Legalizing Utopia
Mit Recht zur geschlechtergerechten Stadt von Morgen
Eine grüne Karl-Marx-Allee in Berlin, ein belebter Rosenbergplatz in Stuttgart, eine autoarme Innenstadt in Hannover – so könnte die Stadt von Morgen aussehen. Statt Lärm, schlechter Luft und Hitze säumen Linden und Kastanien die Straßen und es gibt konsumfreie, schattige Plätze zur milieu- und generationenübergreifenden Begegnung. Nachhaltige und geschlechtergerechte Städte sind bereits visualisiert – jetzt müssen wir sie nur noch in die Realität übersetzen. Das Recht kann schon jetzt dafür genutzt werden. In der aktuellen Debatte rund um das Ampel-Aus wäre es aus gleichstellungspolitischer Sicht wichtig, die Initiativen zur Stärkung der integrativen Stadtentwicklung, wie sie etwa im Gesetzentwurf des BMWSB enthalten sind, nicht aus dem Blick zu verlieren.
Zukunftsfähig, nachhaltig, geschlechtergerecht
Zahlreiche Studien belegen, dass die aktuelle Aufteilung des öffentlichen Raums zu Lasten von Klima- und Umweltgerechtigkeit geht sowie Geschlechter-Ungleichheiten schafft und verschärft (siehe nur hier, hier und hier). Die Stadtplanung orientiert sich immer noch stark an überholten Vorstellungen von Funktionstrennung zwischen Erwerbs- und Care-Arbeit. Beispiele sind separate Gebiete für Wohnen, Arbeiten und Einkaufen oder Innenstädte, die hauptsächlich dem Einkaufen dienen. Das entspricht dem veralteten Bild der Charta von Athen aus dem Jahr 1933, das sich in unseren (Stadt-)Räumen materialisiert hat. Doch Hitze, Luft- und Lärmbelastung, ein schlechtes Nahverkehrsangebot und zu wenige sichere Radverkehrswege wirken sich geschlechtsspezifisch unterschiedlich aus und tragen vor allem den Bedarfen des Mobilitätsverhaltens von Frauen nicht ausreichend Rechnung. Der Hintergrund ist, dass Begleitmobilität bzw. Care-Mobilität (z.B. mit Kindern oder älteren Personen) noch immer primär Sache von Frauen ist. Über eindimensionale Wege („hin zur Arbeit und zurück“) hinaus ist deshalb wichtig, dass unterschiedliche Ziele miteinander verbunden werden können (sog. „Trip Chaining“; vgl. hierzu Caroline Criado Perez, Invisible Women sowie hier). Fehlende Ressourcen wie Zeit (Gender Care Gap) und Geld (Gender Pay Gap) beeinflussen und fördern so Geschlechter-Ungleichheiten entlang intersektionaler Achsen (Race und Age – siehe zum letzteren nur den Fall der Klimaseniorinnen). Daher gilt das Fahrrad als Symbol der Freiheit und Selbstermächtigung von Frauen, was Initiativen wie Bike Bridge aufgreifen. Die „Neue Leipzig Charta 2020“ hält dieser Ausgangssituation das Konzept einer menschenzentrierten Stadt entgegen.
Recht auf sichere Radwege, Autofreiheit und Ruhe?
Doch kann das Recht ein Instrument sein, die skizzierten Visionen Wirklichkeit werden zu lassen? Strategische Ansätze wie der Volksentscheid Berlin Autofrei oder die Radwege-Klagen von Changing Cities glauben daran. Während der Volksentscheid Berlin Autofrei das Ziel hat, durch eine straßenrechtliche Teileinziehung per Gesetz (§ 4 Abs. 1 des Gesetzentwurfs) autoreduzierte Flächen zu bestimmen (siehe dazu Heppner), möchte Changing Cities über das Straßenverkehrsrecht die zuständigen Behörden verpflichten, an bestimmten Straßen die Errichtung von geschützten Radfahrstreifen verkehrsrechtlich anzuordnen (Anspruch auf verkehrsrechtliches Einschreiten nach § 45 Abs. 1 i.V.m. Abs. 9 StVO, siehe hier). Diese Initiativen konzentrieren sich gerade auf Großstädte, sind aber auch in Flächenländern und in kleineren Städten denkbar.
Rechtsbereiche wie Planungs- und Verkehrsrecht reproduzieren bestehende Geschlechter- und Machtverhältnisse und verdienen deshalb einen genaueren Blick (siehe für das Umweltrecht Westphal 2023). Wichtig ist, dabei für die Transformation wichtige „Allianzen der Willigen und Fähigen” (Ginzky/Ruppel, ZUR 09/2022, 449) in Politik, Zivilgesellschaft sowie Verwaltung zu bilden (s. dazu Killinger/ Pfeffer/ Ritter). Gerade im Kontext von Verwaltungshandeln gilt es unterschiedliche Verwaltungsbereiche zu mobilisieren, die ressortübergreifende Zusammenarbeit durch gemeinsame Strategien zu stärken und neue Ansätze von Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft zu fördern.
Geschlechtergerechtes Verkehrsrecht
Im Verkehrsrecht bräuchte es eine Neuausrichtung, um die rechtlichen Voraussetzungen für die Stadt von Morgen zu schaffen (siehe hier). Historisch geht das StVG auf das „Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen” von 1909 zurück. In dieser Zeit ist das Auto, das damals hauptsächlich von Männern genutzt wurde, aufgetaucht und stieß auf ein männlich geprägtes System von Verkehrsplanung und -gesetzgebung. So ist im öffentlichen Raum eine Schieflage in der Flächenverteilung zugunsten des Autos und zu Lasten von nicht motorisierten Verkehrsteilnehmenden entstanden, die bis heute als „normal“ gilt. In seiner Grundstruktur blieb das Gesetz bestehen, und wird deshalb bis heute nicht dem Anspruch gerecht, Mobilität für alle zu regeln. Dabei verpflichtet Art. 3 Abs. 2 S. 2 Grundgesetz als objektiv-rechtlicher Verfassungsauftrag den Gesetzgeber seit nunmehr bereits 30 Jahren positiv zur Förderung der Gleichstellung. Dazu könnte gehören, das Leitbild von Geschlechtergerechtigkeit (etwa im Rahmen der Zweckbestimmung in § 6 StVG) zu erweitern. So können die Kommunen die Mobilitätsbedürfnisse aller Verkehrsteilnehmenden im Sinne des Gemeinwohls angemessen berücksichtigen. (siehe dazu hier) Auf Ebene der Landesgesetzgebung gibt es dafür Beispiele (s. nur § 3 Nr. 3 Mobilitätsgesetz Berlin).
Immerhin sollen seit der Novellierung des StVG im Juni 2024 Rechtsverordnungen und Anordnungen neben dem bislang alles dominierenden Zweck der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs (gleichrangig) der Verbesserung des Schutzes der Umwelt, des Schutzes der Gesundheit und der Unterstützung der städtebaulichen Entwicklung dienen (§ 6 Abs. 4a StVG). Geschlechtergerechte Beschränkungen des fließenden Verkehrs auf kommunaler Ebene (sichere Radwege, breitere Fußgänger*innenzonen etc.) wurden damit durch die Novelle erleichtert. Etwa entfällt nunmehr die besondere Gefahrenlage als Voraussetzung für die Anordnung von Tempo-30-Zonen auch in Vorfahrtstraßen.
Allerdings können nach weiterhin geltender Rechtslage geschlechtergerechte Verkehrsanordnungen ganz überwiegend nicht selbst die Gemeinden vor Ort, sondern nur die jeweiligen Straßenverkehrsbehörden anordnen (§ 44 Abs. 1 S. 1, § 45 StVO). Die Gemeinden müssen zwar zustimmen, wenn ihre Planungshoheit verletzt ist, sie haben aber keine eigenen Initiativ- und Mitwirkungsrechte (siehe ausführlich hier). Die Umsetzung (auch von gemeindlich angeordneten Maßnahmen) obliegt zudem dem jeweiligen Baulastträger, § 45 Abs. 5 StVO. Dies führt dazu, dass die Gemeinden für geschlechtergerechte Verkehrskonzepte, die verkehrsregelnde Maßnahmen für das Gemeindegebiet vorsehen, auf die jeweiligen Baulastträger angewiesen (z.B. bei Bundesstraßen der Bund, bei Kreisstraßen die Landkreise) und in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt sind.
Geschlechtergerechtes Baurecht
Im Baurecht enthält immerhin § 1 Abs. 6 Nr. 3 BauGB (wie auch einige Landesbauordnungen, vgl. hier m.w.N.) einen gesetzlichen Auftrag zur Berücksichtigung der spezifischen Belange von Frauen. Indes schlägt sich dies in der Praxis der Bauleitplanung und in der Kommentarliteratur bisher nicht ausreichend nieder. Dabei gäbe es viele Ansatzpunkte, um mit Hilfe (auch) des Baurechts zur Geschlechtergerechtigkeit beizutragen. Das hierbei zu schnürende Paket müsste von der Schaffung bezahlbaren bzw. sozial geförderten Wohnraums ausgehen, auf den (insbesondere alleinerziehende) Frauen überdurchschnittlich häufig angewiesen sind (vgl. Schollmeier/Lange/Röhner, djbZ 1/2024, S. 1 ff. und hier). Es müsste anknüpfend daran auch eine Erleichterung des Alltags für Frauen umfassen, etwa indem die im Rahmen des bereits angesprochenen „Trip-Chainings“ typischerweise miteinander verbundenen Orte (z.B. Arbeit, Einkauf, Schulen, medizinische Versorgung) besser erreicht werden können und die physische und soziale Eignung von Wegen berücksichtigt wird. Es dürfte schließlich auch auf kostenlose Angebote im öffentlichen Raum nicht verzichten und müsste vor allem eine Planung ermöglichen, die klimafreundlich ist und Klimawandelfolgenanpassung (siehe hier) mitdenkt.
Gefragt ist hierbei nicht nur der Gesetzgeber (siehe hier). Auch die Gemeinden sind wieder zentral. Sie sollten in die Lage versetzt werden – etwa mit Hilfe eines Innenentwicklungskonzepts (siehe hier) – Brachflächen für den Wohnungsbau oder zur Schaffung von grünen oder blauen Bereichen zu aktivieren. Eine solche grüne und blaue Infrastruktur, die also auch Gewässer wie Bäche, Flüsse und Kanäle integriert, hat einen klimatischen Nutzen und bietet konsumfreie Erholungsbereiche. Wichtig sind einheitliche soziale, ökologische und gleichstellungsorientierte Kriterien für die Entwicklungspotentiale der Stadtgebietsflächen. Auch Evaluations – und Überwachungsprozesse sind für ein Gesamtkonzept unerlässlich (siehe nur hier).
Kommunen haben zudem seit Jahren das wirksame Steuerungsinstrument des kommunalen Vorkaufsrechts in § 24 BauGB zur Hand, um bezahlbaren Wohnraum und günstige Flächen für die soziale Begegnung zu ermöglichen. Dieses Instrument hat jedoch durch das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG 4 C 1.20 – Urteil vom 09.11.2021) einen Rückschlag erlitten. Das Vorkaufsrecht kommt gerade in teuren Lagen die Kommunen auch teuer zu stehen, sodass es insgesamt oft nur punktuell eingesetzt werden kann (vgl. hier). Die kommunale Finanzausstattung ist deshalb eine ebenfalls vom Gesetzgeber zu beantwortende Vorfrage auf dem Weg zur geschlechtergerechten Stadt.
Geschlechtergerechtes Bauen stellt auch Anforderungen an die Gestaltung von Stadtplanung und Flächenzuordnung. Hier können etwa die Regelungen zu Spielplätzen bzw. Freizeit- und Erholungsflächen angepasst werden. Bislang sehen etwa die Landesbauordnungen zum Teil nur die Verpflichtung zum Bau von Spielplätzen für jüngere Kinder vor. Auch unabhängig hiervon fehlen konsumfreie Aufenthaltsorte für ältere Kinder, die wiederum ein geschlechtsspezifisches Nutzungsverhalten haben. Mädchen sind häufig zurückhaltender in der Aneignung von Raum und ziehen sich etwa häufig ab dem 10. Lebensjahr aus Parkanlagen und öffentlichen Spielflächen zurück (vgl. hier und hier). Ähnliches gilt für ältere Menschen und hierbei gerade für ältere Frauen, die häufig auch im Alter weniger Geld zur Verfügung haben (Gender Pension Gap), häufiger Angehörige pflegen, ein hohes Sicherheitsbedürfnis haben und daher auf gut erreichbare, sicher gestaltete, konsumfreie Orte besonders angewiesen sind (vgl. Stete/Wotha).
Zudem sollten die Verfahrensvorschriften in den Landesbauordnungen zugunsten einer nachhaltigen und sozialen Nachverdichtung (d.h. einer besseren Ausnutzung bereits bebauter Flächen) ausgestaltet werden. Das gilt zum Beispiel im Hinblick auf die – momentan mit rechtlichen Unsicherheiten verbundene – Möglichkeit einer Umnutzung von Bestandsgebäuden, insbesondere von Bürogebäuden zu Wohnräumen (vgl. hier). Auf diese Weise könnte mehr (bezahlbarer) Wohnraum geschaffen werden, auf den Frauen besonders angewiesen sind.
Einige der oben skizzierten Ansätze greift ein Gesetzentwurf des BMWSB für ein Gesetz zur Stärkung der integrierten Stadtentwicklung auf, der jüngst vom Bundeskabinett beschlossen wurde. Dieser will zum Beispiel Aufstockungen einfacher im Quartier oder flächenweise ermöglichen (vgl. § 31 Abs. 3 BauGB-E). Auch kommunale Vorkaufsrechte sollen dadurch gestärkt werden, dass sie auch auf den Verkauf von allen Eigentumseinheiten auf einem Grundstück in einem gemeinsamen Kaufvertrag erweitert werden (§ 24 Absatz 2 BauGB-E). Es wäre wichtig, diese Fragen zukünftig noch einmal aufzugreifen und dabei aber auch die dort vorgesehenen Einschränkungen bei Umweltprüfung und Umweltbericht noch einmal kritisch zu hinterfragen. Von dem geplanten Gesetz sind damit entgegen der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 20/13091, S. 60) durchaus gleichstellungspolitische Auswirkungen zu erwarten. Auch in Zeiten des Regierungsumbruchs bleiben diese Anliegen relevant.
Denkraum – Finanzieller Raum – Stadtraum
Allein die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu ändern, reicht nicht, um Flächen und Raum zukunftsfähig und geschlechtergerecht zu verteilen. Selbst wenn der rechtliche Weg geebnet ist, sind daneben – kurz gesagt – noch drei weitere Schritte notwendig: Es braucht Experimentierräume zum Testen und Netzwerke zum Austausch innerhalb und zwischen Verwaltungen und Zivilgesellschaft. Daran anschließend ist finanzieller Raum essenziell. Angewandt wird das Bau- und Verkehrsrecht viel zu oft von personell nicht ausfinanzierten Verwaltungen oder Sachbearbeiter*innen, die manchmal ihren Werkzeugkoffer gar nicht kennen, sich Expertise nicht dazukaufen können oder schlichtweg nicht genug Zeit haben, sich neuen Ansätzen zuzuwenden. Es fehlt zudem oft an Zutrauen und Vertrauen in Zivilgesellschaft und Bürger*innen. Beides ist aber notwendig, um Allianzen der Zukunft zu schmieden. Das kann auch mit der Beschleunigung von Genehmigungsverfahren passieren, solange die Beschleunigung nicht in der Verengung von Beteiligungs- und Rechtsschutzmöglichkeiten liegt, sondern in der auskömmlichen personellen Ausstattung der kommunalen Planungs- und Genehmigungsbehörden mit Fachleuten. Nur so kann in einem dritten Schritt die – momentan noch utopisch erscheinende – Transformation zum Stadtraum von Morgen vollzogen werden.
Der Beitrag gibt ausschließlich die persönliche Auffassung der Autorinnen wieder. Die Autorinnen danken Dr. Stefanie Killinger sowie Prof. Dr. Kristin Pfeffer für wertvolle Anmerkungen.