08 November 2012

In Deutschland darf man Holocaust-Missbrauch verbieten – woanders nicht?

Tierschützer haben kein Recht darauf, den Holocaust für ihre Kampagnen einzuspannen. so hatten es die deutschen Instanzgerichte gesehen, so hat es das Bundesverfassungsgericht gesehen, und so sieht es in seiner heutigen Entscheidung auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte.

So sehr ich sonst für eine weite Auslegung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit bin – diese Rechtsprechung geht für mich völlig in Ordnung, im Ergebnis jedenfalls.

Geklagt hatte die Tierschutzorganisation PETA, bekannt für und wegen ihrer hach so tabulosen Aktionen gegen Pelze wie zum Beispiel dieser hier:

2004 hatte PETA die glänzende Idee, eine Plakataktion unter dem Titel “The Holocaust on your Plate” zu starten: Bilder von skelettartig abgemagerten KZ-Häftlingen neben solchen von entsprechend mageren Kühen unter der Überschrift “Walking Skeletons” zum Beispiel. Oder Leichenberge neben Stapeln geschlachteter Schweine unter der Überschrift “Final Humiliation”.

Das ist niederträchtig. Aber warum genau, ist erst mal gar nicht so leicht zu greifen.

Die Aussage ist: Wenn ihr euch über KZs aufregt, dann müsst ihr euch auch über Legebatterien und Schlachthöfe aufregen. Das ist eigentlich nicht unbedingt eine Relativierung des Holocaust oder eine Herabwürdigung ihrer Opfer, schon gar nicht aus PETA-Sicht, die schließlich gerade keinen Unterschied gemacht sehen wollen zwischen der Menschen- und der Tierwürde. Das heißt nicht, Holocaust war nicht so schlimm, sondern Tierfabrik ist genauso schlimm.

Die Gemeinheit liegt woanders: Die Abgebildeten genauso wie die Juden und anderen Völkermordopfer insgesamt werden mit dieser Plakataktion zum Instrument einer Kampagne gemacht, einer politischen zwar, aber einer Kampagne nichtsdestotrotz. Es gibt nichts Schockierenderes wie diese KZ-Bilder, und von dieser Schockwirkung schneidet sich Peta sozusagen eine dicke Scheibe ab und schmiert sie auf ihr eigenes Tierschutzbrot. Niemand muss sich gefallen lassen, dass andere die eigene Ent-Würdigung als Mobilisierungs-Schocker missbrauchen. Wenn es einen Fall gibt, der nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt ist, dann dieser.

Und was schreibt der EGMR dazu?

The Court considers that the facts of this case cannot be detached from the historical and social context in which the expression of opinion takes place (…). It observes that a reference to the Holocaust must also be seen in the specific context of the German past (…) and respects the Government’s stance that they deem themselves under a special obligation towards the Jews living in Germany (…).

Oh. Das ist doch etwas anders gewichtet.

Das heißt, wenn ich mal paraphrasieren darf: Die Deutschen haben da dieses Ding mit den Juden, das muss man verstehen, und deshalb muss man da eine Ausnahme machen.

Der slowenische Richter Boštjan Zupančič, unterstützt vom frisch zum EGMR-Präsidenten gewählten Luxemburger Dean Spielmann, hat über diese nonchalante Position seiner Kammerkollegen einen Wutausbruch erlitten, wie man ihn nur selten erlebt. In seiner Dissenting Opinion fragt er fassungslos,

whether reasonable men could indeed or could not differ on the utterly distasteful and unacceptable comparison between pigs on the one hand and the inmates of Auschwitz or some other concentration camp, on the other hand. A few decades ago this kind of Denkexperiment, even in the American context, would only yield a result unfavourable to the applicants, because a few decades ago, reasonable persons could not possibly differ on the question we have before us in this case.

Der Slowene liest die Entscheidung seiner Kammerkollegen so, dass sie dadurch, dass sie sich auf Deutschland als Sonderfall stützt, den Missbrauch des Holocaust in allen anderen Ländern tatsächlich legalisiert:

 … the unfortunate implication of our own position seems to be that the same kind of “freedom of expression” in the Austrian cultural context would clearly be acceptable – let alone in other countries ranging from Azerbaijan in the east to Iceland in the west. Moreover, since the judgment in this case, unless it goes to the Grand Chamber, will become a precedent, it will be de facto binding on all other countries, of course negatively – except on Germany. Because, what is unacceptable in Germany, is no longer unacceptable in Austria, with a similar historical concern, and a fortiori so in other countries.

Richter Zupančič holt weit aus, zitiert H.L.A. Hart und Immanuel Kant und kommt schließlich – anders als das BVerfG – zu dem Schluss, dass wir es sehr wohl mit einem Angriff auf die Menschenwürde zu tun haben:

… when human beings in their utter suffering and indignity are, as here, compared to hens and pigs for the lesser purpose of protecting otherwise legitimate advancement of animal rights, we are no longer in the position to maintain that the human beings seen in these pictures are treated as an end in themselves. Clearly, these human beings, not only Jewish but of all nationalities, in a concentration camp, are here treated as an instrument for the advancement of animal rights. If their image is so instrumentalised, little is left of their human dignity, I’m certain, even in the context of German constitutional law.

Ich bin nicht sicher, ob diese Ex-Kontrario-Legalisierung in allen Staaten außer Deutschland, die Zupančič da herausliest, wirklich trägt. Ich bin auch kein Fan des kulturpessimistischen Jammertons, den anschlägt, wenn er den “democratic” point of view beklagt,

where everything goes because everything is relative and everything is, to put it metaphorically, for sale. People only have opinions, but they lack convictions, let alone the courage of their convictions. The difference between good and evil, between what is right and what is clearly wrong is thus a matter of opinion, as if reasonable men could reasonably differ on a particular subject matter.

Aber im Kern hat er trotzdem Recht. Diese Kammerentscheidung ist einfach zu sloppy begründet, um einem Fall von dieser Qualität auch nur annähernd gerecht zu werden. Hoffentlich bekommt die Große Kammer Gelegenheit, da nachzubessern.


SUGGESTED CITATION  Steinbeis, Maximilian: In Deutschland darf man Holocaust-Missbrauch verbieten – woanders nicht?, VerfBlog, 2012/11/08, https://verfassungsblog.de/in-deutschland-darf-man-holocaust-verharmlosung-verbieten-woanders-nicht/, DOI: 10.17176/20181005-175523-0.

14 Comments

  1. schorsch Thu 8 Nov 2012 at 22:53 - Reply

    für mich ist es weniger die instrumentalisierung oder banalisierung des holocausts durch eine schockkampagne. es liegt etwas besonders widerliches darin, dass es in der kampagne um tierrechte geht, denn die gleichmachung von mensch und tier ist es ja gerade, die den holocaust ausmacht. und genau die wiederholt peta und macht sie sich in der kampagne zu eigen. “schaut euch die armen viecher an”, lautet die botschaft – und gemeint sind beide fotos.

  2. hp lehofer Fri 9 Nov 2012 at 00:55 - Reply

    Tatsächlich wurde die selbe Kampagne ja in Österreich vom Obersten Gerichtshof anders beurteilt. Dass sich der slowenische Richter Zupančič in seiner Kritik zunächst ausgerechnet auf Österreich bezieht (“the unfortunate implication of our own position seems to be that the same kind of ‘freedom of expression’ in the Austrian cultural context would clearly be acceptable”), dürfte daher wohl kein Zufall sein.

    Der österreichische Oberste Gerichtshof hat in seinem Beschluss (den ich hier nur referiere und nicht bewerten möchte) vom 12.10.2006, 6 Ob 321/04f eine Interessenabwägung vorgenommen und dabei einerseits im Tierschutz ein gewichtiges Thema im Interesse der Allgemeinheit anerkannt und PETA ein legitimes Interesse zugebilligt, ihr Tierschutzanliegen auch mit drastischen Mitteln an die Öffentlichkeit zu bringen; andererseits wurde die Betroffenheit der klagenden Holocaust-Überlebenden wegen des Vorliegens einer Kollektivbeleidigung als “reduziert” angesehen (und die Frage, ob sie in diesem Fall überhaupt klagslegitimiert waren eigentlich offen gelassen).

    Die Entscheidung erging im Provisorialverfahren (Sicherungsantrag), das Hauptverfahren dürfte danach nicht mehr weiter geführt worden sein (zumindest ist keine Instanzentscheidung veröffentlicht). Die Gerichte erster und zweiter Instanz hatten übrigens dem Sicherungsantrag stattgegeben.
    Der OGH-Beschluss ist hier zu finden: http://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Justiz/JJT_20061012_OGH0002_0060OB00321_04F0000_000/JJT_20061012_OGH0002_0060OB00321_04F0000_000.html

  3. Heribert Slama Fri 9 Nov 2012 at 02:59 - Reply

    Erstaunlich finde ich, dass die Grundrechte der Fleischesser keine Rolle spielen, obwohl sie ja die Angegriffenen sind: Fleischesser = Nazischweine (auch Metzger = SS). Es wird ihnen eine absolut verwerfliche, mörderische Gesinnung unterstellt.Eigentlich müsste schon dieser Umstand ausreichen, die Plakate zu verbieten.

  4. S. Fri 9 Nov 2012 at 03:36 - Reply

    Wenn man mal einen Augenblick lang träumen darf, dann würde sich dieser Fall ohne die Einschaltung von Gerichten lösen lassen. Dann würden schlagartig mit Beginn der obszönen Kampagne die Spendenzahlungen an Peta aufhören.

    Desgleichen für die nicht minder obszöne Kampagne von Benetton, mit dem Foto eines Aidskranken auf dem Totenbett Jeans und Pullover zu verkaufen.

  5. OG Fri 9 Nov 2012 at 11:56 - Reply

    Der Slowene liest die Entscheidung seiner Kammerkollegen so, dass sie dadurch, dass sie sich auf Deutschland als Sonderfall stützt

    Da war aber der EGMR schnell und hat die letzte Woche von Di Fabio geforderte Rücksichtnahme gegenüber “nationalen Besonderheiten” umgesetzt (damit ist im Zweifel gemeint, die Judikatur des jeweiligen Verfassungsgerichts einfach mal zu akzeptieren). Das ist, so Di Fabio, die “Lernfähigkeit des EGMR”. Dazu: http://blog.delegibu