Literaturzeitschriften im Limbo
Staat, Wettbewerb, Grundrechte und das Urteil des Landgerichts Berlin zu "Lettre International" und "Sinn und Form"
Der Streit der Literaturzeitschriften ist entschieden: Die Akademie der Künste darf die Zeitschrift Sinn und Form zumindest zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr herausgeben, ansonsten droht ihr ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro. Das Landgericht Berlin hat der Klage des Herausgebers der Kulturzeitschrift Lettre International, Frank Berberich, stattgegeben. Das war zu erwarten, nachdem der Versuch einer gütlichen Einigung gescheitert war. Überraschend ist aber die nüchterne Begründung des Gerichts, das sich allein auf das Wettbewerbsrecht fokussiert und den verfassungsrechtlichen Fragen, die der Fall aufwirft, aus dem Weg geht. Diese Fragen sind in der Tat nicht leicht zu beantworten.
Neidgefühle oder ungerechtfertigte Ungleichbehandlung?
Die Akademie der Künste ist seit 2005 eine bundesunmittelbare Körperschaft des öffentlichen Rechts, die sich selbst verwaltet und im Wesentlichen aus Mitteln des Bundeshaushalts finanziert wird. Diese staatliche Eingliederung und Förderung, so die Argumentation des Klägers, sei mit der Herausgabe von Sinn und Form unvereinbar, behindere den freien Wettbewerb für Kulturperiodika und stehe im eklatanten Widerspruch zur verfassungsrechtlich geschützten (Staats-)Freiheit der Presse. Einen ähnlichen Vorwurf erhebt Berberich gegen zwei weitere aus öffentlichen Mitteln geförderte Kulturzeitschriften, deren Verfahren noch nicht abgeschlossen sind.
Ist das ein liberales Argument für eine von staatlicher Indoktrination freie Presse? Oder, wie der Beirat von Sinn und Form behauptet, eine Attacke auf die „Vielfalt des literarischen Lebens, das nicht nur marktwirtschaftlicher Logik folgt, sondern auf privates und öffentliches Engagement angewiesen ist“? Von solchen „moralischen Fragen“ will der Lettre-Herausgeber nichts hören, es gehe ihm ausschließlich um Wettbewerbsgerechtigkeit und Verfassungskonformität. Anders als andere Unternehmen des Literaturbetriebs hatte seine Zeitschrift nicht einmal staatliche Coronahilfen erhalten.
Irgendwo zwischen Gemeinden und Kulturinstitutionen
Welche Grenzen setzt der Grundsatz der Staatsferne der Presse der Akademie bei der Herausgabe einer Zeitschrift? Auf diese Frage, so das Gericht, komme es gar nicht an. Vielmehr fehle es bereits an einer Gebührenordnung, die § 14 AdKG und § 16 Abs. 1 AdK-Satzung aber fordere. Damit vermeidet das Gericht, sich sowohl zur Staatsfreiheit als auch zu der heiklen Frage positionieren zu müssen, ob bei deren Bestimmung nicht auch grundrechtlich geschützte Interessen der AdK zu berücksichtigen sind.
Gerade die Frage der Grundrechtsfähigkeit ist für die Akademie aber deshalb von besonderer Bedeutung, weil sie durch ihre Organisationsform einerseits und ihre besondere Beziehung zum „Wirkbereich künstlerischen Schaffens“ andererseits gewissermaßen an einer grundrechtsdogmatischen Schnittstelle agiert. Das Landgericht verweist, obgleich es die Frage eigentlich offenlassen wollte, darauf, dass staatliche Organisationen grundsätzlich nicht grundrechtsfähig sind und eine Ausnahme im künstlerischen Bereich zumindest nicht in gefestigter Rechtsprechung anerkannt sei.
Das vom Gericht festgestellte Regel-Ausnahme-Verhältnis ist dem Grunde nach richtig und auch keine neue Erkenntnis. Für Kirchen, Rundfunkanstalten und Universitäten hat das Bundesverfassungsgericht Ausnahmen entwickelt, die Frage weiterer Ausnahmekonstellationen in seiner Rechtsprechung aber ausdrücklich offen gelassen. Für Kulturinstitutionen findet sich vereinzelt fachgerichtliche Rechtsprechung, die eine Grundrechtsfähigkeit ausdrücklich bejaht oder sich zumindest in diese Richtung offen zeigt. Das Bundesverfassungsgericht macht derweil die Frage der Grundrechtsfähigkeit eher einzelfallbezogen an indiziellen Kriterien als an abstrakt feststehenden Kategorien fest, namentlich am Grad an organisatorischer Unabhängigkeit und Selbstständigkeit, am Inhalt der gesetzlich zugewiesenen Aufgaben sowie an einer grundrechtstypische Gefährdungslage.
So gesehen scheint die Akademie der Künste ein regelrechtes Paradebeispiel dafür zu sein, wie eine Erweiterung der etablierten Ausnahmetrias aussehen könnte. Bereits der Begriff einer „Akademie“ verdeutlicht ihren Anspruch als „Ort des freien Gesprächs“ und des Zusammenschlusses von Gelehrten, Künstler:innen und Dichter:innen. Sie wurde 1696 vom späteren König Friedrich I. als „Academie der Mahl-, Bild- und Baukunst“ gegründet und entwickelte sich in der Folgezeit zur Künstler:innensozietät sowie zwischenzeitlich auch zur Ausbildungseinrichtung. Ihr Charakter als Gesprächsforum wurde in den zwanziger Jahren durch die Gründung der „Sektion für Dichtkunst“ ausgeweitet. Ein Ort kritischer Auseinandersetzung unterschiedlicher Kunstrichtungen sollte entstehen. Aus Respekt vor ihrer historisch gewachsenen Autonomie und ihrer Stellung als „Gelehrtenrepublik“ beschränkt sich der staatliche Einfluss auf die Rechtsaufsicht. Die Ausgliederung der Akademie aus der unmittelbaren Staatsverwaltung hatte demgemäß keine vorrangig administrative Funktion, sondern beabsichtigt vor allem, die interne Organisation und Programmatik einer staatlichen Steuerung zu entziehen. Ihre gesetzlich vorgesehene Autonomie begründet damit, entgegen der Behauptung des Landgerichts, nicht einfachgesetzlich verfassungsrechtsfreie Räume, sondern verweist auf einen historisch gewachsenen Zustand.
Aus diesem Grund lässt sich der Fall auch nicht mit kommunalen Publikationen vergleichen, wie das der Kläger tut. Aus der fachgerichtlichen Rechtsprechung dazu ergeben sich durchaus grundsätzliche Maßstäbe für die zulässige Reichweite staatlicher Publikationstätigkeiten. Dennoch lassen sich die Kommunikationstätigkeiten sämtlicher Körperschaften des öffentlichen Rechts nicht über einen Kamm scheren. Bereits hinsichtlich der Frage der Grundrechtsfähigkeit sind Gebietskörperschaften und Kulturinstitutionen kaum vergleichbar. Gemeinden und Kreise sind gerade nicht Ausdruck gesellschaftlicher Freiheitsbetätigung, und ihre Selbstverwaltung dient vornehmlich dem staatlichen Interesse an einer sachnahen und dezentralen Verwaltung. Auch inhaltlich ist ein Stadtblatt mit Beiträgen über lokale Themen und Werbeanzeigen nicht mit einer Kulturzeitschrift vergleichbar, deren Inhalt von Erst- und Wiederveröffentlichungen von Prosa und Lyrik bis hin zu Essays und Künstler:innengesprächen reicht. Eine pauschale Parallelisierung würde also den spezifisch künstlerischen Gehalt negieren, der Kulturzeitschriften notwendigerweise innewohnt und sie einem grundrechtlich besonders geschützten Lebensbereich zuordnet.
Eine kategoriale Zuordnung von Körperschaften des öffentlichen Rechts zur Staatsgewalt wäre also verkürzt. Die Akademie der Künste lässt sich eben nicht auf eine bloße Erscheinungsform des Staates reduzieren. Fest steht zumindest, dass die Akademie, ähnlich wie Universitäten, Theater oder Museen, in einer grundrechtrechtliche Ausnahmekonstellation agiert, die gleichzeitig dazu anregen sollte, die Begründungsmodalitäten des Staatsfernegrundsatzes für diese Bereiche zu überdenken.
Pressefreiheit jenseits von Eingriffsdogmatik
Offen lässt das Gericht auch, ob die Satzung der AdK als Grundlage für die Herausgabe der Zeitschrift überhaupt dem Gesetzesvorbehalt genügt. Die Grenzen des AdKG und der Satzung seien ohnehin überschritten, daher komme es auf ihre verfassungsrechtliche Zulänglichkeit gar nicht mehr an.
Damit geht das Gericht der Frage aus dem Weg, ob aus potenziellen Einflussnahmemöglichkeiten des Staates auf bestimmte Presseerzeugnisse überhaupt ein grundrechtsrelevanter (Wettbewerbs-)eingriff gegenüber anderen Presseunternehmen folgt – eine Frage, die durchaus verfassungsdogmatische Kreativität erfordern würde.
Von der Pressefreiheit werden individuell Grundrechtssubjekte und institutionell die Presse geschützt. Die Einrichtungsgarantie der Presse, die den Topos der Staatsferne in sich trägt, strahlt auf die Grundrechtsträger:innen aus. Eine bloß abstrakte Gefährdung privater Presseunternehmen kann einen (auch mittelbar-faktischen) Grundrechtseingriff nicht begründen.1) Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG normiert weder einen presserechtlichen Bestandsschutz noch den Schutz des Erhalts eines bestimmten Kundenstamms. Ebenso wenig pauschal lässt sich ein Schutz vor Konkurrenz aus den Wirtschaftsfreiheiten herleiten.
Die wettbewerbsrechtliche Rechtsprechung übergeht diese Dogmatik, indem sie einerseits die verfassungsrechtlich unzureichende Betroffenheit durch sehr geringe Anforderungen an ein konkretes Wettbewerbsverhältnis ersetzt und andererseits eine abstrakte Gefährdung der „Presselandschaft als solcher“ ausreichen lässt, um den Grundsatz der Staatsferne als verletzt zu sehen, ohne dass es für diese Dogmatik eine konkrete Stütze in der Verfassungsgerichtsrechtsprechung gäbe.
Verfassungsrechtlicher Eskapismus ist kein Formalismus
Stattdessen prüft das Gericht schematisch wettbewerbsrechtlicher Detailfragen. Die Anwendbarkeit wettbewerbsrechtlicher Vorschriften und damit die Frage, ob ein wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsanspruchs wegen einer Verletzung des Staatsfernegebots überhaupt besteht, hängt davon ab, ob eine geschäftliche Handlung im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG vorliegt. Das tut sie entweder dann, wenn die Akademie erwerbswirtschaftlich tätig wird, oder wenn sie zwar hoheitlich, also in Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe tätig wird, aber nicht aufgrund oder innerhalb einer gesetzlichen Ermächtigung. An dieser Stelle beschreitet das Gericht einen eher überraschenden Lösungsweg: Die AdK handle geschäftlich, nicht weil sie erwerbswirtschaftlich agiere, denn die Zeitschrift könne ohne Zuschüsse der Akademie gar nicht kostendeckend herausgegeben werden und erfülle eine ausschließlich gemeinnützige Aufgabe. Geschäftlich werde die Handlung vielmehr dadurch, dass die Akademie die ihr durch das AdKG und die Satzung gezogenen Grenzen überschreite, indem Sinn und Form entgegen § 14 AdKG einen Deckungsbeitrag von der Akademie erhalte. Die Überschreitung gesetzlich vorgegebener Grenzen führe, vom Landgericht nicht näher begründet, gleichzeitig zu einem Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Staatsfernegebot, der eine Rechtsverletzung im Sinne des § 3a UWG begründe.
Was an diesem einfachgesetzlichen Verstoß die Annahme einer geschäftlichen Handlung begründet und was die Annahme einer verfassungsrechtliche Verletzung des Grundsatzes der Staatsferne, scheint hier etwas undifferenziert. Man kann all das als bloß „formaljuristisches“ Problem deuten. Aber man sollte sich nicht darüber täuschen, dass gerade die normative Verfeinerung des Grundsatzes der Staatsferne über Leben oder Tod dreier (oder vierer?) Kulturzeitschriften entscheiden kann.
Ein Markt, ein Schlachtfeld?
Nach so viel verfassungsdogmatischer Zurückhaltung würde man um so größere wettbewerbsrechtliche Präzision erwarten. Auch hier enttäuscht das Gericht, was sich besonders deutlich an der Frage der Aktivlegitimation von Lettre zeigt.
Ein lauterkeitsrechtlicher Unterlassungsanspruch setzt voraus, dass zwischen Klägerin und Beklagter ein konkretes Wettbewerbsverhältnis besteht. Das ist nach ständiger Rechtsprechung insbesondere dann der Fall, wenn gleichartige Waren oder Dienstleistungen innerhalb desselben Endverbraucherkreises abgesetzt werden sollen. Das Wettbewerbsrecht folgt also der Einsicht, dass sich gleichartige Produkte bei gleichartigem Kundenkreis in ihrem Absatz gegenseitig behindern können. So weit, so simpel. Etwas zu simpel erscheint dann aber die knappe Anwendung dieses Maßstabs durch das Landgericht: „Beide Parteien geben eine Kultur- und Literaturzeitschrift heraus, die sich an ein kultur- und literaturaffines Publikum richtet“. Das ist zwar zweifellos richtig, aber eine Tautologie. Ein kultur- und literaturaffines Publikum ist eben eines, das Kultur- bzw. Literaturzeitschriften liest. Durch diese fehlende Subsumtion geraten wettbewerbsrechtliche Schutzzwecke aus dem Blick. Wettbewerbsverletzungen sollen eben nicht aus abstrakten „finanziellen Interessen“ (BT Drs. 19/12084, S. 26) geltend gemacht werden. Das richtigerweise weiterhin großzügig auszulegende „konkrete Wettbewerbsverhältnis“ findet seine Grenze also dort, wo potenzielle Kollisions- und Substitutionslagen gar nicht auftreten oder Wechselwirkungen nicht bestehen. Im Fall des Crailsheimer Stadtblatts hatte sich der BGH zumindest noch im Ansatz mit den Lesebedürfnissen bestimmter Abnehmerkreise beschäftigt, dazu bedurfte es auch keiner umfassenden Marktanalyse. Ob ein wettbewerbsrechtlicher Bezug hier vorliegt, ist wohl doch etwas diffiziler, als dies in der Urteilsbegründung scheint, und erfordert zumindest einen kurzen Blick auf waren- oder endverbraucherbezogene Beeinflussungsmöglichkeiten. Die Frage, ob hier tatsächlich um dieselben Personenkreise gerungen wird oder ob es nicht vielmehr um das finanzielle Überleben einer einzelnen Kulturzeitschrift geht, bleibt unter Verweis auf die „geringen Anforderungen an ein konkretes Wettbewerbsverhältnis“ aber unbeantwortet.
Das Urteil des Landgerichts lässt also mehr offen als es klärt. Wie viel Lettre davon hat, ist ebenfalls unklar. Die Zukunft des kleinen Marktes intellektueller Zeitschriften bleibt damit bis auf Weiteres: ungewiss.
References
↑1 | Schoch, Information der lokalen Öffentlichkeit durch kommunale Amtsblätter und Telemedienangebote, 2019, S. 131 ff. Anders Degenhart, AfP 2018, 189 (193). |
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