unregulierte Fischerei (Art. 3.1) als auch eine umfangreiche Verbotsklausel für alle Subventionen, die zu Überkapazität und Überfischung beitragen (Art. 5). Zusätzlich statuiert Art. 4 ein Verbot von Subventionen zu Lasten bereits überfischter Bestände. Die Vorschrift geht über die Anforderungen des Targets 14.6 im Sinne eines Erst-recht-Schlusses hinaus: Was für Subventionen gilt, die zur Überfischung beitragen, muss umso mehr für Subventionen für bereits überfischte Bestände gelten.

Einen Sonderfall, welcher nun ebenfalls geregelt werden soll, stellen sogenannte kapazitätssteigernde Subventionen dar. Gemeint sind Treibstoffsubventionen. Die Kosten für Treibstoffe belaufen sich Schätzungen zufolge auf 50 bis 80 Prozent der Fischfangkosten – wenig verwunderlich angesichts der weltumspannenden Strecken, die unzählige Schiffe mittlerweile auf der Suche nach Fisch zurücklegen. Art. 5 Abs. 1 des Entwurfs sieht vor, dass Treibstoffsubventionen neben mehreren anderen operativen Kostenfaktoren ausgeschlossen werden sollen. Unter der Maßgabe des Art. 1 des Entwurfs, wonach nur spezifische Subventionen im Sinne des SCM-Übereinkommens erfasst werden sollen, findet das Verbot der Treibstoffsubventionen allerdings nur auf sogenannte vertikale Subventionen zugunsten der Fischereiwirtschaft Anwendung. Gesamtwirtschaftliche Treibstoffsubventionen fallen hingegen als sogenannte horizontale Subventionen von vorneherein nicht in den Anwendungsbereich des Art. 2.1 SCM-Übereinkommen (vgl. hier, S. 7). Diese praktisch hochrelevante Regelungslücke könnte durch das neue Abkommen geschlossen werden, welches ausdrücklich auch für nicht-spezifische Treibstoffsubventionen gelten soll. Der entsprechende Vorschlag in Art. 1 Abs. 2 steht indes noch in Klammern und eine finale Entscheidung der WTO-Mitglieder somit noch aus.

Viele weitere Aspekte, welche in diesem Rahmen nicht erörtert werden können, sind ebenfalls noch klärungsbedürftig. Dennoch zeichnet sich bereits ein Gesamtbild ab: Sollten sich die WTO-Mitglieder auf die im Entwurf vorgesehenen Subventionsverbote einigen können, wären die Anforderungen des Target 14.6 wohl formal erfüllt. Aber wird das reichen, um den Angriffen der Fischereiwirtschaft auf die maritimen Ökosysteme tatsächlich Einhalt zu gebieten? Auf drei Problempunkte soll an dieser Stelle hingewiesen werden.

Erlaubte Subventionen als Schlupfloch?

Erstens: Der Entwurf enthält zwei Ausnahmeregelungen von den dargestellten Subventionsverboten, wenn diese Subventionen unter Berücksichtigung des „biologically sustainable level“ ergehen. Zur Bestimmung des biologisch nachhaltigen Levels sollen das Modell des Maximum Sustainable Yield (MSY) oder alternative, nicht abschließend bestimmte Indikatoren angewendet werden (Fn. 9 und 10). Die erste Ausnahmeregelung findet sich in Art. 4.3 und erlaubt Subventionen, „if such subsidies are implemented to promote the rebuilding of the stock to a biologically sustainable level“. Dieser Wortlaut legt nahe, dass tatsächlich nur Finanzbeihilfen für zielgerichtete, biodiversitätsfördernde Maßnahmen erfasst sein sollen. Deutlich mehr Interpretationsspielraum belässt demgegenüber Art. 5.1.1 des Entwurfs, wonach Fischereisubventionen mit dem Regelungsgedanken des Art. 5 bereits dann vereinbar wären, wenn das subventionsgewährende Mitglied nachweist, dass „measures are implemented to maintain the stock or stocks in the relevant fishery or fisheries“. Die Formulierung lässt sich so verstehen, dass diese Maßnahmen gerade nicht durch Beihilfen finanziert werden müssen, sondern diese nur im Sinne von Ausgleichsmaßnahmen flankieren. Unklar ist aber, was im Rahmen von Art. 5.1.1 im Einzelnen nachgewiesen muss – Maßnahme oder Ziel? Der Wortlaut deutet eher auf eine Maßnahmen- als eine Zielbestimmung hin. In diesem Fall stellt sich die Folgefrage: Was ist, wenn die positiven Wirkungen der ergriffenen Maßnahmen nicht eintreten? Ab wann und wie lange dürfen die verbundenen Fischereisubventionen gewährt werden?

Der unbekannte Faktor: Ungeprüfte Fischbestände

Zweitens: Art. 4.2 des Entwurfes sieht vor, dass die Überfischung auf der Grundlage des „best scientific evidence available“ positiv festgestellt werden muss. Das wäre plausibel, wenn tatsächlich alle relevanten Fischbestände evaluiert würden. Aufgrund fehlender Daten und komplexer Messverfahren fehlt es aber tatsächlich in schätzungsweise 65 Prozent der untersuchten Bestände an zuverlässigen Zustandsbeschreibungen. Man weiß also oftmals gar nicht, ob eine Fischart gefährdet ist. Einzelne Staaten wie Island, Neuseeland und Pakistan haben dieses Problem erkannt und im Laufe des Verhandlungsprozesses vorgeschlagen, nicht-geprüfte Bestände mit solchen gleichzusetzen, die als überfischt gelten (hier, Rdn. 3.5ff.). Diese Regelungsvariante hätte nicht nur den Vorteil, dass sie versteckt gefährdeten Fischbeständen zu Gute käme. Sie böte auch einen Anreiz für die Staaten, den sowieso vorhandenen Verpflichtungen zur Evaluierung der Fischbestände nachzukommen, da das Verbot mit dem positiven Nachweis über den Zustand des Bestandes wieder entfällt. Hingegen fehlt der Anreiz zum eingehenden Monitoring der Fischbestände gerade, wenn erst die positive Feststellung der Überfischung das Subventionsverbot zur Folge hat. Dennoch ist es unwahrscheinlich, dass der Vorschlag von Island ua noch aufgegriffen wird, da er bisher nicht einmal in eingeklammerter Weise Eingang in den Entwurf gefunden hat. Umso mehr gewinnt vor diesem Hintergrund das objektive und Regionen übergreifende Monitoring der Fischbestände an Bedeutung. Hieraus folgt ein dritter Kritikpunkt.

Zweifelhafte Wächter der nachhaltigen Fischerei

Art. 4.2 weist die Aufgabe der Bestimmung, ob ein Fischbestand überfischt ist, neben den Küstenmitgliedstaaten, in deren Hoheitsgebieten gefischt werden soll, den regionalen Fischereiorganisationen (Regional Fisheries Management Organizations – RFMO) zu. Untersuchungsergebnisse aus jüngerer Zeit (vgl. z.B. hier und hier) lassen Zweifel daran aufkommen, ob die RFMOs ihrer bedeutungsvollen Aufgabe gerecht werden können. Weltweit gibt es gegenwärtig 18 RFMOs (vgl. Gonçalves 2021, S. xvii), die für die Verwaltung der Meeresgebiete und Fischereien auf hoher See zuständig sind. Nur wenige haben ein echtes Biodiversitätsschutzmandat. Eine Studie aus dem Jahr 2020 kam außerdem zu dem Ergebnis, dass von 13 untersuchten RFMOs nur sieben in ihrer Aufgabenwahrnehmung auf die Zielsetzungen des SDG 14 Bezug nehmen. Die Studie bestätigte auch die Erkenntnisse aus vorangegangenen Untersuchungen, dass die RFMOs vornehmlich untereinander kooperieren und sich kaum mit anderen Meeresschutzorganisationen austauschen. Demzufolge fehlt es häufig auch an spezifischen Maßnahmen gegen Beifang und andere Umweltprobleme. Das mangelhafte Nachhaltigkeitsbewusstsein vieler RFMOs veranlasste die UN-Generalversammlung erst vor wenigen Jahren zu der besorgten Feststellung,

dass die wirksame Bestandsbewirtschaftung in der marinen Fangfischerei in einigen Gebieten durch unzuverlässige und unvollständige Informationen und Daten […] erschwert wird und dass dieser Mangel an genauen Daten in einigen Gebieten zur Überfischung beiträgt, und in dieser Hinsicht daran erinnernd, dass die Mitglieder der regionalen Organisationen und Vereinbarungen betreffend Fischereibewirtschaftung ihren diesbezüglichen Datenerhebungs- und Berichtspflichten uneingeschränkt nachkommen […].

(A/RES/70/75, Präambelabsatz 7)

Gemäß Art. 4.2 soll die Evaluierung der Fischbestände durch die Küstenmitgliedstaaten oder die RFMOs zwar auf der Basis des erwähnten „best scientific evidence available“ erfolgen, doch wer bestimmt, was die beste wissenschaftliche Erkenntnisquelle ist und unter welchen Umständen diese als verfügbar angenommen werden kann? Im Sinne der Einheitlichkeit und Objektivität der Monitoringstandards wäre es ratsam gewesen, bestimmte Kooperationspflichten mit einschlägigen internationalen Gremien und Organisationen, wie z.B. dem Internationalen Rat für Meeresforschung (ICES) oder der UN- Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO), aufzunehmen.

Land in Sicht?

Die WTO hadert offenkundig mit dem Spagat zwischen ihrem klassischen Mandat der Handelsliberalisierung und vermeintlich systemfremden Nachhaltigkeits- und Artenschutzaspekten. So wird auch ein neues Fischereisubventionsabkommen kein echtes Umweltschutzinstrument sein. Dies zeigt sich neben den soeben aufgezeigten Schwachstellen auch am Wortlaut des Entwurfstexts. Typische umweltrechtliche Signalwörter wie Biodiversität und Ökosysteme kommen darin nicht vor. Relevante Regelungsaspekte zum Erhalt der marinen Ökosysteme, wie beispielsweise die Verwendung von großen Treib- und Grundschleppnetzen oder die Vermeidung von Beifang, sind ebenfalls nicht Gegenstand des Entwurfs geworden. Sie waren aber – das muss man einräumen – auch nicht expliziter Bestandteil des SDG-Target 14.6. Somit kann