Rassismus ist nicht „Meinungsvielfalt“!
Offener Brief an den Beck-Verlag, aber nicht nur
Die NZA ist eine renommierte arbeitsrechtliche Zeitschrift aus dem juristischen Verlag C.H.Beck. Das aktuelle Heft der NZA (3/2021, S. 166-169) enthält einen als „Kommentar“ bezeichneten Beitrag von Rüdiger Zuck. Zuck war früher Rechtsanwalt und vertrat viele Verfassungsbeschwerden, weshalb er in der juristischen Welt bekannt ist als Mitherausgeber eines Kommentars zum BVerfGG, der ebenfalls im Hause Beck erscheint.
Der „Kommentar“ von Zuck in der NZA widmet sich einem arbeitsrechtlichen Kammerbeschluss des BVerfG, in dem es um Äußerungen in einer Betriebsratssitzung ging. Der Nichtannahmebeschluss ist nur insoweit bemerkenswert, als er durch eine Pressemitteilung gesondert hervorgehoben wurde, was regelmäßig als Fingerzeig gelten darf, dass die Kammer den Beschluss für verfassungsrechtlich besonders relevant hält. In der Sache hat die Kammer lediglich die Entscheidungen der Instanzgerichte aufrechterhalten.
In seinem „Kommentar“ argumentiert Zuck nun in der Sache, die Äußerung „Ugah Ugah“, mit welcher ein Betriebsrat einen dunkelhäutigen Betriebsrat in einer hitzigen Auseinandersetzung adressiert hatte, hätte die Kammer des BVerfG als Teil des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts und der Meinungsäußerungsfreiheit behandeln müssen, was nur unterblieben sei, weil die Kammer den Kontext der Äußerung nicht hinreichend gewürdigt hätte. Diese verfassungsrechtliche Position mag unterkomplex anmuten vor dem Hintergrund einer entwickelten Dogmatik zu Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG und der seit Jahrzehnten etablierten mittelbaren Grundrechtswirkung bei der Interpretation von Generalklauseln und insbesondere im Arbeitsrecht, sie ist aber nicht das Hauptproblem des Textes.
Zuck bedient an verschiedenen Stellen krasse rassistische Stereotype, die wir hier nicht im Einzelnen wiedergeben müssen, weil das bereits Hendrik Wieduwilt in einem Beitrag auf Übermedien erledigt hat. Als der Artikel in einem Twitter-Thread von der Völkerrechtlerin Alicia Köppen öffentlich gemacht wurde, gab es eine zurecht heftige Reaktion in den sozialen Medien.
Tatsächlich hat sich der Verlag C.H.Beck nun zeitnah und ausgesprochen knapp zu dem Fall geäußert. In einer kurzen Mitteilung heißt es: „Der Beitrag ist auf vielfältige Kritik gestoßen. Diese Kritik nehmen wir sehr ernst. Bei dem als „Kommentar“ gekennzeichneten Beitrag handelt es sich um die persönliche Auffassung des Autors. Als juristische Fachzeitschrift ist die NZA der Wissenschaftlichkeit und Meinungspluralität verpflichtet. Rückblickend ist aber klar, dass der Kommentar mit den redaktionellen Grundsätzen der NZA und unseren eigenen Ansprüchen nicht vereinbar ist. Die Redaktion distanziert sich ausdrücklich von dem Kommentar. Der Beitrag hätte nicht erscheinen dürfen. Wir entschuldigen uns in aller Form.“ (Hervorh. hier.)
Viel ließe sich zu dieser Stellungnahme sagen. Die Reaktion zeigt jedenfalls eine aus unserer Sicht hoch problematische Deutung, die gleichwohl typisch ist für derartige Vorfälle. Der Verlag distanziert sich von der „persönlichen Auffassung des Autors“ und von dem Kommentar, denn die NZA sei „Wissenschaftlichkeit und Meinungspluralität“ verpflichtet. Die „redaktionellen Grundsätze“ der NZA seien andere.
Die Redaktion – verantwortlich für die Schriftleitung der NZA ist Prof. Dr. Achim Schunder – entschuldigte sich gegenüber LTO. Schunder sagte, „es war niemals unser Ziel, rassistische Äußerungen zu verbreiten“. Er fügte hinzu, ein Kommentar dürfe „durchaus pointiert“ sein. Fehlerhaftes Verhalten der Redaktion sah er nur darin, dass sie „unpassende Sätze übersehen“ hätten, „die wir hätten streichen müssen“.
In der Stellungnahme des Verlags hingegen fehlt jeder Bezug auf den eklatanten Rassismus des Beitrages. Diesen gilt es zu benennen, soll sich endlich einmal etwas an den Strukturen in Rechtswissenschaft und Rechtspraxis in Deutschland ändern. Rassismus ist nicht nur die individuelle Meinung eines einzelnen Rechtsanwalts im Ruhestand, erst recht keine Pointe. Die Verbreitung rassistischer Stereotype gehört nicht zur Meinungsvielfalt, sondern ist schlicht Rassismus.
Die Tatsache, dass ein solcher Text unbeschadet und gänzlich unredigiert in einer führenden deutschen Arbeitsrechtszeitschrift erscheinen kann, ist das Problem. Die Tatsache, dass der Rassismus seitens des Verlages auch im Nachgang nicht einmal benannt wird, ist das Problem. Die Tatsache, dass wir immer über Einzelfälle statt über rassistische Strukturen sprechen, ist das Problem.
Die Unterzeichnenden fordern eine Auseinandersetzung mit Rassismus in der Fachkultur der deutschen Rechtswissenschaft und Rechtspraxis. Sie fordern alle Kolleginnen und Kollegen auf, sich an dieser Diskussion zu beteiligen und gegen rassistische und alle anderen Formen von Diskriminierung Stellung zu beziehen.
Wer diesen offenen Brief mit unterzeichnen möchte, ist herzlich willkommen. Kommentar unter diesen Post genügt
Erstunterzeichnende:
Absenger, Nadine, Rechtsanwältin
Aghazadeh-Wegener, Nazli, Universität Frankfurt/M.
Alex, Mirjam, Rechtsanwältin
Allgeier, Antonius, Rechtsanwalt, IG BAU
Altunjan, Tanja, Referendarin am Kammergericht Berlin
Annerfelt, Pascal, Universität Frankfurt/M.
Bader, Michael, ECCHR Berlin
Ballázs, Marie-Louise, Rechtsanwältin, silberberger.lorenz, kanzlei für arbeitsrecht
Barskanmaz, Cengiz, Assoziierter am MPI für ethnologische Forschung (Halle/S), Abteilung „Recht und Ethnologie“
Baumgart, Kerstin, Justiziarin
Beilharz, Sophie, Rechtsanwältin, Betz Rakete Dombek, Rechtsanwälte und Notare*
Berghahn, Sabine, Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft, Freie Universität Berlin und Rechtsanwältin
Birkenkötter, Hannah, Humboldt-Universität zu Berlin
Böning, Martha, Gewerkschafterin
Brodersen, Heike, Rechtsanwältin, Arbeitsrechtskanzlei Hamburg Brodersen | Ede | Gast | Greiner-Mai | Hasse | Mammitzsch | Ballwanz | Ehmke | Lübker
Bundschuh, Veronica, Rechtsanwältin, Meisterernst Düsing Manstetten, Partnerschaft von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten mbB
Busch, Volker, Rechtsanwalt, Bundesstelle für Rechtsschutz der GEW
Buschmann, Rudolf, Lehrbeauftragter Universität Kassel; Gewerkschaftliches Centrum für Revision und Europäisches Recht
Carlson, Sandra B. Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht, Rechtsanwälte Manske & Partner
Chebout, Lucy, Raue PartmbB
Chiofalo, Valentina, Freie Universität Berlin
Christen, Anja, Justitiarin, Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt
Clemm, Christina, Rechtsanwältin
Dern, Susanne, Hochschule Fulda
Dieball, Heike, Hochschule Hannover
Eder, Isabel, Abteilungsleiterin Abteilung Mitbestimmung/Betriebsverfassung, Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie
Eschenhagen, Philipp, Wissenschaftlicher Mitarbeiter Bucerius Law School / Co-Chefredakteur Völkerrechtsblog
Feichtner, Isabel, Universität Würzburg
Fischer-Lescano, Andreas, Universität Bremen
Fleischmann, Michael, Fachanwalt für Arbeitsrecht, seebacher.fleischmann.müller, kanzlei für arbeitsrecht, München
Siebens, Frank
Frings, Dorothee, Köln
Gallon, Johannes, Europa-Universität Flensburg
Garloff, Grégory, Referatsleiter Arbeitsrecht und Rechtsschutz, Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG)
Gaßmann, Theresa, Rechtsanwältin (Syndikusrechtsanwältin) Konzernbetriebsrat Deutsche Post AG
Gimbal, Anke, Berlin
Göhler, Martin, Rechtsanwalt, silberberger.lorenz, kanzlei für arbeitsrecht
Görg, Axel, Rechtsanwalt, Betz Rakete Dombek, Rechtsanwälte und Notare*
Gössl, Susanne Lilian, Universität Kiel
Grünberger, Michael, Universität Bayreuth
Gün, Isaf, IG Metall
Gundelach, Lasse, Katholische Hochschule Mainz
Hanschmann, Felix, Humboldt-Universität zu Berlin
Harraschain, Nadja, breaking.through
Hayen, Ralf-Peter, Gewerkschafter
Hedayati, Asha, Kanzlei Hedayati, Berlin
Heilmann, Micha, Rechtsabteilung Gewerkschaft NGG
Heller, Thomas, Gewerkschaftliches Centrum für Revision und Europäisches Recht
Heßeler, Victoria, Rechtsanwältin, Rechtsanwaltskanzlei Heßeler Gundelach PartGmbB, Bonn
Hettihewa, Julian, Universität Bonn
Hießl, Christina, Universität Frankfurt/M.
Hjort, Jens Peter, MÜLLER-KNAPP – HJORT – WULFF | Partnerschaft
Hlava, Daniel, Hugo Sinzheimer Institut
Hoffmann, Julia, Universität Frankfurt/M.
Höller, Johannes Hugo-Sinzheimer-Institut, Frankfurt/Main
Holzleithner, Elisabeth, Universität Wien
Hummel, Dieter, Rechtsanwalt, dka Rechtsanwälte
Jerchel, Kerstin, Gewerkschafterin
Jungkind, Benjamin, Universität Frankfurt/M.
Kapeller, Angelika, Gewerkschaftliches Centrum für Revision und Europäisches Recht
Kießling, Andrea, Universität Bochum
Klapp, Micha, Rechtsanwältin, Gewerkschafterin
Klengel, Ernesto, Hugo-Sinzheimer-Institut, Frankfurt/Main
Kocher, Eva, Europa-Universität Frankfurt/O.
Kohlrausch, Thomas, Gewerkschaftliches Centrum für Revision und Europäisches Recht
König, Peter, Justitiar, Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG
Köppen, Alicia, Humboldt-Universität zu Berlin und Kammergericht Berlin
Körner, Alberdina, Gewerkschafterin
Krajewski, Markus, Universität Erlangen
Kräuter-Stockton, Sabine, Oberstaatsanwältin
Kummert, Nils, dka-Rechtsanwälte
Lembke, Ulrike, Humboldt-Universität zu Berlin
Liebscher, Doris, Juristin, Berlin
Lischewski, Isabel, Universität Münster
Lorenz, Frank, silberberger.lorenz, kanzlei für arbeitsrecht
Mangold, Anna Katharina, Europa-Universität Flensburg
Markard, Nora, Universität Münster
Martini, Stefan, Universität Kiel
Meißner, Doris, Fachsekretärin, Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie
Messina, Caterina, IG Metall
Miller, Katharina, Präsidentin von European Women Lawyers Association
Müller-Mall, Sabine, Technische Universität Dresden
Nazarek, Robert, Gewerkschafter
Nebe, Katja, Universität Halle
Nomanni, Miriam, Universität Jena
Oerder, Lena, Rechtsanwältin, silberberger.lorenz, kanzlei für arbeitsrecht
Oesterling, Julia, Fachanwältin für Arbeitsrecht, Kanzlei Betz Rakete Dombek
Oidtmann, Raphael, Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung
Pelzer, Marei, Hochschule Fulda
Peter, Fabienne, Universität Frankfurt/M.
Pfarr, Heide, Berlin
Pichl, Maximilian, Universität Frankfurt/M.
Quante, Anne, Rechtsanwältin, silberberger.lorenz, kanzlei für arbeitsrecht
Röhner, Cara, IG Metall
Roth, Ulrike, GEW
Röwekamp, Marion, Freie Universität Berlin/Colegio de México
Schemmel, Jakob, Universität Freiburg
Schettler, Anne, Leipzig
Schindele, Friedrich, Rechtsanwalt, Arbeitsrechtskanzlei, Schindele Gerstner & Collegen
Schleifer, Magali, Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie
Schmalz, Dana, Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Heidelberg
Scholz, Dirk, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Kanzlei Betz Rakete Dombek
Silberberger, Uwe, silberberger.lorenz, kanzlei für arbeitsrecht
Sottorf, Svenja, Fachanwältin für Arbeitsrecht, Kanzlei Betz Rakete Dombek
Sow, Amadou Korbinian, Bucerius Law School Hamburg
Spoo, Sibylle, Rechtsanwältin, Gewerkschaftssekretärin
Steiner, Regina, RAinnen steiner mittländer fischer, Frankfurt
Stix, Carolin, Universität Frankfurt/M.
Thiele, Alexander, LMU München/Universität Göttingen
Thon, Horst, Rechtsanwalt
Thum, Leonie, Rechtsanwältin, THUM Rechtsanwaltskanzlei
Tiedeke, Anna Sophia, Leibniz-Insititut für Medienforschung (HBI) / Humboldt-Universität zu Berlin
Trümner, Martina, Rechtsanwältin
Tuchtfeld, Erik, Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Heidelberg
Valentiner, Dana-Sophia, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg
van Wesel, Carola, Amtsgericht Frankfurt/M.
Voigt, Peter, Abteilungsleiter Abteilung Justiziariat/Recht/Compliance, Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie
Völzmann, Berit, Universität Frankfurt/M.
Walser, Manfred, Hochschule Bremen
Wandscher, Katharina, Rechtsanwältin, BGHP – Berger Groß Höhmann Partnerschaft von Rechtsanwält*innen mbB
Wapler, Friederike, Universität Mainz
Wenckebach, Johanna, Hugo Sinzheimer Institut für Arbeits- und Sozialrecht
Weniger, Dorothea, GEW Bayern
Wersig, Maria, Hochschule Hannover
Wihl, Tim, Humboldt-Universität zu Berlin
Wrase, Michael, Stiftung Universität Hildesheim/ Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung
Zimmermann, Nesa, Universität Genf
zu Dohna-Jaeger, Verena Rechtsanwältin, IG Metall