Kinderrechte und die GEAS-Reform
Die nationale Umsetzung der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) wirft derzeit auch in Deutschland grundlegende rechtliche und politische Fragen auf. Im November 2024 veröffentlichte die ehemalige Bundesregierung erste Kabinettsentwürfe für ein GEAS-Anpassungsgesetz sowie ein GEAS-Anpassungsfolgegesetz. Seit Januar 2025 liegt ein nationaler Implementierungsplan (NIP) vor. Der Koalitionsvertrag der neuen Regierung stellt klar, dass die Umsetzung noch in diesem Jahr erfolgen soll (Rn. 3004).
Teilweise bringt die GEAS-Reform Verbesserungen für die Rechtsstellung von Kindern mit sich, etwa bei der Gesundheitsversorgung: Kindern von Asylantragstellenden und minderjährigen Antragstellenden ist künftig dieselbe Art von Gesundheitsversorgung zu gewähren wie Minderjährigen eigener Staatsangehörigkeit (Art. 22 Abs. 2 Satz 1 der Aufnahmerichtlinie 2024, (ARL)). Ebenso müssen sie, sobald wie möglich, spätestens zwei Monate nach Asylantragsstellung, Zugang zum Bildungssystem erhalten (Art. 16 ARL). Andere Bereiche – wie etwa die Regelungen zum neuen Screening-Verfahren oder Möglichkeiten der (de facto) Inhaftierung von Kindern – werfen aus kinderrechtlicher Perspektive allerdings Bedenken auf.
Vor diesem Hintergrund beleuchtet dieser Beitrag, wie das Kindeswohl bei der nationalen Umsetzung der GEAS-Reform angemessen berücksichtigt werden kann. Besonderes Augenmerk gilt dabei den Rechten unbegleiteter Kinder im Rahmen des Screening-Verfahrens sowie der Gefahr von Inhaftierung oder Unterbringung von Kindern unter haftähnlichen Bedingungen.
Kindeswohl hat Vorrang
Der Kinderswohlvorrang ist völkerrechtlich in Art. 3 Abs. 1 der UN Kinderrechtskonvention (KRK) und unionsrechtlich in Art. 24 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta (GRC) verankert. Er ist bei allen staatlichen Maßnahmen, die Kinder betreffen, zu berücksichtigen. So auch bei der nationalen Umsetzung der GEAS-Reform. Erfasst sind, unabhängig von ihrer Herkunft oder ihrem Aufenthaltsstatus, alle Kinder bzw. Minderjährige, also Personen unter 18 Jahren (Art. 1 UN-KRK i.V.m. § 2 BGB; siehe auch die Begriffsdefinitionen in den GEAS-Rechtsakten). Rechtlich nicht erlaubt ist es, unterhalb von 18 Jahren Abstufungen vorzunehmen und damit eine teilweise Nichtberücksichtigung von Kinderrechten je nach Alter trotz Minderjährigkeit.
Auch die Rechtsakte im GEAS selbst, etwa Art. 23 der neuen Asylmigrationsmanagement-Verordnung VO (EU) 2024/1351) verpflichten die Mitgliedstaaten dazu, den Kindeswohlvorrangs zu wahren. Außerdem sind Kinder im Verfahren angemessen zu beteiligen (Art. 12 UN KRK). Der EuGH buchstabierte weitere Maßgaben zum primärrechlich verankerten Kindeswohlvorrang aus. Zentral sind hier der schnelle Zugang zu Verfahren, Schutz und materiellen Entscheidungen als unmittelbarer Ausfluss des Kindeswohlvorrangs aus Art. 24 Abs. 2 GRC (vgl. Beitrag in diesem Blog). Maßgeblich ist zudem das spezielle Diskriminierungsverbot für geflüchtete Kinder aus Art. 22 Abs. 2 UN-KRK. Ihnen ist derselbe Schutz zu gewähren, „[…] wie jedem anderen Kind, das aus irgendeinem Grund dauernd oder vorübergehend aus seiner familiären Umgebung herausgelöst ist.“ Daneben bekannte sich die Kommission in einer Empfehlung (EU) 2024/1238 vom April 2024 zur Entwicklung und Stärkung integrierter Kinderschutzsysteme im Interesse des Kindeswohls. Ähnlich formuliert es die Kommission im gemeinsamen Durchführungsplan für das Migrations- und Asylpaket zum GEAS.
Um Kinderrechten in Deutschland auch im Asylverfahren zu wahren, ist bei der nationalen Umsetzung des GEAS besonders auf die Verzahnung der europäischen Vorgaben mit dem deutschen Kinder- und Jugendhilferecht (SGB VIII) zu achten – insbesondere im Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten.
Das GEAS und das Kinder- und Jugendhilferecht
Die Rechtsakte des GEAS und das SGB VIII regeln unterschiedliche Sachverhalte und Rechtsfolgen. Das SGB VIII regelt etwa Schutz und pädagogische Hilfen (§§ 2, 85 SGB VIII), während das GEAS das Asylsystem in Europa regelt. Selbst wenn scheinbar ähnliche Regelungsbereiche bestehen, wie etwa die „Altersfeststellung“ oder genauer Alterseinschätzung, sind diese nach den jeweiligen Regelungszielen zu differenzieren und in der praktischen Anwendung miteinander in Einklang zu bringen. Gesetzliche Klarstellungen dazu, wie diese Regelungen ineinandergreifen können, würden die Anwendung erleichtern und Rechtsverletzungen vermeiden.Im Zentrum steht die Frage, wie auch im Hinblick auf das Screening-Verfahren sichergestellt werden kann, dass das Primat der Kinder- und Jugendhilfe gewahrt bleibt.
Primat der Kinder- und Jugendhilfe
Das Primat der Kinder- und Jugendhilfe besagt, dass die Erstzuständigkeit für die Unterbringung, Versorgung und Betreuung unbegleiteter Minderjähriger nach Maßgabe des SGB VIII in der Verantwortung der Träger der Kinder und Jugendhilfe liegt (§§ 42a, 42, 88a SGB VIII). Unbegleitete Minderjährige müssen bei Einreise demnach unmittelbar den erstzuständigen Trägern der Kinder- und Jugendhilfe (i.d.R. Jugendämter) übergeben werden. Die dabei maßgeblichen Garantien für unbegleitete Minderjährige entsprechen im Wesentlichen auch den in den GEAS-Rechtsakten verankerten Vorgaben, etwa zur Vertretung von unbegleiteten Minderjährigen (vgl. Art. 13 der neuen Screening-Verordnung (SVO) und Art. 27 ARL).
Die Verpflichtung der Jugendämter zur (vorläufigen) Inobhutnahme entsteht unmittelbar bei Kenntnis über den tatsächlichen Aufenthalt im jeweiligen Zuständigkeitsbereich, soweit Landesrecht nichts anderes regelt (§§ 42a Abs. 1, 88a SGB VIII). Die Kenntnis über den tatsächlichen – also schlicht physischen – Aufenthalt im Inland ist hier maßgeblich. Jede staatliche Kenntnisnahme reicht dafür aus. Eine bestimmte Art oder gar formale Gestattung der Einreise ist nicht erforderlich. Sie wäre auch fehlgeleitet, da Kinderschutz unmittelbar greifen muss. Rechtliche (Nicht)Einreise-Konstruktionen, wie die Fiktion der Nichteinreise, ändern am Primat der Kinder- und Jugendhilfe bei tatsächlichem Aufenthalt im Inland also nichts.
In einem Verfahren im Einklang mit Unions- und SGB VIII-Vorgaben müssen daher auch künftig potentiell unbegleitete Minderjährige bei Einreise von den Grenzbehörden unmittelbar an die Jugendämter übergeben werden. Diese Pflicht besteht unahängig davon, ob die unbegleiteten Minderjährigen über die Außengrenze (Luftgrenze) oder über die Binnengrenze nach Deutschland gelangen. Die Jugendämter nehmen die unbegleiteten Minderjährigen vorläufig in Obhut, sorgen für ihre Unterbringung und können im Rahmen ihrer Vertretungsverpflichtung auch sicherstellen, dass das Verfahren nach der neuen SVO durchgeführt wird (ggfs. über entsprechende Klarstellung in § 42a Abs. 3, 3a SGB VIII i.V.m. Art. 13 Abs. 3, 4 SVO). Sie können auch dafür Sorge tragen, dass die Minderjährigen den mit dem Screening betrauten Überprüfungsbehörden „zur Verfügung stehen“, wie es etwa Art. 6 und 7 Abs. 1 S. 2 SVO vorsehen.
Die mit der Vertretung betraute Fachkraft würde die Minderjährigen zum Screening begleiten und gegenüber den Überprüfungsbehörden für ihr Wohl und ihre Interessen einstehen. Damit wären auch die Vorgaben zur Vertretung gewahrt (Art. 13 Abs. 3, 4 SVO i.V.m. Art. 27 ARL), ebenso die weiteren Garantien zur Unterbringung und Versorgung (wie u.a. auch die SVO und die Kommission bei der Umsetzung vorsehen) sowie die Vorgaben des SGB VIII zur jugendhilferechtlichen Unterbringung. Klarstellende Regelungen insbesondere dazu, dass die Erstzuständigkeit der Jugendämter unberührt bleibt, würden hier dazu beitragen, dass diese kinderrechtlichen Vorgaben und Garantien auch in der Praxis weiterhin geachtet würden.
De facto Haft bei der Unterbringung
Schließlich sind alle Kinder, ob unbegleitet oder begleitet, kindgerecht unterzubringen. Zu einer kindgerechten Unterbringung gehören neben der Berücksichtigung des Kindeswohls unter anderem der Zugang zu Bildung (Art. 28 UN-KRK), Zugang zu Spiel und Freizeit, Möglichkeiten der individuellen Entwicklung (Art. 6 UN-KRK), Schutz vor Gewalt (Art. 19 UN-KRK) und Diskriminierung (Art. 2, 22 UN-KRK) sowie ein Höchstmaß an Gesundheit (Art. 24 UN-KRK). Eine Inhaftierung erfüllt diese Vorgaben nie und darf nach Art. 37 UN-KRK im Einklang mit dem Gesetz nur als letztes Mittel und für die kürzeste Zeit erfolgen. Die nach wie vor bestehende Möglichkeit einer Inhaftierung von Kindern ist aus kinderrechtlicher Sicht grundsätzlich bedenklich. Der Ansatz, dass Haft dem Kindeswohl sogar dienen, oder unbegleitete Minderjährige schützen könnte ist aus kinderrechtlicher Sicht kaum vertretbar (dazu auch der Beitrag von Nestler in diesem Symposium).
Ein Kind sieht zudem keinen Unterschied, ob eine Unterbringung formal als Haft deklariert wird oder nicht. Kinderrechtliche Bedenken erfassen daher auch haftähnliche Situationen Darunter fallen etwa die Unterbringung in Transiteinrichtungen, die nur in Richtung eines Drittstaats verlassen werden können. Diese Art der Unterbringung birgt das Risiko einer de facto Haftsituation. Die anderslautende Rechtsprechung des BVerfG zum Flughafenverfahren ist insoweit durch eine Entscheidung des EuGH, aber auch durch differenzierte Einschätzungen des EGMR (siehe hier und hier) zur Frage von Haft in Transiteinrichtungen überholt. In Transitverfahren besteht danach je nach Art und Dauer der Unterbringung eine Haftsituation.
Unabhängig von einer Unterbringung im Transitverfahren besteht das Risiko einer haftähnlichen Unterbringung bei jeder Regelung, die einschneidende räumliche Beschränkungen auf bestimmte Aufnahmeeinrichtungen vorsieht. Die im Kabinettsentwurf geplante Regelung in § 68 AsylG-E gehört dazu. Danach kann die zuständige Behörde aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder, wenn Fluchtgefahr besteht, anordnen, dass sich eine Person nur in dem nach § 47 AsylG bestimmten Ort, also der Aufnahmeeinrichtung, aufhalten darf (§ 68 Abs. 1 AsylG-E). Die Fluchtgefahr wird insbesondere bei Personen widerlegbar vermutet, die sich nicht im zuständigen Mitgliedstaat aufhalten (§ 68 Abs. 2 AsylG-E). Diese Regelung soll für Personen im Dublin-Verfahren gelten und träfe damit auch begleitete Kinder und ihre Familien. Die Anordnung soll zwar der individuellen Situation der betreffenden Person Rechnung tragen, vor allem besonderer Bedürfnisse. Dennoch kann eine Anwendung dieser Regelung auf eine haftähnliche Unterbringung hinauslaufen und auch den Zugang zu Bildung gefährden, der nach Art. 16 ARL gerade erleichtert werden sollte (zu den Auswirkungen von räumlicher Beschränkung und Wohnverpflichtung auf die Rechte von Kindern, u.a. den Zugang zu Bildung, hier und hier).
Kinderrechte im Schatten der GEAS-Reform
Insgesamt führen Kinderrechte im Rahmen der GEAS-Reform ein Schattendasein. Punktuellen Verbesserungen, wie den angepassten Standards zur Gesundheitsversorgung und einem schnelleren Zugang zu Bildung, stehen Regelungen gegenüber, die aus kinderrechtlicher Perspektive bedenklich sind. Um einigen dieser Bedenken bei der nationalen Umsetzung zu begegnen, muss insbesondere das Primat der Kinder- und Jugendhilfe bei der Aufnahme unbegleiteter Minderjähriger ab dem ersten Tag des tatächlichen Aufenthaltes geachtet werden – also auch im neuen Screening-Verfahren. Bei begleiteten Kindern sind die kindgerechte Unterbringung und der Ausschluss von (de facto) Haft zentrale Anliegen, denen bei der nationalen Umsetzung besonders Rechnung zu tragen ist.
Die hier veröffentlichten Beiträge von Nerea González Méndez de Vigo sind nicht dienstlich veranlasst und spiegeln ausschließlich die private und persönliche Auffassung der Autorin wider.
Der Vorschlag, dass Primat der Kinder- und Jugendhilfe durch eine Klarstellung in § 42a SGB VIII zu stärken, ist uneingeschränkt zu begrüßen. Die SVO betont, dass das Kindeswohl stets eine „vorrangige Erwägung“ ist (Artikel 13 Absatz 1), daher mehr als nur zu „berücksichtigen“ ist.
Jugendamt der (vorläufigen) Inobhutnahme als Vertreter rechtlich ausgeschlossen
Die Vorgaben der GEAS-Reform, insbesondere die SVO und die ARL schließen es aber aus, dass die rechtliche Vertretung der neu eingereisten unbegleiteten minderjährigen durch Fachkräfte des „Inobhutnahmejugendamtes“ nach §§ 42, 42a SGB VIII wahrgenommen werden. Ein Vertreter oder vorläufiger Vertreter ist “sobald wie möglich” zu bestellen bzw. sicherzustellen (Art. 13 Abs. 3 ScreeningVO).
Art. 13 Abs. 4 Satz 1 ScreeningVO bestimmt, dass diese Vertretung keine Person sein darf, die für irgendeinen Teil der Überprüfung verantwortlich ist. Sie muss unabhängig handeln können und darf nicht weisungsabhängig von Personen oder Behörden sein, die für die Überprüfung zuständig sind. Das Inobhutnahmejugendamt ist aber Teil der Überprüfung nach der SVO, gerade wenn es die Aufgabe übernimmt, dafür Sorge tragen, dass die Minderjährigen den mit dem Screening betrauten Überprüfungsbehörden „zur Verfügung stehen“ (vgl. Art. 6 und 7 Abs. 1 S. 2 SVO). Zudem kommt den Inobhutnahmejugendämtern die Aufgabe im Screening zu, neu eingereiste UMG als „nationale Kinderschutzbehörde“ zu betreuen (vgl. Artikel 12 Absatz 4 Satz 2 SVO).
Die Wahrnehmung der rechtlichen Vertretung während des Screening durch Mitarbeitende des Inobhutnahmejugendamtes verstieße auch gegen die zwingend notwendige Handlungs- und Weisungsunabhängigkeit aus Art. 13 Abs. 4 Satz 1 SVO.
Zudem enthält die SVO Qualitätsvorgaben und inhaltliche Anforderungen an die rechtliche Vertretung: Maximale Obergrenze für die Begleitung und Unterstützung sind 30 UMG pro vertretende Person. Hierdurch wird sichergestellt dass die Person ihre Aufgabe wirksam erfüllen kann (Artikel 13 Absatz 5). Diese Aufgaben dürfen nicht mit sonstigen Aufgaben der Mitarbeitenden im Rahmen der Inobhutnahme vermischt werden. Die Vertretungsperson oder Organisation muss konkret für den UMG bestellt werden (Art. 2 Nr. 7 SVO). Aufgabe ist es, den UMG „zu vertreten, zu unterstützen und gegebenenfalls in seinem Namen zu handeln“. Die Verordnung geht dabei davon aus, dass der Minderjährige effektiv unterstützt wird und auch de facto „begleitet“ wird (Art. 13 Abs. 2 und 3, Unterabsatz 1 Satz 1).
Die Vertretung umfasst damit sowohl die Ausübung von „Rechtsmacht“ als auch eine faktische Begleitung und einen persönlichen Kontakt. Die Tatsache, dass nach bislang geltendem Recht das Jugendamt der (vorläufigen) Inobhutnahme ein sog. „Notvertretungsrecht“ inne hat, ändert nichts an den europarechtlichen Vorgaben aus der ScreeningVO, die Anwendungsvorrang haben. Die Rolle der Vertretung von UMG wird somit durch die GEAS-Reform wesentlich gestärkt wird und geht weit über die bisherige „Notvertretungskompetenz“ hinaus.
Unabhängige rechtliche Vertretung ab Tag 1 sicherstellen!
Die Umsetzung der GEAS-Reform in Deutschland muss daher dazu genutzt werden, die bisherige Struktur der rechtlichen Vertretung von UMG weiterzuentwickeln, um diese europarechtskonform anzuwenden. Während bislang zur rechtlichen Vertretung das Rechtsinstitut der Vormundschaft erst nach Abschluss der vorläufigen Inobhutnahme beim Familiengericht angeregt wird und bis zur förmlichen Bestellung eines Vormundes die „Notvertretungskompetenz“ des Inobhutnahmejugendamtes gilt, kann dies künftig durch eine vorverlagerte Tätigkeit der Fachkräfte, die in der Amtsvormundschaft oder bei Vormundschaftsvereinen tätig sind, realisiert werden. Hierdurch wird auch der Kontinuitätsgrundsatz (vgl. Art. 13 Abs. 2 SVO, Art. 27 ARL, Art. 23 AsylverfahrensVO, Art. 33 Abs. 1 UA 2 Qualifikationsverordnung) bei der rechtlichen Vertretung von UMG nach Maßgabe des GEAS gewahrt: Fachkräfte von Amtsvormundschaften oder von Vormundschaftsvereinen nehmen die Aufgaben der rechtlichen Vertretung im Rahmen des Screenings für die neu eingereisten unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten war. Im Falle einer Asylantragstellung fungieren sie als (vorläufige) Vertreter nach AsylverfahrensVO und Aufnahmerichtlinie und gegenüber den Familiengerichten wird ihre Bestellung als Vormund:in angeregt.
Hierdurch wird von Tag 1 an eine fachlich kompetente, sowohl rechtliche als auch faktische Vertretung und Begleitung der Minderjährigen sichergestellt, die Unabhängigkeit der Vertretung gewährleistet und eine Kontinuität bei der rechtlichen Vertretung ermöglicht.
Zudem werden hierdurch die bereits jetzt bestehenden rechtlichen Mängel und Unsicherheiten bei der rechtlichen Vertretung – wie sie aktuell im Anschluss an die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs in Mannheim (Beschluss vom 9.4.2024 – Aktenzeichen: 12 S 77/24) diskutiert werden-, durch ein neues, zukunftsweisendes und das Kindeswohl besonders berücksichtigende Verfahren beseitigt.
Eine Klarstellung in Paragraph 42a SGB VIII hinsichtlich der vorrangigen Beachtung des Kindeswohls bei der Umsetzung der SVO ist dringend geboten. Es besteht ein hoher Regelungsbedarf, um Handlungs- und Rechtsunsicherheiten der Jugendämter zu vermeiden.
Ansonsten sind Fehlanwendungen tu befürchten, die das Primat der Kinder-und Jugendhilfe zu einem reinen Lippenbekenntnis verkommen lassen.
Regelungen für eine flächendeckende und einheitliche Praxis sind vor allem in zwei Bereichen unabdingbar:
Identifikation/Alterseinschätzung:
Verbindliche Regelung, dass Jugendämter bereits vor bzw. während der Identifikation eines UMG an der Grenze hinzugezogen werden. Ansonsten würde die Alterseinschätzung als in Paragraph 42f SGB VIII eindeutig den Jugendämtern zugeordnete hoheitliche Aufgabe faktisch den Grenzbehörden überlassen werden.
Daraus folgt, dass Jugendämter – zumindest die, die sich in Grenznähe befinden -organisatorische und personelle Vorkehrungen treffen müssen, um eine schnelle und flexible Präsenz bei dem Eintreffen einer vermutlich unbegleiteten minderjährigen Person sicherzustellen.
Unabhängige Interessenvertretung ab Tag 1:
Auch hier bedarf es weitergehender Regelungen für die Verfahrenspraxis, damit die in der SVO vorgesehene sofort einsetzende unabhängige Interessenvertretung tatsächlich zu einem zukunftsweisenden Instrument wird, das das Kindeswohl in besonderer Weise berücksichtigt.
Bereits jetzt muss sich der Gesetzgeber mit Klarstellungen zu der Frage befassen, durch welche konkreten Verfahrensschritte die gesetzliche Vertretung eingesetzt wird. Sie muss umgehend wirksam werden, um Entscheidungen im Interesse der/des Minderjährigen treffen zu können.
Bisher erfolgt die Einsetzung einer gesetzlichen Vertretung bzw. Vormundschaft durch die Bestellung der Familiengerichte. Die Phase zwischen Beantragung und Einsetzung des Rechtsinstituts Vormundschaft zieht sich jedoch zum Teil wochen – bis monatelang hin. Solange sind die jungen Geflüchteten meist nur mangelhaft durch die sog. Notvertretung des inobhutnehmenden Jugendamtes abgedeckt (vgl. Ergebnisbericht Bumf zur Onlineumfrage 2024).
Bei gleichbleibender Praxis der Bestellung durch die Familiengerichte ist zu befürchten, dass die an dieser Stelle inhaltlich zu begrüßende Regelung in der SVO komplett ins Leere läuft. Es müssten daher Regelungen getroffen werden, die möglicherweise unterhalb des Rechtsinstituts Vormundschaft ansetzen, um niedrigschwellig und zügig Akteure und Organisationen mit die Wahrnehmung der Interessenvertretung zu beauftragen.
Diese und weitere Fragen zu den konkreten Herausforderungen in der Umsetzungspraxis sollten auch an die Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter gerichtet werden. Sie kann zumindest über Handlungsempfehlungen die Jugendämter dazu anregen, Vorkehrungen zu treffen bzgl. konkreter Prozessschritte, Personal -und Qualifizierungsbedarfe hinsichtlich einer für das
Kindeswohl wirksamen unabhängigen Vertretung.