This article belongs to the debate » Das Parteiverbot in Deutschland und Europa
28 March 2024

Paradoxien und Anpassungsbedarf im BVerfGG

Verbot und Ausschluss von der staatlichen Finanzierung auch für Teilorganisationen von Parteien

Die Diskussion um ein Parteiverbot ist begleitet von politischen Bedenken vor allem hinsichtlich eines Scheiterns, das bei einem Antrag gegen die Gesamtpartei zumindest nicht ausgeschlossen werden kann. Möglicherweise kommt es demnächst zu einer Neubewertung bei der Einstufung der Bundespartei durch das Bundesamt für Verfassungsschutz, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der ausstehenden Berufungsentscheidung des OVG Münster, die nach der Fortsetzung des Verfahrens in diesem Jahr zu erwarten ist. Gefestigt ist nur, dass sich die Einstufung der AfD-Landesverbände als „gesichert rechtsextremistisch“ durch die Landesverfassungsschutzbehörden bislang ausdrücklich nur auf die Teilorganisationen in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt bezieht. Bereits wenige Anpassungen im BVerfGG sollten es ermöglichen, dass ein Verbotsantrag auch hinsichtlich der Teilorganisation einer Partei und dieser auch von einer Landesregierung gestellt werden kann.1) Dasselbe gilt für den Ausschluss von der staatlichen Finanzierung von Teilorganisationen.

Paradoxien im BVerfGG

Die überwiegend einfachrechtlich in den §§ 43 ff. BVerfGG erfolgte Ausgestaltung sowohl des Parteiverbots als auch des Ausschlusses von der staatlichen Parteienfinanzierung führt zu gewissen Paradoxien der wehrhaften Demokratie im einfachen Recht. Denn einerseits dürfte bei den AfD-Landesverbänden in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt angesichts ihrer Einstufung als „gesichert rechtsextremistisch“ von hinreichenden Erkenntnissen über ihre Verfassungsfeindlichkeit auszugehen sein. In Anbetracht ihrer Umfragewerte sowie der bereits bestehenden Präsenz in den Landtagen dürfte auch die vom BVerfG geforderte „Potentialität“ (BVerfGE 144, 20 (224 f.) u.a. über den „Einflusskanal“ Bundesrat möglich erscheinen. Die Dominanz des lediglich formal aufgelösten sog. „Flügels“ gerade in Thüringen und die angestrebte Regierungsbeteiligung in den Ländern Thüringen, Sachsen und Brandenburg – mindestens aber das Erreichen einer Sperrminorität in Bezug auf Verfassungsänderungen – lassen erwarten, dass die Potentialitätsstufe nach den Landtagswahlen im Herbst 2024 bezogen auf die Wirkmöglichkeiten der dortigen Landesverbände überschritten wird. Andererseits sperrt das einfache Recht – nämlich das in Ausfüllung von Art. 21 Abs. 5 GG in den §§ 43 ff. entsprechende Regelungen treffende BVerfGG – hingegen de lege lata eine Antragstellung durch die Verfassungsorgane der betroffenen Länder, vor allem die jeweilige Landesregierung. Denn selbst wenn es einen entsprechenden politischen Willen zur Antragstellung gäbe, könnte eine Landesregierung mangels Antragsberechtigung derzeit keinen Verbots- oder Finanzierungsausschlussantrag bezüglich eines AfD-Landesverbands an das BVerfG stellen, ohne bereits an dieser zentralen Zulässigkeitsvoraussetzung zu scheitern. Antragsberechtigt ist eine Landesregierung nach § 43 Abs. 2 BVerfGG nämlich nur dann, wenn sich der Antrag gegen eine Partei richtet, deren Organisation sich auf das Gebiet ihres Landes beschränkt. Die Antragsberechtigung einer Landesregierung ist deshalb derzeit nur gegeben, wenn die jeweilige Partei ausschließlich im jeweiligen Land existiert und es somit sowohl an einer Präsenz in anderen Ländern als auch an einer Gesamtorganisation im Bund fehlt.2)

Die Konsequenz daraus ist allerdings, dass es allein an den in § 43 Abs. 1 BVerfGG abschließend aufgeführten üblichen Antragsberechtigten – Bundestag, Bundesrat oder Bundesregierung – wäre, einen Antrag nach Art. 21 Abs. 2 oder Abs. 3 GG an das BVerfG zu stellen, obschon die Verfassungswidrigkeit allein auf einen Landesverband – und damit im Sinne des PartG auf eine Untergliederung der Gesamtpartei – bezogen ist. Dessen Verfassungsfeindlichkeit wird sich zunächst vornehmlich im Verfassungsraum des jeweiligen Landes entfalten. Die Parteien könnten ihre Landesverbände zunächst als Versuchsfeld nutzen, um die Toleranz des politischen Diskurses für radikale Entwicklungen einer Partei auszutesten, ohne dass für das Land bzw. seine Verfassungsorgane (die Landesregierung, vgl. § 43 Abs. 2 BVerfGG) derzeit eine verfassungsprozessuale Möglichkeit bestünde, gegen den im eigenen Land agierenden extremistischen Landesverband vor dem BVerfG vorzugehen.

Landesregierung als Antragsberechtigte

Der Bundesgesetzgeber kann dieses Problem bereits mit einer kleinen, aber wirkungsvollen Anpassung des § 43 Abs. 2 BVerfGG auflösen. Dieser wäre dergestalt zu ergänzen, dass eine Landesregierung auch dann antragsberechtigt ist, wenn sich die Tätigkeit eines rechtlich bzw. organisatorisch selbständigen Teils einer Partei nicht nur auf das jeweilige Bundesland beschränkt bzw. sogar eine bundesweite Gesamtorganisation besteht, und die Feststellung der Verfassungswidrigkeit sich nur auf den jeweiligen Landesverband bezieht. Denn nach derzeit geltendem Recht (§ 43 BVerfGG) wäre jede Landesregierung, die einen Antrag nach § 43 BVerfGG verfolgen will, stets auf den ungewissen Weg über den Bundesrat angewiesen, um eine verfassungsgerichtliche Feststellung über eine nur in „ihrem“ Land als gesichert extremistische Teilorganisation der Gesamtpartei vorzugehen. Dies verkehrt aber auch den von Art. 21 Abs. 2 bzw. Abs. 3 GG intendierten Schutz des sog. Parteienprivilegs in sein Gegenteil, wohingegen der Nutzen einer solchen Erweiterung gleich in doppelter Hinsicht auf der Hand liegt: Zum einen könnte bereits die Möglichkeit eines solchen Antrags durch einzelne Landesregierungen eine abschreckende Wirkung entfalten und die Gesamtpartei anhalten, extremistische Strömungen in den Landesverbänden mit Ordnungsmaßnahmen einzudämmen. Zum anderen wäre ein isoliertes Vorgehen nur gegenüber einzelnen – nachweislich verfassungsfeindlichen – Landesverbänden gegenüber einem Vollverbot oder Vollausschluss von der staatlichen Parteienfinanzierung der Gesamtpartei im Sinne des „Parteienprivilegs“ auch eine mildere, dessen Schutz dienende Minusmaßnahme. Denn ein solcher Antrag würde ein gezieltes Vorgehen gegen verfassungsfeindliche Strömungen innerhalb einer Partei ermöglichen, ohne dass die Gesamtpartei mit dem Vorwurf der Verfassungswidrigkeit belastet wird.

Den Kreis der Antragsberechtigten zu erweitern, leistet einer Kritik, wonach das Parteiverbotsverfahren dazu diene, sich demokratische Konkurrenz vom „Leibe zu halten“, keinen Vorschub. Denn es bleibt beim Entscheidungsmonopol des BVerfG. Nur wenn dieses die Verfassungsfeindlichkeit feststellt, kommt es zum Verbot oder Ausschluss von der staatlichen Finanzierung. Wenn Verfassungsfeindlichkeit gegeben ist, handelt es sich aber eben um keine demokratische Konkurrenz.

Möglichkeit der Antragsbegrenzung auf Teilorganisationen für Bundesverfassungsorgane

Bislang umstritten ist auch die Frage, ob sich der von den Antragsberechtigten nach § 43 Abs. 1 S. 1 BVerfGG – Bundestag, Bundesrat oder Bundesregierung – gestellte Antrag stets auf die Gesamtpartei beziehen muss oder ob ein Antragsberechtigter, der nur eine Teilorganisation einer Partei wie einen Landesverband für verfassungswidrig hält, den Antrag auf diese Teilorganisation beschränken kann. Zum Teil wird dies mit der Begründung angenommen, dass das BVerfG gem. § 46 Abs. 2 BVerfGG in der Lage ist, das Verbot auf einen rechtlich oder organisatorisch selbständigen Teil einer Partei zu beschränken, weshalb ein derartiger Antrag im Umkehrschluss möglich sein müsste.3) Mehrheitlich wird allerdings davon ausgegangen, dass ein derartiger Antrag unzulässig sei: § 46 Abs. 2 BVerfGG beziehe sich lediglich auf die Entscheidungsmöglichkeiten des BVerfG und nicht auf den Antrag.4) De lege lata ist die überwiegende Ansicht auch überzeugend: Schon nach dem Wortlaut des § 43 Abs. 1 BVerfGG ist ein Antrag nur gegen die Gesamtpartei denkbar. Im Gegensatz zu § 46 Abs. 2 BVerfGG lässt zudem § 43 Abs. 1 BVerfGG die Teilorganisationen unerwähnt, was systematisch gegen eine mögliche Beschränkung des Antrags spricht. Ausgehend vom Sinn und Zweck des Art. 21 Abs. 2 GG ist es deshalb notwendig, den § 43 Abs. 1 BVerfGG zu ändern, so dass ein Antrag hinsichtlich einer Teilorganisation möglich wäre. Auch hier würde wieder das bereits bemühte Argument durchgreifen, dass es sich um eine Minusmaßnahme handelt, die das Parteienprivileg in Bezug auf die Gesamtpartei schonen würde.

Ausschluss von Teilorganisationen von der Parteienfinanzierung

Im Hinblick auf den Ausschluss von Teilorganisationen von der staatlichen Parteienfinanzierung fehlt im BVerfGG jede Regelung. Auch dies ist unverhältnismäßig. Denn der Ausschluss von der Parteienfinanzierung ist das mildere Mittel gegenüber dem Verbot. Und sofern es an der Gefahrenpotentialität von gesichert verfassungsfeindlichen Teilorganisationen fehlt, ist es dennoch geboten, auch Teilorganisationen die staatliche Alimentierung entziehen zu können. Die notwendige Klarstellung entsteht für die antragsberechtigten Bundesorgane dadurch, dass die hier vorgeschlagene Erweiterung von § 43 Abs. 1 BVerfGG auf Teilorganisationen von Parteien es erlaubt, auch den Finanzausschluss von Teilorganisationen zu beantragen. Für die gem. § 43 Abs. 2 BVerfGG antragsberechtigten Landesregierungen ergibt sich die Klarstellung durch die auch für Abs. 2 vorgeschlagene Erweiterung auf Teilorganisationen. Denn Anträge aus Abs. 2 beziehen sich auf Anträge gem. Abs. 1, also auch auf Anträge auf Finanzausschluss. § 46 a BVerfGG müsste zur Anwendung auf einen rechtlich oder organisatorisch selbständigen Teil einer Partei ebenfalls angepasst werden. Zugleich wäre in § 46a Abs. 1 BVerfGG § 46 Abs. 2 BVerfGG für entsprechend anwendbar zu erklären. Damit wäre sichergestellt, dass das BVerfG auf Antrag einer eines Bundesorgans seine Feststellung auf einen rechtlichen oder organisatorischen Teil einer Partei beschränken kann,

Fazit

Bereits wenige Anpassungen im BVerfGG können es ermöglichen, dass ein Verbotsantrag auch hinsichtlich der Teilorganisation einer Partei und dieser auch von einer Landesregierung gestellt werden kann. Ebenso muss der Finanzierungsausschluss im Hinblick auf einen Landesverband einer Bundespartei ermöglicht werden und ebenfalls von einer Landesregierung beantragt werden können. Derlei würde aus aktuellem Anlass nicht nur zur einfachrechtlichen Präzisierung der wehrhaften Demokratie im BVerfGG beitragen, sondern darüber hinaus auch einen schonenderen (nämlich verhältnismäßigeren) Umgang mit dem Parteienprivileg sicherstellen.

References

References
1 Dazu eingehend jüngst Heußner/Pautsch/de Haan, Zulässigkeits- und Verfahrensfragen der wehrhaften Demokratie – Zu den Verfahren nach Art. 21 Abs. 2 und Abs. 3 GG sowie Art. 18 GG, in: Neue Justiz (NJ),  2024, S. 97 ff..
2 Heußner/Pautsch/de Haan (a.a.O.), S. 97 (98).
3 Dollinger, in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf (Hrsg.), BVerfGG, 2. Aufl. 2021, § 43 Rn. 26; Gärditz, Für ein Verbot der AfD – zum Schutz der Demokratie, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 10/2023, S. 37 (40).
4 von Coelln, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, Stand: 63. EL Juni 2023, § 43 Rn. 11; Kliegel, in: Barczak, BVerfGG, 1. Aufl. 2017, § 43 Rn. 22.

SUGGESTED CITATION  Heußner, Hermann; Pautsch, Arne: Paradoxien und Anpassungsbedarf im BVerfGG: Verbot und Ausschluss von der staatlichen Finanzierung auch für Teilorganisationen von Parteien, VerfBlog, 2024/3/28, https://verfassungsblog.de/paradoxien-und-anpassungsbedarf-im-bverfgg/, DOI: 10.59704/7f591b5f118515b0.

Leave A Comment

WRITE A COMMENT

1. We welcome your comments but you do so as our guest. Please note that we will exercise our property rights to make sure that Verfassungsblog remains a safe and attractive place for everyone. Your comment will not appear immediately but will be moderated by us. Just as with posts, we make a choice. That means not all submitted comments will be published.

2. We expect comments to be matter-of-fact, on-topic and free of sarcasm, innuendo and ad personam arguments.

3. Racist, sexist and otherwise discriminatory comments will not be published.

4. Comments under pseudonym are allowed but a valid email address is obligatory. The use of more than one pseudonym is not allowed.