Neues nur am Rande
Das Strompreisbremse-Urteil des Bundesverfassungsgerichts
Die große Überraschung blieb aus. Die Verfassungsbeschwerden gegen das Strompreisbremsegesetz von insgesamt 22 Betreibern von Anlagen zur grünen Stromerzeugung wurden zurückgewiesen (Az.:1 BvR 460/23, 1 BvR 611/23). Blickt man allein auf die tragenden Gründe für die Erfolglosigkeit der Beschwerden, hält das Urteil in der Tat wenig Überraschendes bereit. Interessant wird die Entscheidung allerdings in ihren Randbereichen und abseits der tragenden Gründe. Bemerkenswert ist insbesondere, dass sich das Gericht überhaupt nicht mit der Eigentumsfreiheit auseinandersetzt und aus der Berufsfreiheit eine klare Zumutbarkeitsgrenze für die finanzielle Indienstnahme Privater ableitet.
Ukrainekrieg, Energiekrise und Strompreisbremsegesetz
Doch zunächst zum Hintergrund der Entscheidung: Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine im April 2022 schnellten insbesondere die Gaspreise kurzfristig in bislang unbekannte Höhen. Dies wirkte sich auch auf die Strompreise aus. Sie schritten in kurzer Zeit von einem Hoch zum nächsten. In der Spitze (August 2022) lag der Strompreis um das Zehnfache höher als der Durchschnittspreis des Jahres 2021 (Rn. 89 des Urteils). Hierauf reagierte zunächst der Unionsgesetzgeber mit der Verpflichtung der Mitgliedstaaten die über eine bestimmte Obergrenze hinausgehenden Erlöse der Energieerzeuger (Überschusserlöse) gezielt zur Finanzierung von Maßnahmen einzusetzen, mit denen die Stromendkunden entlastet würden. Obwohl in Form einer Verordnung getroffen, überließ der Unionsgesetzgeber den Mitgliedstaaten dabei zahlreiche Spielräume für die Umsetzung, insbesondere hinsichtlich der Bestimmung der Obergrenze sowie des Verfahrens für die Verteilung der eigenommenen Überschusserlöse an die Endkunden. Der deutsche Gesetzgeber erließ daraufhin im Dezember 2022 das Strompreisbremsegesetz. Kern des Gesetzes war die Festlegung eines sog. Wälzungsmechanismus: Die Betreiber von bestimmten Stromerzeugungsanlagen wurden verpflichtet, 90 % ihrer in einem Zeitraum von sieben Monaten (beginnend mit dem Dezember 2022) erwirtschafteten Überschusserlöse als Abschöpfungsbetrag an den Netzbetreiber zu zahlen, an dessen Netz ihre Anlage unmittelbar angeschlossen ist. Die Netzbetreiber wiederum waren verpflichtet, die vereinnahmten Überschusserlöse an die Übertragungsnetzbetreiber weiterzugeben, die ihrerseits verpflichtet waren, den Elektrizitätsversorgungsunternehmen die an die Letztverbraucher geleisteten, gesetzlich vorgesehenen Entlastungszahlungen zu erstatten. Die wirtschaftliche Belastung (abseits des Verwaltungsaufwandes) traf mithin allein die Stromerzeuger, die der Anwendungsbereich des Gesetzes erfasste – also überwiegend Erzeuger grünen und Atomstroms. Prozedurales Rückgrat des Umwälzungsmechanismus waren umfangreiche Mitteilungspflichten zwischen den Beteiligten und ein Anspruch der Übertragungsnetzbetreiber auf Zwischenfinanzierung noch nicht vereinnahmter Überschusserlöse gegen die Bundesrepublik.
Im Fokus der Beschwerdeführenden: Zahlungs- und Mitteilungspflichten gegenüber den Netzbetreibern
Gegenstand der Rechtssatzverfassungsbeschwerden waren diejenigen Regelungen des Strompreisbremsegesetzes, welche die Beschwerdeführenden zur Zahlung von Abschöpfungsbeträgen dem Grund und der Höhe nach begründeten (§§ 13-18) sowie entsprechende Mitteilungspflichten gegenüber den Netzbetreibern verpflichteten (§ 29). Die Beschwerdeführenden argumentierten im Wesentlichen (Rn. 19 des Urteils), dass es sich um eine Sonderabgabe handele, die aber nicht den einschlägigen Voraussetzungen des Finanzverfassungsrechts (Art. 105, 106 GG) entspräche. Ausgenommen von der Zahlungspflicht seien gerade diejenigen Stromerzeuger, deren Anlagen die hohen Kosten verursacht hätten. Eine Gruppenverantwortung sei nicht gegeben. Auch die Ausgestaltung der Abschöpfung verletze die Beschwerdeführenden in ihren Rechten aus Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG. Es käme insbesondere zu unverhältnismäßig hohen Abschöpfungen.
Teilweise Unzulässigkeit: Zusätzliche Anforderungen an die Begründung von Gleichheitsrügen?
Auch wenn die Zulässigkeitsprüfung (gut 10 Seiten) gegenüber der Begründetheitsprüfung (knapp 17 Seiten) verhältnismäßig umfangreich ausfiel, sind hier nur Kleinigkeiten bemerkenswert: Das Bundesverfassungsgericht sah die Beschwerden nur teilweise als zulässig an. Nur hinsichtlich der Pflicht zur Zahlung der Abschöpfungsbeträge (§ 14 Abs. 1), der Vorgaben zur Differenzierung der Erlösobergrenzen (§ 16 Abs. 1) sowie der Mitwirkungspflichten (§ 29) bestehe überhaupt eine Beschwerdebefugnis. Im Übrigen sei entweder schon nicht ausreichend dargetan, warum die Beschwerdeführenden selbst betroffen seien (Rn. 30 ff.), oder nicht erkennbar, dass es zu Ungleichbehandlungen zwischen den betroffenen sowie zwischen betroffenen und nicht betroffenen Unternehmen komme (39 ff.). Aufmerken lässt dabei das Argument, dass ein Gleichheitsverstoß deswegen nicht hinreichend dargetan gewesen sei, weil die Beschwerdeführenden trotz vergleichbarer Interessenlage die Möglichkeit einer Analogiebildung nicht diskutiert hätten (Rn. 52). Stellt das Bundesverfassungsgericht an die Rüge der Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes ohnehin meist schon hohe Anforderungen, lassen sich für eine derart methodisch ausgreifende Begründung, die auch noch die Möglichkeiten der Analogiebildung gänzlich neuer Vorschriften umfasst, allenfalls noch verfahrensökonomische, kaum aber rechtliche Argumente anführen. Die Erörterung einer möglichen Analogiebildung hat weder etwas mit dem „Recht, das verletzt sein soll“ noch mit der „Handlung oder Unterlassung des Organs oder der Behörde, durch die der Beschwerdeführer sich verletzt fühlt“ (§ 92 BVerfGG) zu tun.
Begründetheit: Warum nicht (auch) Art. 14 Abs. 1 GG?
Die Begründetheitsprüfung beschränkt sich auf die Auseinandersetzung mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG. Keine Überraschung? Könnte man meinen, haben ja auch die Beschwerdeführenden vor allem eine Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG gerügt und die Richter Gleichheitsverstöße schon in der Zulässigkeit als nicht hinreichend dargetan aus der weiteren Prüfung ausgeschieden.
Geht man allerdings unvoreingenommen an den Wälzungsmechanismus heran, den die Beschwerde angreift, und fragt sich entsprechend der auch vom Verfassungsgericht gelegentlich genutzten Faustformel, wonach die Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG den Erwerb und die Eigentumsfreiheit des Art. 14 Abs. 1 GG das Erworbene schütze, welches Grundrecht verletzt sein könnte, stellt sich doch eine gewisse Verwunderung ein: Plötzlich fällt auf, dass das Gericht in seinen Ausführungen den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG allein abstrakt konkretisiert (Rn. 66 f.). Eine Auseinandersetzung mit dem Sachverhalt sucht man vergeblich. Dass zur Unternehmensfreiheit als besondere Ausprägung der Berufsfreiheit auch die Freiheit gehört, Erlöse zu erwirtschaften und die beruflich erbrachte Leistung zu verwerten, ist nicht neu und wird vielfältig durch Verweise auf bereits ergangene Entscheidungen belegt. Hierzu hat das Strompreisbremsegesetz allerdings überhaupt keine Maßgaben getroffen. Im Gegensatz: Entsprechend der unionsrechtlichen Vorgaben ist der Preisbildungsmechanismus gänzlich unangetastet geblieben. Die Pflicht zur Zahlung von Abschöpfungsbeträgen greift erst, wenn ein Erlös erzielt wurde. Anders als in den vom Gericht zitierten Entscheidungen, setzt das Strompreisbremsegesetz gerade keinen bestimmten Preis oder eine bestimmte Vergütung fest. Der Fall liegt also anders.
Ist die Eröffnung des Schutzbereiches von Art. 14 Abs. 1 GG vielleicht so fernliegend, dass nicht einmal kurze Ausführungen zum Verhältnis zu Art. 12 Abs. 1 GG notwendig waren? Dass vielmehr überhaupt nur die Berufsfreiheit als verletztes Grundrecht in Betracht zu ziehen war? Sicherlich: Die Eigentumsfreiheit schützt nach (umstrittener) Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht das Vermögen, weswegen Steuer- und Abgabepflichten vom Bundesverfassungsgericht regelmäßig nicht an der Eigentumsfreiheit gemessen werden. Allerdings hat der Zweite Senat für Geldleistungspflichten, die tatbestandlich an Eigentumspositionen anknüpfen, als Maßstab durchaus auf Art. 14 Abs. 1 GG als Prüfungsmaßstab zurückgegriffen. So lasse „die Auferlegung von Geldleistungspflichten für sich genommen die Eigentumsgarantie grundsätzlich unberührt“, dies gelte aber nicht „für die Anknüpfung von Geldleistungspflichten an den Erwerb vermögenswerter Rechtspositionen“. Eine derartige Anknüpfung findet mit der Pflicht, Abschöpfungsbeträge gemäß dem Strompreisbremsegesetz zu zahlen, allerdings gerade statt.
Abschöpfungsbeträge keine Sonderabgabe im Sinne des Finanzverfassungsrechts
Gewiss, mit der Eigentumsgarantie als grundrechtlichem Maßstab für Geldleistungspflichten hat sich das Bundesverfassungsgericht bisher nur im Zusammenhang mit Steuern und Abgaben auseinandergesetzt. Dass die von den Stromerzeugern zu wälzenden Überschusserlöse weder Steuer noch Abgabe sind, hat das Gericht – im Rahmen der Prüfung der Gesetzgebungszuständigkeit (Rn. 70 ff.) – überzeugend mit dem Argument zurückgewiesen, dass die Zahlungen keine Aufkommenswirkung zugunsten der öffentlichen Haushalte haben. Für den Grundrechtsschutz spielt es aber prima facie keine Rolle, wem das Geld schließlich zugutekommt. Entscheidend ist, wie die staatlich auferlegte (Abgabe-)Pflicht gestaltet ist.
Neue Zumutbarkeitsgrenzen für die Indienstnahme
Was könnte das Gericht sonst bewogen haben, allein die Berufsfreiheit zu thematisieren? Zumindest zwei Gründe lassen sich den weiteren Urteilsgründen entnehmen. Zum einen formuliert das Gericht in Anlehnung an seine Rechtsprechung zur Indienstnahme Privater einen neuen Prüfungsmaßstab. Zum anderen setzt es sich mit Möglichkeiten von umverteilenden Eingriffen in einen Markt mit freier Preisgestaltung auseinander. Fragen der Indienstnahme sowie der Marktgestaltung verortete das Gericht bisher dabei ganz überwiegend im Rahmen von Art. 12 Abs. 1 GG. Die Berufsfreiheit liegt damit zumindest assoziativ nahe.
Neu formuliert das Gericht zur Zumutbarkeit einer Indienstnahme (Rn. 105): „Verfolgt der Gesetzgeber mit einer Umverteilung unter Privaten Gemeinwohlaufgaben, die außerhalb der betroffenen Privatrechtsverhältnisse liegen, kann die Maßnahme den zahlungspflichtigen Privaten jedenfalls dann nicht zugemutet werden, wenn sie in keinem spezifischen Näheverhältnis zu solchen Aufgaben stehen.“ Das Erfordernis eines Näheverhältnisses erinnert an die gerichtlichen Maßstäbe zur Indienstnahme von Privaten, dort spricht das Gericht bislang von einer besonderen Sach- und Verantwortungsnähe zwischen der beruflichen Tätigkeit und der auferlegten Verpflichtung. In diesen Entscheidungen ging es aber bislang nicht um eine Umverteilung von Erlösen, sondern jeweils um die Übertragung konkreter Aufgaben (z.B. Warnhinweise, Speicherpflichten, Pflichtverteidigung). Insofern konsequent zitiert das Gericht dann für die Begründung des Maßstabes auch nicht derartige, sondern Entscheidungen, die sich mit der Begründung von Zahlungspflichten von Unternehmen befassen. Allerdings betreffen die zitierten Entscheidungen Zahlungspflichten im Arbeitgeber/Arbeitnehmer-Verhältnis. Wenig überraschend taucht der Begriff des Näheverhältnisses dort gar nicht auf. Formuliert hat das Bundesverfassungsgericht mithin einen neuen – sogar zum amtlichen Leitsatz erhobenen – Maßstab für die finanzielle Indienstnahme von Privaten.
Dies war jedoch überhaupt nicht notwendig: Denn das Gericht hält diesen (neuen) Maßstab dann nicht einmal für anwendbar. Mit der Erlösabschöpfung seien nicht nur allgemeine Interessen verfolgt worden. Die Abschöpfung sei vielmehr „notwendiger Bestandteil eines unter privaten Teilnehmern des Strommarktes erfolgenden Interessenausgleichs, der durch die Verwendung von Haushaltsmitteln nicht erreicht werden könnte“ und müsse daher nicht den (neu eingeführten) gesteigerten Anforderungen entsprechen (Rn. 107).
Hohe Anforderungen an die Rechtfertigung von Umverteilung im Markt
Stellt das Bundesverfassungsgericht dann im weiteren Verlauf der Angemessenheitsprüfung fest, dass eine Umverteilung zwischen Unternehmern und Verbrauchern in einem Markt mit freier wettbewerblicher Preisbildung mit Blick auf die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Unternehmensfreiheit rechtfertigungsbedürftig sei und besonders hohe Gewinne oder Erlöse allein eine Abschöpfung noch nicht rechtfertigen könnten, bewegt es sich wieder auf weitgehend bekanntem Terrain. Interessant ist dann allerdings, welche anderen Gründe das Gericht zur Rechtfertigung für geeignet hielt: Die hohen Preise hätten zu unvermeidbaren außergewöhnlichen Belastungen bei den Stromverbrauchern geführt, während die Erlöse weder den Investitionserwartungen der Erzeuger entsprochen noch preisdämpfende Investitionsanreize gesetzt hätten (Rn. 118 ff.). Das Gericht macht insofern die besondere Ausnahmesituation der Energiekrise und die kurzfristige Dysfunktionalität des Strommarktes zum Dreh- und Angelpunkt seiner Angemessenheitsargumentation. Die Verbraucher waren gerade deswegen besonders schutzbedürftig, weil Strom ein Lebens- und Wirtschaftsgut von existentieller Bedeutung ist. Die über die Investitionserwartungen hinausgehenden Gewinne konnten ihre wichtige marktwirtschaftliche Funktion als preisdämpfende Investitionsanreize ausnahmsweise nicht erfüllen, weil der Anstieg der Strompreise plötzlich und von nur sehr kurzer Dauer erfolgte. Verteilende Eingriffe in einen Markt knüpft das Bundesverfassungsgericht damit an hohe und wohl nur selten vorzufindende Voraussetzungen. Umverteilungen in einem Markt mit freier Preisbildung sollen besonderen Ausnahmesituationen vorbehalten bleiben. Einen festen Platz im Kanon wirtschaftsverfassungsrechtlicher Grundentscheidungen wird das Urteil aufgrund der spezifischen Gründe für den Wälzungsmechanismus indes wohl kaum erhalten.