Mitgemeint
Und täglich grüßt das Murmeltier
Dieser Tage bebt einmal wieder das Internet. Das Murmeltier lässt schön grüßen. Es geht um: Geschlechtergerechtigkeit in der Sprache. Welche Person Lust auf richtig Aufregung hat, die möge sich einmal für mehr Gerechtigkeit in der Sprache aussprechen. Ein großer Spaß für die ganze Familie – funktioniert auch in Zeiten von Corona, garantiert.
Anlass diesmal also: Ein Gesetz wurde anders formuliert als üblich. Das Ministerium von Bundesjustizministerin Lambrecht hat einen Referentenentwurf zur „Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG)“ – horribile dictu! – im generischen Femininum formuliert. Das führt zu veritablem Zoff in der Koalition. Anstoß erregte aber nicht etwa der Titel des Gesetzes („Sanierungsrechtsfortentwicklungsgesetz“), das auch den schönen Begriff „Absonderungsanwartschaften“ verwendet. Die Abweichung vom branchenüblichen generischen Maskulinum war es, die den Koalitionspartner aufbrachte.
Das Bundesinnenministerium, jener Hort der Geschlechtergerechtigkeit, hat den Entwurf offenbar sogleich gestoppt, „aus verfassungsrechtlichen Gründen“: Ein Gesetzentwurf “in ausschließlich weiblicher Begriffsform” gelte rechtlich gesehen möglicherweise nur für Frauen. Seufz. Wer sagt es ihnen?
Das generische Femininum
Als politische Strategie, das Absurde der aktuellen Situation omnipräsenter Verwendung des generischen Maskulinum in Rechtstexten ins grelle Scheinwerferlicht zu rücken, hat diese Aktion exzellent funktioniert. Schon in den 1980er Jahren hatte die bedeutende feministische Linguistin Luise F. Pusch sie angewandt und bei dieser Gelegenheit das generische Maskulinum überhaupt erfunden.
In diesem Beitrag soll es nicht um das Für und Wider des generischen Femininums gehen. Eine Asymmetrie durch eine andere zu ersetzen, die zudem das Problem nicht löst, dass es Menschen gibt, die sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugehörig fühlen, scheint mir persönlich nicht gerade eine zukunftsträchtige Lösung zu sein für die Herausforderung, eine möglichst inklusive Sprachform zu ersinnen.
Ich möchte den aktuellen Vorstoß für eine Analyse wiederkehrender Argumente nutzen und auf einige eindrückliche historische Beobachtungen zum Wandel von Rechtssprache hinweisen, die in den aktuellen Debatten um geschlechtergerechte Rechtssprache praktischerweise „vergessen“ sind.
Genderwahnsinn
Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, der Volljurist Thorsten Frei, kritisierte im Tagesspiegel argumentativ stark: “Für diese Art von Genderwahnsinn fehlt mir jegliches Verständnis. Wir brauchen dieses Gesetz dringend, damit unsere Wirtschaft besser mit den COVID-19-Folgen umgehen kann.“ Der Koalitionspartner SPD riskiere Verzögerungen im Gesetzgebungsverfahren, „weil er ausgerechnet jetzt ideologische Grundsatzfragen meint ausfechten zu müssen”.
Dieser Einwurf ist interessant, weil er drei typische Reaktionsmuster zeigt, wenn es um Geschlechtergerechtigkeit geht, sei es in der Sprache oder in irgendeinem anderen gesellschaftlich relevanten Feld.
Erstens verwendete Frei mit dem Ausdruck „Genderwahnsinn“ eine in rechten politischen Kreisen verbreitete Ausdrucksweise (gerne auch in der Variante „Gendergaga“), deren Anliegen es ist, Geschlechtergerechtigkeit in jeder Schattierung von vornherein zu ridikülisieren. Er begibt sich damit in durchaus unappetitliche Gesellschaft. Vor allem ist es aber eine Ausweichstrategie, um sich nicht mit den zugrundeliegenden Gerechtigkeitsfragen auseinandersetzen zu müssen.
Zweitens folgt ein klassischer Whataboutism auf dem Fuße. COVID-19! Wirtschaftskrise! Viel wichtiger als popelige Sprachkritik sind jedenfalls andere Themen. Eine Abwandlung ist der temporale Whataboutism: „Ausgerechnet jetzt“ – zu einem anderen Zeitpunkt wäre es passender? Wer’s glaubt.
Drittens wird die Frage um Geschlechtergerechtigkeit (hier: in der Rechtssprache) als „ideologische Grundsatzfrage“ bezeichnet – und damit desavouiert. Ideologie suggeriert mangelnden Realismus, mangelnde Konsensbereitschaft, möglicherweise gar Koalitionsunfähigkeit. Wer bislang meinte, in der Politik gehe es doch im Grunde um solche ideologische Grundüberzeugungen, etwa in der Frage, was geschlechtergerecht ist, reibt sich verwundert die Augen ob dieser Abwertung genuin politischer Einstellung. Zugleich wird das Thema unverhandelbar: „Tja, bei ideologischen Grundsatzfragen, da können wir einfach nicht zusammenkommen, das ist halt Ideologie!“ Deswegen müssen wir dann auch nicht mehr über das sachliche Gerechtigkeitsanliegen sprechen.
„So haben wir das schon immer gemacht“
Geradezu putzig muten die angeblich sprachwissenschaftlichen Einwände an, die nun gegen diese Form einseitiger sprachlicher Bevorzugung von Frauen vorgebracht werden. Ohne weiteres müssten sie eigentlich den Kritisierenden als Argumente zugleich gegen das generische Maskulinum einleuchten. Der einzige Unterschied ist, dass die sprachliche Privilegierung der männlichen Form eben „schon immer so gemacht wurde“. Wo kommen wir denn da hin, das geht nun wirklich so nicht.
Wandel der Rechtssprache
Einmal tief Luft holen und in den beruhigend kühlen und tiefen Brunnen der Rechtsgeschichte steigen.
In der Geschichte der deutschen Rechts- und Gesetzessprache ist nur eines beständig: ihr Wandel1). Sie teilt damit das Schicksal von Sprache allgemein, auch der deutschen Sprache.2)
Es gibt in der Rechtssprache nicht nur die Gesetzessprache, sondern auch die Sprache der Verwaltung, der Rechtspflege und des Laienverkehrs sowie natürlich die Sprache der Verfassung. Es gibt zudem Spezialrechtssprachen in den verschiedenen Teildisziplinen der Rechtswissenschaft und Rechtspraxis, so die Sprache des Bürgerlichen und des Kartell-, Völker-, Straf- und Polizeirechts mit ihren je eigenen historischen Entwicklungen im Fachjargon.
In der rechtshistorischen Entwicklung zeigt sich ein Ringen um angemessene sprachliche Formen von Rechtstexten. Besonders eindrücklich ist dieses Ringen bei der Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuches Ende des 19. Jahrhunderts gewesen.3) Als Teil des Nationalbewusstseins wurde ganz genau auf Sprache geachtet, ja es kam zu einer „nie zuvor gekannten Sprachzucht“.4) Kritik am Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) war nachgerade eine Mode und changierte zwischen den beiden Polen der Forderung nach größerer juristischer Genauigkeit und nach mehr Volkstümlichkeit.5) Insbesondere der „Allgemeine deutsche Sprachverein“ wandte sich gegen Fremdworte und setzte sich für deutsche Rechtsbegriffe im neuen BGB ein.6) Insonders die „Eindeutschung von bisher unentbehrlich erschienenen Fremdwörtern“7) gelangte auf die politische Agenda.
Eine tabellarische Übersicht in Hattenhauers verdienstvoller Studie von 1987 vermittelt einen Eindruck davon, wie neu der Wortschatz des BGB war, wieviele Worte gänzlich neu erfunden werden mussten, um bis dato gebräuchliche juristische Fremdworte einzudeutschen:8)
Statt „Civilgesetzbuch“ hieß es nun „Bürgerliches Gesetzbuch“, „Zwangsvollstreckung“ ersetzte „Exekution“, „Fehlbetrag“ bezeichnete nun das vormalige „Defizit“, der heute absolut gebräuchliche „Erbschein“ war eine Erfindung des BGB, denn zuvor lautete der Fachbegriff „Erbeslegitimationsattest“. Die aus der römisch-rechtlichen Tradition des bürgerlichen Rechts herrührenden lateinischen Wurzeln der Rechtsbegriffe wurden ersetzt durch eingedeutschte sprachliche Neuschöpfungen.
Das Beispiel der Entstehung des BGB zeigt, dass außerrechtliche Gründe – konkret: die Entstehung der deutschen Nation und des politischen Nationalbewusstseins – Einfluss auf die sprachliche Gestaltung des Gesetzestextes gewannen. Die politisch motivierte Sprachkritik führte zur Schaffung einer gänzlich neuen, nunmehr eingedeutschten Rechtssprache. Diese Rechtssprache war Ende des 19. Jahrhunderts brandneu. Heute, 120 Jahre später, erscheinen uns die damals neu geschaffenen Worte ganz selbstverständlich, sie sind üblich und gebräuchlich.
Rechtstexte als politische Texte
Rechtstexte sind also Gegenstand politischen Gestaltungswillens, gestalten aber auch ihrerseits die gesellschaftliche und politische Wirklichkeit, nicht zuletzt sprachlich. Wie wenig Texte vermögen Rechtstexte wegen ihrer normativen Qualität Einfluss auf den allgemeinen Sprachgebrauch zu gewinnen, diesen zu prägen und zu wandeln.
Politische Einflussnahme auf die Sprache von Rechtstexten ist mithin kein unbekanntes Phänomen, sondern vielmehr Ausdruck der öffentlichen Deliberation über Form und Inhalte neu zu schaffenden Rechts. Da Rechtstexte das lebendige Kennzeichen und Resultat demokratischer Selbstregierung sind, kann es nicht überraschen, dass auch außerrechtliche politische Anliegen Eingang finden in die Gestaltung ebendieser Rechtstexte. Das gilt besonders für grundlegende Rechtstexte wie das Bürgerliche Gesetzbuch, das Sanierungsrechtsfortentwicklungsgesetz – oder Verfassungen.
Aber das, liebe Kinder, ist eine Diskussion für das nächste Mal…
References
↑1 | Grundlegend: H. Hattenhauer, Zur Geschichte der deutschen Rechts- und Gesetzessprache, 1987. |
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↑2 | A. Gardt, Die Deutschen und ihre Sprache, Jahrbuch der Göttinger Akademie der Wissenschaften 2016, S. 89 ff. |
↑3 | Dazu allgemein K. Kroeschell, Rechtsgeschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, 1992, S. 11 ff.; speziell zur Sprache H. Hattenhauer, Zur Geschichte der deutschen Rechts- und Gesetzessprache, 1987, S. 79 ff. |
↑4 | H. Hattenhauer, Zur Geschichte der deutschen Rechts- und Gesetzessprache, 1987, S. 79. |
↑5 | H. Hattenhauer, Zur Geschichte der deutschen Rechts- und Gesetzessprache, 1987, S. 80. |
↑6 | H. Hattenhauer, Zur Geschichte der deutschen Rechts- und Gesetzessprache, 1987, S. 81. |
↑7 | H. Hattenhauer, Zur Geschichte der deutschen Rechts- und Gesetzessprache, 1987, S. 82. |
↑8 | Vgl. die Übersicht bei H. Hattenhauer, Zur Geschichte der deutschen Rechts- und Gesetzessprache, 1987, S. 83. |
Das neue vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren ist eine sehr grundlegende Neuschöpfung, deren gesetzgeberische Umsetzung binnen dreier Monate auch so schon mehr als ambitioniert gewesen wäre. Ein solches Projekt dann auch noch mit dem absehbaren Streit um das generische Femininum zu belasten, ist schon eine politische Schnapsidee seltener Art und Güte.
Man hat dem Adressatenkreis, soweit nicht direkt benannt, schlicht die gedankliche Agilität zugetraut, sich als “mit gemeint” zu begreifen, und sich im Übrigen auf das vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren zu konzentrieren, statt sich um das generische Femininum zu streiten.
Es stellt sich doch vor allem die Frage, ob es der von Ihnen als „Belastung“ bezeichneten Wortwahl des Entwurfes anzukreiden ist oder nicht doch viel mehr der wohlfeilen und fadenscheinigen Begründung des BMI. „Aus verfassungsrechtlichen Gründen“ ist an dem Entwurf rein gar nichts auszusetzen. „Ideologie„ durch Festhalten am sog. generischen Maskulin ist also allenfalls dem BMI zuzuschreiben. Und damit auch die Verzögerung der Umsetzung.
Ich kann mich Nico B. nur anschließen.
Eine Verzögerung würde nicht durch die Wahl des generischen Femininums, sondern durch die künstliche Aufregung des BMI entstehen.
Zumal es auch zu keiner Verzögerung gekommen ist. Der Gesetzentwurf wurde heute vom Kabinett verabschiedet (https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/DE/Fortentwicklung_Insolvenzrecht.html).
Von der Bundesregierung verabschiedet wurde aber ein Entwurf mit ganz herkömmlichem generischem Maskulinum.
Allerdings – wenn ich es richtig sehe – wieder unter Verwendung des generischen Maskulinums, richtig?
Im vom Bundesjustizministerium herausgegebenen Handbuch der Rechtsförmlichkeit (BAnz. 2008, Nr. 20. 1 ff.) heißt es in Rn. 110:
“In Vorschriftentexten darf die sprachliche Gleichbehandlung von Frauen und Männern jedoch nicht auf Kosten der Verständlichkeit oder der Klarheit gehen. Daher gelten für Rechtstexte folgende Grundsätze:
– Die Personenbezeichnung muss eindeutig sein (nicht: „der Käufer und/oder die
Käuferin“). (…)
– Die Formulierung sollte nicht zu sehr vom allgemeinen Sprachgebrauch abweichen.”
Auch vor diesem Hintergrund hätte sich das Justizministerium diese Volte bei diesem Gesetz und in dieser Zeit sparen können.
[…] perfekt dazu passend hatte gestern Prof. Dr. Anna Katharina Mangold einen sehr schönen Artikel im Verfassungsblog (es lohnt sich auch, den dortigen Links zu folgen, vor allem hierhin), nämlich aus Anlass eines […]
Hominis appellatione tam feminam quam masculum contineri non dubitatur.
Caius, Comm. ad leg. Iul. & Papir. (D 50, 16, 152)
Ich finde den Umgang mit den männlichen und weiblichen Formen in diesem Gesetzentwurf vor allem sehr beliebig – und das ist bei einem Gesetzestext ja nicht wirklich etwas positives. Wenn man denn ein generisches Femininum durchsetzen möchte*, sollte man es wenigstens durchhalten. Einige Begriffe werden im Umfeld des Gesetztestextes und auch direkt in ihm sowohl generisch als auch spezifisch gebraucht; es könnten ja z.B. Frauen, Gesellschaften, Genossenschaften (f), Männer, Menschen (m) oder Unternehmen (n) gemeint sein. Trotzdem gibt es bspw. auschließlich die Schuldnerin und Gläubigerin, aber den Unternehmensträger. Man sollte halt schon noch 1. zwischen generischem und spezifischem Gebrauch unterscheiden können und 2. sich dann für eine Linie entscheiden.
*Der politische Wille ist zwar notwendig für die Gesetzgebung, aber halt nicht alleinentscheidend für die Güte eines Gesetzestextes, denn der bindet nicht nur die anderen Staatsgewalten, sondern auch alle Personen im Geltungsbereich. Daher wären mir da Verständlichkeit und Eindeutigkeit immer wichtiger als politische Breitseiten. Und wie man Gesetzesvorlagen liefert, bei denen das, was laut Begründung gewollt war, das, was verstanden wurde, und das, was man hätte darunter verstehen müssen, drei unterschiedliche Dinge sind, haben die Ministerien unter den Merkel-Kabinetten ja leider zu oft gezeigt.
Die Rechtssprache wandelt sich also. Bei nüchterner Betrachtung eine recht simple Feststellung. Interessant wird es aber ab dem Punkt, an dem zum Beleg dieses Wandels auf die jeweilige Abänderung von “Civilgesetzbuch“/„Bürgerliches Gesetzbuch“ oder „Zwangsvollstreckung“/„Exekution“ rekurriert wird. Über die Darlegung der früheren semantischen Änderungen spezifisch juristischer Begriffe möchte die Autorin also darlegen, warum sich auch die Einführung der sog. gendergerechten Sprache in einen quasi natürlichen Wandel des Sprachgebrauchs einordne. Die eigentlich augenfällige Unvergleichbarkeit der jeweiligen Sprachebenen (einzelne, juristische Fachtermini hier – Alltagssprache dort) wird dabei, um den Sarkasmus des Beitrages zu bemühen, “praktischerweise vergessen”.
Auch der Vorwurf der Autorin an die Kritiker, das Anliegen der Befürworter einer solchen neuen Rechtssprache werde aus ideologischen Gründen von vornherein desavouiert, fällt auf den Beitrag selbst zurück, indem er – in Stoßrichtung der Kritiker – durchweg und ohne jede Kontextualisierung von “Gerechtigkeit” spricht….denn wer ist schon gegen Gerechtigkeit. Dass die sprachlichen Neuerungen der Gerechtigkeit dienen, wird als nicht diskutable Prämisse hingestellt und damit die Diskussion elegant auf eine Metaebene gehoben, auf der es nicht mehr um Sinn- oder Unsinn der neuen Sprache geht, sondern nur noch um Gleichberechtigung gegen Unterdrückung.
Für mich kann eine geschlechtsneutrale Gesetzessprache so aussehen:
Wir eröffnen jedes Gesetz mit einem § 1, in dem Begriffsbestimmungen stehen, wie z.B. in § 1 KWG.
Die vom Gesetz Betroffenen nennen wir Personen und sagen, dass Person eine natürliche Person jedweden generischen oder biologischen oder was auch immer Geschlechts ist und gegebenenfalls auch jede juristische Person und jede rechtsfähige Gesellschaft (vgl. § 14 Abs. 2 BGB). Die grammatikalisch feminine Person ist ja gendermäßig und grammatikalisch unproblematisch.
Dann wird untergliedert. Der Gläubiger z.B. wird ersetzt durch die G-Person, die wir definieren als die Person, die eine Leistung fordern kann (vgl. § 241 Abs. 1 BGB). Der Schuldner wird zu S-Person und ist die Person, die eine Leistung schuldet. Auch im öffentlichen Recht geht das. Der Bundeskanzler in Art. 62 ff. GG wird dann zur K-Person. Usw. usw.
Auf diese Weise haben wir eine geschlechtsneutrale, verfassungsrechtlich unbedenkliche Fachsprache, die dem sonst üblichen Deutsch eher entspricht.
Juristen scheint es zuweilen besonders schwer zu fallen, zwischen grammatischem Genus und natürlichem Geschlecht zu unterscheiden. Das Wort “Aktiengesellschaft” beispielsweise ist zwar grammatisch femininin, aber eine Kapitalgesellschaft ist sicherlich nicht weiblich, sondern bloß eine juristische Person. Deswegen ist eine Aktiengesellschaft keine “Klägerin” oder “Schuldnerin” etc., was leider in zahlreichen juristischen Texten – auch Urteilen – zu lesen ist.
Diese Worte bezeichnen nämlich üblicherweise nur weibliche (und damit natürliche) Personen. Das hängt nicht am grammatischen Genus, sondern am Wort selbst, dessen Bedeutung in diesem Fall durch das Ableitungssuffix “-in” genauer spezifiziert und damit eingeschränkt wird. Demgegenüber kann das Mitglied, der Käufer oder ggf. auch die Person eine Frau, ein Mann, ein Kind oder eine juristische Person sein.
Deswegen sieht das “Handbuch der Rechtsförmlichkeit” des Bundesjustizministeriums (online unter hdr.bmj.de) gegenderte Formen sinnvollerweise höchstens bei solchen Begriffen vor, die ausschließlich natürliche Personen umfassen. Eine Doppelnennung ist auch in den meisten dieser Fälle bloß redundant und kann zu ziemlich aufgeblähten, noch umständlicheren Formulierungen führen. (Nachdem inzwischen ein drittes Geschlecht offiziell anerkannt ist, ist die Verwendung von Doppelformen, wo bereits ein generisches Wort genügen würde, sogar geradezu rückwärtsgewandt!)
Bei den substantivierten Adjektiven ist übrigens keine der grammatischen Formen zwingend mit einem natürlichen Geschlecht verknüft. Daher kann man eine (beklagte) Aktiengesellschaft selbstverständlich “Beklagte” nennen, und auch eine generische Verwendung grammatisch feminininer Formen ist bei solchen Substantivierungen denkbar.
Ja, seufz, wer sagt es Ihnen?
Die Aktivistinnen und Aktivisten laufen linguistischen Verirrungen hinterher.
Auch wenn es inzwischen so oft wiederholt wurde, dass selbst Leute, die es besser wissen sollten, an sowas wie einen generischen Genus glauben – den man dann mal eben per Dekret ändern könnte, ohne der Sprache Schaden zuzufügen. Die feministischen Linguistinnen haben ihren Mordscoup allerdings schon vor vierzig Jahren gelandet, indem sie mit dem angeblichen generischen Maskulinum den Sexus in die Betrachtungen zum Genus hineingeschwafelt haben. Und schon das ist heute noch so falsch wie vor vierzig Jahren.
Und seit ebenfalls fast einem halben Jahrhundert verzichten auch hartgesottenste Binnen-I-Feministinnen spätestens auf Seite 20 oder bei Wortbildungen auf die Umsetzung Ihrer eigentlich unverhandelbaren Position.
Bitte, bitte, liebe Mitfeministinnen: Lasst den Quatsch bitte endlich sein! Es nervt und ist schädlich.
Ganz unabhängig vom Inhalt dieses kurzweilig geschriebenen Beitrags würde ich vorab gerne oberlehrerhaft darauf hinweisen, dass der Plural von “Wort” in der hier verwendeten Bedeutung – wo es gerade nicht um den spezifischen Sinn, sondern um die bloße Aneinanderreihung von Buchstaben geht – traditionell “Wörter” ist und nicht “Worte”. Freilich ist das hier von der Autorin und den Kommentatoren verwendete “Worte” laut Duden inzwischen “gelegentlich auch” richtig. Mit den “Wörtern” würde allerdings auch ein kleines bisschen Distinktion im Deutschen aussterben.
Distinktion – und damit wäre dann die Überleitung zum Inhalt des Beitrags geschafft – ist gerade in Gesetzestexten auch von Vorteil. Man möchte ja so unmissverständlich wie möglich ausdrücken, was geregelt ist. Im Interesse von Eingängigkeit und Verständlichkeit dürfte dazu von mehreren gleich “eindeutigen” Wörtern das kürzere zu wählen sein.
Wäre es dann nicht sinnvoll, stets nur das Lexem in seiner (grammatisch) geschlechtlichen Grundform zu verwenden, außer es ist gerade nur eine Teilmenge gemeint? So scheint man in progressiven Kreisen im Vereinigten Königreich, z.B. im Guardian, vorzugehen (vgl. den Beitrag von Dr. Nele Pollatschek im Tagesspiegel kürzlich, , der gar nicht so reißerisch-unappetitlich ist, wie man ob des Titels vermuten könnte).
Stört man sich daran, dass patriarchalische Strukturen sich im Genus gewisser deutscher Nomen perpetuiert haben, könnte man auch vorschlagen, die Genera allgemein (neu) zu ordnen. Ein wirkliches System hinter “der, die, das” scheint es bisher ja nicht zu geben. Damit wäre dann insbesondere auch allen Geholfen, die Deutsch nicht als Muttersprache sprechen. Die könnten dadurch freigewordene geistige Kapazitäten dann auf anderes geistloses Auswendiglernen verwenden – zum Beispiel die Vorbereitung auf ein juristisches Staatsexamen.
Ein hervorragender Artikel, der sowohl hinsichtlich seiner intellektuellen Schärfe als auch des humorvollen Tons besticht! Danke, Frau Professorin Mangold, für die fundierte Stellungnahme.
Das generische Maskulinum ist in bestimmten (sehr seltenen) Fällen auch die männliche Form, aber nicht ausschließlich, nicht mal hauptsächlich. Das Femininum ist eine Ableitung davon. Eine ausführliche wissenschaftliche Erklärung des Genussystems findet sich bei SCHOLTEN.
https://www.belleslettres.eu/content/deklination/genus-gendersprech.php
Was sollte also logischerweise bei einer natürlichen Sprachentwicklung geschehen? Die generische Form sollte die ohnehin nur in wenigen Fällen reale Bedeutung männlich verlieren. Irgendwann verschwindet dann die spezielle/ abgeleitete Form (oder eben auch nicht).
So sollte der Satz „Ich gehe zum Bäcker/ Arzt“ die Bedeutung, dass es sich beim Bäcker/ Arzt um Männer handelt, verlieren. Diese Bedeutung hat es heute schon nicht mehr, aber durch die sogenannte gerechte Sprache wird diese Bedeutung sogar rückwirkend zementiert.
Die Wortbildung für Substantive, die mit einer Tätigkeit zu tun haben (also auch Berufs- und Rollenbezeichnungen) funktioniert in der deutschen Sprache so: Dachdecker (Dächer decken), Hosenträger, Krankenpfleger, Büstenhalter, Fliesenleger, Flugzeugträger, Mitarbeiter, Gepäckträger, Staubsauger, … und die sind alle und immer in ihrer Grundform Maskulinum. Das Femininum wird (nur bei Bedarf = wenn es relevant ist) durch den zusätzlichen Suffix -in (bzw.
-innen) gebildet. Der neutrale Plural wird logischerweise von der Standardform gebildet.
Es wird fälschlicherweise behauptet, das generische Maskulinum sei die speziell männliche Form und das identische Gegenstück zur speziell weiblichen Form. Schon kann man darauf ein ganzes Kartenhaus von Weltanschauung aufbauen.
Vielen Dank für diesen wichtigen Beitrag zur sprachlichen Wandlungsfähigkeit des BGB, die zeigen könnte, welchen Weg es heute eigentlich zu gehen gilt.
In dem Absatz “Rechtstexte als politische Texte” weiß ich nicht, ob es sich um einen Fehler handelt oder ob ich lediglich als Leser nicht in der Lage bin, den Sinn aus dem zweiten Satz zu entnehmen:
“[…] Wie wenig Texte vermögen Rechtstexte wegen ihrer normativen Qualität Einfluss auf den allgemeinen Sprachgebrauch zu gewinnen, diesen zu prägen und zu wandeln.”
Ist damit gemeint
a) Wie wenig[e] Texte vermögen Rechtstexte…
oder
b) Wie wenig [vermögen] […] Rechtstexte…
Ich danke für die Klärung und bin froh, dass es Ihren Blog gibt.