Im Technokraten-Panzer auf dem Weg zur Europäischen Armee
Heute hat der Rat der EU mit der sog. Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit – im EU-Jargon: PESCO (PErmanent Structured COoperation) – ein neues Projekt der europäischen Militär- und Rüstungsintegration beschlossen. Es soll wesentlich zur Errichtung einer europäischen Verteidigungsunion beitragen. In Deutschland ist die öffentliche und politische Aufmerksamkeit gering. Dabei ist die PESCO ein ambitioniertes Projekt mit Bedeutung auch für den (Verteidigungs-)Haushalt und den verfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt für Auslandseinsätze der Bundeswehr.
In der PESCO sollen die 25 teilnehmenden Mitgliedstaaten (darunter auch Deutschland) militärische Fähigkeiten gemeinsam entwickeln und nutzen. Ziel ist, dass sie unter tatkräftiger Mithilfe europäischer, supranationaler Institutionen staatenübergreifende, integrierte Formen der Organisation, Ausbildung und Rüstung des Militärs schaffen – und außerdem die Verteidigungsbudgets erhöhen. Die PESCO könnte als starker Impuls dahin wirken, dass Europas Staaten die nationale Organisation des Militärs und damit ein tradiertes Element moderner Staatlichkeit letztlich aufgeben – zugunsten gemeinschaftlicher Streitkräfte („Europäische Armee“).
Nicht nur Politikwissenschaftler sähen darin einen Beitrag zur Staatswerdung der EU. Möglich ist aber ebenso, dass die PESCO versandet und es nicht gelingt, die militärische Integration in der EU – und damit zugleich eine Militarisierung der EU! – qualitativ voranzubringen. Das hätte einige Tradition: Bereits in der frühen Integrationsphase der 1950er Jahre scheiterte das große Projekt einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft an nationalen Widerständen. Auch die seit 2007 immerhin organisatorisch bestehenden EU Battlegroups haben der EU bislang praktisch nicht zu militärischer Handlungsfähigkeit verholfen – aufgrund der fehlenden Übereinstimmung der Mitgliedstaaten steht ihr erster Einsatz weiter aus.
Das politische Momentum der PESCO: Legitimationskrise, Geopolitik, Abtritt eines Vetospielers
Die Hürden der militärischen Integration in der EU sind hoch. Das hat realpolitische Gründe, vor allem die verschiedenen außen- und verteidigungspolitischen Grundsätze der Mitgliedstaaten. Aber der schleppende Gang militärischer Integration spiegelt auch die Vorstellung, dass die militärische Handlungsfähigkeit sowohl Voraussetzung wie Gegenstand staatlicher Souveränität sei.
Vor diesem Hintergrund ist es alles andere als Zufall, dass die EU gerade jetzt mit der PESCO und weiteren Initiativen (u.a. Europäischer Verteidigungsfond, EU-NATO-Kooperation, Integration des Rüstungsmarktes) neue Vorstöße der militärischen Integration unternimmt. Ein wesentlicher Antriebsfaktor ist die gegenwärtige Legitimationskrise der Union. Angesichts der Finanz- und Wirtschaftskrise, der weiten ökonomischen Ungleichheiten zwischen Nord und Süd und des Brexit können Wohlstandssteigerung und politische Stabilität die europäische Integration nicht mehr verlässlich begründen und rechtfertigen.
Unter Führung von Kommissionspräsident Juncker und der Hohen Vertreterin für Außenpolitik Mogherini entwickelt die EU daher nunmehr die Gewährleistung der Sicherheit ihrer Bürger und ihres Hoheitsgebiets (!) als neues Legitimationsnarrativ. Das umfasst auch den Einsatz militärischer Mittel in der europäischen Außenpolitik, die bislang vom diplomatisch-zivilen „soft power“-Ansatz geprägt war. Zur Motivationslage gehört auch, dass die Verantwortungsübernahme der USA in der NATO unter Präsident Trump erodiert. Zum politischen Momentum der PESCO zählt außerdem, dass sich mit Großbritannien der Vetoakteur von der Verhandlung der militärischen Integration in der EU zurückzieht.
PESCO: Rechtsstruktur, Ziele und Integrationsdynamik
Die PESCO ist seit dem Vertrag von Lissabon im EU-Vertrag vorgesehen (Art. 42 Abs. 6, Art. 46 EUV, Protokoll Nr. 10). Sie hat eine Reihe konkreter, operativer Ziele. Dazu zählen – zum Zweck des Ausbaus der militärischen Handlungsfähigkeit Europas – die gemeinsame Entwicklung und Nutzung militärischer Mittel und Fähigkeiten (einschließlich der Einführung militärischer Arbeitsteilung und Spezialisierung der Staaten), eine gesteigerte operative Verfügbarkeit und Einsatzbereitschaft der Streitkräfte, sowie verstärkte Rüstungsinvestitionen und gemeinschaftliche Rüstungsprojekte.
Es handelt sich – darin ist die PESCO der Eurozone ähnlich – um eine Form der differenzierten Integration („willing and able states“): Nur die Mitgliedstaaten, die sich freiwillig zur verstärkten Mitwirkung an multinationalen Streitkräften und zur Steigerung der Rüstungsinvestitionen verpflichten, arbeiten in der PESCO an der Integration ihrer Verteidigung. Formal eingeleitet wurde die Errichtung der PESCO dementsprechend durch eine Gemeinsame Mitteilung der beteiligungsbereiten Mitgliedstaaten an den Rat, mit der diese ihren Willen erklärten, in der militärischen Sicherheit und Verteidigung „enger zusammenzuarbeiten“, und dazu gemeinsame Verpflichtungen vorlegten. Noch vor dem Ratsbeschluss übermittelten die Staaten zudem Nationale Umsetzungspläne, die ihre Fähigkeiten nachweisen sollen, die Verpflichtungen aus der PESCO zu verwirklichen.
Der nun getroffene Ratsbeschluss setzt die gemeinsamen Verpflichtungen der PESCO in Kraft, die die Gemeinsamen Mitteilung vorsieht. Einige Verpflichtungen der teilnehmenden Staaten sind dabei besonders bemerkenswert:
- Die Staaten verpflichten sich, ihre Verteidigungshaushalte (in noch zu beschließenden Quoten) regelmäßig real zu erhöhen und ihre Rüstungsausgaben mittelfristig auf 20 Prozent des Verteidigungsbudgets zu steigern.
- Sie verpflichten sich, zur Steigerung der Verfügbarkeit und Einsatzbereitschaft der Streitkräfte beschleunigte politische Einsatzentscheidungen auf nationaler Ebene anzustreben und ihre nationalen Beschlussverfahren daraufhin zu überprüfen.
- Sie verpflichten sich, durch die gemeinschaftliche Entwicklung militärischer Fähigkeiten Europas strategische Autonomie und rüstungsindustrielle Basis zu stärken.
- Sie verpflichten sich zur intensiven Nutzung des European Defence Fund für die gemeinsame Beschaffung von Rüstung.
Auch wenn es akademisch eine interessante Frage ist, hängt die Bedeutung dieser Verpflichtungen nicht in erster Linie davon ab, ob man sie als rechtsverbindlich einordnet (die gemeinsame Verteidigungspolitik ist nach Art. 275 AEUV von der Jurisdiktion des Europäischen Gerichtshofs ausgenommen). Auch wenn es sich formal um bloße politische Absichtserklärungen und Selbstverpflichtungen handeln sollte, die den nationalen Gesetzgeber und die nationale Regierung in ihrer Verteidigungs- und Rüstungspolitik nicht binden, sind sie mit einer beachtlichen Sanktion ausgestattet: Nach Art. 46 Abs. 4 EUV kann der Rat mit qualifizierter Mehrheit die Teilnahme eines Staates an der PESCO aussetzen, wenn dieser seine Verpflichtungen darin nicht erfüllt.
Insoweit geht hier die Sanktionierung der Verpflichtungen sogar über die in der Eurozone hinaus, in der es bekanntlich keinen Ausschlussmechanismus für Mitgliedstaaten gibt, die ihre Pflichten verletzten. Angesichts der Vorteile der PESCO, die den Staaten Effizienz- und Effektivitätsgewinne eröffnen dürfte (u.a. Zugriff auf weitere militärische Fähigkeiten, Rüstungsfinanzierung aus dem European Defence Fund, Einsparungen durch economies of scale), aber auch wegen der aus verdichteter Zusammenarbeit entstehenden Abhängigkeiten (Spezialisierung/Arbeitsteilung, Budgetverschiebungen, Transnationalisierung des Rüstungswesens) bewehrt der Ausschlussmechanismus die Verpflichtungen faktisch scharf.
Es ist wahrscheinlich – und wird offensichtlich strategisch anvisiert –, dass eine Dynamik politisch kaum umkehrbarer Integration entsteht. Praktische Unumkehrbarkeit dürfte jedenfalls mit fortschreitender Laufzeit und operativer Umsetzung von PESCO durch konkrete Projekte eintreten. Zur ersten Projektrunde zählen die Schaffung eines Europäischen Sanitätskommandos und eines Netzwerks militärischer Logistik-Hubs, Rüstungsprojekte wie gepanzerte Kampffahrzeuge und insgesamt Maßnahmen zur militärischen Mobilität, sowie Kollaborationen auf dem Gebiet der militärischen Cyber Security. Möglicherweise reizt PESCO zukünftig auch die modulare Schaffung europäischer Streitkräfteeinheiten an, die nicht national organisiert und befehligt werden.
PESCO innenpolitisch: aktive geschäftsführende Bundesregierung, passiver Bundestag
Von deutscher Seite wurde und wird die PESCO derzeit von der geschäftsführenden Bundesregierung verhandelt, die weder vom alten noch vom neuen Bundestag demokratisch legitimiert und nicht mit einem politischen Gestaltungsauftrag der Wähler ausgestattet ist. Der deutsche Umsetzungsplan zu PESCO liegt Bundestag und Öffentlichkeit nicht vor. Der Bundestag hat (entgegen einem Antrag der Fraktion Die Linke) keine Stellungnahme zur Verhandlung von PESCO durch die Bundesregierung nach Art. 23 Abs. 3 GG erarbeitet und abgegeben. Das ist angesichts der Bedeutung der PESCO für Haushalt, Militärorganisation und potentiell auch den Parlamentsvorbehalt, sowie für die Entwicklung der Europäischen Union als außen- und verteidigungspolitischer Akteur ein gravierendes politisches Versäumnis. Es fehlt an einer demokratischen Politisierung, die die Öffentlichkeit aktiviert und einschließt.
Es ist rundweg zum Staunen, wie sich nach all den kritischen europapolitischen Grundsatzdiskussionen der vergangenen Jahre bei der Militär- und Rüstungsintegration offenbar die Fehler der Vergangenheit wiederholen. Es ist das technokratisch-funktionalistische Europa, das hier voranschreitet, und nicht das demokratische Europa, das aus der offenen Diskussion der europäischen Bürgerschaft entsteht. Auch wenn Verteidigungsministerin von der Leyen den Begriff der „Europäischen Armee“ mit dem Sprachspiel der angestrebten „Armee der Europäer“ vermeidet: Die PESCO hat das Potential, der Nukleus transnationaler, europäischer Gefechtseinheiten zu werden, die jenseits der NATO und befehligt von EU-Generälen Kampfeinsätze im Ausland leisten – eine europäische Kommandozentrale für EU-Militärmissionen ohne Gewaltbefugnisse ist bereits installiert. Für diese Entwicklung der Europäischen Union dürfen die europäischen Bürgerinnen und Bürger deutlich mehr Agora und deutlich weniger Strategiesitzung im Hinterzimmer erwarten.
“Es ist das technokratisch-funktionalistische Europa, das hier voranschreitet, und nicht das demokratische Europa, das aus der offenen Diskussion der europäischen Bürgerschaft entsteht.”
Ich sehe das Problem nicht. Die “europäische Bürgerschaft” ist derzeit offensichtlich nicht willens und nicht in der Lage, Europa konstruktiv weiterzuentwickeln. Die massive Zunahme an Populismus und Isolation lässt zudem daran zweifeln, ob es eine “europäische Bürgerschaft”, die sich auch als solche versteht, überhaupt schon gibt. Wir sollten daher froh sein, dass es zumindest Teilbereiche gibt, in denen die Zusammenarbeit nunmehr forciert wird. Anders scheint es derzeit nicht zu gehen.
@ Pontifex Maximus
Umgekehrt wird – meines Erachtens – ein Schuh daraus: Ich denke, dass anti-europäische, nationalistisch-populistische Strömungen und auch Desinteresse und Unverständnis gegenüber der EU ausgelöst und gestärkt werden, wenn die EU und die Regierungen der Mitgliedstaaten ihre Europa-Politik nicht offen im Austausch mit den Bürgerinnen und Bürgern entwickeln und erklären. Ausserdem haben Parteien und Politiker, und insbesondere Parlamentarier,
die Funktion, politische Kontrolle dadurch zu leisten, dass sie klug und sachlich in einen Austausch mit der Öffentlichkeit darüber treten, was Europa macht und – aus ihrer Sicht – machen soll. Sie müssen darüber das Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern suchen und betreiben – zur Aufgabe gehört auch alltägliche politische Bildung über die politischen Projekt der EU, wie eben die PESCO. Die Bürger müssen als Europäer adressiert werden! Gerade in den Fragen der europäischen Integration können und müssten die Parteien auch aktiv durch Erklären und öffentliches Dafür- u